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Den Wohlklang zu erhöhen und die Wiederkehr des eintönigen Rhythmus zu verhindern, dient auch die — freilich nur vorsichtig zu benützende Freiheit, daß in dem von einem Bindeworte aus mehrgliedrig fortgesponnenen Nebensatze nach ''und'' oder ''oder'' die Stellung des Hauptsatzes eintritt. Ein Theologe schreibt: ''Wer einen solchen Schritt unternimmt und den, Gott sei Dank! immer noch festgefügten Bau der Kirche zertrümmern will und hat sich nicht besser alles vorher überlegt, der kann sich nur lächerlich machen''; und Rud. Huch: ''Wie er hinausgeht, um den Trunk zu holen, und ich sitze allein an Abdeckers Tisch, so halte ich eine Ansprache''. Daß sich die Sache auch nicht ändert, wenn im ersten Satze die Stellung des Fragesatzes eintritt, zeigt der Satz Schillers: ''Da war mir, als sehe ich aufflammen den ganzen Horizont ... und eine heulende Windsbraut fegte von hinnen Meer, Himmel und Erde''. Die Freiheit kann nicht besser empfohlen werden als dadurch, daß sie auch Hebel mitmacht: ''Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden und'' (es) ''kann nicht anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister'', und ebenso der mhd. Dichter: ''Alsô dô der eine man den fünven sige an gewan unde er wolde rîten, er sprach''.
§ 380. Die Berührung mit der lebendigen Rede, wie sie schon der Sturm und Drang sowie die Romantik suchten und am bewußtesten schon über ein halbes Jahrhundert die Germanisten mit der Erforschung der Mundarten pflegen, hat der Sprache der Gegenwart überhaupt die Möglichkeit zurückgewonnen, im Nebensatze das ganze Prädikat, im Hauptsatze seinen zweiten Teil nach vorn zu rücken. Namentlich werden jetzt zum Gefüge des Satzes nicht unbedingt nötige adverbielle Ergänzungen nachgestellt, die sich an ein vorübergehendes Haupt- oder Zeitwort nur ziemlich $Seite 388$ lose anschließen. Aus Erzählungen, wo diese Stellung am häufigsten ist, sei angeführt aus Scheffel der Hauptsatz: ''Er trat zurück an ein Bogenfenster im Kreuzgang'', und der Nebensatz: ''... der erst jüngst des Abts hinkendem Fuße die große Heilkur verordnet hatte mit Einreibung von Fischgehirn und Umschlag einer frisch abgezogenen Wolfshaut''; desgleichen aus Raabe der Hauptsatz: ''Die Monika mag euch ein Kissen holen für den alten Rücken'', und der Nebensatz: ''Er gedachte, wie doch alles so ganz anders geworden sei in der Welt''. Von Germanisten mögen Otto Schröder und Wilhelm Scherer zu Worte kommen. Jener schrieb z. B.: ''ihn auszurüsten zu neuem Flug über Raum ... Zeit'' oder: ''wozu sich erwärmen für eine veraltete Schreibung wie ,kint‘?'' dieser: ''Eine göttliche Frau weiht ihn ein in göttliche Weisheit'', und: ... ''der seine Kräfte verzehrt in allzu hochgespanntem Streben, der jung dahinstirbt mitten in einer glänzenden Laufbahn''. Selbst daß durch Vorrückung des Zeitwortes ''das Regierende'' und ''das Regierte'' getrennt wird wie in dem weiteren Satze Schröders: ''... deren Hauptreiz in einem gewissen Widerspruche liegt zwischen Darstellung und Benennung'', wird unangefochten bleiben dürfen, wenn dadurch wie hier der Satzrhythmus gewinnt. Das läßt sich gewiß nicht behaupten von den Sätzen G. Hauptmanns: ''Damit suchte er zu entschuldigen, daß er im Begriff ihn zu verleugnen stand; Ich kenne die Hoffnung, von der sie zehren, auf endliche Überwindung der Lebensnot''. Auch wenn Scherer geschrieben hat: ''Ich will den germanischen Zuwachs unsers heutigen ästhetischen und historischen Sprachbewußtseins gewiß nicht schelten; aber er muß nicht an die Stelle treten wollen dessen, was mehr wert ist'', oder Fürst Bülow: ''Wer kaltblütig seinen Interessen folgt, wird im entscheidenden Augenblick stolz der Meister sein dessen, der an seiner Seite einer Idee nachjagt'', so empfinde ich da einen ziemlichen Ruck wie durch gewalttätiges Zerreißen des Zusammengehörigen. Dasselbe gilt von dem Satze Goethes an Karl August: ''Viertens liegt eine Abschrift bei eines merkwürdigen Aktenstückes aus dem 30jährigen Kriege, wie sich die Stadt Frankfurt und ihre Consulenten zur Wehr setzten'', wie dem der DAZ. 28: ''Man kann nur ein ungefähres Bild geben des Standes der Dinge, die wie bei jedem Nationalitätenkampf fließend sind.''
Ohne solche Folge ist der Anschluß an das Folgende, wie er hier beabsichtigt ist, der natürlichste Grund für das Hinausrücken der adverbialen Ergänzung aus dem geschlossenen Satzringe, und zwar ist es dann gleichgültig, ob das folgende Glied formell durch ein bei- oder unterordnendes Formwort oder durch Wiederholung eines Hauptwortes, überhaupt lediglich sachlich angeschlossen wird. So hat Luther schon geschrieben: ''Auf diese Weise erwähleten vorzeiten die Christen aus dem Haufen ihr Bischöf und Priester, die darnach von andern Bischöfen wurden bestätiget ohne alles Bangen, das itzt regieret'', und wieder G. Keller: ''In der Stadt, wo der Anwalt ein paar Worte fallen ließ von dem großen Vermögen, das vielleicht nach Seldwyla kam durch diese Geschichte, entstand ein großer Lärm''. In T. E. A. Hoffmanns „Elixieren des Teufels" habe ich neben 44 Stellen derart: ''So griffen sie mich an mit dummem Staunen'', und im Nebensatz: ''bis du verdirbst in Wahnsinn und Verzweiflung'', weitere 6 vermerkt, wo im Haupt- oder Nebensatz die Aufsparung dem engeren Anschlusse an den abhängigen Satz dient: ''wenn ich mein Gemüt ganz zuwende jener'' $Seite 389$ ''seligen Zeit, die nur zu schnell verschwunden'', und ''Die Fürstin soll selbst das Hochzeitslager bereiten dem Mönch, den sie verachtet''. Den Anschluß an das folgende ohne Unterordnung zeigt ebenso ein Beispiel W. Raabes: ''Er streckte ihm die Hand entgegen mit den Worten'' (folgt Rede), wie die einer theologischen Realenzyklopädie: ''Ebenso wenig können geltend gemacht werden die Cherubgestalten Ezechiels; Ezechiel mag die Bestandteile seiner phantastischen Gestalten entlehnt haben von den heiligen Tiersymbolen der Babylonier'', wenn auch hier das Nebeneinander zweier solcher Stellungen in einem Satze wie Modeneuheit oder Standesneigung zum Ton der Lutherischen Bibelübersetzung anmutet. Überhaupt ergeht sich schwungvolle Begeisterung gehobener Rede oder Leidenschaft gern in solchen Abweichungen; selbst Ergänzungen im bloßen Falle treten dann gelegentlich nach wie in dem Satze Hauffs: ''Treue ist das Wort, das Genesung gibt dem gebrochenen Herzen''. Auch Spannung kann nicht besser wachgerufen werden als von Gregorovius mit Aufsparung des wichtigen Satzteiles im Nebensatze des folgenden Gefüges: ''Es war in den letzten Tagen des August 1268, als über diesen Strand sprengten, fliehend und angstvoll, der junge Konradin, Friedrich Prinz von Österreich und der Graf G. Lancia''. Dieselbe Wirkung erzielt H. Mann: ''um es her eine Zone breitend des Gestampfes, Geschreis, Totschlags und der bildungsfeindlichen Roheit.''
Bei der unumschränkten Geltung, die das Stellungsgesetz des Nebensatzes genießt, kann es nicht wundernehmen, daß ihm die Kraft innewohnt, immer mehr ursprünglich hinweisende Umstandswörter, was die meisten Bindewörter gewesen sind, in unterordnende Bindewörter zu verwandeln, selbst Mittel- und Hauptwörter.
Zwar auf so schwerfällige Formen, wie ''dahingegen, ohnerachtet'' oder jetzt ''ungeachtet, ansonst'', die der Aktenstil liebte, braucht man jene Kraft sich nicht ausdehnen zu lassen. Wenigstens wird niemand so leicht schreiben wie der General Günther: ''Der Verlust, ohnerachtet er zehnmal beträchtlicher ist, kann doch den unsrigen nicht ersetzen'', mag schon G. Keller ''ungeachtet'' öfter ähnlich brauchen und z. B. auch geschrieben haben: ''er hoffte, daß er sich noch unter den Lebenden befinde, ansonst der eine oder andre gewiß eine bestimmte Todeskunde gebracht hätte''. Dagegen wird ''so'' + Adverb oder Adjektiv, das eigentlich in den Hauptsatz gehörte und für den Nebensatz in natürlich auch noch möglicher Weise durch ''als'' aufgenommen werden müßte (''sie war so rasch gelaufen, als sie nur konnte''), $Seite 274$ heute ebenso oft als Relativ an die Spitze des Nebensatzes gezogen: ''Sie lief, so rasch ihre zitternden Schritte sie zu tragen vermochten, in der Richtung des Kremels weiter'' (E. Bauer). ''Solange'' ist ja längst üblich geworden, und statt des schwerfälligen ''insofern, als'' herrscht längst bloßes ''sofern'', wie denn schon Niklas v. Wyle schrieb: ''Man ist sülchen sünen kain guthait zutun schuldig, soferre inen selhs nit erschynet tugend''. Ebensowenig mehr wie ''hierüber'' darf gegen die Anwendung von ''nun'' als unterordnendes Bindewort etwas eingewendet werden, das auch ohne vermittelndes ''daz'' schon mhd. als solches vorkommt; bezeichnet es doch fühlbarer als ''da'' zugleich den Grund und das gleichzeitige Eintreten seiner Folge, und zwar ebenso für die Vergangenheit: ''Sie war beruhigt, nun sie ihn gesund und wohlbehalten wußte'' (E. Bauer), wie für die Gegenwart: ''Nun man sich überzeugt, daß dieselbe aufreizt, soll sie aufgehoben werden''. Wie von ''während daß'', welches noch in Schillers Prosa durchaus vorherrscht, bloß ''während'' übriggeblieben ist, so ist auch nichts dagegen einzuwenden, daß neuerdings bloßes ''trotzdem'' oder ''zumal'' statt des älteren ''trotzdem daß, zumal da'' einrückt. ''Das Individuum erhält, trotzdem es sich seinen Vorstellungskreis selbst schaffen muß, doch durch die Gesellschaft eine bestimmte Richtung seiner geistigen Tätigkeit'', schreibt z. B. ein deutscher Sprachforscher; Goethe (Stella): ''Sie lebt wie eine Nonne, Zeit ich sie kenne''; Beethoven (1. 6. 1806): ''Ich habe, seit der Zeit du fort bist, alles geschrieben''; Thea v. Harbou (Woche 26): ''Ich hatte Angst, ich würde, im Fall ich länger bliebe, „Herzblättchens Zeitvertreib“ wieder mitnehmen''. Nicht zur Nachahmung, sondern nur zum Beweis, wie diese Entwicklung noch immer fortläuft, seien folgende Beispiele angeführt: ''schon liegen, kaum die Leidenschaft emporgeflammt ist, der zähe Verstandesmensch und der sich überstürzende Phantasiemensch miteinander in Fehde'' (A. Kleinberg); ''Es war, vordem der Vater zu uns kam'' (DAZ. 27); und besonders mit bloßem ''vor: wie’s Sitte war bei meiner Väter Stamm, vor ich den Schritt auf dieses Rund getan'' (G. Keller); ''mir war lange Jahre, vor sich der Wunsch verwirklichen ließ, eine Wanderung durch Italien in Aussicht gestellt worden'' (L. Thoma); ''Wer nicht stirbt, vor er stirbt, der verdirbt, wenn er stirbt'' (Chr. Morgenstern); und: ''Und waret ihr nicht erst das Halbe, ’vor mein Geheimnis ihr gewußt?'' (DAZ 18. 8. 29.)
Was weiterhin in unserer materialistischen und jungrealistischen Zeit nicht auch alles Körperlichkeit erhält, besonders Hände und Füße! Der Berichterstatter der Grazer Tagespost muß wenigstens an Riesenfinger gedacht haben, wenn nach seiner Meldung ''die ungeheuren Schneemassen den Schritt, das Dobratschhaus zu beziehen, noch zu einem fruchtlosen stempeln''. Bei einem berufenen Kunstrichter ist es die Prätension, der Finger verliehen werden, mit denen sie mit Pauspapier Fetzen irgend eines Formenschatzes zusammenkritzelt und ''große Namen an die Stirn ihrer Waren schreibt'' — d. h. unter ihre Bilder als Unterschrift! Ein ergötzliches Bild geben auch die Ärzte und die Leiter von Privatschulen, die sich ''an der Hand guter Erfahrungen zur Heilung schwerer körperlicher und geistiger Gebrechen'' anpreisen; wenn dann jemand, durch die Anpreisung gelockt, bei ihnen erscheint, sprechen gewiß nicht sie selbst, sondern, wie im Roman, ''ihre Stimmen mit einer tiefen Verbeugung'' noch viel Schöneres; zugleich stehen ihnen gewöhnlich ''ausgezeichnete Zeugnisse zur Seite'', ein hübsches Bild, diese Bogen Papier neben den strahlenden Menschheitsbeglückern, so schön wie jenes, in dem den katholischen Pfarrern ''die Befreiung vom Dienste im Heer'' auch ''zur Seite steht''. Ja, dieses sinnlose ''an der Hand'' ist schon zu einem Worte verwachsen und der Lehrer trägt ''anhand des Buches'' vor (statt: einfach: ''nach dem Buche'' oder wenigstens: ''das Buch ...'' oder: ''mit dem Buche in der Hand''); denn der Lehrer hat die Hand, nicht das Buch! +
Zuletzt tut noch ein warnender Hinweis auf die gänzliche Fügungslosigkeit not: Verhältniswörter mit undeklinierten Formen daneben, in der Mehrzahl zumal, die ebensogut Nominative als Akkusative sein können, aber schließlich nichts sind als, schwarz auf weiß bestätigt, die Folge davon, daß das Gefühl für den Wert und die Schönheit unsrer Fallbildung abhanden kommt. Nicht bloß die Adca schreibt: ''infolge Arbeitsmangel'' (statt: -''mangels'') oder die Dresdner Nachr.: ''verstärktes Steigen infolge'' (fehlt: ''von'') ''Niederschlägen'', sondern auch Gelehrte: ''wegen Raummangel; es bedarf eines starken Heeres zwecks Schutz seiner offenen Grenzen'' (Scheler); ''Im: Neues Jahrbuch'' (statt: ''Im Neuen Jahrbuch'') ''der Berliner Gesellschaft für deutsche Sprache, In L.s neues allgemeines Archiv steht zu lesen, in dessen „Deutsches Museum“ veröffentlicht'' (E. Bertram 1919), u. ä. Gymnasiallehrer: ''In: die Künstler, wie auch, wenn schon mit etwas'' $Seite 149$ ''Mischmasch'', Jensen: ''in seinem sich vielfach an Voß anlehnenden „Die Gesundbrunnen“'' (statt ''in seinem ... Gedichte: Die Gesundbrunnen'' oder ''in seinem... sich anlehnenden „Gesundbrunnen“''. Daß die Dichter und Schriftsteller diese Furcht, ihr Werk könnte durch Einbeziehung in die Satzfügung unkenntlich werden, nicht kennen und auch die Umständlichkeit, einen Gattungsbegriff beizufügen, nicht für nötig halten, mag die schlichte Art bezeugen, in der sie selbst anführen. C. F. Meyer schreibt an J. Rodenberg: ''Heut Abend geht der Schluß des „Mönchs“ an sie ab'', und Rodenberg meldet zurück: ''die englische Übersetzung Ihres „Heiligen“'' u. ä. o. Auf ''die verdienstvolle Kriegsveröffentlichung das Bild als Narr'' von L. Avenarius weist A. Bonus in des Verfassers eigener Zeitschrift so hin: ''Avenarius hat in seinem „Bild als Narr“ darauf hingewiesen'', und der Verfasser selbst überschreibt einen Hinweis auf die 2. Auflage: ''zur 2. Auflage des „Bildes als Narr“''. Auch Walzel, gleichermaßen ein Führer auf den Gebieten der Literatur- und Stilkunde, ordnet immer den Titel derart der Fügung ein: ''wie im „Abenteuer“ des andern Teils der „Neuen Gedichte“''; und ähnlich ein anderer Theoretiker des dichterischen Kunstwerkes, Ermatinger, sogar: ''Goethe hat die Stoffe zu seinen Balladen, im Erlkönig, im Zauberlehrling, der Braut von Korinth, im Getreuen Eckard, dem „Gott und der Bajadere“ nicht erfunden''.
Weiter findet man in sonst sorgfältigen Büchern z. B.: ''Jenseits Rumbêk, wegen Polen''. Aus Zeitungen mögen noch erwähnt werden: ''diesseit Rom, innerhalb und außerhalb Österreich, mittels Telephon'', und besonders die Fügungen, in denen ein zwischen die Präposition und ihr Substantiv gestellter Genetiv das Sprachbewußtsein irregeleitet haben mag: ''aus aller Herren Häuser'' (statt ''Häusern''), ''aus aller Herren Länder; Bücher, die in aller Hände sind, der Druck, der auf aller Gemüter lastet, während dessen Aufenthalt'' (Jak. Wassermann), ''gelegentlich Fr. Schlegels Übertritt'' (P. Ernst) (vgl. § 71); ''mit der... und von der Schalme Brüder'' (H. Leip). Im Geschäftsstile der Buchhändler werden, der oben gerügten Nichtbezeichnung des Genetivs entsprechend, Romane, die erst stückweise erschienen sind und nun in Buchform erscheinen, angekündigt als abgedruckt: ''aus Deutsche Romanzeitung'' u. ä. Dasselbe Blatt findet man auch also empfohlen: ''Deutsche Romanzeitung'' und ''Kleine deutsche Romanzeitung, Anhang zu Obige''. Kaufleute und Händler zeigen an ''das Beste, ein reichhaltiges Lager'' der eine ''in'' oder ''von Rauch-, Schnupf- und Kautabake'' (statt -''tabaken''), der andre ''in Rhein-, Mosel- und Burgunderweine'', ein dritter ''in Schreib- und Druckpapiere'' und ''allerhand Mal-, Zeichen- und Schreibgegenstände''. Reisende fragen zu Dutzenden an ''nach unserm Bedarf in feine Zigarren, italienische Weine'', und verkünden, vielleicht ganz naiv, weil sie den Verstoß gegen die deutsche Sprache und die daraus erwachsende Lächerlichkeit nicht fühlen, mit ihrer ganzen Eitelkeit, daß sie nur ''in echt wollene Kleiderstoffe'' oder ''in die feinsten Seidenwaren'' machen! Ob alle diese Deutschverderber wissen, wie weit sie herunter sind? — Was Biegung und Satzfügung anlangt, bis auf das bedenklich zerfressene Kauderwelsch der großstädtischen Massen, das hierin gleich schlimm ist in Berlin, wo man ''vor die Frau große Achtung hat'' und ''außerhalb die Stadt nix wie'' (!) ''Sand und Kiefern sieht'', wie in Wien, dessen Sprache in dieser Beziehung ''„mit kurze“'' (hochdeutsch: ''in kurzem'') durch Verbindungen wie ''mit ihre Kinder'' $Seite 150$ oder ''von sechs vermummte Männer'' gekennzeichnet wird. Das werden aber alle diese formlosen Schreiber und Schriftsteller so wenig schriftgemäß machen als jener preußische König, der nach den eigenen Worten seinem Sohne ''„Gelegenheit machte, sich mit seiner Braut etliche Male in alle Honneur zu sehen“''.
Einer garstigen Flüchtigkeit macht sich heute belletristische wie Tagesschriftstellerei schuldig durch einen unbegründeten Wechsel zwischen dem erzählenden Präsens und der eigentlichen Zeit der Erzählung, dem Imperfekt. Nur zwei Zeitungssätze höre man: ''1653 muß Rembrandt Geld aufnehmen; 1657 wird seine kostbare Sammlung gerichtlich verkauft; am 1. Februar folgt der Verkauf des Hauses, der 11 218 fl. ergab'' (Tgl. R.). — ''Wie groß wird nun erst das Erstaunen, als nun'' (!) ''ohne Unterbrechung Zug auf Zug ein'' (!) ''solches heißhungriges Schlangentierchen, manchmal ... zwei auf einmal von mir aus der Tiefe herausgeholt wurden, als nach Verlauf von 20 Minuten mehr als 40 kleine und große Aale in dem Behälter sich winden''. Man soll solches Herüber- und Hinüberschwanken nicht damit entschuldigen wollen, daß es auch bei Meistern, zumal Dichtern vorkomme; denn selbst als Zugeständnis an Versmaß und Reim ist es nichts Meisterhaftes. Goethe hat gar wohl erkannt, daß der Übergang der Erzählung aus dem Imperfekt ins Präsens erst die Neurung einer unruhigen, nach dem Auffälligen haschenden Zeit gewesen ist; in seiner ganzen Dichtung Hermann und Dorothea gibt es daher ein erzählendes Präsens so wenig als im ganzen Homer. Immerhin gehört der Übergang heute zu den berechtigten Kunstmitteln; nur muß er als solches mit Kunst, zu deren Vorzügen auch die Sparsamkeit gehört, für die Stellen einer Erzählung aufgespart werden, die es durch ihre Wichtigkeit und ihren Inhalt vor anderen verdienen, dadurch gleichsam in unsre Gegenwart gerückt zu werden; und dann muß ein ganzer zusammengehöriger Abschnitt darin auftreten.
Nicht viel besser ist ein Wechsel zwischen erster und zweiter Vergangenheit, wo er nicht in einer verschiedenen Auffassung der Zeitverhältnisse, sondern lediglich auf dem Unvermögen beruht, für gleiche Verhältnisse auch andauernd die gebührende gleiche Ausdrucksform beizubehalten, je nachdem die erste Vergangenheit (Imperfekt) oder die zweite (Perfekt). So verdient das Perfekt in dem Satze bei F. Lewald Tadel: ''Dem Jünglinge unsrer Tage ist es kaum möglich, sich in das Entzücken hinein zu denken, mit welchem, als wir jung gewesen sind'' (statt: ''jung waren''), ''uns die Dichtungen eines Klopstock ... erfüllten''; das Imperfekt in dem der Tgl. R.: ''Als Ergebnis stellt sich heraus, daß nur sehr wenige Unternehmer reich geworden sind, daß die Staatskassen der Transvaal-Republik sich bedeutend gefüllt haben und daß der Freistaat für seine Produkte einen neuen Markt bekam'' (statt: ''bekommen hat''), ''der nie mehr verschwinden wird''; ebenso in der Meldung: ''Eisenach: Kronprinzessin Stephanie von Österreich ist aus Bayreuth hier eingetroffen, in R.'s Hotel abgestiegen und besuchte die Wartburg''.
Die echtesten Bindewörter, die nur an der Spitze stehn und nie einen Einfluß auf die $Seite 271$ Stellung der Satzteile ausüben sind ''und, oder, sondern, allein, denn''. Nur bei den ersten drei, namentlich aber bei ''und'', findet sich heute überaus oft die Wortfolge: ''und'' (''oder, sondern'') + Verb oder Hilfsverb + Subjekt. In einer kaiserlichen Order vom 29. März 1890 hieß es hintereinander: ''Dieselben liefern den Beweis, daß in meiner Armee nicht überall nach gleichen Grundsätzen verfahren wird, und sehe ich mich veranlaßt, meiner Willensäußerung erneut Ausdruck zu verleihen''; und: ''Zum Repräsentieren sind nur die kommandierenden Generäle verpflichtet, und darf es in meiner Armee nicht vorkommen'' usw. Ein Beispiel für diese Stellung nach ''sondern'' mag einer Zeitung entnommen werden: ''Str. war kein Wucherer im Stile der hier landläufigen, sondern beschäftigte sich derselbe auch mit ernstern Wissenschaften''.
Immerhin sichert bei ''oder'' und ''sondern'' die heutige Seltenheit der umgekehrten Wortfolge dem Gebot der Sprachlehrer, daß diese dem deutschen Wortstellungsgesetze gemäß zu meiden sei, Zustimmung und Befolgung. Und auch für ''und'' bleibt der Sprachlehrer nach der Entwicklung dieses Gesetzes im Recht, wenn er die Stellung ''und'' + Subjekt (oder ein anderer psychologisch näher liegender Satzteil) + Verbum verlangt, trotzdem sich Beispiele der umgekehrten Folge zu Tausenden häufen ließen. Nur darf man nicht als Abweichung ansehn, was keine sind. Die Fälle nämlich sind keine, in denen die umgekehrte Wortfolge des zweiten Satzes darin begründet ist, daß auch für ihn noch ein an der Spitze des ersten stehendes gemeinsames Glied gilt, mag es nun ein bloßer Satzteil, besonders ein Umstand, oder ein Satz sein. So heißt es in der Gasteiner Konvention mit Recht: ''Bis zur Ausführung der desfallsigen Bundesbeschlüsse benutzen die Kriegsschiffe beider Mächte den Hafen, und wird das Kommando und die Polizei über denselben von Preußen ausgeübt''. Nicht minder richtig stand in der Tgl. R.: ''Sie hatten mit dem Feuer gespielt, und nun es aufgelodert war, klapperten ihnen die Zähne vor Entsetzen, und schüttelte sie das Schuldbewußtsein in jähem Fieberfrost''; bei Jensen: ''Ohne daß sie es selbst wußte, wendete sich manchmal das Verhältnis um und war sie seine Lehrerin''; und bei Keyserling: ''Wenn man dreißig Jahre älter als seine Frau ist, läßt man seine Frau nicht malen und spielt man nicht den Kunstfreund''. Auch eine wirkliche Ausnahme darf und muß man wohl zugestehen, wenn nämlich der mit ''und'' angeknüpfte Satz keinen völlig neuen Gedanken anfügt, sondern eine Folge aus dem ersten oder die Erläuterung einer zugehörigen Einzelheit, wenn also ''und'', seiner alten Vieldeutigkeit entsprechend, so viel ist wie ''und so, und deshalb'' oder wie ''und zwar''//1 Unter Hinweis auf die Möglichkeit dieser Bedeutung von ''und'' ist für eine gewisse Duldung der umgekehrten Wortfolge nach ''und'' Bros. Dunger im Lit. Zentralblatt 1880 (S. 1751) eingetreten; die Abweichung mit Auslassung von ''es'' zu rechtfertigen, geht höchstens für Erzählungen an, wo, wie in den Grimmschen Märchen, ganz und gar der bequeme Volkston, oder in Novellen und Romanen, wo dadurch eine altertümlichere oder gewöhnlichere Färbung erreicht werden soll, wie z. B. oft im Ekkehard oder gelegentlich bei Grosse, Storm u. a. Die Stellung ''und'' + Subj. (oder andrer Satzteil) + Verbum wird besonders auch dadurch als das Regelrechte und Natürlichere erwiesen, daß sie in nicht zu zählenden Fällen steht, wo die Geltung eines an der Spitze stehenden Adverbiales auch für den zweiten Satz die Umkehr rechtfertigen würde; also an Sätzen der Art: ''Mählich verlängerten sich die Schatten und es wurde stiller. Da freuten sich die Augen Palmas und ihre Pulse schlugen''. Noch weniger kann es $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ unsere oben für die Praxis empfohlene Stellung ändern, wenn darauf hingewiesen wird, daß die sogenannte Umkehrung nach ''und'' uralt sei, wie das jetzt am eingehendsten erwiesen worden ist in J. Poeschels Abhandlung: „Auch eine Tagesfrage. Die Stellung des Zeitwortes nach ''und'', sprachgeschichtl. untersucht“ im V. wissensch. Beiheft z. Ztschr. des Allgem. Deutschen Sprachvereins v. 1. Okt. 1893 (S. 193—237). Denn aus der freien und früher vielleicht schönen Beweglichkeit der alten Zeit sind wir überhaupt zu festerer Wortfügung und Stellung gelangt; und mag das auch zum Teil unter zu großem Einflusse der bloßen Verständigkeit geschehen sein, so ist man damit doch auch zu größerer Übersichtlichkeit und dem Werte der Gedanken entsprechender schärferer Unterscheidung der Unter- und der Beiordnung gelangt. Unsere Festigkeit von heute ist also von dieser Seite ein Vorzug, der nicht ohne Not geopfert und mit neuem Schwanken ausgetauscht werden sollte. Vor allem kann es auch auf den Grammatiker gleich wenig Eindruck machen, daß der Fehler so gut aus der Feder des Fürsten wie aus der örtlicher Berichterstatter floß; denn für die fürstliche Unterschrift waren die Erlasse meist in — freilich fürstlichen Kanzleien fertig gemacht, und der kleine Berichterstatter und Geschäftsmann hatte seine Muster an dem wieder zu einer Kanzlei gehörigen Hofberichterstatter und an den Bekanntmachungen der Polizei, der Gerichte und Verwaltungsbeamten, die hier alle eine altertümliche, überlebte Form noch fortschleppen. Auch was der Romanschriftsteller und auf verwandten Gebieten Wirkende mit dem volks-, geschäfts- und altertümelnden Mittel wirken, kann für die überlegte Schriftsprache der Darlegung, Beweisführung u. dgl. nicht maßgebend sein. Zum Schluß noch einmal: daß oben die eine Ausnahme gutgeheißen wird, ist ein Zugeständnis, das man nach dem Gange der Entwicklung wohl machen kann; niemand aber soll es auch zu machen veranlaßt werden, wenn es seinem Sprachgefühl widerstrebt, das dann heute immer die Mehrheit aller Fügungen mit ''und'' für sich hat. Im letzten Grunde stand auf diesem Standpunkte auch R. Hildebrand, Zeitschr. für den deutschen Unterr. 1892, 793 ff., und zuletzt Richard Meyer: Deutsche Stilistik, S. 58 (= Handbuch des deutschen Unterrichts an höheren Schulen, III, 1).//. So wird man also den Satz Born- $Seite 272$ haks gutheißen dürfen: ''Herzogin Adelheid konnte sich schwer von diesem Verluste aufraffen, und'' [''so''] ''stammte wohl aus dieser Zeit das schwere Nervenleiden, an dem sie noch heute zu tragen hat''; und ebenso den eines Reisebeschreibers: ''Es gelangen vier Gruppen mit zwanzig Unterabteilungen zur Vergleichung und'' [''zwar''] ''wird deren Wert nach graphisch ausgedrückten Qualitätsprozenten bestimmt''.
Schon nicht mehr sollte dagegen der Satz aus der Feder Moltkes Nachahmung finden: ''Welche Hindernisse ihm dabei die Aupa bereiten mochte, war noch zu erfahren, und wurde deshalb eine Rekognoszierung gegen Josephstadt anbefohlen'', weil hier der Ausdruck des logischen Verhältnisses in ''deshalb'' besonders vorliegt und somit nicht einer ungewöhnlichen Begriffsfülle des ''und'' und ungewöhnlichen Stellung überlassen zu werden braucht. Wenn die Länge des Subjektwortes oder daran anschließende Glieder seine Nachstellung fordern, wird der sorgfältige Stilist überhaupt hinter ''und'' lieber zur Andeutung des Subjekts ein ''es'' einschieben, wie er auch in den oben angeführten Beispielen das in Klammern beigegebene ''so, zwar'' u. ä. Worte lieber einfügt als ergänzen läßt. Unberechtigt ist die umgekehrte Wortfolge vollends, wo von einer volleren Kraft des Wörtchens ''und'' und deren Einwirkung auf die Wortstellung keine Rede sein kann, wie in dem Satze der neuen Freien Presse: ''Der Papst wurde lebhaft begrüßt, und bemerkte man unter den Anwesenden viele Kardinale''. Oft veranlaßt die Umstellung sogar ein lächerlich wirkendes Mißverständnis, das erst durch das Spätere aufgeklärt wird. Bald schwebt nämlich infolge der Umstellung ein an der Spitze stehendes Adverbiale auch für das zweite Glied vor, wie in dem Satze der ehemaligen Leipziger Ztg.: ''Mitten in dieser Holztafel'' $Seite 273$ ''sitzt eine Kanonenkugel und kann man noch heute sehen, welchen Weg die Kugel damals in dem Dachstuhle des Hauses genommen hat''; daß man ''dach'' wie es jetzt klingt, mitten in der Holztafel sehen könne, diesen Schein ließe die richtige Stellung ''und man kann noch heute sehen'' nicht aufkommen. Bald rechnet man auch in vorläufiger Ermangelung eines neuen Subjekts mit dem alten, ob es nun bei Winckelmann heißt: ''Dieser Künstler hat auf dem Throne gesessen und wird noch jetzt ihm gehuldigt'' (statt: ''und es wird ihm'' usw.), oder schon lächerlicher in der Köln. Ztg.: ''Übrigens ziehen schon vorher unsre Jägerpatrouillen aus und säubern die diensttuenden Offiziere und Feldwebel'' — wie? fragt man betroffen, etwa gar ''von'' —?— doch halt, es geht weiter: ''das Terrain''!
Zu der Peinlichkeit, die selbst innerhalb bestimmter Grenzen die Verwendung des Imperfekts für die beziehungslose Vergangenheit nicht zugestehn möchte und die wohl zumeist auf — lateinischem Sprachgefühl beruht, gesellt sich eine andre, noch deutlicher aus der Lateinschule stammende, die sich nicht genug darin tun kann, die Zeitverhältnisse aufs genauste durch deckende Zeitformen zu bezeichnen. Die deutsche Sprache begnügt sich aber oft, die Zukunft durch ein Adverb (vg1. § 123) oder auch nur durch die Beziehung anzudeuten, dies letztere immer, wenn im Hauptsatze schon ein Futur steht. Statt der latinisierenden Form: ''Das ist sicher, daß Seine Majestät die Umsturzbewegung bekämpfen und ihre Anhänger verfolgen wird, bis sie völlig ausgerottet sein werden'', heißt es deutscher: ''bis sie ... ausgerottet sind''. Ebenso ist es deutsche Art, wenn es auf die genaue Unterscheidung der Zeitstufen nicht besonders ankommt, das Imperfekt auch für vorhergegangene Ereignisse zu verwenden, namentlich nach den zeitlichen Bindewörtern ''da, als, ehe, bevor''. Geradezu falsch schreibt der Romanschriftsteller E. Bauer in der Tgl. R.: ''Als er Anna M. kennen gelernt'' (''hatte''), ''hatte sie ihm auf den ersten Blick gefallen''; denn nur bei der Entwicklung des Kennenlernens konnte er sie auf den ersten Blick liebgewinnen, nicht nachher erst. Überhaupt wird dem schwerfälligen Plusquamperfekt eine unerklärliche Vorliebe entgegengebracht, nicht nur in der Tgl. R. mit dem Satze: ''So unterbricht auch jetzt die Erörterung über den heiligen Rock die Andacht der nach Trier Wallfahrenden ebensowenig, wie dies vor 47 Jahren der Fall gewesen war'' (statt: ''Fall war''), ''wo die wissenschaftliche Kritik leidenschaftlich wurde'' ... , oder mit dem bei Kingsley-Spangenberg: ''Da war er gesehen worden, wie er nacheinander erst eine Swedenborgkapelle, dann den Garrickklub und eine magnetische Soirée besucht hatte'' (statt: ''besuchte''); denn die Gleichzeitigkeit in der Vergangenheit wird durchweg durch das Imperfekt ausgedrückt (§ 353 und gleich unten), auch neben dem Perfekt und Plusquamperfekt. Wenn trotzdem Perfekt neben Perfekt vorkommt wie in dem Satze Goethes: ''Die Individualität eines Menschen ist ein wunderlich Ding: die meine habe ich jetzt recht kennen lernen, da ich dieses Jahr bloß von mir selbst abgehangen habe'', so erklärt sich dies wie andre ähnliche Parallelen daraus, daß in solchen Sätzen nicht die Gleichzeitigkeit betont wird, vielmehr jeder eine selbständige Mitteilung einer jetzt abgeschlossen bezeichnten Tatsache enthält.
Undeutsch ist es im allgemeinen, an ein mit einer Beifügung versehenes Hauptwort einen Relativsatz mit ''und'' anzuknüpfen: ''York, eine sehr wichtige Persönlichkeit'', (''und'') ''mit der er gern in Unterhandlungen treten wollte''. In dieser Ausdrucksweise, die dem Volke durchaus fremd ist, steckt nichts als ein Gallizismus. Wenn es darauf ankommt, hervorzuheben, daß der Relativsatz nicht auf Substantiv + Attribut, sondern dem letzteren gleichwertig nur auf jenes bezogen werden soll, entspricht dem Deutschen für beide Attribute ein Relativsatz; man wird also lieber nicht mit Lessing sagen: ''Ich werde eine fromme Frau an Ihnen haben und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit ist'', sondern ... ''eine Frau, die fromm und'' (''doch'') ''nicht stolz auf ihre Frömmigkeit ist''. Einwandfrei ist natürlich der Satz von P. Ernst: ''Die Russen sind das unbürgerlichste der neueren Völker und das am ersten Künstlertemperament hat''; denn hier verleiht der Teilungsnegativ der ersten Aussage ebenbürtige Schwere. Gegen allen Sinn und Verstand verstößt aber ein ''und'' zwischen zwei Relativsätzen, die sich gar nicht auf das gleiche Hauptwort beziehen, also auch nicht verbunden werden dürfen; gleichwohl ist dieser Fehler ungemein häufig und nicht nur in Zeitungen, sondern auch in Büchern, solcher Leute namentlich, denen das Französische mit seinem freilich nie so unlogisch gebrauchten ''et qui'' geläufig ist. Solche sind es, die die folgenden Sätze fertig gebracht haben: ''unter dem ... Königtum., mit dem doch die Revolution vollständig gebrochen, und deren Kind Napoleon selbst sich oft genannt hatte. Wenig erbaut äußerte sich Grillparzer über die jüngste literarische Richtung Deutschlands, dessen Münchner Führer ihn herausfordernd angefahren hatte, und mit denen er noch ein Hühnchen zu rupfen gedachte'' (Frey). Doch auch eine Ortszeitung bietet: ''die beste Leistung des Abends war die Tochter des Professors, die durch Frl. L. Berger dargestellt wurde und die sich dabei als eine hochtalentierte Künstlerin erwies''.
Die ungebeugte Form anderer Adjektive erklärt sich aus der substantivischen Natur des Wortes. So besonders bei den fremden Farbennamen wie ''rosa, orange, lila, pensée'' u. ä., welche die Pflanzen ''Rose, Pomeranze, Spanischer Flieder, Stief-'' $Seite70$ ''mütterchen'' bedeuten; man muß sie also ungebeugt lassen: ''in lila Kleidern'', oder durch Zusammensetzung mit ''-farbig, -farben'' wirklich adjektivisch machen: ''in orangefarbnem Hute''. Dagegen darf man sich nicht verleiten lassen, auch deutsche, Farben bezeichnende Adjektive ohne Endung zu setzen, mag es auch schon Goethe einmal widerfahren sein zu schreiben: ''ein Büchlein von Pergament und weiß Papier'' //1 Anders beurteilt zu werden verdienen dagegen besonders Geschäftsausdrücke wie ''Ein Paket in grau Leinen, Studien auf blau und grau Papier'', die als akkusativische Fügungen (= ''ein in grau(es) Leinen eingeschlagenes Paket'') aufzufassen und deren gebeugte Formen nach § 77, Nr. 3 berechtigt sind.//. R. H. Bartsch hat sich zu ''Viola (Veiel), Viole'' auch ein Eigenschaftswort geschaffen: ''des Thanatos violene Mahnung''. Die Biegung der Bildungen auf ''-lei'', die Genetive sind (''lei'' = Art), aber immer adjektivisch gestellt werden, darf ebenfalls nicht aus der Volkstümlichen Rede in die Schriftsprache übernommen werden: ''in so vielerleien Sachen''. Richtig heißt es in „Wien und die Wiener" (1844): ''das Publikum eines derlei Volkssängers'', bei T. Kröger ''Leute allerlei Art'' und jetzt bei H. Leip ''wegen zweierlei Dinge''. Ebensowenig dürfen die Adjektive auf ''-er'' gebeugt werden, die von Ortsnamen gebildet, tatsächlich aber nichts als vorgeschobene Genetive der Bewohnernamen sind: ''(die) Hamburger Nachrichten''. Deshalb dürfen sie auch da, wo die Verlockung größer scheint, nämlich wo ihr Substantiv zu ergänzen ist, kein Kasuszeichen erhalten, das nur dem Bewohnernamen selbst zukommt; also nicht: ''Der Bahnhof ist in großartigem Stil gleich den neuesten Berlinern'', sondern ''Berliner angelegt''. Alle diese ungerechtfertigten Biegungen wirklich adjektivisch gebrauchter Wörter werden freilich noch überboten, wenn man alle Grenzen zwischen Haupt- und Eigenschaftswort verwischend ein beliebiges Hauptwort durch Anhängung adjektivischer Deklinationsendungen zum Eigenschaftswort macht, so wenn Grosse ''kavaliere Bemerkungen'' — gewagt hat. Ohne solche Endung verletzt uns freilich weder Goethes: ''so gold du bist'', noch C. Fleischlens Klage: ''Ich bin so stein, ich bin so kalt, so alt, so müde!'' Ja ein Jüngster Br. Goetz wagt: ''Es glänzen in mondenen Abgrund empor des Himmels Eisgipfel'' (DAZ. 28). Dagegen bleibt es ein Fehler, die gerade durch ihre Flexionslosigkeit gekennzeichneten Adverbien als Eigenschaftswörter zu verwenden und zu beugen, wie es nicht bloß der Volksmund, der Berliner besonders, mit ''zuen'' (statt ''geschlossenen'') ''Droschken'' und ''aufen'' (statt ''geöffneten'') ''Läden'' fertig bringt. Auch in den Mitteilungen des D. und Ö. A. steht ''das Anerbieten'', über (!) ''allsogleiche Anmeldung Wagen zu besorgen'' und ''auf die drübere Seite, ein Kunstsalon gibt Karten aus zu beliebig oftem Besuch'', und eine gewandte Reiseschilderin in einer St. Galler Zeitung sagt von ihrer Pyramidenbesteigung: ''So geht's vorwärts, oft mit schmal genugem Raum, den Fuß zu setzen''. Aber wenn sie es damit auch Wolfram v. Eschenbachs ''ouch ist genuogen liuten kunt'' (Parz. 272,11) gleichtut, ''eine genug'' (statt: ''hinreichend'') ''große Zahl'' im Wiener Journ. 26, bleibt ungebräuchlich. Dagegen muß man dem Volk seine ''extrae Mustersendung'' und: ''Heut gibt es was Extraes schon zugute halten''.
Unter den dritten Fall, daß die Zugehörigkeit einer präpositionalen Fügung nur durch die Zusammenfassung unter einem Sprachtakte bezeichnet wird (''die Fliege an der Wand''), sollen, um das zugleich mit zu erledigen, auch die Verbindungen von Hauptwörtern mit jeder anderen Umstandsbestimmung: ''die Lohnzahlung Sonnabend nachmittags, die Versammlung heut früh'', und auch mit umgekehrter Stellung: ''gestern die Vorstellung; Mein Behagen diesen Morgen ist nicht zu rechtfertigen ''(Less.). Wem bei solchen adverbialen Fügungen der sprachliche Ausdruck für die Zusammengehörigkeit zu fehlen scheint, der unterschätzt das sehr kräftige, freilich innere Mittel für diesen Zweck: das Spiel der Satzbetonung. Wie die Tonwellen z. B. in solchen Sätzen: ''Nachahmer fand er aber keinen'', das erste und das so merkwürdig ans Ende gestellte Wort ''kein'' durch gleiche Höhe als zusammengehörig erweisen, so vermögen sie allein ja auch das Abhängigkeitsverhältnis ganzer Satze zu bezeichnen in Fällen wie: ''Wenn er sagt, er will nicht, so wird er gezwungen werden''. An sich läßt sich also auch gegen solche präpositionale und adverbiale Beifügungen nichts einwenden//1 Einem Ausdrucke: ''Der Mann hier, der Sturm da draußen'' liegt für die Sprache so wenig als für den Gedanken die vollere Form zugrunde: .... ''der hier ist; der draußen braust''; Sprache und Beobachtung begnügen sich vielmehr mit dem einfachsten Hinweise auf den Ort oder die Zeit, innerhalb deren der Lehrer oder Hörer die Sache behandelt. Bei dem Goethischen Satze: ''diese Männer heute Nacht, welche sich um uns herumsetzten, kanntest du alle'', kommt es für den Eindruck und dessen sprachlichen Ausdruck nur darauf an, die ganz bestimmten Männer, wie sie gerade diese Nacht gesehen worden sind, zu erkennen, ehe die Ausmalung des Eindruckes beginnt. Kieseritzky spricht hier vom Heischeton, S. 137 ff. und verwirft ebenfalls in solchen Fällen die Annahme einer Ellipse.// Nur müssen sie zwei Bedingungen erfüllen. Erstens müssen sie als Beifügungen dazu dienen, einen Begriff an sich in der Eigenart zu umgrenzen, die er innerhalb der betreffenden Zeit oder Örtlichkeit erhalten hat oder er- $Seite 161$ halten kann: ''alle Bäume haben schon aufgeschlagen, nur der Baum dort treibt nicht'', d. h. nicht: ''er treibt an jener Stelle nicht'', sondern: ''der dort stehende Baum treibt nicht''. Nur zur Eintönigkeit könnte wahrlich die Forderung führen, daß in allen solchen Fällen die entsprechenden Adjektive, die „schönen" ''dortig, dasig'', und ''hiesig, jetzig'' und ''einstweilig'' usf. (S. 10) eintreten sollen; und unbequem muß die andre werden. Den Hauptwörtern müßten dann immer Satze oder adjektivische oder partizipiale Attribute beigegeben werden, denen sich jenes Adverbiale einfügte. Man dürfte also nicht mehr wie Goethe so klar und natürlich schreiben: ''Die unzähligen Lichter gestern abend waren noch ein toller Spektakel'', sondern nur recht hübsch breit und langweilig: ''die ... Lichter, die gestern abend noch angezündet wurden'', oder ''die gestern adend noch angezündeten Lichter''; und statt: ''Die Tragödie gestern hat mich manches gelehrt'' (Goethe), müßte es ähnlich heißen: ''die gestrige Tragödie'' oder ''die gestern aufgeführte oder angehörte Tragödie''! Zweitens darf nicht in der Weise, wie sie im bes. gerade bei Beifügungen öfter gerügt werden muß (vgl. § 265 f.), durch einförmige Häufung solcher Bestimmungen die Kraft der Tonwellen überspannt und ihr Spiel unvernehmbar gemacht werden. Von den folgenden Fügungen kann das niemand sagen, und so sollten sie samt ihresgleichen endlich von ungerechtfertigtem Tadel verschont bleiben: ''Bei der Verflachung des kirchlichen Bewußtseins jetzt haben wir allen Grund'' usw. (Prof. Fricke). (''Ein'') ''Beispiel fester Entschlossenheit oben ist nie vergeblich'' (Scheffel). ''Goethes Kunstliebe ist ohne die Teilnahme der Frau v. Stein und ohne Angelika Kauffmann in Rom nicht denkbar. Der Weg rechts führt über Canazei allmählich zum Sellajoch, der links über den herrlichen Aussichtspunkt der Rodella etwas steiler eben dahin'' (Leipz. Zeitung). Ähnlich wie Goethe: ''In dem Gewölbe hierbei'' (heute: ''nebenan'') ''ist ihre Ruhestatt'', sagt man huntertfältig im Leben: ''im Zimmer, im Hause nebenan; eine Wohnung im zweiten Stock, ... zu ebner Erde; die Post-, Briefe nach Berlin. Meine Aufnahme an beiden Orten'' steht bei E. Förster. Sodann eine Sammlung aus der Tägl. Rundschau: ''Die Schiffahrt stromauf, Fahrt zu Wasser, das ganze Land Lubuku zwischen dem Kassai und Sankurru; die Schilderung dieses Marsches mit allen seinen Schwierigkeiten; dem Leben im Urwald'' usw. Der Geist der Vergangenheit schallt uns mit tränenseligem Lächeln als charakteristischem Kennzeichen des Deutschtums vor 30—40 Jahren daraus an. Zu sagen: ''Die Leistungen des Künstlers auf ungesatteltem Pferde'' ist doch so gewiß besser als die equestrischen Leistungen (''Moderne'' (!) ''Kunst''), wie es eine angenehme Abwechslung ermöglicht, wenn man statt ewig: ''mein Vorredner'' auch einmal mit Grimm sagt: ''Der Redner vor mir''; Aber gewalttätig wirkt: ''Hinter uns wächst ein Geschlecht ähnlich uns früher'' (Remarque).
Sehr verschieden sind merkwürdigerweise von jeher die Ansichten gewesen über den Gebrauch, das Hilfszeitwort und (was gleich damit verbunden werden kann) die sogenannte Kopula in Nebensätzen wegzulassen, also zu schreiben: ''der Bischof war bestrebt, von dem Einfluß, den er früher in der Stadt besessen'' (nämlich ''hatte''), ''möglichst viel zurückzugewinnen, der Rat dagegen trachtete, die wenigen Rechte, die ihm noch geblieben'' (nämlich ''waren''), ''immer mehr zu beschränken — Freytag brachte seine Valentine mit, die ihm die Gewißheit seines Berufs zum Dramatiker gegeben'' (nämlich ''hatte'') — ''seine Briefe blieben frei von Manier, während sich in seine spätern Werke etwas davon eingeschlichen'' (nämlich ''hat'') — ''die Pallas trug einst einen Helm, wie aus der oben abgeplatteten Form des Kopfes zu erkennen'' (nämlich ''ist'') — ''eine Vorstellung wird um so leichter aufgenommen, je einfacher ihr sprachlicher Ausdruck'' (nämlich ''ist'') — ''der Ursachen sind mehrere, wenn sie auch sämtlich auf eine Wurzel zurückzuführen'' (nämlich ''sind'') — ''verwundert fragt man, ob denn die Krankheit wirklich so gefährlich, das Übel gar so heillos geworden'' (''ist? sei?'') — ''so lautet das Schlagwort, womit das ideale'' $Seite 135$ ''Werk begonnen'' (''ist? hat?'') — sogar: ''die Lukaspassion kann nicht, wie allgemein behauptet'' (nämlich ''wird''), ''von Bach geschrieben sein''.
Dieser Gebrauch hat eine ungeheure Verbreitung, viele halten ihn offenbar für eine ganz besondre Schönheit. Manche Romanschriftsteller schreiben gar nicht anders; aber auch in wissenschaftlichen, namentlich in Geschichtswerken geschieht es fort und fort. Ja es muß hie und da geradezu in Schulen gelehrt werden, daß dieses Wegwerfen des Hilfszeitworts eine Zierde der Sprache sei. Wenigstens war einmal in einem Aufsatz einer Unterrichtszeitschrift verächtlich vom ''„Hattewarstil"'' die Rede; der Verfasser meinte damit die pedantische Korrektheit, die das ''hatte'' und ''war'' nicht opfern will. Von ältern Schriftstellern liebt es namentlich Lessing, aus dessen Sprache man sich sonst die Muster zu holen pflegt, das Hilfszeitwort wegzulassen, und Jean Paul empfiehlt es geradezu, diese „abscheulichen Rattenschwänze der Sprache" womöglich überall abzuschneiden.
Halten wir uns, wie immer, an die lebendige Sprache. Tatsache ist, daß in der unbefangnen Umgangssprache das Hilfszeitwort niemals weggelassen wird. Es würde als arge Ziererei empfunden werden, wenn jemand sagte: ''Es ist ein ganzes Jahr her, daß wir uns nicht gesehen''. In der Sprache der Dichtung dagegen ist die Unterdrückung des Hilfszeitworts wohl das Überwiegende. Man denke sich, daß Chamissos Frauenliebe und -Leben anfinge: ''Seit ich ihn gesehen habe, glaub ich blind zu sein!'' In der Prosa kommt es nun sehr auf die Gattung an. In poetisch oder rednerisch gehobner Sprache stört es nicht, wenn das Hilfszeitwort zuweilen unterdrückt wird; in schlichter Prosa, wie sie die wissenschaftliche Darstellung und im allgemeinen doch auch die Erzählung, die historische sowohl wie der Roman und die Novelle, erfordern, ist es geradezu unerträglich. Wer das bestreitet, hat eben kein Sprachgefühl. Wer sich einmal die Mühe nimmt, bei einem Schriftsteller, der das Hilfszeitwort mechanisch und aus bloßer Gewohnheit überall wegläßt, nur ein paar Druckseiten lang auf diese vermeintliche Schönheit zu achten, der wird $Seite 136$ bald täuschend den Eindruck haben, als ob er durch einen Tiergarten ginge, wo lauter unglückselige Bestien mit abgehackten Schwänzen ihres Verlustes sich schämend scheu um ihn herumliefen.
Ganz unausstehlich wird das Abwerfen des Hilfszeitworts, wenn das übrig bleibende Partizip mit dem Indikativ des Präsens oder des Imperfekts gleich lautet, also ohne das Hilfszeitwort die Tempora gar nicht voneinander zu unterscheiden sind, z. B.: ''in unsrer Zeit, wo der Luxus eine schwindelhafte Höhe erreicht'' (nämlich ''hat''!) — ''er ist auch dann strafbar, wenn er sich nur an der Tat beteiligt'' (''hat''!) — ''das, was der Geschichtschreiber gewissenhaft durchforscht'' (''hat''!) — ''aus allen Werken, die Ranke verfaßt'' (''hat''!) — ''er erinnert sich der Freude, die ihm so mancher gelungne Versuch verursacht'' (''hat''!) - ''einer jener Männer, die, nachdem sie in hohen Stellungen Eifer und Tatkraft bewiesen'' (''haben''!), ''sich einem müßigen Genußleben hingeben — nachdem 1631 Baner die Stadt vergeblich belagert'' (''hatte''!) — ''er verteilte die Waffen an die Partei, mit der er sich befreundet'' (''hatte''!) — ''ich kam im Herbstregen an, den mein Kirchdorf lange ersehnt'' (''hatte''!) — ''er schleuderte über die Republik und ihre Behörden den Bannstrahl, weil sie sich an päpstlichem Gut vergriffen'' (''hatten''!) — ''du stellst in Abrede, daß Vilmar mit dem Buch eine politische Demonstration beabsichtigt'' (''habe''!). Oder wenn es in zwei oder mehr aufeinander folgenden Nebensätzen verschiedne Hilfszeitwörter sind, die dadurch verloren gehen, ''haben'' und ''sein'', z. B.: ''es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der deutsche Dichterfürst seinen Fuß hingesetzt'' (nämlich ''hat''!), ''auf dem Boden,der durch seinen Aufenthalt geschichtlich geworden'' (nämlich ''ist''), ''eine Kuranstalt zu errichten — wir wissen, auf welchen Widerstand einst das Interim gestoßen'' (''ist''!), ''und welchen Haß sich Melanchthon durch seine Nachgiebigkeit zugezogen'' (''hat''!) — ''da sie das Führen der Maschine unterlassen'' (''hatten''!) ''und auf den Fußwegen gefahren'' (''waren''!). Oder endlich wenn gar von zwei verschiednen Hilfszeitwörtern das erste weggeworfen, das zweite aber gesetzt wird, sodaß man $Seite 137$ das nun unwillkürlich mit auf den ersten Satz bezieht, z. B.: ''als ich die Fastnachtsspiele durchgelesen und schließlich zu dem Luzerner Neujahrsspiel gekommen war'' (also auch: ''durchgelesen war''?) — ''seitdem die Philosophie exakt geworden, seitdem auch sie sich auf die Beobachtung und Sammlung von Phänomenen verlegt hat'' (also auch: ''geworden hat''?) — ''der Verfasser macht Banquo den Vorwurf, daß er nicht für die Rechte der Söhne Duncans eingetreten, sondern Macbeth als König anerkannt habe'' (also auch: ''eingetreten habe''?). Wie jemand so etwas noch schön finden kann, ist unbegreiflich.
Selbst in Fällen, wo der nachfolgende Hauptsatz zufällig mit demselben Zeitwort anfängt, mit dem der Nebensatz geschlossen hat, ist das Wegwerfen des Hilfszeitworts häßlich, z. B.: ''soviel bekannt'' (nämlich ''ist''), ''ist der Vorsitzende der Bürgermeister — wie der Unglückliche hierher gelangt'' (''ist''), ''ist rätselhaft — alles, was damit gewonnen worden'' (''war''), ''war unbedeutend gegen das verlorne — wer diesen Forderungen Genüge geleistet'' (''hatte''), ''hatte sich dadurch den Anspruch erworben'' usw. Zwar nehmen auch solche, die im allgemeinen für Beibehaltung des Hilfszeitworts sind, hier das Abwerfen in Schutz, aber doch nur wieder infolge des weitverbreiteten Aberglaubens, daß ein Wort nicht unmittelbar hintereinander oder kurz hintereinander zweimal geschrieben werden dürfe. Es ist das eine von den traurigen paar stilistischen Schönheitsregeln, die sich im Unterricht von Geschlecht zu Geschlecht forterben. Die lebendige Sprache fragt darnach gar nichts; da setzt jeder ohne weiteres das Verbum doppelt, und es fällt das nicht im geringsten auf, kann gar nicht auffallen, weil mit dem ersten Verbum, fast tonlos, der Nebensatz ausklingt, mit dem zweiten, nach einer kleinen Pause, frisch betont der Hauptsatz anhebt. Sie klingen ja beide ganz verschieden, diese Verba, man traue doch nur seinen Ohren und lasse sich nicht immer von dem Papiermenschen bange machen!
Nur in einem Falle empfiehlt sichs zuweilen, das Hilfszeitwort auch in schlichter Prosa wegzulassen, nämlich $Seite 138$ dann, wenn in den Nebensatz ein zweiter Nebensatz eingeschoben ist, der mit demselben Hilfszeitwort endigen würde, z. B.: ''bis die Periode, für die der Reichstag gewählt worden, abgelaufen war''. Hier würden zwei gleiche Satzausgänge mit ''war'' nicht angenehm wirken. Wo bei gehäuften Nebensätzen der Eindruck des Schleppens entsteht, liegt die Schuld niemals an den Hilfszeitwörtern, sondern immer an dem ungeschickten Satzbau.
Die Sitte, das Hilfszeitwort in Nebensätzen gewohnheitsmäßig abzuwerfen, muß um so mehr als Unsitte bekämpft werden, als sie schon einen ganz verhängnisvollen Einfluß auf den richtigen Gebrauch der Modi ausgeübt hat. Daß manche Schriftsteller gar keine Ahnung mehr davon haben, wo ein Konjunktiv und wo ein Indikativ hingehört, daß in dem Gebrauche der Modi eine geradezu grauenvolle Verwilderung und Verrohung eingerissen ist und täglich größere Fortschritte macht, daran ist zum guten Teil die abscheuliche Unsitte schuld, die Hilfszeitwörter wegzulassen. Wo soll noch Gefühl für die Kraft und Bedeutung eines Modus herkommen, wenn man jedes ''ist, sei, war, wäre, hat, habe, hatte, hätte'' am Ende eines Nebensatzes unterdrückt und dem Leser nach Belieben zu ergänzen überläßt? In den meisten Fällen ist die Unterdrückung des Hilfszeitwortes nichts als ein bequemes Mittel, sein Ungeschick oder seine Unwissenheit zu verbergen. Freilich ist es sehr bequem, zu schreiben: ''daß viele Glieder der ersten Christengemeinde arm gewesen, ist zweifellos, daß es alle gewesen, ist sehr zu bezweifeln'', oder: ''wenn man nicht annehmen will, daß ihm seine Genialität geoffenbart, was andre schon vorher gefunden'', oder: ''wir bedauerten, daß sie nicht etwas getan, was sie in den Augen unsrer Gespielen recht groß und mächtig gemacht''. Hätten die, die so geschrieben haben, gewußt, daß es heißen muß: ''daß viele Glieder der ersten Christengemeinde arm gewesen sind, ist zweifellos, daß es alle gewesen seien, ist sehr zu bezweifeln — wenn man nicht annehmen will, daß ihm seine Genialität geoffenbart habe, was andre schon vorher gefunden $Seite 139$ hatten — wir bedauerten, daß sie nicht etwas getan hatten, was sie in den Augen unsrer Gespielen recht groß und mächtig gemacht hätte'' — so hätten sie es schon geschrieben. Aber man weiß eben nichts, und da man seine Unwissenheit durch Hineintappen in den falschen Modus nicht verraten möchte, so hilft man sich, so gut oder so schlecht man kann: man läßt das Hilfszeitwort weg.
Die meisten Fehler gegen die grammatische Richtigkeit und den guten Geschmack werden natürlich auf dem schwierigsten Gebiete der Sprache, auf dem des Satzbaus begangen. Zunächst sollen Subjekt und Prädikat und dann die Tempora und die Modi des Zeitworts in Haupt- und Nebensätzen ins Auge gefaßt werden.
Nicht bloß in dem Geschäfts- und Briefstil der Kaufleute, sondern im Briefstil überhaupt halten es viele für ein besondres Zeichen von Höflichkeit, das Subjekt ''ich'' und ''wir'' zu unterdrücken. Kaufleute schreiben in ihren Geschäftsanzeigen: ''Kisten und Tonnen nehmen zum Selbstkostenpreise zurück'', Zeitungen drucken über ihren Inseratenteil: ''Sämtliche Anzeigen halten der Beachtung unsrer Leser empfohlen'', und Ärzte machen bekannt: ''Habe mich hier niedergelassen'', oder: ''Meine Sprechstunden halte von heute ab von acht bis zehn Uhr''. Aber auch gebildete Frauen und Mädchen, denen man etwas bessern Geschmack zutrauen sollte, schreiben: ''Vorige Woche habe mit Papa Besuch bei R.s gemacht''.
Wenn man jemand seine Hochachtung unter anderm auch durch die Sprache bezeugen will, so ist das an sich gar nicht so übel. Aber vernünftigerweise kann das doch nur dadurch geschehen, daß man die Sprache so sorgfältig und sauber behandelt, als irgend möglich, aber nicht durch äußerliche Mittelchen, wie große Anfangsbuchstaben (''Du, Dein''), gesuchte Wortstellung, bei der man den Angeredeten möglichst weit vor, sich selbst aber möglichst weit hinter stellt (''so bitte Euer Wohlgeboren infolge unsrer mündlichen Verabredung ich ganz ergebenst''), oder gar dadurch, daß man den grammatischen $Seite 90$ Selbstmord begeht, wie es Jean Paul genannt hat, ''ich'' oder ''wir'' wegzulassen. Derartige Scherze schleppen sich aus alten Briefstellern fort — wer Gelegenheit hätte, in den Briefen des alten Goethe zu lesen, würde mit Erstaunen sehen, daß sich auch der nie anders ausgedrückt hat —, sie sollten aber doch endlich einmal überwunden werden.
Noch schlimmer freilich als die Unterdrückung von ''ich'' und ''wir'' ist die unglaubliche Albernheit, die jetzt in den Kreisen der „Gebildeten" grassiert, wenn man den andern nicht recht verstanden hat, zu fragen: ''Wie meinen?'' Hier mordet man grammatisch gar den Angeredeten! Ein solcher Blödsinn aus der Umgangssprache dringt ja nicht in die Schriftsprache, er soll aber doch hier festgenagelt werden, denn schon nach wenig Jahren wird man ihn nicht mehr für möglich halten.
Der Geschmack ist es auch, der, freilich mit der Rücksicht auf Deutlichkeit und Übersicht verbunden, selbst innerlich Verwandtes und in Beziehung Stehendes in Sätze zu zerlegen gebietet. Für die Wahl nun zwischen Haupt- und Nebensatz mag weiter zunächst die logisch-stilistische Vorschrift wegweisend sein, daß die Hauptsachen in Haupt-, die Nebensachen in Nebensätze kommen. Schon danach wird man den Fehler in der folgenden Reihe von Sätzen erkennen, in denen Eumäus als ein treuer Diener seines Herrn erwiesen werden soll: ''Obgleich das Harren auf seinen Herrn nun schon lange vergeblich ge-'' $Seite 318$ ''wesen ist, sorgt er noch immer für das ihm anvertraute Gut, und nur mit Widerwillen liefert er die verlangten Eber auf die Tische der prassenden Freier. Verrat ist es gewiß auch nicht, wenn er die Treue vom alten Herrn auf dessen geliebten Sohn überträgt; ihn betrachtet er in Odysseus' Abwesenheit als seinen Gebieter, und man sieht seine Zuneigung zu dem jungen Fürsten nie deutlicher als bei dessen Rückkehr von Pylus und Sparta. Doch deshalb ist das Bild des Vaters in seinem Herzen nicht verblaßt. "Odysseus noch immer in Bettlergestalt stellt ihn kurz vor Beginn des Kampfes auf die Probe und fragt ihn, ob er wohl seinem alten Herrn, wenn er heimkehre, gegen die Freier helfen wolle; Eumäus aber erklärt mit Leidenschaft die Rückkehr als den Wunsch seines Herzens, dessen Erfüllung ihm Körper und Arme wunderkräftig stärken würde"''. — Die schräggedruckten Worte passen in dieser Form nicht in den Zusammenhang, in welchem sich, dem Zwecke der Beweisführung gemäß, ein Urteil über Eumäus’ Treue an das andere reiht, während jetzt auf einmal ein Nebenumstand, aus dem ein neuer Beweis, ein neues Urteil erst gewonnen werden konnte, in die Form von Hauptsätzen gekleidet und ihnen durch aber gleichgestellt wird. Es mußte etwa heißen: ''Denn als Odysseus noch immer in Bettlergestalt ihn prüfend fragte, ob er wohl seinem alten Herrn helfen würde, wenn der heimkehre, da erklärte Eumäus'' usw.
Man vergleiche noch die beiden folgenden Sätze: ''Oxenstierna wendet sich an den Kurfürsten von Sachsen, der die schwedische Sache verläßt, um mit dem Kaiser ... zu traktieren'' (Schiller), und aus einer Ztg.: ''Im französischen Marineressort hebt eine Periode angestrengter Tätigkeit an. Der Besuch, welchen das Nordseegeschwader in'' (!) ''Kronstadt zugedacht hat, wird aufs sorgfältigste vorbereitet, um den nordischen Besuchern der französischen Schiffe einen möglichst hohen Begriff von der Leistungsfähigkeit Frankreichs auf der See beizubringen, "was im Hinblick auf die bekannten Allianzträume der Pariser Russenschwärmer nur zu begreiflich erscheint". Hand in Hand mit diesen Vorbereitungen ... geht die Mobilmachung des Kanal- und Mittelmeergeschwader''. Den ersten Satz wird nicht nur der Grammatiker tadeln, sondern jeder als fehlerhaft empfinden, weil darin von zwei Handlungen, welche für den Fortschritt der Geschichtserzählung gleich wichtig sind, die eine in einem Relativsatze ausgedrückt wird, dessen Aufgabe nach § 305 eine ganz andre ist. Die dadurch erweckte Vorstellung, als habe sich Oxenstierna an den Kurfürsten gewandt, während dieser schon die schwedische Sache verließ, wäre ausgeschlossen bei der richtigen Form: ''dieser aber verläßt die schwedische Sache''. In dem Zeitungsabschnitte enthält gerade der schräggedruckte Relativsatz das, worin wir oben für den Stil der Abhandlung und Beweisführung das erkannt haben, was in die Form des Hauptsatzes gehört: ein Urteil über die berichteten Tatsachen. Und doch ist diese Form in dem Falle richtig; und warum? Das Urteil ist die Nebensache innerhalb einer Erzählung, in der die Mitteilung der aufeinander folgenden Ereignisse die Hauptsache ist und für alle, soweit sie gleich wichtig sind, auch dieselbe Hauptsatzform erfordert wird.
Für den Stil der Abhandlungen, der Beweisführung dagegen werden diejenigen Sätze Hauptsätze, die das Urteil enthalten, daß die und die Hand- $Seite 319$ lungen, Tatsachen und Umstände unter den darzulegenden Gesichtspunkt fallen, für die darzutuende Behauptung Belege enthalten; die jene Handlungen, Tatsachen und Umstände enthaltenden Sätze dagegen werden Nebensätze, entweder auch der Form nach; oder wenn sie die Hauptsatzform behalten, müssen sie doch dem Sinne und Tone nach als untergeordnet erscheinen. Wenigstens für die Schriftsprache ist das letzte, da die lebendige Rede die Abhängigkeitsverhältnisse überhaupt viel leichter durch den Ton klarstellen kann, freilich nur möglich, wenn die Hauptsätze, welche Nebenumstände anführen, durch einen höchstbetonten Satz vorher und nachher in die rechte Unterordnung hinabgedrückt werden. Zu diesem Zwecke brauchte in dem Beispiele oben hinter den Worten: ''deshalb ist das Bild des Vaters in seinem Herzen noch nicht verblaßt'', nur der Satz eingefügt zu werden: ''Dies zu erkennen, denke man nur an den Auftritt kurz vor dem Freiermorde''; dann könnte es sehr wohl weitergehn: ''Odysseus ist mit den beiden treuen Hirten vor den Männersaal hinausgetreten und hat heimlich die Frage an sie gerichtet, ob denn wohl ihr Herr, wenn er heimkehre, auf sie zählen dürfe. Mit welcher Leidenschaft fleht da Eumäus zu Zeus um Erfüllung dieses seines Herzenswunsches und gelobt zu zeigen, welche Kraft ihm dann in Körper und Hände wachsen würde''!
Am üblichsten ist diese Ausdrucksweise in den Wendungen ''so gut sein, die Güte haben'', und es heißt geradezu gegen den Strom schwimmen, wenn man statt solcher alltäglichen und auch bei den Klassikern gar nicht seltenen Wendungen: ''seien Sie so gut'' oder: ''haben Sie die Güte und teilen ihm dies bei Gelegenheit mit; Jüngling, sei so ruchlos nicht und leugne die Gespenster'' (Less.), die angeblich straffere Form verlangt//1 Zwei mittelhochdeutsche Beispiele stehn z. B. bei H. v. Aue. Im ersten Büchlein (V. 1172) wird auf die Versicherung: ''nu gevellet mir dîn rede wol'' zur Antwort gefragt: ''Entriwen unde tuot sî so?'' — Unserm ''so gut sein und'' — entspricht genau die Wendung im Gregor (V. 915): ''daz man den Abbet baete, daz er so wol taete und das Kind selbe toufte''.//: ''Seien Sie so gut, ihm ... das mitzuteilen''. Aber beschränkt ist solche — Satzlösung auf diese Formeln durchaus nicht. Es kann auch ganz allgemein in einem beigeordneten Satze Handlung oder Zustand angefügt werden, die als der Ausfluß einer Eigenschaft oder ihre besonders geartete Betätigung in einem Folgesatze stehn könnten, also statt: ''Er war so vernünftig, nicht nachzugeben'', wenn mehr Nachdruck auf dem Tun liegt: ''er war so vernünftig und gab nicht nach''. Oder was nach einem die Ausführung oder den Beginn einer Handlung bezeichnenden Verbum in einem Adverbial- oder Objektssatz stehn könnte, kann nach der allgemeinen Ankündigung, daß etwas ausgeführt oder unternommen worden sei, als das Wichtigere in einem selbständigen Satze erscheinen: ''Die Kaiserin Friedrich hat es wirklich gewagt und ist nach Paris gegangen''.
Wie denn Grimm mit gutem Fug geschrieben hat: ''Der Kerl da ist imstande und behauptet, ich hätte seinen Rock an'', so auch C. F. Meyer: ''Er enthielt sich nicht und küßte den Nacken''; Felix Dahn im „Kampf um Rom": ''Die Einwohner fangen an und werden schwierig'', und ein an $Seite 326$ derer Romanschriftsteller in der Tgl. R. (E. Bauer) aus ein und derselben Seite: ''Wenn er den Wink versteht, so wird er vernünftig sein und sich beizeiten davon machen'', und: ''Ist es nicht besser, wir kehren um?'' und Goethe gar: ''Ich dächte, Herr, und ihr begnügt euch''; und Billroth: ''Ich begreife nicht, wovon die Leute leben und so gut aussehen''. Welche Wirkung mit bewußter Handhabung der älteren Form erzielt werden kann, mag wieder eine Stelle aus dem Wilhelm Meister zeigen: ''... er ... wollte nach Hause und ward immer wieder umgewendet; endlich als er's über sich vermocht, ging und an der Ecke noch einmal zurücksah, kam es ihm vor, als wenn Mariannens Tür ginge''; hier wird man an der verbindungslosen Beiordnung vermocht, ging ordentlich den Ruck nachempfinden, den der Entschluß ihn kostet. Umgekehrt malt das flüssige und die Schnelligkeit des Vorganges in dem Satze Trentinis: ''Dieses Wort „Nacht“ kaum gedacht, und jeder Blutstropfen erblich schon in Wissen''.
Wie innig übrigens die Verbindung einer also mit ''und'' angeknüpften Ausführung mit dem Vorhergehenden empfunden wird, ergibt sich daraus, daß in dem zweiten Gliede eine bei dem ersten stehende Verneinung nicht wiederholt zu werden braucht, ja es nicht einmal darf. ''Heute, scheint es, kommt der Schwager nicht und holt uns zu einem Abendspaziergange ab'', heißt es in einer Erzählung, und in der Köln. Ztg. z. B.: ''Wir bedauern, daß man den Rat des Generals Chanzy nicht befolgt und den Mund gehalten hat''. Umgekehrt bedeutet die Fügung bei Hansjakob: ''Der Vogt von Mühlstein gibt kein Jawort und hält es nicht'', natürlich so viel als: ''das er nicht hielte''; nur ist die losere Form kräftiger.
Alles in allem also wird die Schönheit des Stiles an sich nicht gefährdet, wenn Sätze wieder in der älteren und kräftigeren selbständigen Form statt in der daraus hervorgegangenen jüngeren abhängigen Form austreten. Nur dann zeugt dies von einer gewissen Überreizung und einer Sucht nach Besonderem, wenn diese selbständigen Formen, die ein das Alte bewußt mit dem Neuen verbindender Stil gewissenhaft für besondere Fälle aufspart, bevorzugt oder gar fast allein verwendet werden, wie in den folgenden Fällen.
V
Natürlich steht bei ''rufen'' überwiegend der vierte Fall, und der dritte nur dann, wenn mit zarter Andeutung innerlicher Teilnahme bezeichnet werden soll, daß jemand nicht geradezu mit Namen angerufen wird, sondern ein Rufen ihm nur gilt, vor allem, wenn der Aufenthalt dessen, der gerufen werden soll, nicht bekannt ist oder mit der bloßen Namensnennung nichts erreicht wird. Den Volkston hat Goethe getroffen: ''Sie wird bei Susen sein, ruft ihr doch''; gleich treffend steht bei Langbehn: ''So rief der deutsche Volksgeist den Gelehrten und sie antworteten nicht; so ruft der deutsche Volksgeist den Gelehrten noch heute und sie antworten nicht''; und geradezu mit leibhafter Scheu bei G. Keller: ''eines jener Gewitter, welche die Sitzungen zuweilen stürmisch machten, aber nur um desto hellerem Sonnenscheine zu rufen''. Ganz ähnlich ''lockt der Jäger dem Rehbocke, einem Vogel, die ihn nicht sehen sollen und die er nicht sieht'', während ''locken'' sonst den vierten Fall bei sich hat. +
Zum Sprachschwulst gehört auch die immer weiter fressende, kaum noch irgend einen Tätigkeitsbegriff verschonende Umschreibung einfacher Zeitwörter durch ''ziehen'' und ''bringen'' im Aktiv, ''gezogen'' oder ''gebracht werden, kommen, gelangen'' und ''finden'' im Passiv. Nichts wird mehr ''erwogen, überlegt, erörtert, betrachtet, berücksichtigt'', sondern alles wird ''in Erwägung, in Überlegung, in Erörterung, in Betracht, in Berücksichtigung gezogen''. Nichts wird mehr ''vorgelegt, vorgetragen, aufgeführt, dargestellt, wiederhergestellt, ausgeführt, durchgeführt, angeregt, angerechnet, vorgeschlagen, angezeigt, verkauft, verteilt, versandt, ausgegeben, angewandt, erledigt, entschieden, erfüllt'', sondern alles wird ''zur Vorlage gebracht, zum Vortrag gebracht, zur Aufführung'' oder ''zur Darstellung gebracht, zur Ausführung'' oder ''zur Durchführung gebracht, in Anregung, in Anrechnung, in Vorschlag gebracht, zur Anzeige, zum Verkauf, zur Verteilung, zur Versendung gebracht, zur Ausgabe, zur Anwendung, zur Erledigung, zur Entscheidung, zur Erfüllung'' $Seite 398$ ''gebracht'', oder es ''kommt'' oder ''gelangt zum Vortrag, zur Aufführung, zur Wiederherstellung, in Vorschlag, zur Anzeige, es findet Anwendung, Erledigung. Ein Personenzug kommt zur Ablassung''. Ein Buch wird nicht ''gedruckt'' und ''ausgegeben'', sondern erst ''gelangt es zum Druck, dann gelangt es zur Ausgabe''. Eine Bürgermeisterstelle wird nicht ''ausgeschrieben'', sondern ''zur Ausschreibung gebracht''; selbst von Häusern, die infolge einer Überschwemmung eingestürzt sind, heißt es, sie seien ''zum Einsturz gebracht worden''. Die Train-Depot-Offiziere ''fallen'' nicht ''weg'', sondern sie ''gelangen zum Fortfall. Grund und Boden gelangt zur Aufforstung, alte Schiffe gelangen zur Außendienststellung, Rinder und Schweine gelangen zur Schlachtung, eine Stadtkassenrechnung gelangt bei den Stadtverordneten zur Richtigsprechung'', ja sogar ''eine Ratsvorlage zur Ablehnung'' (als ob es Ziel und Bestimmung der Ratsvorlagen wäre, abgelehnt zu werden), und wenn die Straßenbahndirektion ihren Fahrpreis herabsetzt, so macht sie bekannt: ''Wir bringen hiermit zur Kenntnis, daß der seither giltige Fahrpreis von 15 Pfennigen in Wegfall kommt und der neue Tarifsatz von 10 Pfennigen zur Erhebung gelangt.''
Zum Schwulst gesellt sich aber hier noch etwas andres: die höchst bedenkliche Neigung, den Verbalreichtum der Sprache gleichsam auf ein paar Formeln abzuziehen, die alles Flektieren überflüssig machen. Wer von diesen sechs oder sieben Verbalsurrogaten glücklich noch ein Tempus und einen Modus bilden kann, der braucht sich nicht mehr mit Ablautreihen und schwankenden Konjunktivformen zu plagen. Wie sich das Französische für das Futurum ein Surrogat geschaffen hat in seinem ''avoir'' mit dem Infinitiv, wie das Deutsche auf dem besten Wege ist, sich für den Konjunktiv des Imperfekts ein Surrogat zu schaffen in ''würde'' mit dem Infinitiv, so ersetzen wir vielleicht in hundert Jahren das Verbum überhaupt durch ''bringen'' und ''gelangen'' mit einem Substantiv und sagen; ''amo, ich bringe zur Liebung — amor, ich gelange zur Liebung''.
Ob viele Leser der Hamburger Nachrichten den Widerspruch gefühlt haben, als sie dort lasen: ''Zur Linken weitet'' (fehlt ''sich'') ''ein enges Langtal mit steiler Wandung''? Vielleicht eher den mehrfachen in der Wendung eines Arztes, der statt des einfachen: ''mit eisernen Reifen beschlagene Räder'' schrieb: ''schwerfällige mit Eisenbändern überdachte Räder''. Ein feineres Sprachgefühl wird auch das nicht recht zu Vereinende in solchen Zusammenstellungen empfinden: ''Höhere Stufen der Unterrichtszweige, seinem Erwerbs-'' $Seite 451$ ''zweige'' (statt ''Geschäfte'') ''nachgehen; scharf erwägen, hervorragender Einfluß, glänzende Verzeihung; von trocknen Bemerkungen überfließen, eine brennende Frage erschöpfen''. Dagegen wird wieder schon die einfachste Empfindung für das Natürliche durch die Börsenberichte verletzt werden, in denen man ''Baumwolle klettern, Hammer stürzen, Werte anziehen, Aktien munter'' und ''Russen verschnupft, allerhand Papiere flau und lau'' werden und noch manches Unglaubliche vor sich gehen sieht. Freilich auch an andern Stellen der Zeitungen liest man: ''Verkauf von Zuckerrüben auf dem Halm, von einem zugeflogenen Mopse'' oder ''einem weißen Rappen''; immer noch kehren in Anzeigen die Ausdrücke wieder: ''für alle Fehler wird garantiert'' (statt: ''Freiheit von Fehlern wird gewährleistet'') oder ''für'' (statt bloß: ''Naturreinheit'') ''Naturreinheit wird garantiert''. Merkwürdig, könnte man meinen, weil dies doch von Leuten komme, die in der Anschauung aufgehn; nur vergißt man, daß dieselben in der Führung der Feder oft unbeholfen sind und deshalb fremde und unpassende Schablonen anlegen. Übrigens machen es die eigentlichen Männer der Zeitungen oft nicht besser und benutzen einmal gewohnte und öfter gehörte Wendungen gelegentlich auch, wo sie zu einem Widerspruch führen. Da liest man z. B.: ''Ergebnis der Wahl, M .... : 43 Stimmen, N. 14, 1 Stimme zersplittert''. ''Mozart erlebte am 27. Januar 1880'' (!) ''eine vorzügliche Aufführung seiner Oper ... Der einzige noch lebende Soldat aus jener großen Zeit ist gestorben''. Gerade bei Zeitbestimmungen sind solche Verstoße häufig. Selbst ein über die Verfassung der höheren Schulen Schreibender macht die Gedankenlosigkeit mit, zu sagen: ''Vor wie nach'' (statt: ''nach wie vor'') ''sollen die alten Sprachen das feste Rückgrat bilden''.
Daß es die Allgemeinheit ist, die den Artikel überflüssig macht, zeigt sich besonders deutlich auch darin, daß er vor allen Hauptwörtern, die ihn vereinzelt durchaus verlangen, alsbald fehlen kann, wenn durch ''und'', auch ''weder — noch'', sowie durch Verhältniswörter verbunden nur wenigstens zwei nebeneinandertreten. Während also Goethe nicht nachahmenswert schrieb: ''Geh in Kerker'', weil darin nicht, wie bei ''in Haft, in Gewahrsam gehn'', ein Begriffsname steckt, heißt es mit Recht: ''Mancher ist damals in Kerker und Burgverließ umgekommen''. Man kann nur sagen ''die Seelsorge auf dem Lande übernehmen''; sobald aber noch ein zweiter Begriff hinzutritt, heißt es wie bei Jensen: ... ''um Seelsorge und Predigertum auf der öden Sandscholle zu übernehmen''. Bei demselben steht also auch ganz richtig und gegenüber den ja nicht gerade unmöglichen Fügungen mit Artikel doch wohllautend bequem: ''der Blick des Pastors von Kanzel und Altar, das empfanden Regierung und Hof, Münsterbau und Stadt waren herrlich beleuchtet, die Reliefe über Tür und Eckfenster''; bei anderen Neusten z. B. ''zwischen Friedrichsdenkmal und Brandenburger Tor, auf Sofa und Stühlen, in Theater und Konzertsaal, da wächst weder'' (''nicht'') ''Baum noch Strauch''; und so tausendfach und in Übereinstimmung mit der Entwicklung der deutschen Sprache, die solche Wortpaare, und zwar immer in dieser Form, beliebt hat, solange wir sie zurückverfolgen können. Nicht minder alt und, weil dabei der Begriff der Allgemeinheit noch deutlicher hervortritt, noch selbstverständlicher ist das Fehlen des Artikels bei den durch Verhältniswörtern vermittelten Wiederholungen des nämlichen Hauptwortes: ''Mit den Formeln Bein zu Beine, Blut zu Blute, Glied zu Glied'', suchten schon vor mehr als tausend Jahren unsere Altvordern Beinverrenkungen zu beschwören; und ''Fels zu Fels, Woge auf Woge, Baum an Baum, von Ast zu Ast, Schritt vor Schritt'' (älter auch ''für Schritt''), ''von Tag zu Tag'' sind nur ein winziger Teil derartiger Wendungen, wie sie heute üblich und gegenüber solchen breiten wie etwa ''von einem Tage zum anderen'' nur empfehlenswert sind. Zum Wegfall des Artikels in solchen Kuppelungen gesellt sich sogar noch der der Kasusendung: ''Komponist und Dichter wurde die gleiche Ehre zuteil; daß ein Band des Vertrauens Fürst und Volk umschließt; Pfirsich blickte auf Pfütze und Steine, auf Wasser und Mensch; die Stellung von Mensch zu Mensch, die Bestimmung trifft nur Dissident und Jude''; die Anhängung der Endung würde an die Mehrzahl denken lassen, die im ersten Beispiel widersinnig wäre, in den folgenden die persönliche Gegenüberstellung verwaschen und im letzten wenigstens unnötig fein würde. Man vgl. auch: ''das Verhältnis zwischen Meister und Geselle'' und: ''weit von Wille und Kraft'' bei einem P. S. B.; ''Binde-, Mittelglied, Mittelstufe, Verschiedenheit zwischen Mensch und Affe, zwischen Mensch und Tier''.
§ 165. Die Verbindung eines Hauptwortes mit einem anderen zu einem Gefüge zweier selbständiger Worte wird entweder durch das Fallzeichen am abhängigen Worte oder durch ein vom regierenden Worte abhängiges Verhältniswort oder durch die bloße Zusammenfassung des Hauptwortes und seiner Bestimmung zu einem Sprachtakte ausgedrückt.
$Seite 160$ Der Fall, in welchem fast allein heute ein Hauptwort von einem anderen abhängen kann, ist der Genetiv, der ein subjektiver sein kann (z. B. ''das Gut des Vaters''), ein objektiver (''die Verehrung Gottes''), ein partitiver (''eine Menge Volkes'') oder ein explikativer (''das Übel der Verarmung''). Also solche Fügungen mit dem vierten Fall wie: ''der Neues Schaffer'' (H. Hart) müssen gleich bis zu völligen Zusammensetzungen oder Zusammenbildungen (oben § 35) verdichtet werden, und Fügungen mit dem 3. Falle wie: ''ume huldigunge sinem sone'' schon vom Jahre 1376 (Frankfurts Reichskorresp., S. 1), ''das Überlassen aller Arbeit den zahlreichen Sklaven, nach ihrer Einverleibung dem britischen Museum'' (A. Springer) beruhen im allgemeinen auf einem Verkennen der Tragkraft des Hauptwortes, wenn auch Lessing einmal glücklich gewagt hat: ''Ohne Rache sterben und Ohne Nutz dem Vaterlande, Freund, das heißt pöbelhaft verderben''. Unter den Verhältniswörtern, die als Zeichen der Abhängigkeit zwischen Hauptwörtern dienen, steht ''von'' obenan (''die Belagerung von Metz''), das z. T. geradezu den Ersatz des 2. Falles bildet. Die gleiche Kraft wohnt aber auch allen anderen Verhältniswörtern inne, wenn sie neben einem Verbalsubstantiv zur Bezeichnung derselben Abhängigkeit dienen, die sie selber oder ein bloßer Fall neben dem entsprechenden Zeitwort ausdrücken: vgl. ''Gott lieben; Liebe zu Gott; sich vor etwas fürchten: die Furcht vor dem Gewitter''. +
Auch auf den vierten, dritten, ja zweiten Fall können solche Mittelwörter bezogen werden, wenn die Bedeutung des partizipialen oder dafür auch adjektivischen oder substantivischen Aussagewortes für sich allein deutlich genug nur eine Beziehung zuläßt. Oder kann ein Leser, wenn er nicht gerade durch ängstliche Regeln scheu gemacht ist, im Ernste an Sätzen wie den folgenden Anstoß nehmen? ''Harrend auf des Morgens Wonne, Östlich spähend ihrem Lauf, Ging auf einmal mir die Sonne Wunderbar im Süden auf''; und: ''Dir zu jedem Dienst erbötig, schöne Luna, sei uns gnädig'' (Faust II); ''Ohne Vermögen, war eine strenge Wirtschaftlichkeit ihm notwendig gewesen; Gewohnt, alles durch Gewalt zu erzwingen, hat sich bei dem polnischen Adel das Gefühl des Mitleidens und der Dankbarkeit nur sehr wenig entwickelt'' (v. Boyen). ''Auf der obersten Stufe die letzte Verbeugung machend, überraschte mich der Kanzleivorsteher'' (Grillparzer); ''Goethen wenig kennend, mit Schiller auf dem Felde unfruchtbarer Reflexion umherirrend, traten Sie mir als Apostel zugleich der Natur und der Kunst entgegen'' (Hebbel). —
In andern Fällen beugen Grammatik und Stilistik jeder Zweideutigkeit vor.
Zunächst auf einen dritten oder vierten Fall neben einem unpersön- $Seite 340$ lichen Ausdrucke, also aus dessen logisches Subjekt ein Mittel- oder Eigenschaftswort zu beziehen, braucht sich niemand zu bedenken, weil kein Hörer oder Leser über dessen Zugehörigkeit zu jenem auch nur einen Augenblick in Zweifel sein kann: ''Weichherzigkeit und an allem fremden Unglück aufrichtig teilnehmend, dünkte es ihn unmöglich, daß er gerade hier nicht sollte helfen dürfen. Von Natur groß angelegt, wurde es ihm unmöglich, sich in kleinen Geschäftsverhältnissen zurechtzufinden'' (Leipz. Illustr. Ztg.).
Nicht minder genügt es für jedes nachgestellte Mittel- oder Eigenschaftswort, das freilich dann nie allein stehen darf, sondern als Aussagewort eines abgekürzten Satzes weitere Bestimmungen neben sich haben muß//1 Sätze wie: ''Aristoteles, gefragt, warum er nie Almosen gebe'', sagte wirken z. T. nur, weil das Part. so allein steht, als bloße Übersetzung; z. T. auch deshalb, weil diese Stellung des Partizips das Prädikat ebenso sehr vom Subjekte losreißt, als die Stellung: ''Aristoteles sagte, gefragt'' usw. das Prädikat vom Objektssatze trennt; alles Bedenken, die es für die alten Sprachen mit ihrer andern Wortstellung nicht gibt. Am deutschesten ist die Form: ''Als Aristoteles einmal gefragt wurde'' usw.//, daß es mit dem letzten vorhergehenden Hauptworte, das zugleich für den Satz oder den Satzteil das Wichtigste sein muß, auf gleicher Tonwelle ruht. So heißt es unzählige Male ähnlich wie schon bei Goethe 1771: ''Was wird man zu dem Exekutor sagen, der dem Toten sein Sterbehemd auszieht und seine mißgestaltete Nacktheit an eine Landstraße hingeworfen den Augen des Publikums preisgibt; Es war im letzten Monat 1853, als der Dichter von der jungen, schönen Frau, umgeben von ihren blühenden drei Kindern, empfangen wurde'' (Tgl. R.); ''Die welligen Wiesen erweiterten sich zu schwarzen Brachäckern, von Rasenstreifen durchkreuzt, hier und da eine schmale ... Linie schlanker Ulmen zeigend'' (Spangenberg). Bedenklich wird der Widerspruch zwischen dem Beziehungs- und dem Mittelworte, wenn jenes im Genetiv steht und dieses gar noch einen vergleichenden Nominativ bei sich hat: ''Keinesfalls versäume man den Besuch des Krimmler Tals, schöner noch als der Zirkus des Schlegeisengrundes'' (Amthor), hauptsächlich gilt es aber, von Unklarheiten abgesehn, nicht ganz kurze Partizipien nachzustellen, da sie nach deutscher Art deutlicher und ohne Unbehagen zwischen Artikel und Substantiv stehn. Also nicht: ''die Kosten des Krieges, erklärt von Napoleon'', sondern: ''des von Napoleon erklärten Krieges''; nicht: ''sie begegneten Arbeiterinnen vom Felde heimkehrend'' (F. v. Keyserling), sondern: ''vom Felde heimkehrenden Arbeiterinnen''.
Ganz ungerechtfertigt ist es auch, wenn die Sprachrichter von saloppem Satzbau reden, sobald ein Mittel- oder Eigenschaftswort an die Spitze des Satzes gestellt wird und bei weiterer Ausschmückung nun Subjekt und Prädikat an ihrer zweiten und dritten Stelle etwas weiter hinterrücken. Denn mag auch dieser Satzbau zum Teil auf französischem Einflusse beruhen, so bleiben es doch Fügungen, die keinem Gesetze der deutschen Sprache zuwiderlaufen. Wenn aber die Klarheit, Durchsichtigkeit und Bestimmtheit französischer Satzfügung zum guten Teil auf ihren vorausgestellten Mittelwörtern beruht, sofern sie gleich im voraus angeben, unter welchen bedingenden Umständen, unter welcher Voraussetzung, aus welchen Gründen die im nachfolgenden Satze mitgeteilte Tatsache sich entwickelt und gilt, warum füllten wir da in der Einführung dieser Form, einer innern Sprach- $Seite 341$ form//1 Vgl. O. Brenner, Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins 1891 (S. 19).//, nicht eine gesunde Weiterentwicklung anerkennen? Jedenfalls ist das beste deutsche Schrifttum von Goethe bis heute ungemein reich an solchen Mittelwortfügungen.
Zwei Mittel sind es vor allem, durch die der Voranstellung des Mittelworts alles Bedenkliche benommen werden kann. Das eine ist ein an das vorangestellte Mittel-, häufiger übrigens Eigenschaftswort angehängter Satz mit ''wie''//2 Ganz unbegründeterweise wird diese Ausdrucksweise darum angefochten, daß kein Vergleich vorliege. Schon das Lateinische hat diesen Übergang von der vergleichenden Partikel ''ut'' zu einer kausalen Verwendung gesunden: ''Permulta colligit Chrysippus, ut est in omni historia curiosus''. Daß aber die Fügung vom begründenden Verhältnisse auch auf das einräumende ubergegangen ist wie oben in dem letzten Satze, liegt in der nahen Verwandtschaft dieser den Grund für das Gegenteil angebenden Sätze.//, an dessen Subjekt sich jenes dann anlehnt, ganz wie nach § 243, 1 ein Hauptwort an ein Relativum. In Goethes Fußstapfen geht denn auch Grillparzer: ''Klein, wie er war, und unter dem Notenpult in seiner Hand nach allen Seiten stöhnend, schob ihn einer dem andern zu''; und ein neuerer Erzähler mit den Fügungen: ''Mutterlos wie ich war, wuchsen wir zusammen auf'', und: ''Eng wie die Stube und die Gastlichkeit war, war er doch deshalb erfreut über die Ordnung und Sauberkeit''.
Weit häufiger und, weil es kein besonderes Formwort benötigt, ohne jede Gefahr der Einförmigkeit anwendbar ist das andere Mittel, an die Spitze des Satzes gestellten Mittel- und Eigenschaftswörtern die richtige Beziehung zu sichern, noch ehe man ihr formelles Beziehungswort im Satze selber hört und liest. Es besteht darin, daß dieses zugleich im vorhergehenden Satze Subjekt oder doch der den Inhalt beherrschende Satzteil ist, freilich ein Gesichtspunkt, den der die Sätze aus ihrem Zusammenhange herausreißende Sprachmeister nicht kennt. Zweifelsohne wäre in dem Grosseschen Satz: ''Kaum im Hofe des Herrenhauses angekommen, empfingen ihn zwei Personen'', so außerhalb des Zusammenhanges die Beziehung des Mittelwortes nicht völlig sicher; aber niemand kann mehr zweifeln, wer angekommen ist, wenn er vorher gelesen hat: ''So schritt Gebhardt zum Herrenhause zurück; er befand sich keineswegs in gehobner Stimmung; sein Auge war zu Boden gerichtet, so daß er nichts von den besorgten Blicken der Nachbarn wahrnahm, die ihm nachschauten''. Bei E. T. A. Hoffmann liest man ähnlich: ''Anselmus hatte schon mehrere Tage beim Archivarius gearbeitet. Von einem vorübergleitenden Hauche leise berührt, durchströmte ihn eine nie gefühlte Behaglichkeit''; bei Friedr. Halm: ''Sie schritten leise über den Gang. An die Tür gekommen, die in das Gemach ihres Vaters führte, stockten ihre Schritte''; bei G. Keller: ''Er holte ein großes Album ... herbei ... Mit dem Schlüsselchen geöffnet, zeigte sich Blatt um Blatt eine Welt von Schönheit''; und: ''Das war nun freilich eine herrliche Erscheinung zu nennen; über Vermögen reich gekleidet, die hohe Gestalt von Seide rauschend, trat dennoch alle Pracht zurück vor der Schönheit der Gestalt''; bei Rodenberg: ''Völlig gelähmt, fast erblindet, kaum noch fähig, den Bleistift zu halten, setzt sein Geist den Kampf mit dem heimtückischen Gast fort''. Nur wer solche Sätze aus $Seite 242$ dem Zusammenhange gerissen hört, hat die billige Möglichkeit, einen Witz über den bleistifthaltenden Geist u. dgl. zu machen; wer vorher mehrere Seiten von Heine und zuletzt vom leidenden Heine gelesen hat, denkt an gar keine falsche Beziehung. Dazu ein gleich gerechtfertigter Satz aus einer Zeitung: ''Er war unerbittlich gegen Lüge und Gemeinheit, übrigens duldsam, mild und versöhnlich. Ein Bild ernster Männlichkeit, stattlich, fest und stramm in seiner äußern Erscheinung, leuchtete ernste Herzensgüte und die Unschuld eines kindlichen Gemüts aus seinen Augen''. Schon Novalis hat geschrieben: ''Eingewiegt in sel’ges Schauen, ängstigt mein Gemüt kein Schmerz''; Max von Schenkendorf schrieb 1816: ''Durch zehnjährigen Dienst in den verschiedensten Verhältnissen an die Arbeit gewöhnt, in den Rheinprovinzen nicht ungekannt und nicht ungern gesehen, würde meiner Liebe zu König und Vaterland ein solcher Platz recht willkommen sein''. Der Universitätsproffesor Max Wundt schreibt in einem Werk über Wilh. Meister 1913: ''Wochentags hinter den Ladentisch gebannt, Sonntags auf langweiligen Familienspaziergängen nur zum Besuch in der Natur, dringt kein freier und großer Zug aus der Wirklichkeit in das Leben des heranwachsenden Knaben''; H. Stehr (1918): ''Das erstemal erklang auch der Name des Heiligenbauers und seiner blinden Tochter. Freilich verzerrt, journalistisch zurechtgeschnitten, zu Veranlassungen geistreichelnder Antithesen gemißbraucht, konnte sich niemand ein Bild von diesen beiden Menschen machen''; und mit Anlehnung an das Akkusativobjekt des vorangehenden Satzes: ''Das blutige Strafgericht des Bischofs im Jahre 1835 trieb sie hier in die Einöde. Geächtet, versteckt, die Inbrunst ihrer heißen Gottessucht oft insgeheim verbergend, legte dies den Grund zum sprunghaften, außergewöhnlichen Wesen der Querhovener Menschen''.
