Attribut: KapitelText
Aus Zweidat
Dies ist ein Attribut des Datentyps Text.
O
Durchaus gebührt ''ohne'' der vierte Fall: ''ohne dich, ohne das Kind'', und ''wegen'' der zweite: ''wegen des Vergehens'' oder ''des Vergehens wegen''. Die ursprünglichere Form von ''wegen'' mit zwischengestelltem Genetiv kommt der Schriftsprache nur noch in den Formeln: ''von Amts wegen, von Rechts wegen'' zu; dagegen hüte man sich, die volksmäßige Verunstaltung: ''mit jemand von wegen einem Vorkommnisse reden müssen'' u. ä. nachzuahmen. ''Wegen'' und das gleichbedeutende ''halben''//1 ''Die halbe'' = ''die Seite''; auch die Formen ''halb'' und ''halber'' kommen vor.//sowie (''um''...) ''willen'' sind nämlich Hauptwörter, jene im dritten Falle der Mehr-, dieses im vierten der Einzahl, und demgemäß fordern sie den Genetiv und statt des Genetivs der persönlichen Fürwörter das besitzanzeigende Fürwort neben sich, und zwar dieses heute in der lautlich bequemsten Form: ''meinet-, deinet-, euret-, ihretwegen''//2 Zuerst stand hier der regelmäßige abjektivische Dativ: ''von meinen wegen''; dann wurde die Form um das die Aussprache verquemlichende ''t'' bereichert, woher die älteren Formen wie ''meinentwegen'' kommen, und zuletzt schwand wieder das ''n''. Wie auch neuerdings wenigstens neben dem bezüglichen Fürwort ein Hauptwort nach Art der Verhältniswörter gebraucht werden kann, zeigt die Fügung bei Avonianus: ''eine halbe Stunde, Zeit deren ich abschrieb''.//, ''um unsertwillen'' usw. Doch kommen besonders bei ''wir, ihr'' und ''sie'' auch die Formen mit getrenntem, wirklichem Genetive vor (''euer halben, um ihrer willen''), wie sie ja im allgemeinen nötig sind, sobald eine Verstärkung hinzutritt; ''um deiner selbst willen, um unser selbst willen''. ''Die Fügung wegen ihm'' bei H. Stehr (Heiligenhof) wie ähnliches oft bei G. Freytag ist mundartliche Färbung bei den beiden Schlesiern. +
P
Wie es oft geschieht, daß ein Gedanke, der eigentlich durch einen Hauptsatz ausgedrückt werden müßte, unlogischerweise in einen Relativsatz gebracht wird (vgl. S. 129), so packt man oft auch einen Hauptgedanken in ein attributives Partizip und schreibt: ''hier ist das bisher noch von keiner Seite bestätigte Gerücht verbreitet — die neue Auflage hat die von dem Verfasser getreulich benutzte Gelegenheit gegeben, manches nach-'' $Seite 168$ ''zutragen — ich sandte ausführliche, in freundlichster Weise beantwortete Fragebogen an folgende Bibliotheken — mit klopfendem Herzen betrat ich das Auditorium, um die in der Bohemia abgedruckte Antrittsrede zu halten — die anonym einzureichenden Bewerbungsschriften sind in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu verfassen''. Da fragt man doch: in welcher Sprache sind denn die nicht anonym einzureichenden zu verfassen? Und war denn die Antrittsrede wirklich schon gedruckt, als der Verfasser das Auditorium betrat? Natürlich soll es heißen: ''um die Antrittsrede zu halten, die dann in der Bohemia abgedruckt wurde — die Bewerbungsschriften sind anonym einzureichen und in deutscher Sprache abzufassen''.
Nicht viel besser ist es, wenn ein Partizipsatz statt eines Hauptsatzes gesetzt wird, z. B.: ''im Jahre 1850 in den Generalstab zurücktretend'' (''getreten''!), ''wurde B. 1858 zum persönlichen Adjutanten des Prinzen Friedrich Karl ernannt. Bei der Reorganisation im Jahre 1860 mit dem Befehl über das 41. Regiment betraut, vertauschte er 1863 diesen Wirkungskreis mit dem des Chefs — bald nach Beginn der Tafel erhob sich der Herr Generalmajor, Sr. Kgl. Hoheit für sein Erscheinen dankend und ihm ein Hoch ausbringend — er ging zunächst nach Paris, dann nach London, an beiden Plätzen im Bankfach arbeitend — Pröhle verwertete diese Schätze, ohne deren Ausnutzung durch jüngere Kräfte eifersüchtig zu hindern, diese vielmehr auf selbstlose Weise in der Durchführung ihrer Pläne fördernd'' — oder gar: ''in der Einleitung stellt Friedländer die Entwicklung des deutschen Liedes dar, hierauf'' (!) ''eine übersichtliche Bibliographie bringend — Jürgen lief in die Apotheke, nach wenig Augenblicken'' (!) ''mit einer großen Medizinflasche zurückkehrend''. Während in den zuerst angeführten Beispielen eine Art von Schnelldenkerei vorliegt — die Verfasser haben es gleichsam nicht erwarten können, zu sagen, was sie sagen wollten —, handelt sichs in den letzten beiden nur um einen plumpen Versuch, in den Ausdruck Abwechslung zu bringen. Der Sinn verlangt statt aller dieser Partizipialsätze Hauptsätze.
Ebensowenig wie mit dem Hinweis auf die dem Deutschen eigenste Art der Satzausspinnung die Züchtung solcher Reichsbandwürmer empfohlen, soll damit die kunstvollere Periode der deutschen Prosa abgesprochen und sie zu bauen verwehrt werden. Im Gegenteile hat unsere Sprache dieses künstlerische Satzgefüge, zumal in der Schule der Lateiner gelernt trotz irgend einer; und der kunstvolle, überlegte Stil der Festrede, des kunstvoll aufgeführten schönen Vortrages und Aufsatzes wie die Darlegungen des geborenen Redners werden ihn ungern entbehren. Ist doch die Periode, wenn sie schon manchmal lang sein mag, durchaus nicht das, was sich das unklare Stilgefühl vieler die Feder Führenden darunter vorstellt: ein recht vollgepackter, langhingezogener Quersack, in den möglichst durcheinander geschüttelt möglichst viele mehr oder minder zusammengehörige Gedanken hineingepackt werden, weil es so etwas doch dem gewöhnlichen Menschen — antun müsse! Sie ist vielmehr eine durchsichtige, zweiteilige Kunstform, deren beide Hauptteile am besten als Vorder- und Nachsatz oder, was sich damit oft deckt, als Neben- und Hauptsatz zueinander gehören, wie zu einer Kreishälfte die andere, und einander zwar nicht, wie diese, vollständig, aber doch möglichst gleich sein müssen in Bau und Ausdehnung. Dieses ebenmäßige Satzgebilde ist die klarste Darstellung für alle Gedanken, die zueinander im Verhältnis der Voraussetzung und Folgerung stehn oder in dem der Bedingung und Folge, der Ursache und Wirkung, der Frage und Antwort, der gespannten Erwartung und ihrer Befriedigung, des Vergleiches endlich und des geraden Gegensatzes//1 Übereinstimmend sind der hervorragende Schulmann P. Cauer, Die Kunst des Übersetzens, S. 154, und der scharfe Denker R. Hönigswald, Grundlagen der Denkpsychologie, S. 255, für die Periode eingetreten.//. Kein Geringerer als Luther handhabt die Form schon meisterhaft: ''Hält und gilt es, so der Papst des andern Tags seiner Erwählung Regel und Gesetz macht in seiner Kanzlei, dadurch unsere Stifter und Pfründen geraubt werden, wozu er kein Recht hat; so soll es vielmehr gelten, so der Kaiser Karolus des andern Tags seiner Krönung Regel und Gesetz gebe, durch ganz Deutschland keine Lehen und Pfründen mehr gen Rom kommen zu lassen durch des Papst Monat, und was hineinkommen ist, wieder frei werde und von den römischen Räubern erlöset, dazu er Recht hat von Amts wegen seines Schwertes.'' Daneben eine schlichte zweiteilige Form: ''Manchmal sehen die Leute alle aus, als ob sie aus der Sammelmappe des „Simplizissimus“ ausgerissen, manchmal aber auch, als ob sie nur den „Fliegenden Blättern“ verloren gegangen wären'' (H. Johst).
Daß nicht bloß Neben- und Hauptsätze, sondern auch mehrere Hauptsätze den Vorder- und Nachsatz einer Periode abgeben können, wenn anders sie nur einen Gegensatz oder sonst eins der oben angeführten Verhältnisse ausdrücken, mag der Satz aus Wilhelm Meisters Lehrjahren lehren: ''Es wird soviel von Erziehung gesprochen und geschrieben, und ich sehe nur wenig Menschen, die den einfachen, aber großen Begriff, der alles andere in sich schließt, fassen und in Ausführung übertragen können.'' Ihm geht eine verwickelte Periode voraus, wie sie ebenmäßiger nicht gedacht werden kann: (''Niemand glaube, die ersten Eindrücke der Jugend verwinden zu können''). ''Ist er in einer löblichen Freiheit, umgeben von schönen und edeln Gegenständen, im Umgange mit guten Menschen'' $Seite 422$ ''aufgewachsen, haben ihn seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen mußte, um das übrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen braucht, wurden seine Handlungen so geleitet, daß er das Gute künftig leichter und bequemer vollbringen kann, ohne sich irgend etwas abgewöhnen zu müssen: so wird dieser Mensch ein reineres, vollkommeneres und glücklicheres Leben führen als ein anderer, der seine erste Jugendkraft im Widerstande und im Irrtum zugesetzt hat.'' Diese Kunstform sieht wahrlich einer Doppelpforte gleich, die durch vier Pfeiler gebildet wird, von denen nun in dem deckenden Nachsatze der erste und vierte durch die Beifügungen ''reineres'' und ''glücklicheres'' ihre Krönung finden, während die aneinandergerückten beiden mittleren das eine Beiwort vollkommneres wie ein überhöhender Bogen zusammenschließt. Der angesehenste Meister der Periode unter den heutigen ist wohl Thomas Mann, daher eben auch ein Muster aus seiner Feder: ''Mag es auch angesichts des Weltruhms, von dem heute die Gesamtleistung des großen Forschers getragen ist, eine Kundgebung fast rührender Gelehrtenbescheidenheit bedeuten, wenn Freud die große Abhandlung „Totem und Tabu“ von seinem übrigen Lebenswerk unterscheiden zu sollen glaubte, indem er ihr ausnahmsweise ,einen Anspruch auf das Interesse eines größeren Kreises von Gebildeten“ zuschreibt, so ist wohl richtig, daß sie die in einem relativen und anspruchsvollen Sinn populärste von seinen Schriften bildet, und zwar weil sie nach ihren Absichten und Ansichten die medizinische Sphäre weit ins allgemein Geistesgeschichtliche hinaus überschreitet und vor dem der Frage des Menschen nachhängenden Leser ungeheure Perspektiven seelischer Vergangenheit, Urwelttiefen moralischer, gesellschaftlicher, mythisch-religiöser Früh- und Vorgeschichte der Menschheit aufhellend aufreißt.'' Zum Schluß sei mit Hinweis auf das Goethische Muster nur noch der falschen Auffassung vorgebeugt, daß in Vorder- und Nachsatz auch die Zahl der Glieder gleich groß und daß diese sozusagen aufs Haar gleich lang sein müßten. Im Gegenteil wird eine gewichtige Zusammenfassung, eine entschiedene Verneinung, eine Überraschung sich trefflich darin malen, daß auf einen breiter ausgesponnenen, mehrgliedrigen Vordersatz ein kurzer Nachsatz folgt, wie in dem einer Novelle Th. Manns entnommenen Gefüge: ''Was er als Knabe geträumt und gehofft, worum er gearbeitet und sich gemüht hatte, worum er an den strengen, stolzen Herrn zu seinem bittersten Schmerze eine Fehlbitte getan hatte — das bot ihm auf einmal verlockend der Zufall.''
Ganz allgemein erhält heute kein Personennamen mehr die Fallbezeichnung, wenn das Geschlechtswort davorsteht, so besonders in der Angabe von Dichterwerken: ''W. v. Eschenbach, der Dichter des Parzival'', und ''Goethe, der Dichter des Faust'', gehören zu den tiefsinnigsten Deutschen; ähnlich: ''die Fahrten des Graf Zeppelin'' (entsprechend: ''dem, den Graf Z.''); oder wenn ein Beiwort dazwischen- $Seite52$ tritt: ''Die Sprache des jungen Goethe ist wie Musik''. Nur wenn ein persönlicher Eigenname zu einer Sachbezeichnung wird, erhält er trotz davorstehenden Artikels gleich andern Gattungsnamen das Genetivzeichen, und wie es heißt ''eine Versammlung des Stahlhelms'' (vgl. § 71), so auch: ''mittels eines Diesels'' (= ''Dieselmotors''), ''die Probefahrt des neuen Flettners''. Überhaupt wird von Personennamen auch heute noch wenigstens für den Genetiv in der Regel eine besondere Form gebildet, und zwar von denen mit Zischlauten am Ende wie meist auch von den weiblichen auf ''-e'' durch die Endung -''ens'', sonst allgemein, von männlichen wie nach deren Muster auch von weiblichen, auf ''-s'', beide Male gleichmäßig von einheimischen wie von solchen fremden Namen, die ihre fremde Endung abgeworfen haben. Demnach sagt man ''Horazens'' so gut wie ''Voßens, Franzens, Mariens; Ovids'' so gut wie ''Kants, Pauls'' und ''Goethes'' (nicht mehr wie früher: ''Goethens''), während umgekehrt neben ''Mariens'' auch ''Maries'' vorkommt. Gerh. Hauptmann schreibt: ''als er Quinten sah, jener Quinten befreundete Hirt und Quintens Begleiter'' und Th. Mann (1919): ''wie ehemals der Feuilletonist Heinen die Leichtigkeit abguckte''. Das Geschlechtswort ist vor dem Eigennamen nur nötig, wenn ein Beiwort davorsteht (''des liebenswürdigen Paul Friedrich Richter''), wenn der Name zur Bezeichnung eines Werkes dient (s. o.) oder wenn seine fremde Form beibehalten ist (''des Livius''). Darüber hinaus beliebt der in der Schriftsprache hier herrschend gewordene Brauch des Kanzleistils das Geschlechtswort nicht, und Fügungen wie: ''der Tod des Siegfried, die Jugend des Heinrich'', muten so fremd oder mundartlich an wie die auf deutsch-böhmischen Geschäftsschildern allein herrschende Ausdrucksweise: ''Kramerei des Franz Richter''. Um so dankbarer ist es daher aufzunehmen und desto mehr nachzuahmen, daß die Romanschriftsteller jetzt auch den 4. und 3. Fall auf ''-en'' oder ''-n'', der in der Schriftsprache fast abgekommen war und nur vom Volke fortgebraucht worden ist, neu zu beleben beginnen. Oder wenn uns bei Goethe: ''er gab Franzen die Hand'' oder bei Schiller: ''Der Sieg setzte Ferdinanden in den Besitz aller seiner Staaten'' angenehm berührt, warum sollte man da nicht, mit G. Keller z. B. sagen ''für Reinharten, Bertrade(n)s; Kabys, Kabyssens, Kabyssen, Kabysse; Vitalisens; zwischen Polyhymnien und Euterpen'' oder mit K. v. Heigel: neben ''Luisen'' und neben den 2. Fällen ''Armidas'' und ''Armidens'' im 3. und 4. Fall: ''Armiden''?
Eine andere Sitte der älteren Zeit, den fremden Namen in allen Fällen ihre fremde Endung zu geben, wollen wir dagegen auf den Namen ''Jesus Christus'' beschränken, dessen Formen ''Jesu Christi, Jesu Christo, Jesum Christum'' mit so vielen Liedern und Sprüchen uns ins Fleisch und Blut übergegangen sind; außerdem sei sie allenfalls noch den Geistlichen zugestanden für Anführungen der biblischen Bücher (''Evangelium Matthaei'' u. a.). Im übrigen genügt es uns, den Fall solch fremder Namen aus der Satzfügung zu erkennen, den Genetiv zumal an seiner Stellung vor dem Hauptworte: ''Demosthenes Reden''; oder auch — freilich nur für das Papier — ''Demosthenes' Reden''; wenn wir nicht lieber einen bezeichnenden Beisatz machen oder hier auch bloß das Geschlechtswort vorsetzen; ''des Tacitus'', besser ''des Redners Demosthenes, dem Geschichtsschreiber Livius''.
Unverwüstliche Lebenskraft zeigt noch immer die Endung ''-er''. Allein in Trentinis „Geburt des Lebens" finden sich ''Befehler, Erschrecker, Erschaffer, Taster, Verneiner, großer Leider''. Verwandt sind ''Folger, Wisser, Weilenkürzer, Nachtreter'' und ''Nichtser''; und Tagesbedürfnissen kommen entgegen ''die Anrainer, Altenteiler, Bindungstrainer'' und ''Fußballer'', ''Fünfzigtonner''. Die Schweizer kennen ''Äufner'' (''Förderer''), ''Herumständer'' und ''kurze Aufenthalter'' und viele, leider! ''Heimtücker''. Ganz jung ist ''Wochenender'', der Verfasser einer Wochenendbetrachtung. Manchmal tritt noch ein ''l'' vor wie in ''Schwindsüchtler, Intelligenzler'' und ''Feinköstler''; neben den ''Schlafsteller'' tritt die ''Schlafstellerin'' und neben diese ''die [Kinder]Hortnerin''; und ganz knapp bei B. v. Münchhausen neben die ''Spanierin'' u. a. die ''Nordin'' (nordd. Ehefrau) und die ''Ostin''. Namentlich auch fremdes Sprachgut macht sich das Volk mit Hilfe der Endung ''-er'' vertraut, so den ''Banker''//2 Th. Steche, Neue Wege zum reinen Deutsch, Hirt, Breslau 1925, empfiehlt ''Bankner'' und, um überhaupt fremder Ableitungssilben und durch diese bewirkter Tonverschiebungen entraten zu können, auch ''Drogner, Florenzer, Inseler'' (statt: ''Insulaner''), ''stilisch'' (statt: ''stilistisch''), ''merken'' (statt: ''markieren'').// (''Bankier''), ''Mariner, Milizer, Sanitäter'' und ''Revoluz[z]er'', ''den Miner'' (Goldgräber), ''Posauner'' und ''Waler'' (Walfischfänger). Dagegen ist es ungehörig, daß man deutschen Brüdern, die ihre Zugehörigkeit zu Stadt oder Land durch die einfachen Endungen ''-er'' und ''-isch'' zu bezeichnen pflegen, $Seite 15$ solche fremde Anhängsel wie ''-aner'' und ''-enser'' zumutet und ''Weimaraner'' sagt statt des allein richtigen ''Weimarer'' oder ''Weimarisch'', ''Hallenser'' statt ''Hallisch'', ''Badenser'' statt ''Bad(e)ner'', ''Pommeraner'' statt ''Pommer'' und ''Pommerisch, Grimmensisch'' statt ''Grimmaisch, Hannoveranisch'' statt ''Hannoverisch'', während das Hauptwort ''Hannoveraner'' freilich zu dulden sein dürfte. Nur in der Schul- und Studentensprache, die nun einmal schon seit langem viel lateinisches Sprachgut mit sich führt, ist ein ''Portenser, Grimmenser, Badenser'' für Schul- und andere Füchse oder Burschen berechtigt. Sonst sollten sogar fremde Namen, wo es angeht, möglichst der deutschen Art angepaßt werden; also sage man nicht ''Japanese'' mit manchen Zeitungen, sondern ''Japaner'', nicht ''japanesisch'', sondern ''japanisch'' und gleich gar nicht mit deutschen Schulbüchern ''Sizilienser, Athenienser'' u. ä. Am Ende könnten auch die Anhänger und Verehrer unserer Dichtung und Denker würdiger bezeichnet werden denn als ''Goethianer, Schillerianer, Hegelianer'', Wörter, die am unrechten Orte an echt deutsche ganz anderen Sinnes wie ''Dumm(e)rian'' und ''Grobian'' erinnern.
Auch einige Personennamen, die früher für Männer wie Frauen, Knaben wie Mädchen gleichmäßig männlich gebraucht wurden, haben sich gefallen lassen müssen, je nach dem Träger oder der Trägerin verstandesmäßig in männliche und weibliche Formen gespalten zu werden. Darauf beruht ''der'' und ''die Pate'' (vom lat. ''pater''), ''der'' und ''die Mündel'' (mittelalt. ''mundilio'') neben dem gleichrichtigen Neutrum ''das Mündel'', auch ''der'' und ''die Waise'' neben dem auch für Knaben vorherrschenden Femininum ''die Waise''. Etwas anders ist es mit ''der Kunde'' und daneben ''die Kunde'' = Gschäftsfreund und mit ''der Geisel'' (= Bürge) und daneben ''die Geisel'', besonders in der Redensart ''zur Geisel geben''. Deren überwiegend männliche Formen stehn nämlich auch von weiblichen Personen (''die Frau ist mein bester Kunde''); wenn aber von ihnen auch für männliche Personen weibliche Nebenformen eintreten (''er ist meine beste Kunde''), so sind das abstrakte Begriffe, die ihren Träger vertreten.
Viel größer ist das Schwanken natürlich bei den Sachnamen. Solch schwankender Wörter gibt es besonders drei Arten. +
Auch die Verbindung präpositionaler Attributen mit den Handelnden bezeichnenden Personennamen, namentlich auf -''er'', wird, so gewiß es hier mehr Vorsicht gilt, dadurch begünstigt, daß sie das zu dem Stamme gehörige Zeitwort bereits häufig aufweist. So der Bürge für jemand durch ''bürgen für jemand'', Befehlshaber über das XII. Korps durch: ''den Befehl haben über'' ..., mein Vorgänger im Amte durch: ''im Amte vorangehn''. Verbreitet sind z. B.: ''der Rufer zum Streit, der Retter aus der Not, der Schriftsteller über Volkswirtschaft, Übersetzer aus dem Englischen, Verschwörer gegen Recht und Ordnung, der künftige Sammler für die Muntarten wie der Schneider für Herren'' u. ä. +
Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum, mögen sie stammen, woher sie wollen. Man spricht jetzt viel davon, daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgefrischt, verjüngt, bereichert, befruchtet werden könnte. O ja, wenn es mit Maß und Takt geschähe, warum nicht? Überzeugende Proben davon hat man aber noch nicht viel gesehen. Ein böses Mißverständnis wäre es, wenn man jeden beliebigen Provinzialismus für geeignet hielte, unsern Sprachvorrat zu „bereichern." Meist liegt kein Bedürfnis darnach vor, man legt sich dergleichen aus Eitelkeit zu, um Aufmerksamkeit zu erregen, etwa wie irgend ein Hansnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt.
Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wendungen (Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt, dann aber auch nachgebraucht werden.
Für ''brauchen'' z. B. sagt der Österreicher ''benötigen'', für ''benachrichtigen verständigen'' (''jemand verständigen'', während sich in gutem Deutsch nur zwei oder mehr ''untereinander verständigen'' können); beides kann man jetzt auch in deutschen Zeitungen lesen. In der Studentensprache ist das schöne Wort ''unterfertigen'' Mode (statt ''unterzeichnen''); das ist nichts als eine lächerliche, halb(!)-österreichische Bastardbildung. Der Österreicher sagt: ''der Gefertigte''. Das ist dem deutschen Studenten, der sich zuerst damit spreizen wollte, mit dem ''Unterzeichneten'' in eine Mischform zusammengeronnen, und seitdem erfüllt fast in allen akademischen Vereinigungen beim „Ableben" eines Mitgliedes der ''unterfertigte Schriftführe die traurige Pflicht, die geehrten a. H. a. H. und a. o. M. a. o. M. geziemend'' (!) ''davon in Kenntnis zu setzen''.
Unerträglich in gutem Schriftdeutsch ist das süddeutsche ''gestanden sein'' und ''gesessen sein'': ''die Personen, mit denen er in näherm Verkehr gestanden war — es lebten noch Männer, die in der Paulskirche'' $Seite 412$ ''gesessen waren'' (vgl. S. 58); ganz unerträglich ferner die österreichischen Verbindungen: ''an etwas vergessen, auf etwas vergessen'' und ''auf etwas erinnern'' (''auf die Einzelheiten des Stückes konnte ich nicht mehr erinnern'' u. ähnl.).
Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Österreicher im Gebrauche der Adverbia. Er sagt: ''im vorhinein'' statt ''von vornherein'', ''rückwärts'' statt ''hinten, beiläufig'' (''bailaifig'') statt ''ungefähr'' (''bis zur höchsten Spitze ist es beiläufig 6000 Fuß — dies ist beiläufig der Inhalt des hübschen Buches — der zweite Band erscheint in beiläufig gleicher Stärke''), während in gutem Deutsch ''beiläufig'' nur bedeutet: ''nebenbei, im Vorbeigehen'' (''beiläufig will ich bemerken''). Für ''nur noch'' heißt es in München wie in Wien: ''nur mehr'': z. B. ''leidenschaftliche Gedichte von nur mehr geschichtlichem Wert — alle Bemühungen sind jetzt nur mehr darauf gerichtet — auf die Christlich-Sozialen fielen heute nur mehr acht Stimmen'' usw. ''Neuerdings'', das gut deutsch nichts andres heißt als: ''in neuerer Zeit'' (''neuerdings ist der Apparat noch wesentlich vervollkommnet worden''), wird in Österreich in dem Sinne von ''wiederum, nochmals, abermals, aufs neue, von neuem gebraucht'', z. B.: ''es kommt mir nicht darauf an, oft gesagtes neuerdings zu wiederholen — er hat mich hierdurch neuerdings zu Dank verpflichtet — eine Reise führte ihn neuerdings mit der Künstlerin zusammen — in diesem Vortrage wird neuerdings die Frage untersucht — es kam eine Schrift zur Verlesung, worin B. neuerdings für seine Überzeugung eintrat — die Geneigtheit der Kurie muß bei jedem Wahlgange neuerdings erkauft werden''.//* Auf einige häßliche Austriazismen ist schon in der Formenlehre und in der Satzlehre hingewiesen worden. Vgl. S. 16 und 57.// Man möchte wirklich annehmen, daß mancher deutsche Zeitungsredakteur von all diesen Gebrauchsunterschieden gar keine Ahnung habe, denn sonst konnte er doch solche Sätze nicht unverändert in seiner Zeitung nachdrucken, er müßte doch jedesmal den Austriazismus erst ins Deutsche übersetzen, damit der deutsche Leser nicht falsch verstehe!
$Seite 413$ Eine Schrulle des niedrigen Geschäftsstils ist es, wenn jetzt angezeigt wird, daß ''Kohlen ab Zwickau'' oder ''ab Werke'' (!) oder ''ab Bahnhof'' oder ''ab Lager zu haben seien, Heu ab Wiese verkauft, Flaschenbier ab Brauerei geliefert werde'', daß ''eine Konzertgesellschaft ab Sonntag den 7. Juni auftrete'', oder daß ''eine Wohnung ab 1. Oktober zu vermieten sei''. ''Ab'' als selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. ''abhanden'', d. i. ''ab Handen'') ist schon seit dem siebzehnten Jahrhundert vollständig durch ''von'' verdrängt. Nur in Süddeutschland und namentlich in der Schweiz wird es noch gebraucht, dort sagt man noch ''ab dem Hause, ab dem Lande''. Aber was soll uns plötzlich dieser Provinzialismus? und noch dazu in solcher Stammelform: ''ab Werke'', von der man nicht weiß, ob es der Dativ der Einzahl oder vielleicht gar der Akkusativ der Mehrzahl sein soll? Es ist übrigens doch zweifelhaft, ob die Geschäftsleute, die sich neuerdings damit spreizen, wirklich das alte deutsche ''ab'' meinen, und nicht vielmehr das lateinische ''ab''. Zuzutrauen wäre es ihnen, wenigstens wenn man ''pro Jahr, pro Kopf per sofort, per bald, per Weihnachten'' und ähnlichen Unsinn damit vergleicht.//* Manche Kaufleute behaupten, in dem ''ab'' liege ein besondrer Sinn; es solle ausdrücken, daß der Übergang einer Ware aus dem Besitz des Kaufmanns in den des Käufers an der angegebnen Stelle (''ab Bahnhof, ab Lager'') geschehe; der Bahnhof, das Lager sei der „Erfüllungsort." Davon hat aber doch der harmlose Käufer, der so etwas in der Zeitung liest, keine Ahnung.//
Ein garstiger Berolinismus, der aber immer mehr um sich greift und schon in Lustspielen von der Bühne herab zu hören ist, ist ''bloß'' für ''nur'' in ungeduldigen Fragen und Aufforderungen: ''Was hat er bloß? Was will er bloß? Komm doch bloß mal her!''
Die Betonung der unbedingten Zurechnung oder Zugehörigkeit zu einem Stande oder zu einem allgemeinen Begriffe, die Feststellung der Zugehörigkeit eines beliebigen Punktes oder Teiles zu einem stofflichen oder doch stofflich gedachten, räumlichen oder zeitlichen Ganzen ist es auch, was das Prädikatsnomen, den allgemeineren Begriff dem Subjekte gegenüber, ohne Artikel erscheinen läßt, sowohl neben ''sein'' und andern nur verschiedene Stufen und Entwicklungsformen des Seins bezeichnenden Wörter wie ''werden, bleiben, heißen'', als auch in allen den Fällen, wo es, auch auf ein Objekt bezüglich, mit ''als'' eingeführt wird: ''Der Herr ist König. Er ist Laufbursche bei N. Er kam als Retter in der Not. Er wurde als erster Bürgermeister gewählt. Diese Handlung müssen wir als Vaterlandsverrat brandmarken'', Der leiseste Hinweis freilich auf eine Begrenzung und Bestimmung genügt auch hier, ihm durch den Artikel gerecht zu werden. Während der Bauer einem Städter die Arten des Ackerbodens schlechthin also erläutert: ''das ist sandiger Boden, wie er sich besonders für Kartoffeln eignet; aber das Stück dort ist Moorboden, den man nur als Wiese liegen lassen kann'', muß er einem Arbeiter, mit dem er schon vorher über ein Stück Land gesprochen hat, dieses später mit den Worten zeigen: ''Das ist das'' (''besagte'') ''sandige Stück''. Noch leiser ist die Bestimmung angedeutet, wenn es heißt: ''Sie gingen ledig aus, denn sie waren die Verführten, er der Verführer'', wie ''Verführer'' und ''Verführte'' immer zueinander gehören. Daß dagegen mit ''zu'' und ''für'' eingeführte Aussagewörter ohne jede solche Rücksicht in der Einzahl ausnahmslos mit dem Artikel erscheinen, ist sprachlich wohl fein und sinnig darin begründet, daß die Stellung, zu welcher jemand kommt, als das bestimmte Ziel, und daß der, welcher für den und den erklärt, gewählt usw. wird, immer als der $Seite 124$ einzelne Stellvertreter (eigentlich Fürtreter) aufgefaßt wird. Es ist also gleich französelnd, wenn Schiller schreibt: ''euch zu Erbin erklären'', und Zschokke: ''man hielt den Mann für Haupträdelsführer''. Ebenso kann in einem Satz wie dem folgenden in Sybels Weltgeschichte der Kunst: ''Glänzendes Beispiel aufgeregter Gestalten sind die Rossebändiger auf dem Monte Cavallo'' nicht von der Zugehörigkeit dieses Subjekts zu einer Gattung, einem Ganzen die Rede sein.
Mit Recht kann der Unterschied zwischen den Aussagehauptsätzen einer- und den fragenden und begehrenden andrerseits nur darin gefunden werden, daß in jenen irgend ein Satzteil, in diesen keiner vor dem Zeitwort steht. Nur diese Auffassung kann zu der Einsicht führen, daß sich die Stellung in allen Sätzen — etwas anders sind auf bloße Nomina zusammengezogene, also rein begriffliche Ausdrücke — nach einem einzigen Grundsatze erklärt, soweit nicht Rücksichten auf den Wohllaut oder das Streben, den Satz durch die am engsten zusammengehörigen Teile der Aussage zu umschließen, kleine Abweichungen hervorrufen; dieser Grundsatz aber ist darin begriffen, daß, unserm Denkvermögen- entsprechend, von dem unserm Bewußtsein am nächsten Liegenden fortgeschritten wird zu den begrenzenden, einengenden neuen Bestimmungen. Nur deshalb steht im Fragesatze, wenn die Tatsache selber fraglich ist (Satzfrage), das Zeitwort an der Spitze (''Hast du das getan?''), in Fragen, die nur auf einen Begriff abzielen, dagegen das nur auf diesen abzielende Fragewort (Wortfragen: ''Was hast du getan?''). Eben darum tritt in Wunschsätzen, in denen der Ausdruck des Wunsches allein im Zeitwort liegt, dieses an die Spitze (''hättest du doch dies nicht getan!'') während in solchen, in denen er durch eine Partikel angedeutet wird, diese vorangeht und dann die gewöhnliche Stellung je nachdem des Haupt- oder Nebensatzes bleibt (''Wie wollte sie den zu Tode gehetzten hegen und pflegen! — Wenn du doch dies nicht getan hättest!'') Was Wunder also, daß auch im Aussagesatze stets der psychologisch am nächsten liegende Begriff vorangeht? Diese Erkenntnis der einheitlichen Regelung der Wortstellung für alle Sätze läßt zugleich den weiteren Satz hinfällig erscheinen, den die Lehrer „von der Umkehr" an ihren Haupt- und Grundsatz anhängen, daß im Nebensatze das Subjekt der nächste Satzteil hinter dem Bindewort oder dem nicht im Nominativ stehenden Fürworte sei, der ja auch oben durch Beispiele hinreichend widerlegt wird. Überhaupt hebt diese Einsicht die vom Standpunkt der heutigen Sprache ungebührliche Bevorzugung des Subjekts vor den übrigen Satzteilen auf, und indem sie dafür den Begriff des psychologisch nächstliegenden Satzteiles einrückt, gewährt sie die Möglichkeit, über die Stellung aller Satzteile, das Zeitwort, den Satzhalter und -träger ausgenommen, nach einem einzigen unserm Denkvermögen entnommenen Grundsatze zu entscheiden.
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Möglichst einheitliche Rechtschreibung verlangen wir heute mit Recht; frühere Jahrhunderte dachten darüber anders, und Goethe hat sich zeitlebens einer recht mangelhaften, dazu schwankenden Schriftform bedient. Die deutsche Rechtschreibung ist viel vernunftgemäßer als die französische oder gar die englische, und Jakob Grimm hatte großes Unrecht, zu klagen: ,Mich schmerzt es tief, daß kein Volk unter allen, die mir bekannt sind, heute seine Sprache so barbarisch schreibt wie das deutsche'. Bis auf unwesentliche Einzelheiten ist die heutige deutsche Rechtschreibung brauchbar, und bei dem großen Wert der Einheitlichkeit muß der Einzelne sich mit ihr bescheiden und darf sich eine Abweichung nur gestatten, wenn dadurch ein offenbarer Vorteil für das schnellere Verständnis erreicht wird, denn dieses steht noch höher als die Gleichheit der äußern Form. Zum Glück hat sich die Auffassung von der Schwere ,orthographischer Fehler' sehr gemildert, und mag die Schule mit Fug auf straffe Zucht auch in solchen Äußerlichkeiten halten, das vielgestaltige Leben fordert und rechtfertigt ein gewisses Maß heilsamer Freiheiten. Der Duden ist ein oft nützliches Nachschlagebuch, aber es darf nicht zum starren Strafgesetzbuch werden oder gar amtliche Vorschriften treffen, die überhaupt nicht zur Rechtschreibung, sondern zur Sprachlehre über Wortschatz, Wortform und Wortbeugung gehören. Es ist nicht wahr, daß die einzig oder eigentlich richtige Form ''gerade'' ist; wir alle sprechen ''grade'', und keiner, der dieser Sprachform gemäß schreibt, begeht einen Fehler. Die Frage, ob es ''adlich'' oder ''adlig'' heißt, ist keine Schrift-, sondern eine Sprachfrage, und die strenge Schreibvorschrift: nur ''adlig''! bindet wohl Schüler, nicht reife Schreiber, die sich bewußt sind, daß sprachgeschichtlich ''adlich'' richtiger wäre, und die selber, wie viele andre, noch ''adlich'' (''adelich'') sprechen und hören. Ähnliches gilt von Formen wie ''andre'' oder ''andere'' (vgl. S. 12), ''vollkomm-' '$Seite 84$ ''ner'' oder ''vollkommener, heitrer'' oder ''heiterer, muntrere'' oder ''munterere''. Das Sprechen entscheidet, der Mund ist der Richter, nicht die Feder.
Das Streben, die großen Anfangsbuchstaben streng auf die ,eigentlichen' Hauptwörter zu beschränken, läßt die amtliche Rechtschreibung jedes auf den Grenzgebieten der Redeteile stehende Wort, so namentlich das in umstandswörtlichen Ausdrücken, klein schreiben. Ein Schreiber, der Wendungen wie ''im Reinen, zum Mindesten, aufs Äußerste'' nicht als Umstands-, sondern als Hauptwörter empfindet, der also noch etwas mehr als eine dürre Formel dabei sieht, darf sie getrost mit großen Anfangsbuchstaben schreiben, ohne einen ,Fehler' zu begehen. Ich hatte jüngst den Satz Friedrichs des Großen abzuschreiben: ,Mit dem festen Willen, Allen Maulschellen zu geben, die sich in den Weg stellen ..', fand in der amtsrichtigen Quelle ''allen'', änderte es bewußt in ''Allen'', weil ich selbst das noch so kurze Mißverständnis: ''allen Maulfschellen'' (etwa zu ergänzen: ''vorzubeugen, aus dem Wege zu gehen'') nicht aufkommen lassen wollte. Dieselbe Rücksicht übe ich bei mehrdeutigen Fügungen mit ''viele, andre, einige'', etwa in einem Satze mit ''andrer Fehler'', wo je nachdem ''Andrer'' zweckmäßiger sein kann. Ich schreibe aus gutem Grunde: ''Ich kümmre mich nicht um Andrer Meinung'', und ich würde in den Versen: '',Du nennst das Götterwort, was dir im Herzen schlägt?' Das'' drucken lassen, denn so hat der Dichter es gemeint, so hat er's gewiß niedergeschrieben, und nur so kann es ohne zweimaliges, dreimaliges Lesen richtig verstanden werden. Nach Duden darf nur ''das'' geschrieben und gedruckt werden.
Ordnung und Einheitlichkeit sind notwendig; darum aber nicht auch die peinliche Kleinigkeitskrämerei. Es liegt wirklich nichts daran, ob ''Lorber'' oder ''Lorbeer'' geschrieben wird. Die Wenigsten werden es ohne Nachschlagen sofort wissen, und von vielbeschäftigten Schreibern ist kaum zu verlangen, daß sie um einer meist nur vermeintlichen Richtigkeit willen in recht gleichgültigen Fällen, zumal bei nicht echtdeutschen Wörtern, ein Wörterbuch befragen. — Aber wie steht es mit ''gleichgültig''? Ist nicht am Ende ''gleichgiltig'' richtiger? Hier, bei einem wichtigen ganzdeutschen Worte, handelt sich's nicht um etwas Gleichgültiges, nicht um Schreib-, sondern um Sprachform, und es lohnt nachzuschlagen, um zu $Seite 85$ erfahren, daß ''gleichgültig'' herkommt von einer fast verschollenen ''Gülte'': ''Schuld, Jahrzins'', und daß es von jeher nur ''gültig'' (''preiswert, teuer, wert'') geheißen hat.
Sorgsamkeit in höchsten Ehren, darum aber keine Federfuchserei. Der größte Verehrer Goethes darf dessen Namen ruhig so schreiben, wie der Dichter ihn sehr lange selbst und grade in seinen jungen Schöpferjahren geschrieben hat: ''Göthe''; und die peinliche Ängstlichkeit, den Rechtschreibungszopf des ''ck'' in Winckelmanns Namen nur ja nicht anzutasten, ist um so weniger berechtigt, als beide Formen von Winkelmanns Hand vorliegen. Dagegen hat Bismarck seinen Namen stets mit ''ck'' geschrieben; also haben wir es ihm nachzuschreiben gegen unsre Überzeugung von der Entbehrlichkeit des ''c''.
Sprachwidrige Klauberei verführt manchen, ''sechszehn, sechszig'' zu schreiben. Das ist falsch, denn die Sprech- und Sprachform lautet nur ''sechzehn, sechzig''. Wir haben nicht zu vernünfteln, sondern uns der Sprache zu fügen. Es heißt ja auch nicht ''dreizig'', sondern ''dreißig''.
In Wörtern wie ''Roheit, Rauheit'' soll nur ein ''h'' geschrieben werden, denn das genügt. ''Gespinst, Gewinst, gesamt, selbständig, verleumden'' (wie ''Leumund'', nicht mit ''äu''), ''Sprichwort'' (nicht ''ü''), ''tödlich'' (nicht ''tötlich''), ''Bewandtnis, Feme'' (ohne ''h''), ''Feste'' (nicht ''Veste'') — lauter zu beachtende Einzelfälle.
In Briefen ''du, dir, dein, ihr, euch, euer'' groß zu schreiben, ist unnötig; wen aber sein Herz dazu treibt, der begeht noch keinen groben Fehler. ''Eure Exzellenz, Eure Majestät'' (aber nicht ''Euer Exzellenz''!) verstehen sich wohl von selbst; in solchen Fällen schreiben auch die Völker mit sonst ganz andrer Schriftform den Großbuchstaben.
Die amtliche Schreibung fordert ''überschwenglich''; ich bekomme das für mich nicht aus der Feder, denn ich fühle den unbezweifelten Zusammenhang mit ''Überschwang'' und schreibe ''überschwänglich''. Ebenso ''Säckel'' und ''Säckelmeister'', wie es vor der verbesserten Rechtschreibung durchweg hieß und noch heißen muß. ''Weismachen'' ist richtig, ''weißmachen'' falsch: es hat nichts mit ''weiß'', sondern nur mit ''weise, wissen'' zu tun, so gut wie ''weissagen, Weistum''. ''Faulenzen'' muß es heißen, nicht etwa ''faullenzen'': der ''Lenz'' hat mit dem Worte nichts zu schaffen.
Ob ''hocherfreut, tiefgerührt'' oder ''hoch erfreut, tief gerührt'', entscheidet sich für Beiwörter besser nach dem Gefühl als $Seite 86$ nach einer Regel; je nachdem solche Fügungen als lose oder feste Zusammensetzung empfunden werden, gestaltet sich die Schriftform. Aber natürlich nur: ''Ihr Brief hat mich hoch erfreut und tief gerührt''.
Feine Unterscheidungen zwischen Groß und Klein in: ''zur Not, in Nöten, das ist vonnöten, eins tut not gehen zu weit''. Ich fühle in allen Anwendungen den Inhalt des Urwortes, es bleibt für mich das Begriffswort ''Not'', und ich schreibe ''von Nöten, . . tut Not, . . ist Not, . . wird Not''. Will aber keinem seinen Glauben an das vermeintlich Richtigere rauben.
Darf man ''Schweizerkäse'' schreiben? Man darf es, denn — die Meisten schreiben längst so. Daraus folgt aber nicht, daß man ''Wienerschnitzel'' schreiben darf. ''Schweizerkäse'' ist eine selbständige feste Zusammensetzung geworden, wie schon die Betonung des ersten Gliedes zeigt; ''Wiener'' vor ''Schnitzel'' wird noch als Beiwort gefühlt. Aus dem gleichen Grunde nur ''Holländer Käse'', aber — ''Böhmerwald'' (mit dem Ton auf ''ö'').
Wie schreibt man am vernünftigsten ''Kaiserwilhelm-straße''? Nicht so, auch nicht ''Kaiser Wilhelmstraße'', ebensowenig ''Kaiser Wilhelm-Straße''; vielmehr nur ''Kaiser-Wilhelm-Straße''. Die Schwierigkeit ist künstlich geschaffen: solche Namengebungen sind eben an sich ungeschickt; da sie jedoch immer wieder vorkommen, so hilft uns nur die Bindestrichelei aus einer Verlegenheit, in die wir uns selbst gebracht. Allerdings heilen noch so viele Bindestriche nicht die Unnatur einer Gedenktafelschrift: ''Generalfeldmarschall-Prinz-Friedrich-Karl-von-Preußen-Eiche'', — die es wahr und wahrhaftig in der Nähe Berlins gibt!
Bei Straßennamen ist zu unterscheiden zwischen zusammengesetzten Hauptwörtern und den Fügungen aus Beiwort und Hauptwort. Es muß geschrieben werden: ''Goethestraße, Schillerplatz, Wilhelmsplatz, Spittelmarkt''; aber ''Dresdener Straße, Leipziger Straße, Bayrischer Platz, Hackescher Markt'' (vgl. S. 73).
Niemand schreibt zwischen gewöhnlichem Stammhauptwort und ''s'' des Zweitfalls ein Häkchen, etwa ,''des Deutschen Reich's' ''; manche halten es aber für nötig, zu schreiben: ''Lessing's, Goethe's, Friedrich's des Großen''. Es gibt nicht den geringsten vernünftigen Grund zu solcher Häkelei, auch nicht den, $Seite 87$ daß man den Eigennamen buchstäblich genau herausschälen müsse. Das ist auch ohne Häkchen gesichert, denn daß ein ''s'' am Schlusse von Eigennamen den Zweitfall bezeichnet, nicht zum Stammwort gehört, ergibt sich stets aus dem Zusammenhang. — Ganz allgemein: so wenig wie möglich Häkchen! Wir werden von ihnen noch an andrer Stelle zu reden haben (S. 327).
Über die Rechtschreibung der Fremdwörter verweise ich auf meine ,Entwelschung'. Die Schriftform der ewig fremdbleibenden Welschereien kommt für meine Leser nicht in Frage, denn ich rechne nur auf solche, die Deutsch schreiben wollen. Für die Halblehnwörter gilt die Schreibregel: so deutsch wie möglich; also ''Schokolade, Rasse, Trasse, Konzert, Elefant, Tron''. Da, wo man aus irgendwelchen Gründen zum Hinschreiben eines Welschwortes gezwungen ist, gleichfalls so deutsch wie tunlich: ''Fassade, Akzent, Scharlatan, Schimäre, kulant, Klischee''. Und wenn in Deutschland, abweichend von Österreich, amtlich noch auf ''ph'' in griechischen Wörtern Wert gelegt wird, so schreibe man wenigstens nicht zwei ''ph'', auch nicht peinlich ''ph'' da, wo schon Versuche mit ''f'' geglückt sind, also: ''philosofisch, Photografie, Stenografie''. Aber auch gegen ''Geografie'' wird heute kaum noch Widerspruch laut. Die Italiener schreiben längst kein ''ph'' mehr, und es nimmt Wunder, daß die Franzosen es tun.
Über die deutsche Wiedergabe fremder Eigennamen wurde schon gesprochen. Was soll man dazu sagen, daß auf deutschen Landkarten wildfremder Länder nicht die deutsche, sondern die englische oder französische Schreibung steht! Der Kleine deutsche Kolonialatlas, veranlaßt von der Deutschen Kolonialgesellschaft, vermutlich von deren Centralcomité, druckt ''Tombouctou'' für ''Timbuktu'', ''Sénégal'' und hundert andre Französeleien. Auf vielen deutschen Karten nichtenglischer Besitzungen stehen alle Eigennamen in der tollen englischen Schreibung, deren Aussprache den meisten deutschen Lesern unaussprechbar bleibt. Die deutschen Käufer der in Deutschland hergestellten Kartenwerke sollten sich dergleichen Würdelosigkeiten nachdrücklich verbitten. Das würde helfen; noch so scharfe Rügen in Büchern wie diesem helfen nichts.
Endlich die heißumstrittene Frage: deutsche oder lateinische Druckschrift? Daß die deutsche nicht deutschen Ursprungs ist, die lateinische einst die gemeinsame Schrift aller $Seite 88$ europäischer Völker war, entscheidet nicht. Tatsächlich wird die in den Deutsch sprechenden Ländern vorherrschende deutsche Schrift in Deutschland für eine uns eigentümliche angesehen, und als die gilt sie auch den fremden Völkern. Der zumeist angeführte Grund, wir sollten es dem Auslande leichter machen, unsre Sprache zu lernen, indem wir uns der Lateinschrift bedienten, ist der allerletzte, der geltend gemacht werden dürfte. Die überwältigende Schlammflut der Feindschaft, des Hasses, der grundlosen gemeinen Verleumdung, die sich in vier blutigen Jahren über Deutschland ergossen hat, sollte uns endlich gelehrt haben, daß man sich die Neigung oder nur Achtung der Völker nicht durch Anbiedern und Liebedienern erwirbt. Nur völkische Gründe, nicht Rücksichten auf das Ausland haben in dieser Frage mitzusprechen. Wir stehen so hoch, daß wir keinem Fremden, der ja fast immer zugleich der gehässige Feind ist, entgegenzukommen, geschweige nachzukriechen brauchen. Wer den Zugang zur Sprache und zum Schrifttum des Deutschen sucht, der tut das um seiner selbst willen, und wir haben uns oder ihn nicht zu fragen, ob er uns etwa damit einen Gefallen erweisen will. Daß ihm der Zugang durch eine Schrift erschwert werde, die der Lateinschrift viel näher steht als die griechische, die russische, die arabische, die alle noch keinen gehindert haben, Griechisch, Russisch, Arabisch, Türkisch, Persisch zu lernen, ist nicht wahr. Wer es mit dem Erlernen der deutschen Sprache ernst nimmt — und nur solche Sprachschüler bedeuten etwas für das Machtgebiet unsrer Sprache —, der wird nicht um einen Tag durch das Erlernen der deutschen Druckschrift aufgehalten, denn er kennt sie, ohne sie je eigens gelernt zu haben: die englische wie die französische Zierschrift, z. B. in den Titeln der Times und des Temps, ist die deutsche. Es ist sogar sicher anzunehmen, daß die Wertschätzung des Besitzes der deutschen Sprache bei den Fremden wächst im Verhältnis der besiegten Schwierigkeiten, und die deutsche Schrift ist deren geringste.
Im übrigen aber wiederhole ich hier das schon anderswo von mir Gesagte: In welcher Schriftform die Bücher und Zeitungen in Deutschland gedruckt werden, ist so lange eine ganz gleichgültige, ja lächerliche Frage, wie die allermeisten Bücher und Zeitungen in fremdwörtelndem Welsch geschrieben werden. Man verschiebe die Entscheidung über ,''Fraktur' '' oder $Seite 89$ ,''Antiqua' '' bis zu dem Tage, wo nur Deutschgeschriebenes in Deutschland gedruckt werden soll. Bis dahin aber drucke man alle Welschwörter, also die ungefähr 20 von je 100 Begriffswörtern, in der ihnen gebührenden lateinisch-griechischen Mengselschrift, um endlich die Form dem Inhalt anzugleichen. Vielleicht lernen dann die Schreiber und Leser durchs Auge, was sie durchs Ohr zu lernen offenbar unvermögend, durchs Ehrgefühl zu begreifen abgestumpft sind: daß das Sprachgewand der meisten deutschen Bücher, fast aller wissenschaftlichen und sich mit Kunst abgebenden, eine Narrenjacke ist. Oder glaubt jemand, daß z. B. Kanzlerreden über ''deutsche Démarchen, reale Garantien, Désintéressement'' usw. dadurch deutsch werden, daß man diesen Welschereien die Ehre deutscher Druckschrift antut?
Vorher aber sollte man schon aufräumen mit der gedankenlos vererbten Gewohnheit, römische Zahlen auf Zifferblätter, hinter Fürstennamen usw. zu setzen. Die hohen römischen Ziffern liest selbst der Gebildete nur schwer, und Benennungen wie ''Ludwig XVIII., Karl IX.'' sind dem Ungebildeten unverständlich. Also ''Ludwig 14.'' und selbst ''Wilhelm 2''. Wieviel Unterscheidungszeichen man in Zahlentafelwerken anwenden will, hat hiermit nichts zu tun.
Erstaunlich ist die Fülle und Mannigfaltigkeit in unsrer Wortbildung, noch erstaunlicher die Sicherheit des Sprachgefühls, mit der sie doch im allgemeinen gehandhabt und durch gute und richtige Neubildungen vermehrt wird. Doch fehlt es auch hier nicht an Mißverständnissen und Verirrungen.
Im Volksmund ist es seit alter Zeit üblich, zur Bezeichnung von Männern dadurch Substantiva zu bilden, daß man an ein Substantiv, das eine Sache bezeichnet, oder an ein andres Nomen die Endung ''er'' hängt. In Leipzig sprach man im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert nicht bloß von ''Barfüßern'', sondern nannte auch die Insassen der beiden andern Mönchsklöster kurzweg ''Pauler'' und ''Thomasser'', und im siebzehnten Jahrhundert die kurfürstliche Besatzung der Stadt ''Defensioner''. Dazu kamen später ''die Korrektioner'' (die Insassen des Arbeitshauses) und ''die Polizeier'', und in neuerer Zeit ''die Hundertsiebner, die Urlauber, die Sanitäter, die Eisenbahner'' und ''die Straßenbahner''. Im Buchhandel spricht man von ''Sortimentern'', in der gelehrten Welt von ''Naturwissenschaftern'' und ''Sprachwissenschaftern'', in der Malerei von ''Landschaftern'', und in der Politik von ''Reformern, Sozialreformern'' und — ''Attentätern''!//* ''Apotheker'' und, was man im Volke auch hören kann, ''Bibliotheker'' ist anders entstanden, es ist verstümmelt aus ''apothecarius'' und ''bibliothecarius''. Sprachdummheiten. 3. Aufl.// Da manche dieser Bildungen unleugbar einen niedrigen Beigeschmack haben, der den von Verbalstämmen gebildeten $Seite 66$ Substantiven auf ''er'' (''Herrscher, Denker, Kämpfer'') nicht anhaftet, so sollte man sich mit ihnen recht in acht nehmen. In ''Reformer'', das man dem Engländer nachplappert, liegt unleugbar etwas Geringschätziges im Vergleich zu ''Reformator''; unter einem ''Reformer'' denkt man sich einen Menschen, der wohl reformatorische Anwandlungen hat, es aber damit zu nichts bringt. Noch viel deutlicher liegt nun dieses Geringschätzige in den Bildungen auf ''ler'', wie ''Geschmäckler, Zünftler, Tugendbündler, Temperenzler, Abstinenzler, Protestler, Radler, Sommerfrischler, Barfüßler, Zuchthäusler''; deshalb ist es unbegreiflich, wie manche Leute so geschmacklos sein können, von ''Neusprachlern'' und von ''Naturwissenschaftlern'' zu reden. Eigentlich gehen ja die Bildungen auf ''ler'' auf Zeitwörter zurück, die auf ''eln'' endigen, wie ''bummeln, betteln, grübeln, kritteln, sticheln, nörgeln, kränkeln, hüsteln, frömmeln, tändeln, anbändeln, sich herumwörteln, näseln, schwäbeln, französeln''. So sehen ''Neusprachler'' und ''Naturwissenschaftler'' die Zeitwörter ''neuspracheln'' und ''naturwissenschafteln'' voraus; das wären aber doch Tätigkeiten, hinter denen kein rechter Ernst wäre, die nur als Spielerei betrieben würden. An ''Künstler'' haben wir uns freilich ganz gewöhnt, obwohl ''künsteln'' mit seiner geringschätzigen Bedeutung daneben steht, auch an ''Tischler'' und ''Häusler''.
Da das Sprachgefühl für die Wunsch-, Befehls- und auch die selbständigen Fragesätze die richtige Stellung der Hauptsatzteile, Subjekt und Prädikat, wohl ausnahmslos trifft, gilt es hier nur das Gesetz zu erörtern, das heute im allgemeinen die Stellung dieser Satzteile in den aussagenden Haupt- und den konjunktionalen, relativen und interrogativen Nebensätzen beherrscht. Im Hauptsatze nimmt die gebeugte Form des Zeitwortes (das finite Verb) die zweite Stelle ein — gedeckte Spitzenstellung sagt Braune —, und zwar wenn es eine einfache Form ist, in dieser seiner Ganzheit:
''Das Gewitter droht schon mehrere Stunden''; wenn es dagegen aus
mehreren Formen zusammengesetzt ist, nur in dem die Person zum Ausdruck bringenden Teile, dem sogenannten finiten Verb, während der andere Teil an den Schluß des Satzes tritt; dieser zweite Teil kann aber sein ein Mittelwort: ''Ein Schadenfeuer hat vorige Nacht mehrere Gehöfte unseres Dorfes eingeäschert''; eine Nennform: ''Der Hagel wird unsre Landleute leider um den Lohn ihrer Mühe gebracht haben'' oder: ''Der Kaiser möchte gern alle Untertanen beglücken''; ein stehend mit dem Zeitwort verbundenes Nomen oder ein trennbar damit zusammengesetztes Adverb: ''Er leistete der Aufforderung nur ungern Folge. Ich stelle dir hiermit meinen alten Jugendfreund vor''; endlich auch ein prätikatives Haupt- oder Eigenschaftswort: ''Wir sind seit unsrer Schulzeit gute Freunde eng befreundet''.
Die Nebensatzform weist hiergegen nur eine durchgehende Änderung auf: dem an seine Spitze tretenden Für- oder Bindewort entsprechend tritt das finite Verb gewöhnlich an den Schluß und schließt sich dort mit den im Hauptsatze von ihm getrennten weiteren Bestandteilen des Prädikats zu einer mehr oder minder engen Einheit in der Weise zusammen, daß diese Bestandteile unmittelbar davor treten: ''da das Gewitter schon mehrere Stunden droht ..... daß ein Schadenfeuer vorige Nacht mehrere Gehöfte unseres Dorfes eingeäschert hat. — Die Überzeugung, daß der Kaiser gern alle Untertanen beglücken möchte. — Gestatte, daß ich'' $Seite 386$ ''dir meinen alten Jugendfreund vorstelle — da wir seit unserer Schulzeit immer gute Freunde geblieben sind''.
Ehedem//1 Über das allmähliche Werden des heutigen Systems vgl. bes. Wunderlich, Umgangssprache (S. 257 ff.); Braune, Zur Lehre von der deutschen Wortstellung, in der Festgabe für R. Hildebrand (S. 24 ff.): O. Behaghel, Zur deutschen Wortstellung, Wissensch. Beihefte 17 und 18 zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (1900), S. 233—251.// war im Haupt- wie Nebensatze größere Freiheit der Stellung möglich. Man darf sich demgegenüber auf der einen Seite freuen, wie einfache Mittel unsre Sprache — und sie allein von allen — in diesen Stellungsveränderungen gefunden hatte, um einmal Haupt- und Nebensatz auch äußerlich deutlichst voneinander zu scheiden und das andre Mal jede Satzart als ein in sich geschlossenes Ganzes darzustellen; umschließt doch einmal das finite Verb und der andere Bestandteil des Prädikats, dann wieder die Nebensatzeinleitung und die gesamte Satzaussage die andern Satzteile. Die Prosa unserer Klassiker zeigt denn auch fast durchgehend diese Regelung.
Ein besonders fruchtbarer Boden für das Wuchern falscher Neubildungen und vollständiger Entartungen sind die sogenannten Zusammenbildungen wie ''vielgipflich, zweischläfrig, schiefbeinig, grundständig, weitlandig'' (Trentini); ''breitschulterig, leichtsohlig'' (Federer), ''viel-, gemischtsprachig, dreißigpferdige Maschine, mehrreihige Hindernisse''. Diese Bildungen sind weder Ableitungen von Zusammensetzungen — denn es gibt keine Zusammensetzung ''Gemischtsprache, Dreißigpferd'' u. dgl. — noch unmittelbare Zusammensetzungen; denn auch selbständige Wörter wie ''beinig, sprachig'' gibt es gar nicht oder doch nicht in dem von der Neubildung geforderten Sinne. Es sind vielmehr Ableitungen von ganzen Wortgefügen, deren Sinn sie auch festhalten, und so geläufige Wörter wie ''Hofhaltung, Hutmacher'', ''breitspurig'' zeigen, daß der Sprache hier an sich ein glückliches Mittel zu reichen Neubildungen zu Gebote steht.
Von präpositionalen Fügungen lassen sich vor allem Eigenschaftswörter bilden, wenn eine wirkliche formelhafte Fügung zugrunde liegt, wie bei ''außereuropäisch, vor-, nachchristlich, vor-, nachbörslich, überseeisch, untermeerisch, aushausig, außerkünstlerische und -wissenschaftliche Kreise, vorsteinzeitlich, voreinzelsprachlich, Hinterwäldler'', oder wenn sich die neue Bildung an ein einfaches abgeleitetes Eigenschaftswort anlehnen kann und hierdurch als eine Art Partikelkomposition erscheint (vgl. § 25), wie z. B. ''vorweltlich, vorsündflutlich, vormärzlich''. Selbst ''vor-, außerschulische Einflüsse'' hat sich im Anschluß an ''Vorschuljahre'' u. ä. durchgesetzt; und das einfache ''schulisch'' folgte nach. Ohne wenigstens eine solche Beziehung, welche die Verschmelzung fördert, sind dagegen Bildungen, durch welche die zugrunde liegende Fügung zugleich des Geschlechtswortes und des Kasuszeichens beraubt wird, hart und gewaltsam; und die folgenden Ausdrücke verdienen mit vielen gleichartigen gemieden zu werden: ''vorkrachlich, eine über achtmonatliche Reise, nachösterliche Arbeiten des Landtages, ein mittelaltriger Mann'' statt: ''ein Mann von mittlerem Alter'' und gar auch ''ein dunkelschreckvolles Erwachen''. Die Krone aller von syntaktischen Verbindungen herkommenden Bildungen, unter deren Glänze besonders die Kanzlei- und Zeitungssprache einherstelzt, sind die ganz jungen, immer schwerfälligen Substantivierungen vor allem verbaler Wendungen mit ihren ganzen Prädikativen und Adverbialen: ''Selbstinzuchtnahme, (In)betrachtnahme, Prosklavereipartei'', zumeist aber auf $Seite 29$ ''-ung'': ''Instand-, Inruhestand-, Inanklagezustandversetzung, In- und Außerbetriebsetzung, Zurannahmebringung, Zurdispositionsstellung, Verächtlichmachung''; und als Ungeheuerlichstes: ''er beantragt den Posten in Wegfallstellung zu bringen''. Um die ganze Unbeholfenheit solcher Zusammenschiebungen zu erkennen, muß man sie mit solchen wirklichen Zusammensetzungen wie ''Kreiseinteilung Preußens'' = ''die Einteilung Preußens in Kreise'' vergleichen, deren Kraft, auch ein präpositionales Verhältnis durch eine bloße Stamm- und Wortform zu ersetzen, ihnen ganz abgeht. Über die Quelle dieser Wortungetüme vgl. mehr § 261.
Außer den bisher gegebenen Sonderbestimmungen hilft der Frage gegenüber, wie beim Zusammentreffen des Subjekts und Objekts oder des Objekts mit einem oder mehreren Adverbialen derselben oder verschiedener Art zu ordnen sei, immer wieder der eine grundlegende Satz: in dem sich erst bildenden Urteile des Satzes nimmt das Gegebene, Bekannte, Vorausgesetzte die frühere, das Bestimmende, Einengende, Neue die spätere Stelle ein. Von den Mitteln abgesehn, die die Sprache dafür gefunden hat, Haupt- wie Nebensatz als ein in sich geschlossnes Ganzes aufzubauen, fußen in letzter Reihe alle Bestimmungen über die Wortfolge auf jener Grundlage. Die Personenergänzung tritt heran, da sie uns früher interessiert, indem wir zu wissen wünschen, wen eine Handlung angeht, ehe wir sie sich vollziehn sehn. Unbedeutsame Fürworter und überhaupt schwach betonte Satzteile rücken auch nur deshalb vor und möglichst vom Ende weg, weil sie keine wichtigeren unterscheidenden neuen Umstände hinzufügen. Nur eine besondere Anwendung desselben Grundsatzes ist auch die übliche. aber nicht anfängliche Regel, daß adverbiale Bestimmungen den Objekten, unter den Adverbialen wieder Zeit- und Ortsbestimmungen, und zwar, wenn alle Arten zusammentreffen, in dieser Reihenfolge den Bestimmungen der Weise vorangehn. Wissen wir doch, daß wir und andere immer innerhalb einer gegebenen Zeit leben und gelebt haben, und fragen deshalb nach ihr weniger als nach dem Orte, der sich mannigfaltiger bestimmen kann. Weiter aber muß ein Rahmen der Zeit und des Raumes immer entweder gegeben sein oder gegeben werden, ehe wir urteilen können, wie in diesem Rahmen eine Handlung ausgeführt werde oder worden sei. Man nehme z. B. den Satz: ''Man wohnt besonders im Sommer auf dem Dorfe gesünder als in der Stadt''; es ist klar, daß sich die Tatsache, daß man im Sommer auf dem Dorfe wohnt, wie von selbst und viel eher ergibt, als man das besondere, aus jener Tatsache erst gewonnene Urteil über die Art des Wohnens fällen kann.
Diese Regel genügt, um in vielen Sätzen aus allen Arten der Darstellung den Fehler zu erkennen. Statt zu sagen: ''Der 28. Mai 1875 wird stets'' oder ''Stets wird der 28. Mai 1875 in den Annalen der Kriegsflotte Deutschlands mit Ehren genannt werden'', hat ein Seeoffizier geschrieben: ''Mit Ehren wird der 28. Mai 1875 in den Annalen der Kriegsflotte Deutschlands stets genannt werden''; doppelt lahm, indem im Ausdrucke wie in der Sache das Vollere und Besondere vorweggenommen ist; denn das Wichtige, Neue liegt in dem Urteile, daß der Tag mit Ehren genannt werden wird. E. Bauer läßt in der Tägl. Rundschau seinen Helden überlegen: ''Er hatte Herz und Gefühl viel zu sehr in der letzten Zeit mitsprechen lassen'' statt: ''in letzter Zeit viel zu sehr'', und ähnlich falsch der Verfasser einer Novelle ebenda: ''Er bedauerte, daß er dienstlich noch einmal heute'' $Seite 400$ (statt: ''daß er heute noch einmal dienstlich'' oder ''daß er dienstlich heute noch einmal'') ''zur Stadt müsse.''
Die Anreihung eines Hauptsatzes an einen Nebensatz, mit oder ohne Bindewort, ist am häufigsten nach einem Relativsatze. Und so gewiß wir an Stelle eines zweiten kurzen und dem ersten ähnlich gebauten Relativsatzes, vollends wenn sich an ihn keine weiteren Sätze reihen, heute nicht mehr einen Hauptsatz treten lassen dürfen, so unbedenklich dürfen wir der Natürlichkeit und gefälligeren Fortsetzung halber an der zweiten Stelle einen Hauptsatz eintreten lassen, wenn nur der Inhalt des zweiten Satzes überhaupt oder doch für die Fortführung des Gedankens das Wichtigere ist. Wie in der geistesverwandten griechischen Sprache strebt eben auch in der deutschen die Satzfügung aus der Unterordnung immer wieder zur Selbständigkeit. So ist der Satz Schleiermachers so gut deutsch wie griechisch: ''Er hat einen verständigen Vater, welcher reich geworden ist nicht durch Ohngefähr oder durch ein Geschenk wie Ismenias, sondern durch eigenen Verstand und Sorgfalt hat er den Reichtum erworben''. Ebenso ist Klopstock zur ursprünglichen Satzanreihung Homers zumal in dessen Gleichnissen zurückgekehrt, wenn er im Messias singt: ''Nikodemus Stand mit unverwendetem Antlitz. So wie ein Mann steht, der den Unterdrücker erduldet und in sich den Vorzug. Und die Erhabenheit seiner Tugend und Unschuld empfindet. Ernst ist in seinem Gesicht, tief in der Seele der Himmel''. Nicht minder schön schreibt Gabriele v. Bülow: ''Wie der Baum nicht bloß von den Wurzeln aufgenährt wird und gedeiht, sein Wipfel wiegt sich in den Lüften und so hoch er es vermochte, hat er hinaufgestrebt, und den gröberen Sinnen unbekannte Nährstoffe hat er dort eingesogen, so kommt mir der Künstler, jeder wahrhafte Künstler vor''. Dagegen stünde uns heute freilich der Satz Luthers: ''Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat und er hat daraus getrunken'', gewiß auf gleicher Stufe mit dem nimmer gutzuheißenden Schülersatze: ''Der Schwanz der Kuh, welcher lang und dünn ist, und am Ende hat er ein Haarbüschel'' .... Aber in dem Satze der Tgl. R.: ''Am politischen Himmel ist eine Wolke aufgetaucht, welche man in England und Amerika mit wachsender Beunruhigung beobachtet. Sie betrifft eine Frage, die an sich harmlos erscheint, nämlich das Recht zur Fischerei im Behringsmeer, aber durch die Art der Behandlung hat sie einen bedenklichen Anstrich gewonnen'', kann man das Auswachsen des letzten Relativsatzes zum Hauptsatze wieder kaum tadeln, da er den bis dahin wichtigsten Gedanken enthält: ''die Frage der Fischerei im Behringsmeer nimmt eine bedenkliche Wendung''. Wer wollte gar den Satz Jensens anders haben: ''Wer es vermag, komme dennoch um das'' $Seite 322$ ''Ende des Juli! Das Hochland ist eine Schöne, die wohl im Frühling als eine geschmückte Braut dasteht; doch ihr Hochzeitsgewand legt sie erst im Hochsommer an; sie weiß, daß die Sonne zu dieser Zeit am bereitwilligsten ist, bei ihrer festlichen Pracht behilflich zu sein''.
Ein schlimmer Fehler endlich, der sehr oft begangen wird, ist der, daß ein Relativsatz gebildet wird, wo gar kein Relativsatz hingehört, sondern entweder eine andre Art von Nebensatz oder — ein Hauptsatz. Wenn jemand schreibt: ''Harkort erfreute sich des Rufes eines bewährten Geschäftsmannes, der als Mitbegründer der Leipzig-Dresdner Eisenbahn rastlose Energie an den Tag gelegt hatte'' — so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft eines bewährten Geschäftsmannes angibt, sondern den Grund, weshalb Harkort in diesen Ruf kam; es muß also heißen: ''da er als Mitbegründer'' usw. Wenn jemand schreibt: ''das Steigen des Flusses erschwerte die Arbeiten, die mit größter Anstrengung ausgeführt wurden'' — so ist klar, daß der Relativsatz $Seite 130$ keine Eigenschaft der Arbeiten angibt, sondern eine Folge davon, daß der Fluß steigt; es muß also heißen: ''Sodaß sie nur mit größter Anstrengung'' usw. Nun vollends: ''kein Mittel vertreibt den Geruch, der wohl schwächer wird, aber immer bemerklich bleibt — das ersehnte Glück fand er in dieser Verbindung nicht, die nach drei Jahren wieder gelöst wurde — diese Gerätschaften verdienten besonders die Beachtung der Fachblätter, die sich die Veröffentlichung solcher kunstgeschichtlich bedeutenden Gegenstände zur Aufgabe machen sollten'' — solche Sätze erscheinen wohl äußerlich in der Gestalt von Relativsätzen, ihrem Inhalte nach aber sind es Hauptsätze. Es muß heißen: ''kein Mittel vertreibt den Geruch; er wird wohl schwächer, bleibt aber immer bemerklich — das ersehnte Glück fand er in dieser Verbindung nicht; sie wurde nach drei Jahren wieder gelöst''. Noch fehlerhafter sind folgende Sätze: ''die Meister sind das Ein und Alles der Kunst, die in ihren Werken und sonst nirgends niedergelegt und beschlossen ist — der griechische Staat verweigerte die Anerkennung der Schuld, die erst 1883 bezahlt wurde — Bestellungen auf das Deutsche Wörterbuch, welches auch lieferungsweise bezogen werden kann, werden in allen Buchhandlungen angenommen'' — oder gar: ''das Honorar beträgt jährlich 360 Mark, welches'' (!) ''in drei Terminen zu entrichten ist''. Hier überall ist der Relativsatz erstens an das falsche Wort angeschlossen und zweitens logisch falsch: er muß in einen Hauptsatz verwandelt werden.
Sehr vorsichtig muß man damit sein, einen Relativsatz hinter ein Hauptwort zu stellen, das ein Attribut mit einem zweiten Hauptworte (am häufigsten als abhängigen Genitiv) bei sich hat. Jedes der beiden Hauptwörter, das erste so gut wie das zweite, kann einen $Seite 124$ Relativsatz zu sich nehmen; es kommt nur darauf an, welches von beiden den Ton hat. Beide zugleich sind nie betont, entweder hat das tragende den Ton, oder das getragne, das im Attribut steht. Welches von beiden betont ist, ergibt sich gewöhnlich sofort aus dem Zusammenhange. Nur an das betonte Hauptwort aber kann sich der Relativsatz anschließen.
Es ist also nichts einzuwenden gegen Verbindungen wie folgende: ''mit zehn Jahren wurde ich in die unterste Klasse der Kreuzschule aufgenommen, der ich dann acht Jahre lang als Schüler angehörte — bezeichnend ist sein Verhältnis zum Gelde, das er stets wie ein armer Mann behandelte''. In diesen Fällen ist das Hauptwort des Attributs betont, der Relativsatz schließt sich also richtig an. Ob man nicht trotzdem solche Verbindungen lieber meiden sollte, namentlich wenn, wie in diesen Fällen, die beiden Hauptwörter gleiches Geschlecht haben, ist eine Frage für sich. Vorsicht ist auch hier zu empfehlen, denn ein Mißverständnis ist manchmal nicht ausgeschlossen. Unbedingt falsch dagegen ist folgender Satz: ''auch warne ich vor einer bravourmäßigen Auffassung der zweiten Variation, die dort gar nicht am Platze ist''. Es ist nämlich von den Variationen in einer Beethovenschen Sonate die Rede; die erste Variation ist besprochen, nun kommt die zweite. Betont ist also ''zweite Variation''. Da ist es klar, daß der Relativsatz nur heißen kann: ''die eine solche'' (nämlich ''eine bravourmäßige Behandlung'') ''gar nicht verträgt''.
Viel öfter kommt aber nun der umgekehrte Fehler vor: daß ein Relativsatz an das zweite Hauptwort angeschlossen wird, obwohl das erste den Ton hat. In den meisten Fällen — das ist das Natürliche in jeder logisch fortschreitenden Darstellung — wird das neu Hinzugekommne, das Unterscheidende, also das zu Betonende in dem tragenden Hauptwort liegen, nicht in dem Attribut. Wenn dann trotzdem an das Attribut ein Relativsatz gehängt wird, so entstehen so störende Verbindungen wie folgende: ''der Dichter dieses Weihnachtsscherzes, der vortrefflich inszeniert war — der Empfang des Fürsten, der um sieben Uhr eintraf — der Tod des trefflichen'' $Seite 125$ ''Mannes, der eine zahlreiche Familie hinterläßt — der Appetit des Kranken, der allerdings nur flüssige Nahrungsmittel zu sich nehmen darf — der linke Arm des Verschwundnen, der sich vermutlich herumtreibt — Flüchtigkeiten erklären sich aus dem körperlichen Zustande des Verfassers, dem es nicht vergönnt war, die letzte Hand an sein Werk zu legen — die folgenden Radierungen tragen schon den Namen des Künftlers, der inzwischen auch mehrere Bildnisse gemalt hatte — um den neuen Lorbeer unsers Freundes, der einen so tiefen Blick in das heutige Leben getan hat, mit Champagner zu begießen — eine Beschränkung der Korrekturlast, die wissenschaftlich gebildete Männer täglich stundenlang bei mechanischer Arbeit festhält — die Hochzeitstorte der Prinzessin Luise Viktorie, die einen Untertanen, den Herzog von Fife, heiratet — die Glanznummer der Wahrsagerin, die noch eine ziemlich junge Frau ist — nun wurde das Dach des Schlosses gerichtet, das man in wenigen Jahren zu beziehen hoffte''. Bei oberflächlicher Betrachtung wird mancher meinen, das Störende in diesen Verbindungen liege nur darin, daß die beiden Hauptwörter dasselbe Geschlecht haben, und deshalb eine falsche Beziehung des Relativsatzes möglich ist. Das ist aber nicht der Fall; es sind auch solche Verbindungen nicht gut wie: ''das letzte Werk des russischen Erzählers, der es seiner Freundin Viardot in die Feder diktierte — die lichtvollen Ausführungen des Redners, der durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen Vereine bekannt ist — weist nicht der Ursprung des Gewissens, das ein unveräußerliches Erbteil des Menschen ist, auf eine höhere Macht hin?'' Für wen der Satzbau noch etwas mehr ist als ein bloßes äußerliches Zusammenleimen, der wird auch solche Verbindungen meiden.
Oft sind solche falsch angeschlossene Relativsätze nicht bloß dynamisch anstößig (der Betonung wegen), sondern auch logisch; sie enthalten Gedanken, die gar nicht in Relativsätze gehören, beiläufige Bemerkungen, zu denen man sich das beliebte ''„übrigens"'' hinzudenken soll, oder Parenthesen, die eigentlich in Hauptsätzen stehen sollten. $Seite 126$ Da greifen nun auch hier wieder viele, um Mißverständnissen vorzubeugen, zu dem bequemen Auskunftsmittel ''welcher letztere'' und schreiben: ''die übermäßigen Aufgaben der Schauspieler, welch letztere an einzelnen Tagen dreimal aufzutreten haben — diese ausgezeichnete Landschaftsstudie aus dem Garten der Villa Medici, welch letztere der Künstler eine Zeit lang bewohnte — er mußte sich mit dem Anblick des Waschschwamms begnügen, welch letzterer am Fenster in der Sonne trocknete — eine größere Reihe von Abbildungen kirchlicher Gegenstände, welch letztere einst im Besitz der Michaeliskirche waren — die Freunde der zur Zeit zum Heere einberufnen Studenten, welch letztern dieser Aufruf nicht zu Gesichte kommt'' usw. Ein schwächliches Mittel. Eine Geschmacklosigkeit soll dazu dienen, einen Fehler zu verbergen!
Unter den Nebensätzen ist keine Art, in der so viel und so mannigfaltige Fehler gemacht würden, wie in den Relativsätzen. Freilich sind sie auch die am häufigsten verwendete Art.
Ein Hauptübel unsrer ganzen Relativsatzbildung liegt zunächst nicht im Satzbau, sondern in der Verwendung des langweiligen Relativpronomens ''welcher, welche, welches''. Das Relativpronomen ''welcher'' gehört, wie so vieles andre, ausschließlich der Papiersprache an, und da sein Umfang und seine Schwere in gar keinem Verhältnis zu seiner Aufgabe und Leistung stehen, so trägt es ganz besonders zu der breiten, schleppenden Ausdrucksweise unsrer Schriftsprache bei. In der ältern Sprache war ''welcher'' (''swelher'') durchaus nicht allgemeines Relativpronomen, sondern nur indefinites Relativ, es bedeutete: ''wer nur irgend'' (''quisquis''), ''jeder, der'', noch $Seite 111$ bei Luther: ''welchen der Herr lieb hat, den züchtiget er''. Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert ist es allmählich zum gemeinen Relativum herabgesunken. Aber nur in der Schreibsprache, die sich so gern breit und wichtig ausdrückt, zuerst in Übersetzungen aus dem Lateinischen; der lebendigen Sprache ist es immer fremd geblieben und ist es bis auf den heutigen Tag fremd. Niemand spricht ''welcher'', es wird immer nur geschrieben! Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, stundenlang, tagelang, man wird das vollständig bestätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß sich in freier, lebendiger Rede, wie sie der Augenblick schafft, das Relativum ''welcher'' einteilte; jedermann sagt immer und überall: ''der, die, das''. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische sagte: ''die Sorte, welche wir vorhin getrunken haben'', oder: ''wir gehen wieder in die Sommerfrische, in welcher wir voriges Jahr gewesen sind''.//* Nur in Süddeutschland und Österreich wird ''welcher'' auch gesprochen, aber immer nur von Leuten, die sich „gebildet" ausdrücken möchten. In deren falschem, halbgebildetem Hochdeutsch — da grassiert es. In Wien und München, dort sagen es nicht bloß die Professoren in Gesellschaft, sonbern auch schon die Droschkenkutscher, wenn sie zusammengekommen sind, um zu einem neuen Tarif „Stellung zu nehmen." Ja sogar der norddeutsche Professor spricht, wenn er nach Wien berufen worden ist, nach einigen Jahren „bloß mehr" ''welcher''. In Mittel-und Norddeutschland aber spricht es niemand.// In stenographischen Berichten über öffentliche Versammlungen und Verhandlungen findet man allerdings oft Relativsätze mit ''welcher'', aber darauf ist gar nichts zu geben, diese Berichte werden redigiert, und wer weiß, wie viele der dabei erst nachträglich in ''welcher'' verwandelt werden, weil mans nun einmal so für schriftgemäß hält! Und dann: Leute, die viel öffentlich reden, sprechen nicht, wie andre Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn sie am Rednerpulte stehen, anders als in der Unterhaltung, sie sprechen nicht bloß für die Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung; alte Gewohnheitsredner, die Tag für Tag denselben Schalenkorb ausschütten und es nicht mehr für der Mühe wert halten, sich auf eine „Ansprache" vorzubereiten, suchen auch mit ihrem ''welcher'' Zeit zu gewinnen, wie andre mit ihrem ''äh — äh''. Wenn aber ein junger Pfarrer $Seite 112$ auf der Kanzel Relativsätze mit ''welcher'' anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt aufgeschrieben und wörtlich auswendig gelernt hat; wenn ein Festredner aller Augenblicke ''welcher'' sagt, so kann man sicher sein, daß das Manuskript seiner Festrede schon in der Redaktion des Tageblatts ist. Wer den Ausdruck im Augenblicke schafft, sagt ''der'', nicht ''welcher''. Darum ist auch ''welcher'' in der Dichtersprache ganz unmöglich. In Stellen, wie bei Goethe (in den Venetianischen Epigrammen): ''welche verstohlen freundlich mir streifet den Arm'' — oder bei Schiller (in Shakespeares Schatten): ''das große gigantische Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt'' — oder bei Hölty: ''wunderseliger Mann, welcher der Stadt entfloh'' — oder bei Schikaneder: ''bei Männern, welche Liebe fühlen'' — oder bei Tiedge (in der Urania): ''mir auch war ein Leben aufgegangen, welches reichbekränzte Tage bot'' — oder bei Uhland: ''ihr habt gehört die Kunde vom Fräulein, welches tief'' usw., ist es nichts als ein langweiliges Versfüllsel, eine Strohblume in einem Rosenstrauß. Darum wird es ja auch mit Vorliebe in der Biedermeierpoesie verwendet und wirkt dort so unnachahmlich komisch: ''zu beneiden sind die Knaben, welche einen Onkel haben'', oder: ''wie z. B. hier von diesen, welche Max und Moritz hießen''. Aber auch in der dichterischen Prosa, was gäbe man da manchmal drum, wenn man das ''welcher'' hinauswerfen könnte, wie bei Gottfried Keller in Romeo und Julie auf dem Dorfe: ''sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten oder wirklichen Töne, welche von der großen Stille herrührten oder welche sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten, welches nah und fern über die grauen Herbstnebel wallte, welche tief auf den Gründen lagen!''
Leider lernt man in der Schule als Relativpronomen kaum etwas andres kennen als ''welcher''. Man schlage eine Grammatik auf, welche (hier ist es am Platze! denn hier heißt es: ''welche auch immer'') man will, eine lateinische, eine griechische, eine französische, eine englische: wie ist das Relativpronomen ins Deutsche über- $Seite 113$ setzt? ''Welcher, welche, welches''! Allenfalls steht ''der, die, das'' in Klammern dahinter, als ob das gelegentlich einmal als Ersatz dafür geduldet werden könnte! Und sieht man in die Beispielsätze, die zur Übung in die fremde Sprache übersetzt werden sollen, wie fangen die Relativsätze an? Immer mit ''welcher, welche, welches''. Nur ja nicht mit ''der'', der Schüler könnte ja einmal irre werden! Daß die lebendige Sprache eine einzige große Widerlegung dieses Unsinns ist, sieht gar niemand. Kein Wunder, daß den meisten später das langweilige Wort in die Feder läuft, sowie sie die Feder in die Hand nehmen. Gerade umgekehrt müßte es sein. In alten Grammatiken müßte ''der, die, das'' als Relativpronomen stehn, dahinter in Klammern ''welcher, welche, welches'', denn das ist doch das traurige Surrogat. Man benutze in Gottes Namen ''welcher'' im Unterricht ein paar Wochen lang als Verständniskrücke; aber sobald der Junge den Begriff des Relativs gefaßt hat, müßte die Krücke unbedingt weggeworfen, und er wieder auf seine eignen Beine gestellt werden. Wer einmal auf dieses Verhältnis zwischen ''der'' und ''welcher'' aufmerksam geworden oder aufmerksam gemacht worden ist, den verfolgt ''welcher'' förmlich beim Lesen, er sieht es immer gleichsam gesperrt oder fett gedruckt, und in wenig Tagen ist es ihm ganz unerträglich geworden; wenn ers schreiben wollte, käme er sich entweder ganz schulknabenhaft vor, oder er sähe sich sitzen wie einen alten, verschleimten Aktuarius mit Vatermördern, Hornbrille und Gänsekiel. Bisweilen will ihm wohl noch einmal ein ''wel—'' aus der Feder laufen; aber weiter kommt er nicht, dann streicht ers ohne Gnade durch und setzt ''der'' darüber.//* Um ''welcher'' zu verteidigen, hat man neuerdings ausgezählt, wie oft es unsre klassischen Schriftsteller schreiben, und hat gefunden, daß sie es — sehr oft schreiben. Was wird aber damit bewiesen? Doch weiter nichts, als daß auch unsre klassischen Schriftsteller von Kindesbeinen an im Banne der Papiersprache gestanden haben. Aber das braucht nicht erst bewiesen zu werden, das wissen wir längst. Sprachdummheiten. 3. Aufl.//
Aber gibt es denn nicht Fälle, wo man ''welcher'' gar nicht umgehen kann, wo man es ganz notwendig $Seite 114$ braucht, um einen häßlichen Gleichklang zu vermeiden? Wenn nun unmittelbar auf ''der'' (''qui'' oder ''cui'') der Artikel ''der'' folgt, unmittelbar auf ''die'' (''quae'' oder ''quam'' oder ''quos'' oder ''quas'') der Artikel ''die''? ''Nikolaus, der der Vater des Andreas gewesen war — eine Verwandlung, bei der der große Vorhang nicht fällt — die Prozessionsstraße, auf der der Papst zum Lateran zog — auf der Wiese, durch die die Straße führt — die Bildwerke, die die hehre Göttin verherrlichen — das Tau, das das Fahrzeug am Ufer hielt'' — das sind doch ganz unerträgliche Sätze, nicht wahr? Mancher Schulmeister behauptets. Es gehört ''das'' in das berühmte Kapitel von den angeblich unschönen Wiederholungen, vor denen der Unterricht zu warnen pflegt. Die Warnung ist aber ganz überflüssig, sie stammt nur aus der Anschauung des Papiermenschen, der die Sprache bloß noch schwarz auf weiß, aber nicht mehr mit den Ohren aufzufassen vermag. Der Papiermensch sieht das doppelte ''der der'' oder ''die die'', und das flößt ihm Entsetzen ein. Aber lies doch einmal solche Sätze laut, lieber Leser, hörst du nichts? Ich denke, es wird dir aufdämmern, daß es zwei ganz verschiedne Wörter sind, die hier nebeneinander stehen: ein lang und schwer gesprochnes ''der'' (das Relativpronomen) und ein kurz und leicht gesprochnes ''der'' (der Artikel). Was man hört, ist: ''deer dr''. Jedermann spricht so, und keinem Menschen fällt es ein, daran Anstoß zu nehmen; warum soll man nicht so schreiben? Aberglaube, dummer Aberglaube! Und fürchtet sich denn jemand vor ''daß das''? Jeder schreibt unbedenklich: ''wir wissen, 'daß das höchste Gut die Gesundheit ist''. Ach so, das sind wohl zwei verschiedne Wörter? das eine mit ''ß'', das andre mit ''s''? Nein, es sind keine verschiednen Wörter. Sie klingen gleich, und sie sind gleich; das Fügewort ''daß'' ist ja nur in der Schrift ganz willkürlich von dem hinweisenden Fürwort das unterschieden worden. Aberglaube, dummer Aberglaube!//* Wenn man nicht ''der der'' oder ''die die'' schreiben dürfte, dann dütfte man auch nicht schreiben: ''an andrer Stelle, ein einzigesmal, bei beiden Gelegenheiten, mit mitleidiger Miene''. Sehr oft entsteht $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ übrigens die so gefürchtete Doppelung nur durch falsche Wortstellung: ein persönliches oder reflexives Fürwort, das zwischen die beiden ''der'' oder ''die'' oder ''das'' gehört, wird verschoben und erst beim Verbum nachgebracht; ''alle Änderungen, die die Schule sich hat gefallen lassen — die Grundsätze, an die die Revision sich gebunden hat — die Aufgaben, die die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zeit uns stellen''. Man bringe das persönliche Fürwort an die richtige Stelle, und das Gespenst ist verschwunden.//
Aus stilistisch-rhetorischem Grunde kann man den Satzteil an den ersten Platz rücken, dem man durch diese für ihn ungewöhnliche Stellung Nachdruck geben will, mag ein Gegensatz seine Betonung und solche Stellung empfehlen, mag er dadurch gleichsam als der Gegenstand bezeichnet werden sollen, der für das Folgende maßgebend ist oder darin hauptsächlich beleuchtet werden soll. In den Bekenntnissen einer schonen Seele beginnt z. B. ein Abschnitt, worin das Verhältnis zu Gott dargelegt wird, wie mit einer Überschrift mit den Worten: ''Mit Gott war ich wieder ein wenig bekannter geworden''. Oder um anzudeuten, daß ein anderer Abschnitt die Aufgabe habe, zu erläutern, wodurch die schon vorher betonte und erklärte Selbständigkeit ihres Oheims noch gesteigert worden sei, wird dieser eingeleitet: ''Noch unbeugsamer war mein Oheim durch häusliches Unglück geworden''. Auf gleichem Grunde beruht es, wenn die zweite Hälfte des Prädikates und manches andre an den Anfang oder umgekehrt am Anfange Erwartetes ans Ende rückt, ob es nun in der Schriftsprache heißt: ''Er hat sehr vieles unternommen, gelungen ist ihm nichts; was hat er nicht alles angefangen! aber aus hielt er bei nichts'', oder ob das Volk leiert: ''Aus ist die Kirche und aus ist der Tanz''. Auch Ganghofer kennzeichnet in dieser Weise so gut das Volk, wenn er einen daraus sagen läßt: ''Aber troffen hast ihn du'', wie die Art Höherstehender mit dem Satze: ''Was andern ihre Seele ist, das bist mir du.'' +
