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S
Ein Hohn auf Kunst, Verständlichkeit und Wohllaut zugleich ist es, wenn mehrere Nebensätze in der Weise ineinander geschachtelt werden, daß immer nur ihre Zeitwörter aufgespart und hinterher klumpenweise nachgeschleppt werden. Da ist man immer versucht, jenen Reiter zu bestellen, der mit der Peitsche dreinschlagen möchte, um wie einst den Schildbürgern zu ihren Beinen, hier jedem Satze zu seinem Träger, seinem Zeitwort zu verhelfen. Ein Zeitungssatz zur Abschreckung: ''Nachdem der Kaiser sich ... die ... Mitglieder der Botschaft, unter welchen sich auch die beiden neuen Attachés, die mit Said Pascha aus Konstantinopel hier eingetroffen waren, befanden, hatte vorstellen lassen, hatte der Botschafter auch die Ehre'' usw. (statt: ''nachdem er sich ... hatte vorstellen lassen, darunter die ... Attachés, die ... eingetroffen waren, hatte der B.'' usw. Aber selbst Liliencron ist die mißtönige Fügung ent- $Seite 415$ schlüpft: ''Wir konnten deutlich vor uns die Kolonnen, die sich, wenn sie ins Granatenfeuer kamen, teilten, sehen.'' Selbst bei geringerer Verschlingung und Ausdehnung der Sätze wirkt es ähnlich unbequem und verdunkelnd, wenn die Hauptbestandteile des Satzes, Subjekt und Prädikat, durch Zwischensätze getrennt werden, wenn der Hauptgedanke, ehe man ihn oft auch nur zur Hälfte erfahren hat, schon beschränkt und bedingt, durch nebensächliche Bestimmungen erläutert und erklärt wird. In ziemlich grober Form weist diesen Fehler der Satz der Zittauer N. auf: ''Endlich gab ihm, als sich vor einem Jahre seine Tochter mit dem Herzoge von Fife, welcher der reichste Mann Englands ist, vermählte, allerdings diesmal erst, nachdem heftige Debatten im Parlament ausgefochten waren, die Nation als Familienvater'' (!)'' noch eine jährliche Apanage von 3/4 Millionen Mark''. Doch kann eine solche Einschiebung auch im kleinsten Satze stören, doppelt, wenn das Subjekt, auch das Akkusativobjekt in dem Zwischensatz durch ein Fürwort vertreten wird, noch ehe es selber bekannt ist. So in dem Satze aus der Tgl. R.: ''Eine Aufklärung darüber, weshalb ausnahmsweise das Visum verweigert wird, und zugleich einen neuen Beweis, welche Leute es sind, die eine Erleichterung des Grenzverkehrs zu verhindern wissen, gibt, falls sie sich bestätigt, folgende Meldung der Fr. Zeitung''. In deutscher Weise ohne Zerhackung und in natürlicher Gedankenfolge konnte das besser etwa so lauten: ''Da verdient die folgende Meldung der Fr. Z. Beachtung: ... Wenn sie sich bestätigt, wird zugleich aufgeklärt, weshalb — verweigert wird, auch von neuem erwiesen, von wem denn eigentlich eine Erleichterung des Grenzverkehrs verhindert wird''. Noch eine andre, wichtige Anforderung an die schöne Darstellung, die des Ebenmaßes, wird bei solchen Einschiebungen des Nebensatzes, namentlich des relativen, dann verletzt, wenn in ihrem Gefolge schwachbetonte Satzteile, Nennformen, Mittel- und Hilfszeitwörter oder gar nur Partikeln trennbar zusammengesetzter Zeitwörter unrhythmisch nachklappen. Man wird daher bei Goethe nicht viel solche Sätze finden: ''Sie suchten ihre Freunde, die mit dem Schiffe am Ufer warteten, auf'' ; und ein Mitarbeiter der Tgl. R. hätte nicht schreiben sollen: ''Der Buckel auf dem Rücken der Ochsen gestattet, daß je zwei in einem einfachen, die lange Kette rechtwinklig kreuzenden Querholze, das notdürftig mit Riemen am Halsteile befestigt wird, ziehen''. Ebenso wenig Bierbaum: ''Wie die kühle Zurückhaltung einer deutlichen Anerkennung ihrer vornehmen, sicheren Art, sich als Dame des Hauses liebenswürdig und edelgemessen zu bewegen, wich'', noch G. Hauptmann: ''Es mußten einige Tage vergehen, bevor man an diesem und jenem Tische den Mut, ihn offen zu hänseln, fand.''  
Lediglich aus der Wirkung des abgedämpften Tones beruht die Möglichkeit der Schaltsätze. Wenn wir von ihnen auch nicht mehr so ausgiebigen Gebrauch machen können wie die mittelhochdeutschen Dichter, so sollte man sie immerhin öfter wagen, als man sie jetzt vermeint anwenden zu dürfen. Man würde dann statt manches schwerfälligen und umständlichen Satzes einen bequemen und natürlichen bekommen. Man erprobe dies nur an dem folgenden Satze H. Rückerts: ''Die letzten zwei Jahrhunderte des Mittelalters — ob das vierzehnte mehr als das fünfzehnte, läßt sich streiten — sind für die deutsche Poesie nur eine unabsehbare Wüstenei''. Wie klar und bequem! Wenigstens schleppend wäre dafür die Form: ''Die letzten zwei Jahrhunderte ... sind nur eine ... Wüstenei, wenn auch vielleicht nicht gleichmäßig, da sich streiten läßt, ob'' usw.; bei völliger Einordnung wird es gar schwerfällig: ''Die letzten zwei Jahrhunderte ... , von denen sich freilich streiten läßt, ob das vierzehnte mehr als das fünfzehnte, sind'' usw. Vielleicht führt das Beispiel der französischen Sprache, deren Kenntnis im heutigen Deutschland größer ist als in der mittelhochdeutschen Zeit, zur Befreundung mit dieser von Haus aus auch dem Deutschen eigenen Satzart.  +
Eine häufige Unsitte namentlich der Zeitungen ist es, einen neuen Begriff als — selten betonten — Genetiv abhängig von einem Hauptworte einzuführen und ihn nachher in der wichtigeren Stellung des Subjekts und Objekts durch ein Fürwort anzudeuten; denn dadurch entsteht nicht nur unbehaglicher Widerspruch zwischen Wert und Form, sondern es schrumpft überdies dieser wichtigere Satzteil gegenüber dem durch den Genetiv ungebührlich verlängerten übellautend zusammen. Man sage also nicht: ''Bei der Reise Jules Favres sah derselbe'', sondern: ''Jules Favre sah bei seiner Reise vergnügt aus'', oder, wenn damit ein besserer Anschluß erzielt würde, sogar: ''Bei seiner Abreise sah Jules Favre sehr vergnügt aus''; denn da, wo kein Irrtum unterlaufen kann, ist die Beziehung eines Possessivs auf ein bald darauf folgendes Substantiv nichts Schlimmes. Statt: ''Die Nachricht von Blums Tode erweckte eine Teilnahme für den letzteren'' (!), ''die er bisher nie gefunden'', muß es heißen: ''Für Blum erweckte erst die Nachricht von seinem Tode eine Teilnahme, die ...'' und statt: ''Die gleichzeitige Begnadigung seines Genossen Fröbel verdankte dieser einer Flugschrift'', vielmehr: ''sein oder dessen Genosse Fr. verdankte seine Begnadigung'' usw. und ebenso im Relativsatze nicht: ''Im Hintergrunde winkt ja der Präsidentensessel, dessen Inhaber ihn ...'' , sondern: ''den seine Inhaber nur als Millionäre zu verlassen pflegen''. Auch daß Grimm, Schillern oder andern Meistern der Sprache dieser Fehler einmal mit untergelaufen ist, macht ihn nicht stilgemäß. Der Häufigkeit des Fehlers wegen füge ich noch drei neuere Beispiele hinzu: ''Es ist nicht zu verwundern, daß die Tätigkeit und die Person Bismarcks ihm viele Feinde geschaffen haben'' (Tgl. R. statt: ''daß Bismarcken seine Tätigkeit'' usw.);'' Schon die Berücksichtigung, die dem bisher wenig aufgemunterten Talente der Generalin geschenkt worden, tat ihr unendlich wohl'' (Ebner-Eschenbach, statt: ''... die ihrem Talente geschenkt worden, tat der Generalin''//1 Andresen wirft mit den beiden zuletzt besprochenen Fällen als gleich falsch den dritten zusammen, daß sich ein Fürwort auf ein Hauptwort eines vorangehenden Nebensatzes bezieht, auch auf eins, das darin durchaus keine untergeordnete Stellung einnimmt, und tadelt Sätze wie die Goethes: ''Bei dem unleidlichen Schmerz, den Ferdinand empfand, nahm er sich doch bald zusammen'', und: ''Einige Spinnerinnen, die mit ihrer Wochenarbeit gezögert hatten, brachten sie nach'', oder Zeitungssätze wie diese: ''In der kleinen Festung Marsal, die sich ... dem 12. bay-'' $Fußnote auf nächster Seie fortgeführt$ ''rischen Armeekorps ergeben hat, sind diesem wieder 60 französische Kanonen in die Hände gefallen''. Unbegreiflich! Denn wenn Satzbau und Gedankenfolge nötigten, den Nebensatze vorauszustellen, so darf doch auch ein darin neu auftretender Begriff für gewöhnlich nicht mit dem Fürworte, sondern muß mit dem Hauptworte benannt werden.//); ''Aus Bukarest wird berichtet,'' $Seite 403$ ''daß anläßlich der Sizilienreise'' (!) ''König Ferdinands dieser'' (statt: ''daß König Ferdinand bei seiner Reise nach S.'') ''auch dem Könige von Rom einen Besuch abstatten wird'' (DAZ. 27).  
Vielleicht geradezu hervorgerufen durch die Lehre von dem an die Spitze zu stellenden Subjekte sind die zahlreichen Fehler, die darin bestehen, daß das Subjekt in passi- $Seite 392$ vischen Sätzen in einer das Sprachgefühl verletzenden Weise am Anfange steht. Man höre nur: ''Als aber die Kugeln von allen Seiten hereinschlugen, als ein Spiegel von einer derselben'' (statt ''als von einer ... ein Spiegel'') ''zertrümmert wurde, zog sie sich in den Keller zurück''; und den schlimmeren Satz: ''Auch hier'' (''im Cumaondistrikt'') ''werden Schafe und Ziegen zum Getreidetransport von den Eingeborenen verwendet'', wofür am besten stünde: ''Auch hier werden von den Eingeborenen Schafe und Ziegen zum Getreidetransport verwendet''. An dem Verhältnisse des Aktivs zum Passiv, das ja oft nicht wegen einer andern Auffassung sondern lediglich der Deutlichkeit halber gewählt werden muß, wäre es überhaupt besonders leicht gewesen, das Verkehrte jener Lehre einzusehen, wonach das Subjekt soll an der ersten Stelle stehn müssen. Aktivisch sagt jeder; ''die Eingeborenen verwendeten auch hier'' oder: ''Auch hier verwendeten die Eingeborenen Schafe und Ziegen zum Getreidetransport''; was in der Welt soll für ein Grund vorhanden sein, passivisch in der oben getadelten Weise umzustellen? — Eine verkehrte Folgerung ist auch die, daß es auf alle Fälle, auch wo der Zusammenhang alles klarstellt, unbequemlich sei und Mißverständnisse hervorrufe, wenn das Objekt dem Subjekte vorangehe und in der Form keines als Subjekt oder Objekt kenntlich sei. Danach getadelt werden wahrhaftig auch Sätze wie die: ''Eine tote Stille herrschte jetzt in Brüssel, die nur zuweilen das ungewohnte Geräusch der Waffen unterbrach'' (Schiller), und viele Stellen der Grimmschen Märchen, so: ''Nun trug sie'' (Akkusativ) ''das Männchen wieder in das königliche Schloß und in ihr Bett; deshalb schloß es'' (Akkusativ) ''die Zauberin in einen hohen Turm''. Da geht aber doch nur wie in Tausenden von Sätzen, die täglich gedruckt, geschrieben und gesprochen werden, der Objektskasus lediglich nach dem — schönen — rhythmischen Gesetze voran, daß ein Satzteil, der nach grammatisch-logischen Forderungen einem anderen nachfolgen müßte, diesem vorantritt, sobald er viel kürzer, unbedeutsamer und weniger betont ist. Wo wirklich — d. h. auch beim Lesen im Zusammenhänge! — durch die aktivische Fügung Undeutlichkeit entsteht, hilft öfter und deutlicher die Verwandlung ins Passiv; daß aber auch, wenn der Rhythmus nicht verletzt wird, die Voranstellung des ersten und die Nachstellung des vierten Falles helfen kann, beruht nicht auf der nach der alten Ansicht bestehenden Notwendigkeit, das Subjekt voranzustellen, sondern auf der sprachgeschichtlich begründeten Gewohnheit, das Objekt nachzustellen, worüber oben mehr!  
Worin aber die Häßlichkeit dieser Ausdrucksweise besteht, das ist ein vierfaches. Ganz ungemein mehren sich durch den § 219 f. beleuchteten Satzbau die Sätze mit ''ist'' und ''war'', was wenigstens auf die Feinde des ''Hattewar''-Stils Eindruck machen sollte. Sodann — und nun mag für jeden Fall noch ein Beispiel folgen — wirkt die Häufung der schweren Formen des unbestimmten Geschlechts- und starken Eigenschaftswortes störend auf den Rhythmus, so wenn ein Verehrer und Übersetzer deutscher Heldengedichte schreibt: ''Überall ist der Eindruck des Gudrunliedes ein schöner und harmonischer, manchmal sogar, wie bei der Botschaft Wates an Hettel, ein großartiger, an die Gewalt des Nibelungenliedes gemahnender''. Das gebeugte Aussagewort zieht ferner noch mehr ''kein'' statt der einfachen Verneinung ''nicht'' nach sich: ''Der Ertrag aus dem Kleinhandel eines Greislers ist kein''//1 Der sorgfältige Hildebrand hat 1873 im Wb. V, 477 f. den Brauch noch gar nicht verzeichnet, sondern nur ''kein'' = ''ein nicht'' oder ''nicht ein'' vor Adj. + Subst.: ''es war kein feiner Spaß''. Heute ist er so häufig, daß ein Reisender (Junker) in einem Bande schreibt: ''Der Strom ist kein perennierender. Die Aussichten waren keine guten. Mein Erstaunen war kein geringes. Das Verhältnis zur Nachbarbevölkerung war durchaus kein sehr freundliches. Das Trägergeschäft ist hier zu Lande kein erträgliches''. Aber wenn auf der einen Seite zugegeben werden muß, daß dieses ''kein'' immer noch gefälliger klingt, als ''nicht ein'' in der Art des H. Hoffmannschen Satzes: ''Die Aufgabe, den Balkon zu schmücken, war nicht eine ganz leichte'', so ist doch beiden Aussageformen gegenüber die einfachste, die mit adverbialer Aussageform, zugleich bequemer und gefälliger: ''der Ertrag war gering, die Aufgabe war nicht leicht''.// ''geringer''. Endlich ist mit der neuen $Seite 214$ Weise den ellenlangen Einschiebseln zwischen Geschlechts- und Eigenschafts- oder Mittelwort nun gar noch in der Satzaussage eine neue Stelle sich breitzumachen eröffnet; man höre nur: ''Die hohen Anforderungen stellende Verkörperung G. Adolfs durch den Vertreter dieser Rolle ist eine über das Maß dilettantischer Kraft sich weit erhebende''. Ja, noch etwas könnte man als einen besonderen fünften Übelstand aufzählen: selbst die eigentliche Verbalform, das zweite Mittelwort in der Leideform, wird von dieser häßlichen Verbreiterung betroffen: ''Jeans Stellung als Wissender im Sportfache war seit jener Zeit eine festbegründete'' (Chiavacci) statt ''war festbegründet''; noch schlimmer, wo gar kein Übergang ins Zuständliche anerkannt werden kann: ''Dieser beim Gelegenheitsstotterer nur unter außerordentlichen Umständen eintretende Zustand ist beim wirklichen Stotterer ein dauernder und durch das quälende Bewußtsein seines Gebrechens ein erhöhter'' (statt ''und wird durch das Bewußtsein erhöht''), und einige Zeilen weiter in demselben Aufsatze: ''Die Gleichmäßigkeit der Blutverteilung im Gehirn ist eine gestörte''. Die Gleichmäßigkeit ist also eine, nämlich eine Gleichmäßigkeit, Herr Dr. med. X. Y.? und doch wollten Sie sagen, daß sie gestört, nicht mehr vorhanden ist! Ja zu solchem Widersinn kann man es bringen auch in der Sprache, wenn man eine steife Mode mitmacht, vollends so gewissenhaft wie der Verbrecher der beiden letzten Sätze, der ihr auf bloß zwei Spalten in „Über Land und Meer“ gerade ein halbes Dutzend Mal gehuldigt hat.  
Das sollte der erste Grundsatz sein, auf den jeder Schreibende sich selbst verpflichtet. Denn daß Flüchtigkeit an manchem der bisher besprochenen Verstöße schuld sei, hat bei Gelegenheit öfter müssen gerügt werden, ist aber freilich so sehr nicht zu verwundern in einer Zeit, die immer keine Zeit haben will. Aber daß dadurch das Gewand, und sei es auch nur der Zeitungssprache, gewöhnlich nicht nur hier und dort ein Loch oder einen Flecken bekommt, sondern ganz und gar unsauber und unordentlich wird, ist nimmer gerechtfertigt; freilich noch weniger, daß auch vielen Büchern $Seite 424$ und vollends gelehrten Zeitschriften, die nicht für den Tag bestimmt sind, schon derselbe Mangel anhaftet. Liest man doch z. B. in Eltzes Übersetzung des Briefwechsels Motleys: ''da die Duelle gewöhnlich zwischen Mitgliedern verschiedener Landsmannschaften stattfinden und es gibt daher so viele als es verschiedene Staaten in Deutschland gibt''; und bei einem Gymnasialoberlehrer: ''Wiese spricht über diese sowie über die abfällige Beurteilung, welche seine Schrift durch Herrn Geh.-Rat Klix in der Dezemberschulkonferenz 1890, der, wenn ich ihn recht verstanden habe, Wiese auch nur eine venia aetatis zugestanden wissen will, mit der ihm eigenen ruhigen Milde''; also das eine Mal beginnt der Nachsatz mit ''und'', das andere Mal bleibt der erste Nebensatz ohne Verb!  +
Wenn man aus solchen Verwandlungen ersehen kann, wie unnotig diese allerjüngsten Wortgeschöpfe, richtiger Mißgeburten in die Welt gesetzt worden sind, so erhellt, wie zwitterhaft sie sind am klarsten aus der Ratlosigkeit ihrer Väter, an welcher Stelle sie ihnen das Zeichen der Substantivierung, den großen Anfangsbuchstaben, aufdrücken sollen. Da einmal die ganzen Wendungen substantiviert werden, wäre es gewiß am natürlichsten, sie in ein Wort zu schreiben, wie es die Schöpfer der oben unter 2. aufgeführten Ungetüme gehalten haben. Anderseits ist es wohl begreiflich, daß das manchem in dem Gefühle, daß das Zusammenschreiben allein noch kein richtiges Hauptwort aus ihnen gemacht hat, auch nicht behagen will, zumal sie dadurch weniger übersichtlich werden. Aus dieser Empfindung heraus schreiben dann Gewissenhafte: ''Dreistes ins-Zeug-hinein-Lügen; die Sitte des In-den-April-schickens; das Nicht-im-Unrecht-sein-Können; ein Moment-des-wieder-zu-sich-selber-Genesens''. Wieder ein anderer, ein Dichter wieder und zugleich Meister der Form und Gedanken, wie J. Hart, hält den großen Buchstaben am Anfange, selbst an einem Verhältnisworte für genügend: ''das Geschwafel vom intuitiven Aus dem Ärmelschütteln des göttlichen Hellenentums''. Noch ein anderer hält ihn am Ende an der Nennform für ausreichend: ''das sich nähere Befassen mit der tatsächlichen Gestaltung''. Endlich wird mit ganzer Halbheit nur irgend ein in der Wendung vorkommendes Hauptwort groß geschrieben oder sie nur halb zusammengerückt: ''das zu Tage treten der letzten Ereignisse; es war ein aufregendes Züge der Wirklichkeit ablauschen''. Doch genug! Wer Augen haben will, zu sehen, der kann schon an der bloßen Schreibung das Mißliche der substantivierten Infinitive gewahren, wenn er nicht schon vorher mit dem Sprachverständnis das zu Bequeme und Unfertige dieser Ausdrucksweise erkannt hätte.  +
Eine andre Abgeschmacktheit, auf die nicht bloß Zeitungschreiber, sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen etwas Geschmack zutrauen sollte, ganz versessen $Seite 196$ sind, ist die Unsitte, an einen Personennamen den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, anstatt ihn durch die Präposition in oder aus damit zu verbinden und so ein ordentliches Attribut zu schaffen. Den Anfang dazu haben Leute wie ''Schulze-Delitzsch, Braun-Wiesbaden'' u. a. gemacht; die wollten und sollten durch solches Anhängen des Ortsnamens von einem andern ''Schulze'' und einem andern ''Braun'' unterschieden werden. Das waren nun ihrer Zeit gefeierte Parlamentsgrößen, und wer möchte das nicht auch gern sein! Wenn sich daher im Sommer Gevatter Schneider und Handschuhmacher zu den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne Reden halten, so möchten sie natürlich auch die Parlamentarier spielen und dann im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten Namen erscheinen, sie möchten nicht bloß ''Müller'' und ''Meyer'' heißen, sondern ''Herr Müller-Rumpeltskirchen'' und ''Herr Meyer-Cunnewalde'' — das klingt so aristokratisch, so ganz wie ''Bismarck-Schönhausen'', es könnte im freiherrlichen Taschenbuche stehen; man hats ja auch den geographischen Adel genannt. Der Unsinn geht so weit, daß man sogar schreibt: ''Direktor Wirth-Plötzensee bei Berlin''. Was ist denn ''bei Berlin''? ''Direktor Wirth-Plötzensee''? Die ganze dumme Mode ist wieder ein Pröbchen unsers schönen Papierdeutsch. Man höre nur einmal zu, wenn in einer solchen Wanderversammlung die sogenannte Präsenzliste verlesen wird: hört man da je etwas andres als Städtenamen? Man möchte gern wissen, wer anwesend ist, aber man kann es beim besten Willen nicht erfahren, denn der Vorlesende betont unwillkürlich — wie man solche traurige Koppelnamen nur betonen kann —: ''Herr Stieve-München, Herr Prutz-Königsberg, Herr Ulman-Greifswald''. Der Personenname geht vollständig verloren. Wenn dann die Zeitungen über eine solche Versammlung berichten, so drucken sie zwar den Personennamen gesperrt oder fett: ''Herr S t i e v e -München'' oder ''Herr'' '''''Stieve'''''-''München''. Das hilft aber gar nichts; gesprochen wird doch: ''Stieve-München'' ( ). Dieser fett gedruckte und doch unbetonte $Seite 197$ Personenname, dieser grobe Widerspruch zwischen Papiersprache und Ohrensprache, ist geradezu ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Will man beide Namen betonen, so bleibt nichts weiter übrig, als eine Pause zu machen, etwa als ob geschrieben wäre: ''Herr Stieve (München)''. Dann hat man aber doch auch Zeit, die Präposition auszusprechen. In neuester Zeit hat man angefangen, auch Fluß- und Bergnamen auf diese Weise an Städtenamen anzuleimen; man schreibt: ''Halle-Saale'' (Statt ''Halle a. d. Saale''), ''Frankfurt-Main, Essen-Ruhr, Frankenhausen-Kyffhäuser''. Das eröffnet schöne Aussichten!  
Noch zahlreicher sind die Verrückungen der Grenzen zwischen zwei Unterarten der starken Biegung, d. h. zwischen den Wörtern mit einem ''i'' im ursprünglichen Stammauslaute und denen mit anderen Stammausgängen. Jenes ''i'' bewirkte nämlich später nicht mehr, wie ursprünglich, auch im Genetivus und Dativus Singularis, sondern nur noch in der Mehrzahl den Umlaut eines dessen fähigen Stammes, und so ward dieser Umlaut nicht mehr als eine natürliche Wirkung des Lautgesetzes, sondern als ein Mittel zur Bildung der Mehrzahl angesehen und bei vielen Wörtern auch als solches verwendet, die ihn, weil keine ''i''-Stämme, ursprünglich nicht gehabt haben: so bei ''Gärten, Därme, Füchse''. Auch ''Hand'' hatte früher eine unumgelautete Mehrzahl, von der noch die Formel zu ''Handen'' üblich ist. Immer mehr ursprünglich umlautlose Wörter zu denen der alten ''i''-Deklination hinüberzuziehen, sind besonders die Oberdeutschen versucht von den Schweizern und Oberrheinischen bis zu den Nordböhmen und Mähren, die in der Mundart zum Ersatze für die von ihnen abgeworfene Endung ''e'' der Mehrzahl fast allgemein den Umlaut eintreten lassen, ja über Gruppe I hinaus auch $Seite47$ in II. Während man denn dort z. B. hört ''Täg, Hölm, Kärst'', selbst ''Näm, Krägen, Mägen, Gülden'' u. a. und eben daher bei Schiller z. B. ''Reichstäge'', findet man auch in die Schriftsprache selbst des sächsischen Vogtlandes darin unberechtigte Formen vorgedrungen, wie ''Bröte, Kästen, Läger, Mägen, Erlässe, Verlüste, Spitäle, Wägen, Wässer''. Gegenüber vorherrschendem ''die Flore'' sagt R. H. Bartsch: ''Leise Flöre lagen fröstelnd über den Ebenen'', und ebenso Trentini. Jetzt bereits altberechtigt müssen dagegen erscheinen die umgelauteten Mehrzahlen ''Äle'' (neben häufigerem ''Aale''), ''Fünde'' (neben ''Funde''), ''Sättel, Schächte, Schnüre'' (neben ''Schnuren''), ''Klüfte'' (neben ''Kluften''), ''Schlöte'' und auch ''Päcke'' (neben ''Packen''). Auch gegen die einmal überwiegenden Formen ''Hämmer, Stähle'' und ''Fäden'' (neben der als Maß ausschließlich geltenden Form ''Faden''), selbst ''die Hanswürste'' hilft kein Sträuben mehr. Die Wage halten sich noch ''Schalke'' und ''Schälke, Halle'' und ''Halle, Schalle'' und ''Schälle, Herzoge'' und ''Herzöge, Luchse'' und ''Lüchse, Prachten'' und ''Prächte, (Fern-)Rohre'' und ''(Fern-) Röhre'', sowie besonders süddeutsch ''Gäule'' und nord- und mitteldeutsch ''Gaule''. Nur scherzhaft tritt ''Geschmäcker'' neben ''Geschmäcke''. § 59, 2. In anderen Fällen hat sich die Sprache die je nach Zeiten und Landschaften verschieden gebildeten Formen zu Bedeutungs- oder Stilunterscheidungen nutzbar gemacht. Oft sind ältere oder neuere deutliche Formen, schwache neben jetzt vorherrschenden starken, Mehrzahlformen auf ''-e'' neben durchgedrungenen jüngeren auf ''-er'' der gehobenen, dichterischen Rede vorbehalten worden; so das niederdeutsche ''Gauen'' neben gewöhnlicherem ''Gaue'', ''Gewande'' neben ''Gewänder, Lande'' neben ''Länder'', ''(Gast-)Mahle'' neben ''Gastmähler, Male, Wundenmale'', seltener ''Denkmale'' und immer ''Merkmale'' neben ''Muttermäler, Denkmäler, Monden'' — zumal in der Bedeutung von ''Monate'' neben ''Monde, Schwanen'' neben ''Schwäne, Tale'' neben ''Täler; (Druck-, Regen-, Triumph-)Bogen'' neben ''(Kreis)Bögen''. Von Wörtern wiederum, bei denen die vermiedenen Formen der Bedeutungsunterscheidung dienstbar geworden sind, seien folgende genannt: ''Bande'', dichterisch auch noch so viel wie ''Fesseln'', steht heut in Verbindungen wie: ''Bande des Blutes, — der Freundschaft'', auch sonst übertragen neben ''den Bändern'', die zum Binden und Schmücken dienen; neben ''Gesichte'' (= ''Erscheinungen'') herrscht in der Bedeutung von ''Antlitz'' allein ''Gesichter'', wie neben der seltner gewordenen Mehrzahl ''Lichte'', wie die Beleuchtungsmittel aus Talg oder Wachs heißen, durchaus ''Lichter'' steht, um alles was erhellt und brennt zu bezeichnen, die brennenden Kerzen so gut wie die leuchtenden Farben eines Bildes. Von ''Druck'' entspricht die Mehrzahl ''Drucke'' mehr dem Zeitwort ''drucken'': ''Nachdrucke, Vordrucke; Drücke'', mehr ''drücken'' mit Zusammensetzungen: ''Pflanzenabdrücke, Eindrücke''. Neben ''Füße'' steht die ''Münzfuße'' und nach Zahlwörtern gemäß §160, 3 endungslos: ''7 Pariser Fuß'' (vgl. § 160, 4). Neben ''Männer'', wie die Mehrzahl von ''Mann'' lautet, wenn es auf das Geschlecht und auf die Bedeutung und Geltung des Einzelwesens ankommt (vgl. ''Staatsmänner, Ehrenmänner, Ehemänner''), steht das alte ''Mannen'' in der Bedeutung ''Lehnsleute'', und außerdem wird die Mehrzahl durch ''Leute'' ersetzt, wo es irgendwie auf standes-, berufsmäßige Zusammenfassung ankommt: ''Kauf-, Berg-, Fuhr-, Hof-, Arbeits-, Land-, Edelleute''. Überhaupt bezeichnen die Formen auf ''-er'' die Dinge oft mehr in ihrer Vereinzelung als die Formen auf ''-e''. Das durch $Seite 48$ die Zusammensetzung ''Scheiterhaufen'' als älter erwiesene ''Scheiter'' bezeichnet jetzt vorwiegend die einzeltreibenden Schiffstrümmer, während im Schuppen ''Scheite'' aufgehäuft werden; die in Wendungen wie ''aller-, mancherorten'' festgehaltene Form ''Orte'', namentlich ''die Ortschaften'' und ganze Gegenden, Landstriche bezeichnet und sonst mehr gehoben klingt, hat in der Geometrie und in der Bezeichnung der einzelnen begrenzten Plätze die Form ''Örter'' neben sich; die Masse und Art von ''Horn'' und ''Tuch'' bilden die Mehrzahlen ''Horne, Tuche'', aber die einzelnen hornartigen Gestaltungen heißen ''Hörner'', die einzelnen zum Um- und Einbinden dienenden Stücke allerlei Zeuges ''Tücher''; und neben der Mehrzahl ''Wasser'' stehen die künstlichen ''Mineralwässer''. Soweit die Bestandteile der Sprache in inneren Zusammenhang gesetzt erscheinen, heißen sie ''Worte'', und wenn man auch nur zwei ''Worte'' mit jemand zu sprechen hat, während sie in ihrer Vereinzelung besser als ''Wörter'' bezeichnet werden und auch die fremden Eindringlinge in unserer Sprache nur ''Fremdwörter'' heißen sollten. Von ''Ding'' lautet die Mehrzahl in tausendfältiger Anwendung ''Dinge'', und nur verkleinernd und verächtlich sagt man ''Dinger''. Von ''Stifte'', Mehrzahl zu der ''Stift'' (= ''Nagel'') schied sich früher durchweg ''Stifter'', die Mehrzahl zu ''das Stift'' (='' Stiftung''), während jetzt auch in dieser Bedeutung ''die Stifte'' vorkommt. Gewissenhaft scheidet man jetzt: ''das Schild, die Schilder'', das sind Geschäftstafeln, Zettel, Auszeichnungen, und ''der Schild, die Schilde'', das sind Wappen und Waffen; aber das Wort ''Schilderhaus'', das ist eigentlich ''Bretterhaus'', erinnert noch daran, daß auch diese Waffe nichts anderes war als ein Brett, genannt ''das Schild''.  
Aus der Fähigkeit des präteritalen Konjunktivs, das Nicht-Wirkliche zu bezeichnen, erklärt sich seine bis vor kurzem ziemlich unbeschränkte Herrschaft in Vergleichssätzen mit ''als ob, als wenn'' oder mit bloßem ''als'' bei Fragesatzstellung, wieder gleichmäßig nach Haupt- und Nebentempus. Sätze wie die beiden aus den Grimmschen Märchen: ''Die fielen, als regneten sie'', und: ''Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingest'', sind nicht nur dort, sondern im gesamten Schrifttum ohne Zahl zu lesen gewesen; ebensogut auch in der andern Form: ''Mir ist, als hörte ich...'' oder ''als hätte ich schießen hören''. Durchaus entsprechend fügt E. T. A. Hoffmann: ''So war es mir, als wären die Träume einem andern, nicht mir geschehen'', und: ''Ich fuhr in den Ärmel, als trüge ich noch die Mönchskutte'', wo es sich um Nicht-Wirkliches handelt. Aber andere Sätze bei ihm zeigen einen Fortschritt in der Richtung, mit präsentischem Konjunktiv den Schein der Wirklichkeit zu malen: ''Es war, als ginge ein Gewimmer durch die Lüfte und ersterbe im Sausen des Sturmes. — Es war, als wenn der Geist des Himmels in mein Inneres dringe und vor seinem Strahl'' $Seite 366$ ''alle sündliche Glut erlösche''. Auch Musäus bietet (1805): ''Um ihrem edeln Wuchs zu verhüllen, hatte sie eine Schulter gepolstert, als sei sie verwachsen''. Vollends haben die jüngeren Schriftsteller, dabei aber schon in den Spuren Goethes wandelnd, voran G. Keller, C. F. Meyer und Storm, in vollstem Gegensatz zu dem ehedem allgemein herrschenden imperfektischen Konjunktive den der Gegenwart eingeführt, und zwar nun auch nach dem Imperfekt. Nur soll damit eben nicht die Unwirklichkeit dieser Vergleiche, sondern im Gegenteil ihre Möglichkeit lebhaft vor Augen gestellt und ein nur gedachter Vorgang in möglicher Tatsächlichkeit ausgemalt werden. ''Drüben war es, als hebe, was dorten ging, den Hals und recke gegen das Festland hin den Kopf ... Nun hob es den Kopf, als ob es stutze'', schreibt z. B. Storm. Und im Zusammenhang mit der Entwicklung des Konjunktivs der Gegenwart betrachtet, wird man zugeben müssen, daß diese neuere Fügung mit dessen Herausbildung zum alleinigen Träger der subjektiven Auffassung und der des präteritalen Konjunktivs zum Zeichen der Irrealität aufs engste zusammenhängt. Obendrein hat die heutige Art — die neue Mode, sagt in Verkennung der großen Zusammenhänge Wustmann — schon längst ihren natürlichen Ausgangspunkt in den oben § 293 besprochenen Sätzen mit ''als ob, als wenn'', die gar keine Vergleichs-, sondern Substantiv- oder Attributivsätze sind und ganz sachgemäß auch nach einem Imperfekt bloß den Konjunktiv der Gegenwartreihe fordern als Zeichen der subjektiven Färbung des Gedankens. Wie also schon Goethe schreiben konnte: ''Eine bedeutende, das Volk aufregende Weissagung, als werde an einem gewissen Tage ein ungeheurer Sturm das Land verwüsten, traf nicht ein'', so auch Freytag: ''Mir war zuweilen, als sei ich von unserm lieben Gotte geschieden''. A. Stifter begnügt sich sogar einmal mit einem deutlichen solchen Konjunktiv nur im ersten Satze: ''Mir war, als sei ein Zittern in mir und als fließen wir''.  
Nicht jedes Imperfekt, das an einer Stelle steht, wo das Perfekt früher die Regel gewesen wäre, verdient so leidenschaftlich verfolgt zu werden wie heute noch fast in allen Sprachlehren; wenn anders nur die Sache nicht an sich verbietet, eine gewisse Teilnahme dafür zu haben oder mehr oder minder aufrichtig zu zeigen oder zu erwarten//1 Die Berichterstatter tun das allgemein, drum melden sie oft derartig: ''Das Abgeordnetenhaus beschloß, im Jahre 1895 eine Nationalausstellung in Pest zu veranstalten''. — Dazu ist wenigstens der erste Berichterstatter oft Augen- und Ohrenzeuge und an der Spitze der Meldung steht wie bei jener: ''Pest, 10. Dez.'' — Im mündlichen Verkehr, beim Weitergeben der bloßen Mitteilung ist eben darum das Perfekt viel häufiger.//. Denn wenn so das anklingen kann, was überhaupt am Imperfekt das Wesentliche ist, was sollte dann hindern, auch für eine einzelne, nicht mißverständliche Zeitangabe die einfachere, gefälligere und darum schönere Imperfektform zu sehen statt der schwerfälligeren des Perfekts? Ich möchte daher wahrlich nicht mit über den Romandichter herfallen, der z. B. geschrieben hat: ''Wies man Ihnen bereits ein Zimmer an?'' — ''Als gegenwärtige Sorge wüßte ich einzig Armida zu nennen; aber ich schuf sie mir ja selbst'' (v. Heigel). Wenn schon Schillers Übersetzung: ''Wir waren Trojaner, Troja hat gestanden'', wegen des Wechsels nicht nachahmenswert und auf Rechnung des Verses zu sehen sein mag, so wird niemand leugnen können, daß der Ruf, der vor fünf Jahrzehnten durch manche Zeitungen hallt: ''Szegedin war! Alt-Szegedin war!'' gleich sinngemäß und wohltönender war, als wenn er gelautet hätte: ''Szegedin ist gewesen! Alt-Szegedin ist gewesen!'' Auch mit denen sollte man nicht rechten, die mit einem Imperfekt auf eine frühere Ausführung in einem eigenen Werke verweisen, natürlich $Seite 359$ auf Rückerinnerung daran rechnend, oder auf eine frühere Behandlung desselben Stoffes durch andere, ebenso natürlich eine Bekanntschaft damit voraussetzend. Ein Germanist schreibt: ''Wesen und Bildung der Gemeinsprache zu betrachten ist eine Aufgabe, die wir notwendigerweise bis zuletzt verschieben mußten''; und ein andrer: ''So ist auch mein Neudruck des Sprachverderbers so gut wie unbekannt geblieben; auch solchen ist keine Kunde davon geworden, denen er hätte willkommen sein müssen. So hat H. Dünger in seiner Einleitung .... seiner nicht gedacht. Nur die Sprachposaune vom Jahre 1648 benutzte er und entnahm ihr einige Stellen, aus denen ich ersah'' usw. Hier hat offenbar die innerliche Teilnahme, mit der der Herausgeber besagter Schriften ihre Benutzung verfolgt hat, und die Rücksicht auf den Wohlklang, dem zuliebe die eintönig zusammengesetzten Perfekte durch je und je eigenartige Imperfekte ersetzt werden sollten, zusammengewirkt, um bei dem Sinnesabschnitte die neue klangvollere Zeitform wählen zu lassen. Die Voraussetzung innerer, lebhafterer Vergegenwärtigung spricht sich auch aus, wenn es in einer sittengeschichtlichen Plauderei heißt: ''Wurde im vorhergehenden Artikel eine Charakteristik des Nihilismus und seiner Ziele gegeben, so wird sich hieran eine kurze Betrachtung der Mittel zu schließen haben'' usw., oder öfter in Schaltsätzen also: ''wie ich schon sagte, wie ich bereits nachwies'' u. ä., wo natürlich das Perfekt ebensogut möglich wäre. Endlich noch einen jener häufigen Sätze, mit denen auf alle früheren Leistungen oder Erscheinungen der gleichen Art hingewiesen wird, auch aus der Feder eines Professors: ''Nur ein idealer Sinn kann die Alpenwelt mit solcher Begeisterung in sich aufnehmen und so liebenswürdig und bescheiden von dem erzählen, was andre von ihm niemals erreichten'', ein Beispiel, das dadurch besonders lehrreich werden kann, daß es ganz seinesgleichen schon auf der alten Stufe unserer Sprache findet, im Nibelungenliede z. B.: ''der schande, die ie künec gewan'', wie bei Walther: ''wer gesach ie bezzer jâr?''//1 An ein solches geschichtliches Verhältnis denken die gar nicht, welche gegen diesen zuletzt besprochenen Gebrauch des Imperfekts zu Felde ziehn und sich auch darum nicht kümmern, daß sie die tatsächliche Entwicklung mit Tausenden von solchen Beispielen, wie oben nur einige angeführt sind, gegen sich haben. Diese Entwicklung darf auch nicht, weil sich Schopenhauer vom Sprachstande vor hundert Jahren darüber ereifert, als unberechtigt oder ganz neu hingestellt werden. Davor sollte schon die Häufigkeit solcher Imperfekte bei den Klassikern warnen. Eine unüberbrückbare Kluft trennt in solcher Hinsicht die Dichter nicht von den Prosaikern. Beruht doch auf ihrem Vorgange zum großen Teil die Bereicherung des Sprachschatzes und die Steigerung der Redegewandtheit beim Durchschnittsmenschen! Mag es also immerhin sein, daß diese Imperfekte der Dichter die Phantasie dazu anregen sollen, sich den Zusammenhang des nur angedeuteten Vorganges selbst auszumalen, so ist der Widerschein dieser in der Poesie dem Imperfekt eigenen Bedeutung in der Prosa, wie schon oben gezeigt, die teilnehmende Erregung, die der Redende zeigt oder beim Hörer voraussetzt. Dazu kommt, daß den Dichtern und von ihnen aus in Prosa diese Anwendung des Imperfekts nicht möglich gefallen wäre, wenn sie sich nicht auf das alte Wesen dieser Zeit gründete. Denn sie ist ursprünglich gar nicht, jetzt nicht ausschließlich, wie Wustmann meint, Nachäffung des Englischen, sondern, wie dichterische und gewähltere Ausdrucksweise so oft, Rückerinnerung an ältere Zeiten; in diesen wurden ja nicht nur die heute präsentisch gewordenen alten Präterita wie ''ich weiß'' (= ''ich sah beobachtend und weiß nun''), sondern überhaupt das Imperfekt so gebraucht wie — neuerdings wieder. Im Iwein Hartmanns v. Aue steht z. B.: ''Ein Ritter, der gelêret was, der tihte ditz maere''. Mehr bei Erdmann, Grundzüge der deutschen Syntax I, 143. Warum sollte also nicht auch die Prosa darauf zurückkommen dürfen, natürlich nur, wenn wenigstens leise eine innere $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ Erregung darin zittert, zumal das Imperfekt nicht nur kürzer und bei Telegrammen billiger ist, auch formschöner und wohlklingender. Wohin man kommt, wenn man sich einer Sprachtatsache gegenüber auf eine glatte — hergebrachte Regel versteift, zeigt sich darin, daß ein Sprachmeister die Luthersche Übersetzung von Joh. 12, 29: ''Das Volk sprach: es donnerte; die andern: es redete ein Engel mit ihm'', der neuen Weizsäckerschen nachstellt: ''Man sagte, es habe gedonnert; andre sagten: ein Engel hat mit ihm gesprochen''. Als ob da nicht die Lebhaftigkeit gänzlich geschwunden wäre, mit der die verschiedenen sagen, was sie gerade erst wahrgenommen zu haben wähnen. Überhaupt gilt es hier nicht über einen Kamm zu scheren, sondern jedem die Freiheit der Auffassung zu lassen.//  
Tiefer begründet, nämlich auf zwei verschiedenen Stämmen ist es, daß bei ''Bauer'' (''Landmann'') in der Einzahl starke Formen (''des Bauers, dem, den Bauer'') und schwache (''des, dem, den Bauern'') nebeneinanderstehen gegenüber der nur schwachen Mehrzahl. Zu den schwachen Pluralen ''die Nachbarn Vettern, Gevattern, Untertanen'' dagegen sind, von einem auch möglichen schwachen Genetiv Sing. (''des Nachbarn, Untertanen'') etwa abgesehen in der Einzahl nur noch starke Formen herrschend. Dagegen ist es ganz falsch, daß von den vielen durchaus starken Einwohnernamen auf bloßes Bildungs-''er'' (''Schweizer'') diese Biegungsart auch auf ''den Bayern'' und ''Pommern'' übertragen wird; denn wenn diese Wörter nicht schon im Stamme des zugehörigen Ländernamens ein ''r'' hätten, würden sie auch äußerlich ganz mit den vielen auf ''-e'' endigenden Völkernamen übereinstimmen, die durchaus schwach gebeugt werden (''der Schwede, des, dem, den Schweden''). Weder durfte also ein Kunstplauderer der Tägl. Rundschau von einem Vater reden, dem man den braven ''Altbayer'' (statt ''-bayern'') auf den ersten Blick ansieht, noch Bismarck von Damen schreiben, die noch nie einen ''Pommer'' (statt ''Pommern'') auf seinem eigenen Grund und Boden gesehen; freilich beugt auch G. Keller ''des Bayers, dem Bayer''. Anderseits darf die jüngere schwache Form bei ''Bursche'' (''des, die Burschen'') gebraucht werden, zumal wenn sie ein Dienstverhältnis bezeichnet, einen ''Offiziers-, Lauf-, Lehrburschen'', wohingegen in gemütlicher Anwendung, in gehobener Rede, also auch in Liedern, doch dann auch bei Gutzkow so gut als bei Goethe und Hebel, die starke noch heute vorkommt (''des Bursches, die Bursche'').  +
Solche Freude dürfen uns denn bereiten die starken Formen von ''dingen'', von dem es wohl in bekannter Anwendung immer heißt ''bedingt sein'', ebenso in der in § 419,4 gerügten: ''eine Tatsache bedingte die andere'', aber sonst ''er dang den Mörder, der Mörder war gedungen'', sowie auch in der Bedeutung ausmachen: ''er bedang sich — (aus), hat sich (aus)bedungen'' z. B. ''wöchentlich eine Fuhre''; nicht minder die von ''aufdringen'': ''er hat sich aufgedrungen, das Geschenk ist ihm aufgedrungen worden'', so gewiß die schwachen Formen von ''(auf)drängen'' im Vorrücken sind: ''sie drängten'' in Schiller (J. Minor); ''die Rossi drängten nicht auf Zahlung'', und: ''Ich dränge in Sie'' (DAZ. 27); ''ich dränge darauf, daß die Regierung nicht länger zögere'' (Übers. v. Paléologue, Am Zarenhof). In diese Reihe gehört auch ''ich frug'', so sehr es auch noch von manchen angefochten wird, und neben ''steckte'', welches transitiv wie intransitiv ist (''er steckte den Brief ein, er steckte in Schulden''), das schon sehr häufige, immer intransitive ''stak'' //1 Z. B. Augsbg. Allg. Ztg. 20/5. 82. N. Illustr. 20/7. 81. M. Ebeling, Blicke in vergessene Winkel (1889) II, 26.// (''er stak im Moraste''). Daß es beide in der Schriftsprache nur zu einem starken Imperfektum, nicht auch einem solchen zweiten Partizip gebracht haben, kann nichts verschlagen, da es ja auch Verben gibt, von denen nur noch ein zweites starkes Mittelwort üblich ist. So von ''mahlen'' noch durchaus; ''das Getreide'' nämlich ''wird gemahlen'', nicht aber auch, wie es nach einer Anzeige: „''Gemalene Bierseidel"'' in einem süddeutschen Blatte dort üblich scheint, Gläser und Bilder; ebenso gilt eine Suppe oder ''eine Rechnung, die Koch oder Wirt versalzte'', für ''versalzen'', während freilich ''geschroben, gespalten'' und ''gefalten'' fast nur noch adjektivisch vorkommen: ''ein verschrobener Mensch, kleingespaltenes Holz, mit gefaltenen Händen'', und auch so schon ''gespaltet'' und ''gefaltet'' möglich und eigentlich verbal durchaus herrschend sind //2 Sander's Gleichstellung der starken und schwachen Biegung von ''schrauben'' trifft $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ nur für die norddeutsche Mundart zu, und lediglich mit ihr vertraute Schriftsteller gebrauchen starke Formen auch einmal in der Schriftsprache: Voß, Mitscherlich, Immermann, Storm, Wards Übersetzerin Th. Leo, H. Leip.//Ganz entschieden muß auch noch zurückgewiesen $Seite 90$ werden ''haute'' und ''gehaut'' //1 Trotz den Flieg. Blättern schon 1874; Bömers, Gepa I, 212. Noé, Jahreszeiten 1888 (S. 119). H. Hoffmann, Von Frühling zu Frühling 1890, S. (380). Chiavacci, Wiener vom Grund 1890; C. Kühlmann 1914: ''daß er zuhaute''; Fr. Castelle, H. Löns und seine Heide; Trentini, Geburt des Lebens.// statt ''hieb'' und ''gehauen'', ''backte'' statt ''buk'' und ''bratete'' und J. Grimms Duldung der schwachen Form als Transitiv: ''er bratete Äpfel'' statt ''briet'' trotz Schillers Vorgange. Die bei einzelnen Klassikern wohl vorkommenden Ansätze zu den schwachen Bildungen ''geneste'' und ''genest, gedeihte'' und ''gedeiht'' statt ''genas, genesen, gedieh, gediehen'' haben sich auch nicht weiter entwickelt; und das zur Zeit der Schlegel, Schiller und besonders bei Goethe überwiegende ''gleitete, gegleitet ist'' gegenüber ''glitt, geglitten'' wieder ins Hintertreffen gekommen. Auch Auerbachs ''kneifte'' statt ''kniff'' steht noch vereinzelt, während das verwandte ''kneipte'' (in den verschiedensten Bedeutungen) seit Goethe, der es ausschließlich anwandte, als feiner gilt denn das der Mundart verdankte ''knipp'' und gleich häufig wie diese starke Form vorkommt. Ebenso ändern sehr vereinzelte schwache Formen von ''schleißen, trügen, zeihen'' nichts daran, daß man diese drei Verben noch durchaus stark zu konjugieren hat. Auch ''speien'' ist außer in kirchlichen Darstellungen der Leidensgeschichte, obwohl es im vorigen Jahrhundert schon allgemein schwach gebeugt wurde, wieder durchgängig stark: ''spie, gespien''. Dagegen wird die Vorherrschaft von ''troff'' vor ''triefte'', wenn sie überhaupt noch vorhanden ist, am längsten gedauert haben, da das Partizip ''getrieft'' längst vorherrscht, infolge des Strebens, dem Partizip ''getroffen'' von ''treffen'' auszuweichen. Die Unsicherheit, die durch die Bedeutungsverwandtschaft von ''verbieten'' (''verbot, verboten'') und sich ''verbitten'' (''verbat, verbeten'') in den Gebrauch ihrer 2. Mittelwörter gekommen ist, hat dann sogar auf ''bitten'' und ''beten'' übergegriffen, so daß ein G. Hauptmann (E. Quint) schreibt: '',Vater unser, der du bist im Himmel. Geheiliget werde dein Name.' Dies war gebeten, nicht für den Bittenden, sondern für Gott''. Auch H. Heine hat geschrieben: ''Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten in Winterskälte und Hungersnöten''. Gar ungeheuerlich ist nach der altertümlichen Gegenwart: (was da) ''kreucht und fleugt'', von Findeisen gebildet: ''Das mußt du uns versprechen, entfleuchtes seliges Himmelskind''; und ein Alpinist schreibt 1919: ''alles, was darin kreuchte und fleuchte!'' Ganz verkannt haben schon die Schriftsteller und Grammatiker des achtzehnten Jahrhunderts, daß die allein naturwüchsigen Formen ''ich (er)kor, (er)koren'' zu einer Gegenwart ''kiesen'' gehören (wie ''verlor(en)'' zu ''verlieren'', ursprünglich ''verliesen''); und beide im Munde haben ein Verbum ''küren'' in Gang gebracht, so daß man nun einer Zeitung ihren ''freigekürten'' (statt ''er-, gekornen'') ''Bräutigam'' nicht zu übel nehmen darf. Ähnlich steht es fast auch mit ''dünken'', das, in seiner Bildung mit ''denken'' und ''bringen'' gleich, in der Gegenwart nur ''es dünkt'', nicht wie oft zu hören, auch ''es deucht'', und in den Formen der Vergangenheit nur ''deuchte, gedeucht'', nicht auch, wie freilich wieder nicht selten, ''dünkte, gedünkt haben sollte''. Der seltnere Fall, daß schwache Verben stark gebeugt werden, kommt am leichtesten dann vor, wenn von Hauptwörtern abgeleitete Verben fälsch- $Seite 91$ lich als mit starken einfachen zusammengesetzt aufgefaßt werden; so wenn gesagt wird: ''die Menge umrang ihn, er wurde umrungen'' statt ''umringte, umringt'', weil das Wort doch von älterem ''umberinc = Umkreis'' herkommt; oder ''der Berufung wurde willfahren'' statt ''willfahrt'', da das Wort mit ''fahre'', ''fuhr'' nichts zu tun hat; aus gleichem Grunde heißt es von ''radebrechen'' nicht ''radebrichst'' u. ä., sondern ''radebrechst, radebrecht(e), geradebrecht''. Die Forderung des Tages und frische Lust am Sprachgestalten hat jetzt eine ganze Reihe solcher Ableitungen von Hauptwörtern geschaffen: es wurde, nach Nietzsches Vorgang z. B. ''mit das Glück mutwillt, generalstreikt; er notlandete, notgelandet; man notschlachtete, notgeschlachtet; sie schwarzschlachteten, schwarzgeschlachtet; sie rundfunkten, gerundfunkt; er hochstapelte, gehochstapelt: er bildhaute'' (Trentini), ''sie brandmalte ''(Ztg. 26); ''ein gesonntagtes Wesen'' (V K. 26); ''der Schutzmann pflichtwandelte auf dem Bürgersteig'' (Jug. 25), ''gepflichtwandelt''; Selbst Kollege Jannings beifallte puterroten Kopfes (D. Ztg. 23), und, mit der Unfallversicherung geboren, so unschön als überflüssig: ''der Eisendreher verunfallte beim Abladen eines Kammrades.'' Auch ''lobsingen'' (von ''lobesanc: Sang zu [Gottes] Lob'') bleibt am besten auf die vereinzelten Formen der Gegenwart und Befehlsform beschränkt, die ausschließlich im geistlichen Schrifttum üblich waren, und ebenso das nach seinem Muster gebildete ''lobpreisen''. In den Meggendorfer Blättern ist freilich gewagt: ''So ein Haus hab ich noch nicht gesehen, lobsang meine Frau''; und in der Jugend 24: ''Engelschöre, die den Herrn laut lobpriesen''. Anderseits A. Bonus' ''Es klopfficht um den Wein von Kana und die Geschichtlichkeit Jesu'' ist berechtigte starke Form von einer untrennbaren Zusammensetzung von ''fechten''; und Trentini durfte nicht schreiben: ''wenn der Kaplan mir vorhaltet'' (statt: ''vorhält''), als ob die Form von ''Vorhalt'' käme.  
Wie in den Fällen unter 3 das Lateinische, so hat zweifelsohne das Französische die überflüssige Verneinung in die Vergleichsätze mit ''als'' eingeschmuggelt; während sie aber hier bei den Klassikern, auch bei P. Richter noch sehr oft erscheint, ist sie heute schon ziemlich ausgemerzt. Und dies mit Recht. Wir benötigen eben das französische Mittel nicht, die schon durch den Komparativ ausgedrückte Ungleichheit so noch stärker hervorzuheben. Weg also mit solchen französelnden Sätzen: ''Die Kleidung unsers Jahrhunderts ist eine'' (!) ''künstlerischere .... als kaum'' (statt ''wohl'') ''je eine gewesen'' (K. Hillebrand). ''Weltgeschichte gibt kein .... richtigeres Bild von der Welt, als es vorher nicht bereits war'' (Langbehn). Natürlich gilt dasselbe für ''als daß'', das auf einen Komparativ oder auf ''allzu'' + Positiv folgt. Viel wunderbarer ist es, daß der Deutlichkeit zuliebe die heutige Schriftsprache auch bei ''fürchten'' fast ganz darauf verzichtet hat, wie noch Friedrich Schlegel zu sagen: ''Ich fürchte, daß meine Schwäche nicht aus jener Zeile spricht''.  +
Von dem gleichen Gesichtspunkte aus muß man es auch beurteilen und — billigen, wenn ''schwerwiegendste, tiefgreifendste'' u. ä. gesagt, d. h. wenn auch in der Verbindung mit einem Adverb doch oft das Partizip gesteigert wird. Es braucht sich also niemand dadurch von der üblichen Anredeform: ''Hochge-, hochverehrtester'' abbringen zu lassen, noch von den Formen der Versicherung: ''ganz-, treuergebenster'', so farblos sie trotz doppelter Steigerung bleiben; und ''tiefgefühltester Dank, wohlgemeinteste Ermahnungen'' dürfen auch ferner ausgesprochen werden. Auch ''weitreichendste Verbindungen, wohlgezogenste, wohlunterrichtetste Zöglinge, hochfliegendste Pläne'' können kaum mehr beanstandet werden. Neben dem ''am höchsten stehenden Landhaus'' ist gleichberechtigt ''der höchstgestellte Bürger'' und: ''der Hochstehendste'' wird heut angefochten. Immerhin muß vor übertriebener Anwendung solcher Fügungen wie: ''schwerwiegendere Bedenken, grundlegendste Mai''- $Seite73$ ''gesetze'' oder ''weittragendste Pläne'' gewarnt werden: vor der letzten überdies auch deshalb, weil sie ein falsches, durch die weittragenden Geschosse verschuldetes Modebild enthält, aber nicht, ich wiederhole es ausdrücklich, nicht an sich der Form wegen, sondern weil sie zum großen Teil durch einen falschen Zug der Sprache, besonders der Zeitungssprache verschuldet werden, derb aufzutragen und lieber in gesuchten, langgedehnten und ungewöhnlichen Ausdrücken zu reden statt in einfachen, also etwa ''von ernstesten Bedenken, wichtigsten Maigesetzen''. Namentlich dann wird es als Widerspruch empfunden, das Mittelwort zu steigern, wenn die Steigerung vorher in ein eigenartiges Umstandswort gelegt ist, wie von Fr. Bab (1914): ''Zola ist einer der wuchtig kontrastierendsten'' (statt: ''am wuchtigsten'' oder: ''wuchtigst kontrastierenden Stilisten''. Schlechthin tadelnswert sind selbstverständlich Bildungen mit auch formell doppelter Steigerung trotz Herders Vorgang mit ''dem durchgängig bestgetroffensten Charakter.'' Von einer ähnlichen Sucht zur Übertreibung rührt es auch her, wenn Adverb und Partizip oder Adjektiv zugleich oder wenn ein Wort noch gesteigert wird, das an sich, besonders durch Zusammensetzung, schon mehr als superlativische Bedeutung erhalten hat, wie ''blutarm, tausendfaltig''. Ein sorgfältiger Schreiber wird denn weder dem Kanzleistile seine ''höchstverehrtesten, bestverdientesten Männer'' nachmachen, noch Zeitungen Ausdrücke wie ''zunächststehendste Leidtragende, die immer äußerster links rückenden M. N. N., in möglichst kürzester Zeit, diese blutärmsten Leute, tausendfältigste Irrtümer, größtmöglichste Triumphe, engststirnigste Provinzmeier'' (KW. 26) und kaum unsern Klassikern das damals freilich ziemlich übliche ''bestmöglichst''. Ebensowenig zu billigen ist die üble Zerreißung schon fest geprägter Begriffe, wie sie in Weltmenschen ''weitestgeistigen und weitestherzigen Gepräges'' (KW. 26) vorliegt.  
Daß die Sprachmode wie die Kleidemode auch den Schwulst liebt, ist kein Wunder. Schon die bisherigen Beispiele haben es zum Teil gezeigt, aber es gibt noch viele andre. Auch die Sprache hat ihre Reifröcke, ihre Schinkenärmel, ihre Schleppen; die Sucht, sich möglichst breit auszudrücken, geht durch unsre ganze Schriftsprache. Wo für einen Begriff zwei Wörter zur Verfügung stehen, ein kurzes und ein langes, da wird gewiß das lange vorgezogen. Man schreibt nicht ''sein, haben, können, kommen, geben, sehen'', sondern ''sich befinden'' (z. B. ''in großer Verlegenheit''), ''besitzen, vermögen'' (''die Hälfte der Bevölkerung vermag weder zu lesen noch zu schreiben''), ''gelangen, verleihen'' (''Ausdruck wird immer verliehen'', nicht ''gegeben''), ''erblicken''. Und doch, wie unpassend ist das oft! ''Erblicken'' z. B. bezeichnet ja den Augenblick, wo ich etwas zu sehen anfange (vgl. S. 345), wo mir etwas ins Auge fällt, mag ich es nun vorher gesucht haben oder nicht: ''eine Stunde lang hatte ich mich in dem Menschengewühl nach ihm umgesehen, endlich erblickte ich ihn''. Aber: ''ich erblicke darin einen großen Fehler'', oder: ''darin ist ein großer Fortschritt zu erblicken'' — wie jetzt immer geschrieben wird —, oder: ''die meisten haben sich verleiten lassen, in dem Märchen eine Verherrlichung des Freimaurertums zu erblicken'' — ist doch sinnwidrig, denn hier handelt sichs ja um eine dauernde Ansicht; die kann nur durch das schlichte, einfache ''sehen'' ausgedrückt werden. Zahllos sind die Fälle, wo ein einfaches Verbum ganz unnötigerweise durch eine Redensart umschrieben $Seite 388$ wird, wie ''Folge leisten, Verzicht leisten, Abbitte leisten'' u. ähnl., oder durch eine schleppende Weiterbildung verdrängt wird. ''Geld'' wird nicht mehr ''eingenommen'' und ''ausgegeben'', sondern nur noch ''vereinnahmt'' und ''verausgabt''. ''Die Kosten einer Sache'' werden nicht mehr ''so und so hoch angeschlagen'', sondern ''veranschlagt''. ''Prozente'' werden nicht ''abgezogen'', sondern ''verabzugt'', ''Porto'' wird nicht ''ausgelegt'', sondern ''verauslagt'', und ''ein kluger, aufgeweckter Junge'' heißt nicht mehr ''glücklich angelegt'', sondern ''beanlagt'' oder ''veranlagt''. Lauter fürchterliche Wörter — aus dem Zeitwort erst ein Hauptwort gebildet, und aus dem Hauptwort dann wieder ein Zeitwort! Freilich sind sie nicht schlimmer als ''beauftragt, beaufsichtigt'' (vgl. ''Aufseher''), ''beansprucht'' (statt ''angesprochen''), ''bevorzugt'' (statt ''vorgezogen''), ''beeinflußt, bewerkstelligt'' (man überlege sich einmal, was ''Werkstelle'' heißt!), Wörter, an die wir uns längst gewöhnt haben, und die bei ihrem ersten Auftauchen für feinfühligere Ohren gewiß ebenso fürchterlich gewesen sind, wie für uns heute ''vereinnahmt'' und ''verauslagt''; aber es ist doch gut, sich des Schwulstes bewußt zu werden. Auch in der Häufung der Präfixe und Präpositionen vor den Zeitwörtern können sich manche gar nicht genug tun. Da werden ''anlangen'' und ''betreffen'' beide zu ''anbelangen'' und ''anbetreffen'' verlängert, ''man lebt sich in einen Gedanken hinein'' (statt ''ein''), ''man führt ein Musikwerk mit Hinweglassung des Chors auf'' (statt: ''ohne Chor''), ''man weilt vier Jahre hindurch im Auslande'' (statt: ''vier Jahre''), vor allen Dingen aber ''bildet sich nichts mehr aus'', sondern ''alles bildet sich heraus'': ''schon lange vor Einführung der Buchdruckerkunst hatte sich bei der Kirche die Sitte herausgebildet'' usw. Woherrraus denn? Der Ausdruck hat etwas so Gewaltsames, daß man die Sitte wie aus einem Krater hervorbrodeln sieht. Am Ende werden noch ''Trinksprüche hinausgebracht'' und ''einem ein paar Hiebe hinaufgezählt''. Und welcher Schwulst, wenn jedes ''auch'' durch ''ebenfalls'' oder ''gleichfalls'', jedes ''viel'' durch ''zahlreich'', jedes ''oft'' durch ''häufig'', $Seite 389$ jedes ''nur'' durch ''lediglich'', jedes ''viel'' vor dem Komparativ (''viel weniger'') durch ''bedeutend, unvergleichlich, unverhältnismäßig'' oder womöglich gar ''unendlich'' ersetzt, jedes ''sehr'' und ''mehr'' umschrieben wird durch: ''in hohem Grade, in ausgedehntem Maße, in höherm Grade, in erhöhtem Maße'', jedes ''so'' durch: ''auf diese Art und Weise'', oder wenn jemand Bericht erstattet nicht ''als Rektor oder Vorsitzender'', sondern ''in seiner Eigenschaft als Rektor, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender'', wenn ''schwere Bedenken oder Vorwürfe'' zu ''schwerwiegenden Bedenken und Vorwürfen'', eine ''erste Aufführung'' und eine ''erste Einrichtung'' zu ''erstmaligen'' gemacht werden (''die erstmalige Zusammenkunft der deutschen Architekten fand 1842 in Leipzig statt''),//* Soll vielleicht auch weiter gezählt werden: ''die zweitmalige, drittmalige'' usw.?// oder wenn immer von ''Vorahnung, Voranschlag, Vorbedingung, Rückerinnerung, Beihilfe, Herabminderung'' geredet wird, als ob man Bedingungen auch hinterher stellen, sich an ein Erlebnis auch voraus erinnern oder einen Aufwand hinaufmindern könnte! Wie der Schwulst zunimmt, mag folgendes Beispiel zeigen: ''der Fall ist sehr verwickelt — der Fall liegt sehr verwickelt — der Fall ist sehr verwickelt gelagert — die Lagerung des Falls ist sehr verwickelt — die Lagerung des Falls ist eine sehr verwickelte''. Weiter gehts nicht.  
Noch überboten an Geschmacklosigkeit werden Zusammensetzungen wie ''Erstaufführung'' durch die Roheit, mit der man jetzt Eigennamen (Ortsnamen und noch öfter Personennamen) vor ein Hauptwort leimt, anstatt aus den Namen ein Adjektiv zu bilden. Die Herkunft einer Sache wurde sonst nie anders bezeichnet als durch ein von einem Städte- oder Ländernamen gebildetes Adjektiv oder durch eine Präposition mit dem Namen, z. B.: ''Sizilische Märchen, Bengalisches Feuer, Kölnisches Wasser, Berliner Weißbier, Emser Kränchen, Dessauer Marsch, Motiv aus Capri, Karte von Europa''. Jetzt redet man aber von ''Japanwaren, einer Chinaausstellung, dem deutschen Chinakrieg'' (!), ''Smyrnateppichen, Olympiametopen, Samosausbruch, einem Venezuelaprotokoll, Neapelmotiven, Romplänen'' (das sollen Stadtpläne von Rom sein!), ''einem Leipzig-Elbe-Kanal'' und ''einer Holland-Amerika-Linie''. Wenn solche Zusammenleimungen auch zu entschuldigen sein mögen bei Namen, von denen man sich kein Adjektiv zu bilden getraut, wie ''Bordeauxwein, Jamaikarum, Havannazigarren, Angoraziege, Chesterkäse, Panamahut, Suezkanal, Sedantag'' (in Leipzig ''Seedangtag'' gesprochen), so ließe sich doch schon eine Bildung wie ''Maltakartoffeln'' vermeiden, denn niemand spricht von einem ''Maltakreuz'' oder ''Maltarittern''. Oder klingt ''Malteser'' für ''Kartoffeln'' zu vornehm? Auch das ''Selterser Wasser'', wie man es richtig nannte, als es bekannt wurde, hätte man getrost beibehalten können und nicht in ''Selterswasser'' $Seite 189$ (oder gar ''Selterwasser''! es ist nach dem nassauischen Dorfe Nieder-Selters genannt) umzutaufen brauchen. Aber ganz überflüssig sind doch die angeführten Neubildungen, denn das Adjektiv ''japanisch'' (oder meinetwegen ''japanesisch''!) ist doch wohl allbekannt, jeder Archäolog oder Kunsthistoriker kennt auch das Adjektiv ''olympisch'', auch von ''samischem Wein'' hat man früher lange genug gesprochen, und auch von ''Leipzig'' und von ''Holland'' wird man sich doch wohl noch Adjektiva zu bilden getrauen? ''Leipzig-Elbe-Kanal''! Es ist ja fürchterlich! Einen Städtenamen so vor einen Flußnamen zu leimen, der selber nur angeleimt ist! Vor fünfzig Jahren hätte jeder zehnjährige Junge auf die Frage: ''wie nennt man einen Kanal, der von Leipzig nach der Elbe führen soll?'' richtig geantwortet: ''Leipziger Elbkanal''; wie nennt man eine Dampferlinie zwischen Holland und Amerika? ''Holländisch-amerikanische Linie''. Und warum nicht: ''Smyrnaer Teppiche''? Sagt man doch: ''Geraer Kleiderstoffe''. Sachkenner behaupten, die echten nenne man auch so; nur die unechten, in smyrnischer Technik in Deutschland angefertigten nenne man ''Smyrnateppiche''. Mag sein. Aber warum nicht: ''Motive aus Neapel''? ''Japanwaren, Chinakrieg, Neapelmotive'' — wer verfällt nur auf so etwas! Man denke sich, daß jemand ''Italienwaren'' zum Kauf anbieten, vom ''Frankreichkrieg'' oder von ''Romruinen'' reden wollte! Ein Wunder, daß noch niemand darauf gekommen ist, den ''Cyperwein'' und die ''Cyperkatze'' in ''Cypernwein'' und ''Cypernkatze'' umzutaufen. Die Insel heißt doch ''Cypern''! Jawohl, aber der Stamm heißt ''Cyper'' — der ist so gut wie ein Adjektiv, und der ist zum Glück den plumpen Fäusten unsrer Sprachneuerer bis jetzt noch entgangen. Die ''Italienreisenden'' haben wir freilich auch schon, wie die ''Schweizreisenden'' und die ''Afrikareisenden''. Schön sind die auch nicht (zu Goethes und Schillers Zeit sprach man von ''italienischen, Schweizer'' und ''afrikanischen Reisenden''), aber man läßt sie sich zur Not gefallen; der Ortsname bezeichnet da nicht den Ursprung, die Herkunft, sondern das Land, $Seite 190$ auf das sich die Tätigkeit des Reisenden erstreckt. Im allgemeinen aber kann doch das Bestimmungswort eines zusammengesetzten Wortes nur ein Appellativ, kein Eigenname sein. Von ''Eisenwaren, Sandsteinmetopen, Stadtplänen, Fluß- und Waldmotiven'' kann man reden, aber nicht von ''Japanwaren, Olympiametopen, Romplänen und Neapelmotiven''. Das ist nicht mehr gesprochen, es ist gestammelt. Gestammelt? O nein, es ist ja das schönste Englisch! Der Engländer sagt ja: ''the India house, the Oxford Chaucer'' (das soll heißen: ''die Oxforder Ausgabe von Chaucers Werken''), ''the Meier Madonna'', das muß natürlich wieder nachgeplappert werden. Wir kommen schon auch noch dahin, daß wir die ''Weimarische Ausgabe'' von Goethes Werken den ''Weimar-Goethe'' nennen oder gar den ''Weimar Goethe'' (ohne Bindestrich).  
Bei den besonderen seemännischen Wendungen ist es wohl der allgemeine Gegensatz von Wasser und Land, was auf den Artikel verzichten läßt: ''zu Lande, auf -, in See gehn, - sein, in See stechen, an Land gehn, - setzen''. Ebensowenig denkt man bei ''auf Deck, an Bord'' an eine bestimmte Begrenzung; stehn sie doch oft, z. B. bei ''sein, gehn'', gleichbedeutend mit ''zu Schiff''. Dagegen ist einer ''Leutnant, Kapitän zur See'', d.h. für die See in ihrer ganzen Ausdehnung, für den ganz bestimmt umgrenzten Seedienst, wie man auch ''an der See wohnen, an die See reisen'' sagt, weil sie da in ihrer scharfen Abgrenzung vom Lande gedacht ist. Kein Wunder, daß dort, d. h. an den deutschen Küstengegenden, der Artikel auch bei andern Wörtern weggelassen wird. Der dort heimische H. Hoffmann schreibt: ''Wir müssen an Aufbruch denken'', der doch ein ganz bestimmter ist, also daß der Artikel nötig ist; nicht minder in seinem andern Satze: ''Sie hatte ihn auf Händen getragen'', was fast lächerlich wirkt, weil man versucht wird, an eine Entgegensetzung des bloßen Begriffes ''Hände'' zu andern Körperteilen zu denken. Grimm tadelte ebenso Goethes ''außer Augen lassen''. Ein anderer norddeutscher Dichter (H. Kruse) läßt auch vor jeder Personenbezeichnung, wenn ihr auch kein Name folgt, den Artikel weg: ''seit dem Programm, das Rektor schrieb; Koch stand neben dem Kessel; Kochsmaat nahm das Geschirr''. Er berührt sich dadurch mit einem Juristen und einem Diplomaten, schon keine Empfeh- $Seite 127$ lung, die z. B. schreiben ''Informant war schlecht unterrichtet'', und öfter: ''er bemerkt, daß sich Plenum doch mit der Frage zu befassen habe'', und mit den oben § 132 verurteilten Kanzlisten, was ihm hoffentlich noch weniger gefällt.  +
Unter den Verhältniswörtern, die neben ''sein'' Satzaussagen bilden helfen, wird ''von'' vielfach mißbräuchlich angewendet. Da es nämlich viele durchaus deutsche Wendungen der Art gibt, hat sich an diese auch aus der Fremde manche undeutsche angereiht, wie ''von der Partie sein, von denen sein, welche''; oder Bezeichnungen vorübergehender Stimmungen: ''der Fürst war von'' (statt ''in'') ''gereizter Stimmung; der Herr ist von'' (statt ''bei'') ''schlechter Laune''. Das Französische und Lateinische zugleich sind zweifelsohne an diesem ''von'' vor Körperteilen schuld, wo es ganz undeutsch ist, trotz Schiller, der einmal schreibt, wie ganz ähnlich später Ranke: ''Wallenstein war von großer Statur und hagerer, gelblicher Gesichtsfarbe, rötlichen, kurzen Haaren, kleinen, aber funkelnden Augen'' (statt ''hatte gelbliche Farbe und kleine ... Augen''). Selbst den Gesamteindruck, einen Zustand oder geistige Eigenschaften ausdrückende Abstrakte wird man im allgemeinen nicht mit ''von'' zur Satzaussage machen, indem man das entsprechende einfachere und gefälligere Eigenschaftswort setzt. Statt französelnd und dazu unnötig breit: ''Das Haar war von einer so weichen und feinen, fast durchsichtigen Beschaffenheit'', mußte also Th. Mundt einfacher schreiben: ''war so weich ... und fast durchsichtig''. Überdies kann auch hier der schöne Genetiv nicht nachdrücklich genug als ein Gegengewicht gegen die Vorwärtsbewegung dieses eintönigen ''von'' empfohlen werden (vgl. § 161, 3 u. 210), — freilich nicht gerade in der augenblicklich beliebten Wendung: ''neueren Datums sein''; denn deren Beliebtheit rührt wesentlich von der unten § 261 f. besprochenen falschen Subjektbildung her, und statt: ''Der Ausbau und die Entwicklung von Baku und Usunada sind neueren Datums'', wird besser gesagt: ... ''sind noch jung'', oder: ''Es ist noch nicht lange, daß Baku und Usunada so ausgebaut und entwickelt sind''. Goethe hat außer Wendungen mit ''von'' auch die andre: ''Das Kind ist stiller'' $Seite 215$ ''Natur''; ähnlich nach ihm v. Boyen: ''Das Mädchen war guter unschuldiger Natur'', und die Tägl. R. noch heute: ''Das Programm des Kabinetts wird überwiegend wirtschaftlicher Natur sein''. Eine festere Grenze zwischen dem Gebrauche des Genetivs und des Wörtchens ''von'' wird sich freilich kaum ziehen lassen; und die folgenden vier Sätze mit ''von'', die sich in zwei bis drei Spalten eines Stückes der Rundschau finden, dürfte niemand anders verlangen: ''Die Ausstellung dürfte nur von kurzer Dauer sein. Von großem eigenartigem Reize ist ein durch frische Farbe und lebendige Auffassung ausgezeichnetes Jugendbild Beethovens. Seine Züge sind noch weich, wundervoll die Augen, seelensgut, von ahnungsvoller Tiefe. — Der Blick von der Mitte des Stromes im Golde der sich neigenden Sonne war von eigenartiger Schönheit''.  
In Ortsbestimmungen bezeichnet der vierte Fall gemäß § 209 das Erstrecken durch einen ganzen gezeichneten Raum, das Abmessen der Strecke vom Ausgangspunkte bis ans Ziel. So heißt es denn: ''Er ging immer wieder den alten'' (''vom Anfange bis ans Ende bekannten'') ''Weg; Geh, wandle ruhig deine Bahn, deinen'' (''vorgenommenen'', also [''dir''] ''bekannten'') ''Weg'', und beim Abschiede singt man: ''Zieht in Frieden eure Pfade''. Wenn es sich dagegen darum handelt, eine Bewegung im Raume nur nach ihrem Ausgangspunkte oder überhaupt nach einem einzelnen der von ihr berührten Punkte anzudeuten, in welchem sie mit einer anderen zusammentrifft, so ist der Genetiv am Platze als der Fall, der das Ganze bezeichnet, wovon ein Teil herausgehoben wird. Deshalb sagt Uhland von einzelnen Stücken des zurückgelegten Weges: ''Der wackre Schwabe forcht sich nit, ging seines Weges Schritt vor Schritt'', und in demselben Gedichte von dem Zusammentreffen des Weges einer andern Schar mit dem Schauplatze der Tat des Schwaben: ''Drauf kam des Wegs 'ne Christenschar''. Einem, dessen Wege wir nicht gern weiter verfolgen wollen, wenn sie nur in ihrem Anfange von unseren abführten, rufen wir zu: ''Geh deines Weges'' oder ''deiner Wege'', wie schon Goethe sagt: ''Geh deines Pfades'', und ein Älterer: ''damit sie nur bald ihres Pfades kämen''.  +