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Aus Zweidat
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S
Immer größer wird die Unbeholfenheit, den Konjunktiv des Imperfekts richtig zu bilden. Viele getrauen sichs kaum noch, sie umschreiben ihn womöglich überall durch den sogenannten Konditional (''würde'' mit dem Infinitiv), auch da, wo das nach den Regeln der Satzlehre ganz unzulässig ist. Besonders auffällig ist bei einer Reihe von Zeitwörtern die Unsicherheit über den Umlautsvokal: soll man ''ä'' oder ''ü'' gebrauchen? Das Schwanken ist dadurch entstanden, daß im Mittelhochdeutschen der Pluralvokal im Imperfektum vielfach anders lautete als der Singularvokal (''half, hulfen; wart, wurden''), dieser Unterschied sich aber später ausglich. Da nun der Konjunktiv immer mit dem Umlaut des Pluralvokals gebildet wurde, so entstand Streit zwischen ''ä'' und ''ü''. Da aber die ursprünglichen Formen (''hülfe, stürbe, verdürbe, würbe, würfe'') doch noch lebendig sind, so verdienen sie auch ohne Zweifel geschützt und den später eingedrungnen ''hälfe, stärbe, verdärbe, wärbe, wärfe'' vorgezogen zu werden. Neben würde ist die Form mit ''ä'' gar nicht aufgekommen. Von ''stehen'' hieß das Imperfekt ursprünglich überhaupt nicht ''stand'', sondern ''stund'', wie es in Süddeutschland noch heute heißt; das ''u'' ging durch den Singular wie durch den Plural. Folglich ist auch hier ''stünde'' älter und richtiger als ''stände''. Bei einigen Verben, wie bei ''beginnen'', hat der Streit zwischen ''ä'' und ''ü'' im Anschluß $Seite62$ an das ''o'' des Partizips (''begonnen'') im Konjunktiv des Imperfekts ''ö'' in Aufnahme gebracht. Auch diese Formen mit ''ö'' (''beföhle, begönne, besönne, empföhle, gewönne, gölte, rönne, schölte, schwömme, spönne'') verdienen, da sie den Formen mit umgewandeltem Pluralvokal entsprechen, den Vorzug vor denen mit ''ä''. +
Vor allem hinfällig ist die Bestimmung, daß Infinitive, wie die mit ''zu'' auch die mit ''um zu'' und vor allem ''ohne zu'', nur dann an die Stelle eines ''daß''-Satzes treten dürften, wenn dessen Subjekt das gleiche wäre wie das des übergeordneten Satzes. Allgemein anerkannt sind denn auch die Infinitive, die aus dem Sinne des zwi- $Seite 336$ schen den Zeilen stehenden Subjektes des Schriftstellers gesprochen sind, von dem formelhaft gewordenen sozusagen an, durch so geläufige Wendungen hindurch wie: ''um es deutsch zu sagen, um es mit dem wahren Namen zu nennen'', bis hinauf zu ganz eigenartigen und erst- oder einmaligen Angaben wie: ''Um ihnen gerecht zu sein, sie habens nötig. Du bist, ohne dir schmeicheln zu wollen, interessant''.
Ein Infinitiv muß überhaupt grammatisch möglich heißen, wenn die Beziehung seines (ungenannten) Subjekts auf irgend ein Glied des übergeordneten Satzes klarliegt; dieses Satzglied darf sogar auch im übergeordneten Satze ausgelassen sein, wenn es nur sonst leicht zu ergänzen fällt. Niemand wird z. B. in den folgenden Sätzen auch nur einen Augenblick über die Beziehung im Zweifel sein: 1. auf das logische Subjekt der handelnden Person neben dem Passivum: ''Meist werden mißgestalte Kinder von ihren Müttern recht zärtlich gepflegt, um sich über ihr Unglück zu trösten'' (Pröll). ''Drum war vom Maidle die Rede, um sie dem Freier vorzustellen'' (Hansjakob); 2. auf das Akkusativobjekt: ''Die Depesche rief mich nach Metz, um dort die Feldtelegraphie zu übernehmen'' (v. Dürckheim); 3. auf das Dativobjekt: (''Um'') ''eine Universitätsstadt zu werden, fehlte Berlin die Leichtigkeit und der Überfluß des Lebens'' (Rodenberg); 4. auf einen Genetiv: ''Die energische Mitwirkung aller wird nötig sein, um das bedrohte Staatsschiff in den Hafen der Ruhe führen zu helfen'' (v. Dürckheim); 5. sogar auf einen im Possessivum versteckten Genetiv: ''Es bedarf meiner ganzen Energie, um die übertriebenen Forderungen in die Grenzen des Tarifs hinabzudrücken'' (Merzbacher); 6. auf einen Umstand: ''Der Vorstand ließ bei sämtlichen Mitgliedern einen mehrerlei Vorschläge enthaltenden Bogen umgehen, mit der Bitte, sich nach freier Wahl für einen zu entscheiden''.
Daß in solchen Fällen kein Mißverständnis aufkommt, auch vorübergehend nicht, was zu komischen Wirkungen hinreicht und wodurch solche Nennformen sofort unzulässig erscheinen, beruht vor allem auf dreierlei: Entweder die Bedeutung des Zeitworts läßt nur die Beziehung der Infinitivergänzung auf das Objekt zu: ''Man hat ihm mit Recht vorgeworfen, kein guter Wirt im Staate gewesen zu sein''. Oder das Objekt, Attribut oder Adverbiale bildet das Neuere, Wichtigere und daher auch Betontere im Satze, und somit liegt es psychologisch näher und ist es grammatisch richtig, die weitere Ergänzung durch die Nennform grade darauf zu beziehen. Sehr belehrend ist in dieser Hinsicht der Satz Schillers; ''Um wenigstens die Nation mit einem Schattenbilde republikanischer Freiheit zu täuschen, beruft sie die Statthalter der Provinzen und die Ritter des goldenes Vließes zu einer außerordentlichen Versammlung nach Brüssel, um über die gegenwärtigen Gefahren und Bedürfnisse des Volkes zu beratschlagen''; für die erste Nennform nimmt man, weil er als vorausgehend noch eines Anschlusses ermangelt, ohne weiteres den unbetonten Nominativ ''sie'' als Subjekt; dem zweiten dagegen ist die Beziehung auf das inzwischen neu und bedeutsam ins Bewußtsein getretene Objekt gleich sicher. — Endlich nötigt der Inhalt des Nebensatzes von selbst, vor allem ein Fürwort darin, das Subjekt des Infinitivs in einem andern Satzteile als dem Subjekte des übergeordneten Satzes zu suchen. So in dem Satze Lessings: ''Ohne ihr dies vorwerfen zu'' $Seite 337$ ''können, weiß sie dem sparsamen Gebrauche derselben durch eine andere Feinheit zu Hife zu kommen''.
Wo keiner dieser Umstände die Beziehung der Nennform auf einen andern Satzteil als das Subjekt andeutend erleichtert, bleibt seine Fügung meist unklar und tadelnswert. Daran ändert auch die Kürze des Satzes nichts. Ganz ähnlich in der Fügung R. H. Bartschs: ''eine junge Cousine; manchmal sogar ein sehr schöner ritterlicher Cousin, den man ihr offenbar beigegeben hatte, um dich leichter zu vergessen''. Man höre z. B. einen aus der Übersetzung R. Elsmeres: ''Frau P. hat mir versprochen, Madame Desforet herzuführen, und ich möchte gern Mama die Freude machen, sie kennen zu lernen'' (statt: ''daß sie sie kennen lernt''). Aus dem Satze Schillers: ''Sieben andre von dem edelsten Geblüt ... alle noch in der Blüte der Jugend, wurden dem Herzoge von Alba aufgespart, um den Antritt seiner Verwaltung sogleich durch eine Tat verherrlichen zu können'', ersieht niemand, ob ihm die Aussparenden dies ermöglichen wollten oder ob die Absicht ihm selber beigelegt wird. Wieder in dem Satze bei Kügelgen: ''Der Graf von Stollberg-Wernigerode hatte sich entschlossen, zwei seiner Söhne herzubringen, um ebenfalls von diesem Manne unterrichtet zu werden'', ist es unebenmäßig, daß der aus dem Hauptsatz liegende Hauptton eine Beziehung auf dessen Subjekt erwarten läßt und die zweite Nennform dann auf das Objekt der ersten Nennform bezogen werden soll. Wer wollte endlich verkennen, daß die tonlose Stellung des ihn an der drolligen Wirkung des folgenden Satzes aus den Hamburger Nachrichten schuld ist, indem man die Nennform mit dem bedeutsamen, Neues bringenden Subjekt in Verbindung setzt? ''Ohne bisher einen genügenden Ersatz für Bogumil Dawison gefunden zu haben, verläßt ihn im Herbst die erste tragische Liebhaberin Marie Seebach''. In dem Satze: ''Mein Schwiegervater schlug vor, das Gut Oesfelde zu übernehmen'' (M. N. N. 26) fehlt, da der Sinn des Aussagewortes des Hauptsatzes die Beziehung auf dessen Subjekt verbietet, jede Kennzeichnung dessen, der das Gut übernehmen soll.
Zu den Ausdrücken, bei denen die Ergänzung des Infinitivsubjekts selbstverständlich ist, obgleich es auch im übergeordneten Satze nicht steht, gehören tagtägliche Redensarten wie: ''Ich wünsche wohlgespeist zu haben; Ich wünsche wohlzuleben; Darf ich bitten, sich eine Minute in das Zimmer nebenan zu bemühen'' (Kings1ey-Spangenberg). Dazu zählen auch Sätze, bei deren Passiv die Person des Ausführenden selbstverständlich ist. ''Der folgende Tag wurde dazu benutzt, um die Stadt kennen zu lernen'' heißt es also richtig bei v. Dürckheim (vgl. S. 334), ebenso in einer Zeitung: ''Mehrere rohe Burschen, welche gestern den gröbsten Unfug machten, wurden, um dem Skandal ein Ende zu machen, in Verwahrung gebracht''.
Diesen Beispielen kommen andere unzählige sehr nahe, in denen die Nennform ohne Beziehung auf das Subjekt des übergeordneten Satzes ganz allgemein oder in der Weise steht, daß für ihn das unbestimmte Subjekt man ergänzt werden muß: 1. ''Es war verabredet worden, frühzeitig aufzubrechen, um die drückende Hitze zu vermeiden'' (v. Dürckheim). 2. ''Dort trägt er ihn'' (''den Ring''), ''als sei die Westentasche dazu da, um einen Ring darin zu tragen'' (Storm). Doch ist auch dieser Verzicht auf jede Andeutung $Seite 338$ eines Subjekts nur dann ohne Anstoß, wenn auch der übergeordnete Satz ohne persönliches Subjekt steht, wie im ersten Beispiele, oder wenn er seinem Inhalte nach die Ergänzung seines Subjekts auch für die Nennform ohne weiteres ausschließt, wie im zweiten.
Störend wirkt namentlich zweierlei. Zunächst wenn man sich beim Vorausgehen der Nennform in der Erwartung getäuscht sieht, daß es allgemein weitergeht, und nicht minder in der anderen, daß sich die Nennform an einen Satzteil des folgenden Satzes anlehnen könne. An solchem Widerspruche leiden Sätze der Art: ''Um das Verhältnis der Städte am saronischen Golfe rasch zu überblicken'' — das soll man, das sollen die Leser können! — ''füge ich die Größe der Gebiete ..., die Zahl der Schiffe und Hopliten bei''. Das Unbehagen wird noch erhöht, wenn beim Mangel jedes Beziehungswortes ein rückbezügliches Fürwort, namentlich der ersten oder zweiten Person, völlig in der Luft schwebt, wie in dem folgenden Beispiele: ''Ich finde es nicht hübsch, dir in so ernster Angelegenheit mit mir allerhand Scherz zu erlauben'' (Tgl. R.:, statt ''daß du dir — erlaubst''). Gar ungeheuerlich wird der Satz, wenn eine erste und eine dritte Person einander geradezu widerstreben: ''Nach zweistündigem und, um sich ... die Hände nicht zu verwunden sehr vorsichtigen'' (!) ''Bergklettern, betreten wir die erste grünende Matte''. Wohl aber darf sich auf ein leicht zu ergänzendes ''man'' bezogen werden: ''Um sich in ihrer gewandten Handhabung zu üben, gibt es kein besseres Mittel als die Übersetzung aus fremden Sprachen''.
Noch schwieriger als in der Anwendung der Nennformen ist es vielleicht, in derjenigen der Mittel-, auch prädikativer Eigenschafts- und Hauptwörter im abgekürzten Satz das rechte Maß zu halten.
§ 342. Freilich wird sich auch hier nur der ängstliche Stilist für die schwierigere der beiden Arten des Partizips, für das verbundene (conjunctum), an die Regel halten, daß sein Verständnis am leichtesten und immer gesichert ist, wenn es sich auf das Subjekt des übergeordneten Satzes bezieht: ''Von der Pracht des Festes angelockt, strömten viele Fremde herbei''. +
Am allerwenigsten darf die adverbiale Verwendung des Mittelwortes auf die Fälle beschränkt werden, wo es zum Subjekte gehört. Vielmehr mögen getrost auch ferner Bücher lobend, anerkennend, rühmend gebührend besprochen und beurteilt werden; ihre Stoffe mögen je nachdem eingehend oder kurzzusammenfassend behandelt und Behauptungen überzeugend, treffend, einleuchtend dargetan werden; glücklich derjenige, dessen Bücher dann reißend abgehn. Sprachlich ist ebensowenig gegen die Klage des Predigers zu sagen, daß von den Menschen zuviel Zeit tändelnd und spielend, scherzend und schlemmend verbracht werde, noch gegen Lenaus eigenartigeren Satz: ''Die Zecher haben stumm und grausend dem Wert des Hasses nachgedacht'', wohl aber gegen den O. Brandts: ''Erst heute rückschauend wird ihre entwicklungsgeschichtliche Stellung klar'' (1927)//1 Der für solche Anwendung des Mittelworts empfohlene Ersatz durch eintönige $Fußnote auf nächster Seite fortgesetzt$ als Probe auf die Zulässigkeit mag man solche Mittelwörter in derartige Bildungen mit ''-weise'' verwandeln: man kann sicher sein, daß bei der Möglichkeit der Umwandlung das Mittelwort gleich gut ist wie in den anderen Fällen, wo man das Mittelwort als Aussagewort zu dem — ebenfalls nur probeweise (!) substantivierten Prädikate sehen kann. Z. B. ''Der Dieb wurde kreischend verfolgt'' ist zulässig, weil man dafür sagen kann, aber wahrlich nicht schreiben soll: ''in kreischender Weise'', ebenso wie es ''untadelig'' heißen darf: ''Der Vorschlag wurde jubelnd aufgenommen'', weil man dafür sagen kann, aber gewiß auch nie schreiben soll: ''Seine Aufnahme war eine jubelnde'', dagegen der Satz: ''Simson wurde von Delila schmeichelnd betrogen'', ist falsch, insofern sowohl: ''Simson wurde schmeichelnderweise betrogen'', als auch: ''Das Betrügen war schmeichelnd'', etwas anderes bedeuten; denn dem Betrügen wohnt das Schmeicheln nicht inne, wie z. B. ''der Aufnahme der Jubel''. Ebenso ist das Ausbringen eines Hochs selbst nicht trinkend und die Einnahme einer Festung nicht überfallend, und daher falsch zu sagen: ''Ihm wurde trinkend ein Hoch ausgebracht, die Festung wurde überfallend genommen''.//. Selbst zwei ältere Wendungen finden in diesem Zusammen- $Seite 339$ hange ihre Rechtfertigung: ''umgehend beantworten'': das hieß ursprünglich mit der nächsten umgehenden, d. i. zurückkehrenden Post; und das freilich noch nicht gleich alte ''meistbietend verkaufen'', wenn schon hier der Ersatz aufs-, ''im Meistgebot'' oder Goethes (Werther II. 15. Sept.) ''an den Meistbietenden'' naheliegt. Auch in diesem Zusammenhange rechtfertigt es sich dagegen nicht, daß man nicht nur von allem, was wirklich selber redet, sondern auch von allem, was selbstverständlich ist, einförmig selbstredend gebraucht. Ebenso sollten selbst aus dem kaufmännischen Stile die Wendungen verschwinden: ''Inliegend, beifolgend, angebogen übersende ich Ihnen, stelle ich Ihnen zu'' u. ä. Denn einmal stehn die bequemeren Adverbien anbei, hiermit zur Verfügung. Dann aber bestimmen sie weder, wie die oben gerechtfertigten Mittelwörter, die Handlung der Art nach, noch erfüllen sie die Bedingungen, unter denen allein nicht adverbiale Partizipien ohne Zweideutigkeit auch auf einen andern Satzteil als das Subjekt bezogen werden können.
Was in den Fällen, in denen immer ein Genetiv vom andern abhängt, die Schönheit des Stils verlangt, fordert gleich gebieterisch die Deutlichkeit in dem andern Falle, daß zwei Genetive von einem und demselben Hauptworte abhängen. Die gewöhnlichste Aushilfe ist die, daß der subjektive Genetiv, wie einst fast immer, vor das Hauptwort, der zweite, meist objektive, dahinter gestellt wird. Also nicht: ''der Lehrer der deutschen Sprache des Kronprinzen'', sondern: ''des Kronprinzen Lehrer der deutschen Sprache'' oder besser ''im Deutschen''); nicht: ''über den Plan Polens einer militärisch-politischen Konvention'', sondern: ''über Polens Plan e. m. K''.; nicht: ''der pflichtmäßige Schutz des Staates der Religionsfreiheit und der bürgerlichen Ehre seiner Bürger'' sondern: ''des Staates Schutz der Religionsfreiheit''. Selbst der an sich richtige Ausfall des regierenden Hauptwortes rechtfertigt es nicht, daß zwei solche Genetive zusammenstoßen, weshalb denn z. B. der Satz der Tägl. Rundschau: ''unter den Bildnissen ist das beste Crola's einer älteren Dame'', geändert werden muß in: ... ''ist das beste das einer älteren Dame von Crola'' (vgl. § 161, 3).
Der Verbindung eines subjektiven und eines objektiven Genetivs mit dem nämlichen Hauptworte kommen Fügungen am nächsten wie: ''Rankes Geschichte der römischen Päpste, Schwabs Leben Schillers, des Alters redselige Kunst der Mitteilung''; und auch noch für anders geartete Genetive gilt der Grundsatz, daß jeder unmittelbar zu seinem Substantiv zu stehen kommen muß. So ist denn falsch: ''der Minister der öffentlichen Bauten des Herrn Thiers'' statt: ''des Herrn Thiers Minister der öffentlichen Bauten''; auch lieber: ''des Erbauers Enkelin Anna'' als: ''die Enkelin A. des Erbauers''. +
Diesen Gesetzen unterstehen die Adjektive auch dann, wenn sie substantivisch gebraucht sind, gleichviel, ob dies nur im einzelnen Falle geschieht, oder ob sie nur noch als Hauptwörter üblich sind wie etwa ''der Beamte, Bediente''. Es hat also ''der Beamte, Bediente, Deutsche; die G(e)rade; das Junge'' durchaus die Mehrzahl ''die Beamten, Bedienten, Deutschen, G(e)raden, Jungen'' neben sich, und ebenso heißt es neben ''das Wohl das Ganze, Äußere'', aber neben ''(s)ein'': ''ein Ganzes, sein Äußeres''; und in der artikellosen Mehrzahl: ''lebendige Junge; Gelehrte, Bediente, Deutsche; vier G(e)rade; Landhäuser englischer Ingenieure und Beamter'' (E. Klose in der St. Galler Zeitung).
Freilich werden diese Grundbestimmungen nicht immer beachtet. Gegen Nr. 1 fehlt E. v. Wolzogen mit der Fügung: ''diese gute, kleine Herzen'', gegen Nr. 2 Martin Greif und H. Hoffmann mit den ähnlichen Fügungen: ''Bewohner des Hochgebirges grade in dessen erhabensten und abgeschiedensten Teile; ein Fluch, der dessen lebendigen Kinder erstarrt darniederstreckte'', wie denn überhaupt öfter der vorgesetzte Genetiv, zumal die Formen ''dessen'' und ''deren'' zu diesem Fehler verleiten. Gegen Nr. 2 und 4. endlich verstößt bei einem nur für den Einzelfall substantivierten Adjektiv W. Raabe mit der Verbindung ''dem Tode'' oder ''etwas noch viel Schlimmeren'' (statt ''Schlimmerem'') ''nahe'', und bei einem nur noch substantivisch aufgefaßten Worte Eltze mit der anderen: ''lauter Erzherzoge, Prinzen und Gesandten'' (statt ''Gesandte'') ''saßen in der Loge''. +
Die letztere Ausdrucksweise ist umso angemessener, je mehr der zu bezeichnende Zustand ein solcher ist, der nicht ganz gewöhnlich und deshalb schwer unter einen alten, festgeprägten Begriff zu fassen ist. Geradezu falsch ist es, Hauptwörter auf ''-heit'', die nur von Haupt- und Eigenschaftswörtern gebildet werden (''Mensch-, Christen-, Schönheit''), auch von jedem beliebigen Mittelwort abzuleiten, während sie doch von dieser Verbalform nur dann möglich sind, wenn diese durchaus adjektivische Bedeutung angenommen hat. Trotz ''Verdrossenheit, Besonnenheit, Gelassenheit, Ergebenheit'' u. ä. ist also schon ''Zuvorkommen(d)heit'' (statt ''Höflichkeit'' oder ''Entgegenkommen''), ''Gepflogenheit'' (statt ''Gewohnheit'') nicht sonderlich schön; aber gar unerträglich sind z. B. ''(Un)begründetheit, Bedeuten(d)heit, Treffendheit, Unterrichtet-, Geordnet-, Geglättet-, Angetrunken-, Angeraucht-, Unbeachtet-, Ausgebreitetheit'', gar auch ''Übertriebenheiten'', für die teils einfachere Worte vorhandenen sind, teils Sätze am Platze wären. +
Endlich ist der Fall zu erwähnen, daß Adjektive ganz aus der adjektivischen Deklination heraustreten. Das geschieht nicht nur, wenn sie ganz und gar Substantive werden, wie etwa ''der Junge'', oder ''das Gut, Übel, Recht, Unrecht'', sondern auch, wenn sie zunächst für den vorliegenden Fall und nur in allmählich fester werdender Verwendung des Adjektivs zur einfachen substantivischen Bezeichnung der Eigenschaft selbst oder eines diese tragenden Stoffes dienen: ''das Blau des Himmels, das Grün des Meeres, Immergrün, das beste Deutsch, ein urwüchsiges Deutsch, das altklassische Chinesisch'', wie die Beispiele zeigen, hauptsächlich Bezeichnungen von Farben und Sprachen. Der Genetiv dazu hat wohl die Endung ''s'': ''des Grüns an der Südseite der Alpen''; und auch von substantivierten Bezeichnungen der Sprachen kommen bezeichnete Genetive, wie: ''des Juristendeutsches, des heutigen Deutschs'' gelegentlich vor neben den häufigeren unbezeichneten: ''Grammatik des klassischen Chinesich, Verbesserung des Zeitungsdeutsch''; ja auch sonst findet sich z. B.: ''des schmutzigen Grau'' und ''Grün der Wiesen'' bei M. Ebeling untadelig. Der Dativ hat nie ein ''e''. ''Der See erglänzt im tiefsten'' oder ''in tiefstem Blau; in Schwarz gehn''. Übrigens unterliegen substantivische Sprachbezeichnungen dieser ziemlich endungsarmen starken Beugung nur, wenn ihnen ein Bei- oder Bestimmungswort vorangeht oder ein 2. Fall nachfolgt; ohne solche nähere Bestimmung bleiben sie schwach; vgl. ''das (Platt-)deutsche, des (Platt-) deutschen'' //1 Darüber hat am ausführlichsten K. Scheffler in der Zeitschr. d. Allgem. Deutschen Sprachvereins 1893, S. 148 ff. gehandelt.//. +
Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegriffen ''alle, keine, einige, wenige, einzelne, etliche, manche, mehrere, viele, sämtliche'', denen sich auch die Adjektiva ''andre, verschiedne'' und ''gewisse'' anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem $Seite 31$ Sinne von ''mehrere'' und ''einige'' stehen. Da sagt man: ''aller guten Dinge, aller halben Stunden, mancher kleinen Souveräne, einzelner ausgezeichneten Schriftsteller, verschiedner schweren Bedenken, gewisser aristokratischen Kreise'', aber auch: ''vieler andrer Gebiete, vieler fremder Volkskräfte, vieler damaliger preußischer Offiziere, einzelner großer politischer Ereignisse, sämtlicher deutscher evangelischer'Kirchenregimente, gewisser mathematischer Kenntnisse''. Sollte es denn nicht möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schaffen?
Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen ist: nach ''alle'' und ''keine''. Sollte das nicht einen tiefern Grund haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch hinter dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern (''dieser'' und ''jener'') und hinter den besitzanzeigenden Adjektiven (''mein, dein'' usw.). In allen diesen Fällen aber handelt es sich um eine ganz bestimmte Menge. Dagegen bezeichnet die artikellose Form eine unbestimmte Menge. Sollte es nun Zufall sein, daß gerade ''alle'' (mit seiner Negation ''keine'') der Form gefolgt ist, die eine bestimmte Menge ausdrückt? ''Alle'' und ''keine'' sind die einzigen in der ganzen Reihe. Alle übrigen (''viele, einige, manche'' usw.) bezeichnen eine unbestimmte Menge; ''viele'' und ''einige'' bleiben ''viele'' und ''einige'', auch wenn einer dazu kommt oder abgeht. Sollte sich nicht deshalb hier die artikellose Form erhalten haben? Im Nominativ überall: ''viele junge Leute, manche bittre Erfahrungen, verschiedne schwere Bedenken, gewisse aristokratische Kreise''. Erst im Genitiv beginnt das Schwanken zwischen ''vieler junger Leute'' und ''vieler jungen Leute, verschiedner freisinniger Blätter'' und ''verschiedner freisinnigen Blätter, mehrerer andrer ausländischer Blätter'' und ''mehrerer andern ausländischen Blätter''. Unzweifelhaft wäre also die starke Form hier überall vorzuziehen. Nur noch hinter ''sämtliche'' wäre die schwache $Seite 32$ am Platze, denn ''sämtliche'' bedeutet ja dasselbe wie ''alle'', also eine bestimmte Menge.
Hinter den wirklichen Zahlwörtern: ''zwei, drei, vier, fünf'' usw. steht im Nominativ überall die starke Form, so auch im Genitiv, solange die Zahlwörter selbst undekliniert bleiben: ''die Kraft vier starker Männer, um fünf Gerechter willen''. Dagegen beginnt das Schwanken, sobald die Zahlwörter selbst wie Adjektiva dekliniert werden: ''ein Kampf zweier großen Völker'' steht neben ''einem Kampf zweier großer Völker''. Daß aber auch hier die starke Form vorzuziehen ist, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Beide dagegen schließt sich an ''alle'' und ''keine'' an: ''beide hier mitgeteilten Schriftstücke''.
Nie dürfen Nebensätze mit ''indem'' und ''so daß'' anstatt weiterführender Hauptsätze gebraucht werden; denn das hieße selbständige, gleichwertige Gedanken in ein vollständig unterordnendes Verhältnis zwängen, insofern Sätze mit ''indem'' heute hauptsächlich das zeitliche Zusammenfallen oder die besondere Art der Ausführung einer bereits gemeldeten Handlung anführen und ''so daß'' gar das logische Verhältnis der Folge zur Ursache angibt. Ganz verwerflich ist also der Zeitungssatz: ''Der Kommerzienrat enthob seinen ersten Beamten, als sich der Verdacht seiner Veruntreuung bestätigte, auf der Stelle telegraphisch seines Amtes, indem er aus dem Bade nach Hause eilte'' (statt: ''und eilte — nach Hause''), ''um vorläufig das Geschäft selber zu leiten''. Nicht besser steht bei einem Germanisten: ''Am siebenten'' $Seite 329$ ''Morgen kommen sie nach Worms, wo sie niemand kennt, bis Hagen herbeigerufen wird und den Fremden für Siegfried erklärt, indem er von seinen Taten erzählt''. Weiter gar ein Satzungeheuer: ''Die Russen freilich und besonders die Franzosen und die italienischen Radikalen, die mit dem Zerfallen des Dreibundes schon die Erfüllung ihrer gefährlichen Pläne wie hofften, so auch glaubten, zetern über die in diesem Bunde liegende Herausforderung des übrigen Europa, jene beiden großen Mächte, die erste vor allem, freilich nicht in so kindischer Weise, wie die italienischen Radikalen ihren Ärger über die Durchkreuzung ihrer Pläne verraten, geradezu pöbelhaft nämlich, so daß es für jeden, der mit den Verhältnissen zu rechnen vermag, wahrlich ersichtlich genug ist, daß dieser den Frieden gewährleistende Bund die größte Segnung für die zivilisierte Welt bedeutet, mögen auch die Heere, auf denen sein überwältigender Eindruck beruht, ihren Völkern die schwersten Opfer kosten''. Nicht nur ist der Satz kaum zu übersehn, sondern die Fortführung mit ''so daß'' erweckt den Eindruck, als ob die Erkenntnis der Einsichtigen nur eine Folge der pöbelhaften Auftritte in der italienischen Kammer wäre, während sie doch auch auf den Urteilen Rußlands und Frankreichs und auf allgemeinen Erwägungen beruht. Diesem Verhältnisse kann nur eine derartige Fortführung gerecht werden: ''Wer aber mit den Verhältnissen zu rechnen vermag, wird vollends nach solchen Urteilen von diesen Seiten nur desto deutlicher erkennen'' usw. Im ganzen darf man glücklicherweise sagen, daß dieser Mißbrauch der Bindewörter ''indem'' und ''so daß'' heute seltener ist als selbst bei den Klassikern, Gelehrte, die des Rechts vor allen, und Zeitungsschreiber abgerechnet. Um so öfter begegnet jetzt derselbe Fehler in der Form des abgekürzten Satzes, nämlich in der Anwendung des Mittelwertes der Gegenwart oder der Nennform mit um zu statt eines weiterführenden Hauptsatzes.
T
Außer in den Fällen, wo die absolute oder appositive Form des abhängigen Hauptwortes für keine Stilgattung bedenklich ist, steht neben dem Teilungsgenetive berechtigterweise auch das Wörtchen ''von'' zur Verfügung; und wenn schon der Genetiv auch hier vor der Umschreibung im allgemeinen den Vorzug verdient, so gebührt dieser anderseits jenem Wörtchen in folgenden Fällen. Abgesehen von ''deren'' und den gar nicht mehr partitiven, sondern pleonastischen Formeln: ''unser, euer, ihr''(''er'') sind ''so'' und ''soviel'', erstens dann, wenn die zu teilende Gesamtheit durch ein persönliches oder hinweisendes Fürwort ausgedrückt ist: ''von ihnen war nur die Hälfte erschienen''. Sodann ist die Umschreibung mit ''von'' geboten, wenn die bloße Zusammenrückung noch nicht gewohnheitsmäßig ist und infolge der Eigenart der Beifügung, namentlich einer abstrakten, als hart empfunden würde, der bloße Genetiv eines Maskulinums und Neutrums aber in solchem Gebrauche nicht mehr üblich und der bestimmte Artikel zu bestimmt hinweisend und abgrenzend erscheint: ''Schwer ließe sich das ganze Maß von Elend in Worten wiedergeben'', wo weder ''Maß Elends'' oder ''Maß Elend'' möglich noch ''Maß des Elends'' ganz gleichbedeutend wäre; ''eine weite Flucht von Wohn- und Empfangszimmern, eine Unmasse von Vorbereitungen'' u. ä. Deutlich sind jene drei Bedingungen zugleich erfüllt, wenn bei Zahlsubstantiven wie ''Paar, Dutzend, Hundert, Tausend'', die im übrigen oft durch Bericht auf die Endungen zu Zahladjektiven geworden sind, durch Beibehaltung der Endungen desto entschiedner die substantivische Geltung und Behandlung betont wird: ''Dutzende von Aasgeiern, Körbe mit Hunderten von Eiern, Tausende von Rindern''. Auch eine mit dem Demonstrativ ''dieser'' und ''jener'' oder mit dem Artikel + Adjektiv namentlich im $Seite 178$ Superlativ versehene Bezeichnung des Ganzen, zumal wenn sie ein Stoffname ist, tritt fast ausschließlich schon mit ''von'' statt im Genetiv auf, und das berechtigterweise, weil sich damit meist der Begriff verbindet, daß etwas da und davon genommen ist: ''Die Flasche von diesem Weine wird so und so berechnet, ein Meter vom besten Tuche''. Endlich ist ''von'' die beste Aushilfe, falls bei der Wahl des Genetivs zu viele unbequeme Genetivendungen aufeinanderfolgten. Darüber hinaus aber verdient ''von'' keine Bevorzugung vor dem Genetive; unbedingt häßlich wirken die Zeitungsausdrücke: ''eine Anzahl von miteinander wetteifernden städtischen Mittelpunkten'' und ''Ausstattung von unwillkürlich sich einprägender Schilderung mit anschaulicher Besonderheit''.
Während die fehlerhafte Zusammenziehung aus einem irregeleiteten Streben nach Kürze entsteht, beruht ein andrer Fehler auf dem Streben nach Breite und Wortreichtum: der Fehler, einen Begriff doppelt oder gar dreifach auszudrucken. Man bezeichnet ihn mit Ausdrücken der griechischen Grammatik als Tautologie (Dasselbesagung) oder Pleonasmus (Überfluß).
In den seltensten Fällen will man durch die Verdopplung etwa den Begriff verstärken,//* Das geschieht z. B. bei der Verdopplung einer Ortsangabe, wie: ''an diese Jugendarbeit schlossen sich mehrere Dramen an — sie traten aus der Landeskirche aus — man warf ihn aus dem Zimmer hinaus — das Gymnasium geriet in einen innern Widerspruch hinein — dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesetz hindurch — wir können uns schlechterdings nicht darum herumdrücken.'' Gegen solche Verdopplungen ist nichts einzuwenden.// gewöhnlich fällt man aus bloßer Gedankenlosigkeit hinein. Zu den üblichsten Tautologien gehören: ''bereits schon, ich pflege gewöhnlich, einander gegenseitig'' oder gar ''sich einander gegenseitig''.//** Von einem Leipziger Bankier erzählt man, daß er auf die Frage, ob er eine gewisse ausländische Geldsorte beschaffen könne, mit der Gegenfrage geantwortet habe: ''muss es denn jetzt alleweile gleich in demselben Momente sein?''// Aber es gibt ihrer von den verschiedensten Arten. Auch in Verbindungen wie: ''schon gleich'' (''die Bedenken fangen schon gleich beim Lesen der ersten Seite an''), ''auch selbst, nach abwärts, nach dieser Richtung'' (statt: ''nach dieser Seite oder in dieser Richtung''), ''nach verschiednen Richtungen hin'' (!), ''unsre Gegenwart'' (statt: ''unsre Zeit oder die Gegenwart''), ''unsre deutsche Jugend, unser deutsches Vaterland, mein mir übertragnes'' $Seite 284$ ''Amt, rückvergüten, gemeinschaftliches Zusammenwirken, etwas näher bei Lichte besehen, nicht ganz ohne jede gute Regung, Personen beiderlei Geschlechts'' (statt ''beider Geschlechter''), ''Hilfeleistungen weiblicher Schwestern, es kann möglich sein, ich darf mit Recht beanspruchen, das Lob, das ihm mit Recht gebührt, man muß von einem Geschichtschreiber verlangen, die Forderung ist unerläßlich, er hat Anspruch auf gebührende Beachtung, die Übung der Denkkraft, die angeblich durch die Mathematik erzielt werden soll'' — überall ist hier ein Begriff ganz unnötigerweise doppelt da. Es genügt, zu sagen entweder: ''mein Amt'' oder: ''das mir übertragne Amt'', entweder: ''man kann von einem Geschichtschreiber verlangen'', oder: ''ein Geschichtschreiber muß'', entweder; ''die Übung, die angeblich erzielt wird,'' oder: ''die erzielt werden soll. In Leipzig werden immer noch Dinge meistbietend versteigert'' — das soll heißen: ''an den, der das Meiste bietet!'' Das liegt aber doch schon in dem Begriffe des ''Versteigerns''. Auch Zusammensetzungen wie ''Rückerinnerung, vollfüllen'' und das jetzt so beliebte ''loslösen'' (statt ''lösen'' oder ''trennen'', das gar niemand mehr zu kennen scheint) sind nichts als Pleonasmen; ebenso die beliebten Partizipzusätze, die zum Teil aus schlechtem lateinischem Unterricht stammen: ''auf erhaltnen mündlichen Befehl — nach gehaltner Frühpredigt — die erfahrne unwürdige Behandlung — ohne vorhergehende Beschaffung geeigneter Verkehrsmittel — nach einer vorhergehenden Fermate — bis zur getroffnen Entscheidung — die angestellte Untersuchung ergab — meine Erörterung gründet sich auf schon gemachte Erfahrungen — die Aussteller sind in der Reihe ihrer erfolgten Anmeldung aufgeführt.'' Man streiche die Partizipia, und der Sinn bleibt derselbe, der Ausdruck aber wird knapper und sauberer (vgl. auch, was S. 164 über ''stattgefunden'' und ''stattgehabt'' gesagt ist).
Der häufigste Pleonasmus aber und der, der nachgerade zu einer dauernden Geschwulst am Leibe unsrer Sprache zu werden droht und trotzdem allgemein wie $Seite 285$ eine besondre Zierde der Sprache empfunden zu werden scheint, ist der, nach den Begriffen der Möglichkeit und der Erlaubnis, der Notwendigkeit und der Absicht beim Infinitiv diese Begriffe durch die Hilfszeitwörter ''können, dürfen, wollen, sollen, müssen'' zu wiederholen, also zu schreiben: ''niemand schien geeigneter als Ranke, dieses Werk zur Vollendung bringen zu können — die Leichtigkeit, die gepriesensten Punkte Süditaliens erreichen zu können — die Möglichkeit, die Sozialdemokratie mit gleichen Waffen bekämpfen zu können — die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können — die Mittel, an Ort und Stelle mit Nachdruck auftreten zu können — es ist Gelegenheit gegeben, auch am Polytechnikum Vorlesungen hören zu können — er hatte genügendes Kapital, etwas ausführen zu können — die Finanzwirtschaft ist gar nicht imstande, das Kreditwesen des Staates entbehren zu können — ich getraute mir nicht, das Gespräch mit ihm aufrecht erhalten zu können — wenn es mir gelingen sollte, hierdurch meine Verehrung an den Tag legen zu können — es ist zu beklagen, daß so aufrichtige Naturen sich nicht anders zur Kirche stellen zu können vermögen'' (!) — ''der Thronfolger kann von Glück sagen, wenn es ihm erspart bleibt, seine Herrscherautorität nicht erst durch die Schärfe des Schwerts erkämpfen zu brauchen''//* Dabei noch der gemeine Provinzialismus, daß ''brauchen'' mit dem bloßen Infinitiv verbunden ist!// — ''es sei mir gestattet, einen Irrtum berichtigen zu dürfen — der Biograph hat das schöne Recht, Enthusiast sein zu dürfen — eine Stellung, die ihm erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolg produzieren zu dürfen — die Erlaubnis, seine Gemälde berichtigen zu dürfen — die Freiheit, seiner innern Eingebung folgen zu dürfen — der Anspruch, Universalgeschichte sein zu wollen — er sprach seine Bereitwilligkeit aus, auf diesem Wege vorgehen zu wollen — die Absicht, blenden oder über ihre Verhältnisse leben zu wollen — er hat versprochen, in den ruhmreichen Bahnen seines'' $Seite 286$ ''Großvaters fortwandeln zu wollen — die Aufgabe, die Akademie reformieren zu sollen — es gehört zu den schönsten Aufgaben, das Leben eines Zeitgenossen beschreiben zu wollen'' (!) — ''die Zumutung, Gott ohne Bilder anbeten zu sollen — die Verhältnisse zwangen den König, auf die Führung seines Heeres verzichten zu müssen.''
Statt in Nebensätzen die Hilfszeitwörter ''sein'' und ''haben'' immer wegzulassen, wo sie oft ganz unentbehrlich sind (vgl. S. 134), bekämpfe man lieber diese abscheuliche Gewohnheit; die unnützen ''können, dürfen, wollen, sollen'' und ''müssen'' sind wirklich wie garstige Rattenschwänze.//* Ein neutraler Begriff ist ''Lage''. ''Ich bin in der Lage'' — kann ebenso gut heißen: ''ich habe die Möglichkeit'', wie: ''ich bin genötigt''. Hier muß die besondre Art der Lage durch ein ''können'' oder ''müssen'' näher bezeichnet werden. Dagegen ist es natürlich überflüssig, zu schreiben: ''er wird in die Zwangslage gebracht, sich mit einer Stellung zweiten Ranges begnügen zu müssen.'' Vereinzelt wird übrigens auch der umgekehrte Fehler gemacht, nämlich das Hilfszeitwort unterdrückt, wo es ganz notwendig ist, z. B.: ''wir erklärten, dazubleiben'' — wo es heißen muß: ''dableiben zu wollen'', denn in ''erklären'' liegt doch noch nicht der Begriff der Absicht.//
Übrigens verraten die zwei obigen Averbien auf -''weise'' ihre Natur, gleich einem Satze ein Urteil zu enthalten, auch darin, daß sie nie attributiv gebraucht werden, wenn schon dazu neben ihrer inneren Bedeutung auch das mitgewirkt haben mag, daß die Deklination des Adjektivs noch als lebendige syntaktische Fügung fühlbar ist: ''erfreulicher Weise''. Anders die Adverbien auf -''weise'', deren serster Bestandteil ein Hauptwort und immer er ''stück stück-, schock-, toß-. ruck-, teilweise'' u. v. a.; also: ''unter der stückweisen Erwägung'' $Seite 35$ (Less.), ''pfundweise Abgabe, ruckweises Anziehen des Seiles; vorzugsweise Belieferung''. Nur darin macht sich auch bei diesen die adverbiale Natur noch geltend, daß sie der attributischen Verbindung mit anderen als Verbalsubstantiven widerstreben, wie es denn auf alle Fälle falsch wäre zu sagen: ''auszugsweise Urkunde'' (statt ''Urkunde im Auszuge'' oder ''Auszug der Urkunde''), ''schock- oder stückweiser Preis'' (statt ''der Preis im Schock, Einzelpreis''), ''dieser andeutungsweise historische Rückblick'' (DAZ. 28) und gar: ''In einem fallweisen jüngsten Gericht'' (soll heißen: ''Falls es ein j. Gericht gibt''!) ''würde ich Gott zur Rede stellen und nicht er mich'' (Bartsch, Seb. Rabesam). Aber schlechthin ihre adjektivische Verwendung mit der Unterstellung als ungehörig dartun zu wollen, daß sie auf Verwechslung des Adjektivs ''weise'' (= ''klug'') und des Substantivs ''Weise'' beruhe, ist ebenso lächerlich, als der andere Grund, daß eine Wortart nicht in dieser Weise in die andere übertreten könne, so allgemein vor der geschichtlichen Sprachbetrachtung nicht stichhaltig ist; oder sind nicht ''zufrieden, behende, ungefähr, Weihnachten, einzeln'' u. v. a. auch adverbiale Fügungen gewesen? Auch zeigt die verschiedene Behandlung der beiden Arten von Zusammensetzungen mit -''weise'', wie das Sprachgefühl hier gar nicht so äußerlich irregeleitet worden ist, sondern nach innerlichen Gründen eine Grenze anerkannt hat. Wie dabei die Betonung geholfen hat, zeigt Kieseritzky, a. a. O. S. 119. Aber wem ihre Anwendung widerstrebt, kann ihr ja enthoben bleiben, wenn er seine Gedanken in Verben ausdrückt und sie nicht in Verbalsubstantive zusammendrängt. Statt mit Koser zu sagen: ''Das angriffsweise vorgehen entsprach der Lage wie der inneren Natur Friedrichs'', könnte man ja auch zufügen: ''So angriffsweise vorzugehn'' oder ''daß er so angriffsweise vorging, entsprach'' usw.
Wenn jemand anstatt: ''da muß ich mich geirrt haben'' — sagte: ''da mußte ich mich irren'' oder: ''da habe ich mich irren müssen'', so würde man ihn wohl sehr verdutzt ansehen, denn eine solche Tempusverschiebung aus dem Infinitiv in das regierende Verbum ließe auf eine etwas ungewöhnliche Geistesverfassung schließen. Der Fehler wird aber gar nicht selten gemacht, nur daß er nicht immer so verblüffend hervortritt, z. B.: ''die Ausstattung der Bühne, die ziemlich prunkvoll beliebt zu sein schien'' (anstatt: ''beliebt gewesen zu sein scheint'') — ''ich glaube bewiesen zu haben, daß die Verfügung des Oberpräsidenten an dem Anschwellen der Bewegung nicht schuld sein konnte'' (anstatt: ''nicht schuld gewesen sein kann''). Nicht besser, eher noch schlimmer ist es, die Vergangenheit doppelt zu setzen, z. B.: ''später mochten wohl die Arbeiten für den Kurfürsten dem Künstler nicht mehr die Muße gelassen haben''. Wenn ein Vorgang aus der Vergangenheit nicht als wirklich, sondern mit Hilfe von ''scheinen, mögen, können, müssen'' nur als möglich oder wahrscheinlich hingestellt werden soll, so gehört die Vergangenheit natürlich nicht in $Seite 110$ die Form der Aussage, denn die Aussage geschieht ja in der Gegenwart, sondern sie gehört in den Infinitiv. Es muß also heißen: ''mögen nicht gelassen haben''.
Manche möchten es ja nun gern richtig machen, sind sich aber über die richtige Form des Infinitivs nicht klar. Wenn z. B. jemand schreibt: ''Ludwig scheint sich durch seine Vorliebe für die Musik etwas von den Wissenschaften entfernt zu haben'' — und sich einbildet, damit den Satz: ''Ludwig hatte sich von den Wissenschaften entfernt'' — in das Gebiet der Wahrscheinlichkeit gerückt zu haben, so irrt er sich. Die Tempora des Indikativs und des Infinitivs entsprechen einander in folgender Weise:
L. ''entfernt sich — scheint sich zu entfernen''.
L. ''entfernte sich — scheint sich entfernt zu haben'' (nämlich damals).
L. ''hat sich entfernt — scheint sich entfernt zu haben'' (nämlich jetzt).
L. ''hatte sich entfernt — scheint sich entfernt gehabt zu haben''.
L. ''wird sich entfernen — scheint sich entfernen zu wollen''.
Zusammensetzungen aus zwei Substantiven wurden im Deutschen ursprünglich nur so gebildet, daß der Stamm des ersten Wortes, des Bestimmungswortes, an das zweite, das bestimmte Wort vorn angefügt wurde, z. B. ''Tagelohn''; das ''e'' in ''Tagelohn'' ist der abgeschwächte Stammauslaut. Später sind zusammengesetzte Wörter auch dadurch entstanden, daß ein vorangehendes Substantiv im Genitiv mit einem folgenden durch einfaches Aneinanderrücken verschmolz, z. B. ''Gottesdienst''. In manchen Fällen sind jetzt beide Arten der Zusammensetzungen nebeneinander gebräuchlich in verschiedner Bedeutung, z. B. ''Landmann'' und ''Landsmann'', $Seite 68$ ''Wassernot'' und ''Wassersnot''. Nun endet bei allen schwachen Femininen der Stamm ursprünglich ebenso wie der Genitiv, beide gehen eigentlich auf ''en'' aus, und so haben diese schwachen Feminina eine sehr große Zahl von Zusammensetzungen mit ''en'' gebildet, auch in das Gebiet der starken Feminina übergegriffen, sodaß ''en'' zum Hauptbindemittel für Feminina überhaupt geworden ist. Man denke nur an ''Sonnenschein, Frauenkirche'' (d. i. ''die Kirche unsrer lieben Frauen, der Jungfrau Maria''), ''Erdenrund, Lindenblatt, Aschenbecher, Taschentuch, Seifensieder, Gassenjunge, Stubentür, Laubendach, Küchenschrank, Schneckenberg, Wochenamt, Gallenstein, Höhlenzeichnung, Leichenpredigt, Reihenfolge, Wiegenlied, Längenmaß, Breitengrad, Größenwahn, Muldental, Pleißenburg, Parthendörfer, Markthallenstraße'' u. a. Sogar Lehn- und Fremdwörter haben sich dieser Zusammensetzung angeschlossen, wie in ''Straßenpflaster, Tintenfaß, Kirchendiener, Lampenschirm, Flötenspiel, Kasernenhof, Bastillenplatz, Visitenkarte, Toilettentisch, Promenadenfächer, Kolonnadenstraße. Ein reizendes Bild in der Dresdner Galerie ist das Schokoladenmädchen.''
Bei dem einfachen Zusammenrücken von Wörtern stellten sich aber nun Genitive im Plural als erster Teil der Zusammensetzung ein, und das hat neuerdings zu einer traurigen Verirrung geführt. Man bildet sich ein, das Binde-''en'' sei überhaupt nichts andres als das Plural-''en'', man fühlt nicht mehr, daß dieses ''en'' ebenso gut die Berechtigung hat, einen weiblichen Singular mit einem folgenden Substantiv zu verbinden, und so schreibt und druckt man jetzt wahrhaftig aus Angst vor eingebildeten widersinnigen Pluralen: ''Aschebecher, Aschegrube, Tintefaß, Jauchefaß, Sahnekäse, Hefezelle, Hefepilz, Rassepferd und Rassehund, Stellegesuch, Muldetal, Pleißeufer, Gartenlaubekalender, Gartenlaubebilderbuch, Sparkassebuch, Visitekarte, Toiletteseife, Serviettering, Manschetteknopf, Promenadeplatz, Schoko-'' $Seite 69$ ''ladefabrik'' usw. In allen Bauzeitungen muß man von ''Mansardedach'' und von ''Lageplan'' lesen (so haben die Architekten, die erfreulicherweise eifrige Sprachreiniger sind, ''Situationsplan'' übersetzt), in allen Kunstzeitschriften von ''Kohlezeichnungen'', offenbar damit ja nicht einer denke, die Zeichnungen wären mit einem Stück Stein- oder Braunkohle aus dem Kohlenkasten gemacht — nicht wahr? Wer nicht fühlt, daß das alles das bare Gestammel ist, der ist aufrichtig zu bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten, die erst reden lernen und noch nicht alle Konsonanten bewältigen können. Man setze sich das nur im Geiste weiter fort — was wird die Folge sein? daß wir in Zukunft auch stammeln: ''Sonneschein, Taschetuch, Brilleglas, Gosestube, Zigarrespitze, Straßepflaster, Roseduft, Hülsefrucht, Laubedach, Geigespiel, Ehrerettung, Wiegelied, Aschebrödel'' usw.//* ''Höhepunkt'' und ''Blütezeit'' haben wir ja schon längst, und doch wurden auch sie anfangs richtig gebildet: ''Höhenpunkt, Blüten-''// Sollten einzelne dieser Wörter vor der Barbarei bewahrt bleiben, so könnte es nur deshalb geschehen, weil man annähme, ihr Bestimmungswort stehe im Plural, und der sei richtig, also ''ein Taschentuch'' sei nicht ein Tuch für die Tasche, sondern — für die Taschen!
Wo das Binde-''en'' aus rhythmischen oder andern Gründen nicht gebraucht wird, bleibt für Feminina nur noch die eine Möglichkeit, den verkürzten Stamm zu benutzen, der wieder mit dem eigentlichen Stamm der alten starken Feminina zusammenfällt und dadurch überhaupt erst in der Zusammensetzung von Femininen aufgekommen ist. So findet sich in früherer Zeit ''Leichpredigt'' neben ''Leichenpredigt'', und so haben wir längst ''Mühlgasse'' neben ''Mühlenstraße, Erdball'' und ''Erdbeere'' neben ''Erdenrund'' und ''Erdenkloß, Kirchspiel'' und ''Kirchvater'' neben ''Kirchenbuch'' und ''Kirchendiener, Elbtal'', ''Elbufer'' und ''Elbbrücke'' neben ''Muldental'' und ''Muldenbett''. Vor dreißig $Seite 70$ Jahren sagte man ''Lokomotivenführer'', und das war gut und richtig. Neuerdings hat die Amtssprache ''Lokomotivführer'' durchgedrückt. Das ist zwar ganz häßlich, denn nun stoßen zwei Lippenlaute (''v'' und ''f'') aufeinander, aber es ist ja zur Not auch richtig. Aber ein Wort wie ''Saalezeitung'' oder ''Solebad'', wie man auch neuerdings zu lallen anfängt (''das Solebad Kissingen''), ist doch die reine Leimerei. Bei ''Saalzeitung'' könnte wohl einer an ''den Saal'' denken statt an ''die Saale''? Denkt denn ''beim Saalkreis, beim Saalwein'' und ''bei der Saalbahn'' jemand dran?//* Ein Jammer ist es, auf ''Weinkarten'' und ''Weinflaschen'' jetzt ''Liebfraumilch'' lesen zu müssen! Wahrscheinlich zur Entschädigung dafür schmuggelt man das ''en'' in den ''Niersteiner'' ein, der nun ''Nierensteiner'' heißt. Leider ist nur ''Nierstein'' nicht von der ''Niere'', sondern vom Kaiser ''Nero'' genannt. ''Visitekarte, Manschetteknopf, Toiletteseife'' soll vielleicht ''Visittkarte, Manschettknopf, Toilettseife'' gesprochen werden — gehört habe ichs noch nicht, man siehts ja immer nur gedruckt; aber wozu die französische Aussprache?// Die Amtssprache fängt jetzt freilich auch schon an, vom ''Saalekreis'' zu stammeln. Als 1747 das erste Rhinozeros nach Deutschland kam, nannten es die Leute bald ''Nashorn'', halb ''Nasenhorn''. Hätte man das Tier heute zu benennen, man würde es unzweifelhaft ''Nasehorn'' nennen.//* Freilich finden sich auch solche Zusammenleimungen schon früh. Schon im fünfzehnten Jahrhundert kommt in Leipziger Urkunden die ''Parthenmühle'' als ''Pardemöl'' vor. Im Harz spricht man allgemein und wohl seit alter Zeit vom ''Bodetal'' und vom ''Ilsetal''.//
Besonders bei der Zusammensetzung mit Namen wird jetzt (z. B. bei der Taufe neuer Straßen ober Gebäude) fast nur noch in dieser Weise geleimt. Wer wäre vor hundert Jahren imstande gewesen, eine Straße ''Augustastraße'', ein Haus ''Marthahaus'', einen Garten ''Johannapark'' zu nennen! Da sagte man ''Annenkirche, Katharinenstraße, Marienbild'', und es fiel doch auch niemand ein, dabei an eine Mehrzahl von ''Annen, Katharinen'' oder ''Marien'' zu denken.
1. Auf dem zweiten statt ersten Teile des Bestimmungswertes werden mehr als zweiteilige Zusammensetzungen betont, wenn schon das zusammengesetzte Bestimmungswort für sich den Hauptton auf dem Grundworte trüge wie: ''Gründonnerstag, Karfreitag, überland[gehn]'', oder wenn beim losen Nebeneinander von Eigenschafts- und Hauptwort, wie ''gewöhnlich'', das letztere betont ist wie bei ''den Alten Herren'' (nicht mehr Aktive einer Verbindung), ''dem Roten Kreúz, den Drei Königen'', also: ''Karfreitagszauber, Gründonnerstagsstimmung, Überlandzentrale, Altherrenverband, Rotkreuzlotterie, Dreikönigsfest''.
2. Ebenso wenn der innerste Zweck der Zusammensetzung, einen neuen einheitlichen Begriff zu schaffen, nach Lage der Sache nicht erreicht wurde, drang auch das Gesetz nicht durch, und Zusammensetzungen, deren beide Teile das gleichwertige Nebeneinander zweier Begriffe innerhalb einer Einheit bezeichnen sollen, zeigen beide Wörter gleichstark betont: ''Schwéden-Nórwegen, kaíserlich-königlich, saúersüß, ein freúdvoll-schmérzlicher Anblick, die Féldherren-Prínzen'', und bei Magister Laukhard gar eine Ableitung von einer solchen Doppelung: ''er vettermichelte sich bei verschiedenen Offizieren ein''.
$Seite 22$ So berechtigt solche Doppelworte an sich als kürzester Ausdruck für das angedeutete Verhältnis sein mögen, so wird doch eben jetzt schlimmer Unfug damit getrieben. Es entstehen nämlich auf diesem Wege entweder neue langschwänzige Zusammenschweißungen, vor denen zu warnen nur die „Studierenden-Offiziers-Aspiranten" antreten mögen. Oder, und das noch häufiger, es verursachen solch aneinandergerückte Adjektive (und Adverbien) doppelte Unklarheit. Man mag zwar Verbindungen wie: ''ein sonnig-lieblicher Frühlingstag, ein zynisch-spöttischer Vorschlag, schrill-mißtönig, leiblich-dinglich, geistig-seelisch, das Bodenständig-Nationale, das Kosmopolitisch-Internationale, den gütig-klugen Menschen'' und ''den friedlich-redlichen Bürger des fremden Staates'' mit der nur einmal gesetzten Deklinationsendung bequem finden, und auch unbedenklich, weil die Begriffsverwandtschaft solcher Wörter nicht dazu einlädt, im ersten eine Artbestimmung des zweiten zu suchen. Im allgemeinen fühlt man sich gleichwohl immer veranlagt, solche Zusammensetzungen nach Art der wirklich mit adjektivisch-adverbialem Bestimmungsworte eigentlich zusammengesetzten Adjektive aufzufassen und demgemäß nur auf dem ersten Teile zu betonen. Oder wenn man liest: ''ein kaltbleicher Frühschein, unbeabsichtigt-mechanisch führte der Fuß sie dahin, mit irrunsicherm Blicke, dunkel-schwer aufziehende Wolken, mit einem'' (!) ''wundersamruhevoll-seligen Pochen in der Brust'' u. ä., fühlt man sich da nicht verleitet zu fragen, ob es auch ''einen warmbleichen Frühschein, beabsichtigt-mechanisches Tun'' usw. gäbe? Denn bekanntlich enthalten einem Nomen vorgesetzte Bestimmungen immer die enger beschränkende Angabe, die durch Gegensetzung gewonnen und eben darum betont wird. Und wenn man nun schließlich auch einsieht, daß es so — albern nicht gemeint sein kann, so bleibt doch immer der Mißbrauch der eigentlichen adjektivischen Zusammensetzung (''rótbraun'') und der Bestimmung des Adjektivs durch Adverbien (''rein genau'' Gow.) bestehen, der rückwirkend zu einer Trübung auch dieser sonst üblichen Zusammenstellung führt. Schreibt doch schon ein gefeierter Erzähler von einem ''merkwürdig'' (statt ''merkwürdigen'') ''alten Herrn'' und die Tägl. Rundschau von ''Haaren einer'' ''Unglücklich-Wahnsinnigen'' statt ''unglücklichen Wahnsinnigen''. Gönne man doch gleichwertigen Bestimmungen auch die gleiche Form und nenne die Lebensführung eines Menschen, die teils wüst, teils trunken ist, nicht ''wüsttrunken'', sondern ''wüst und trunken'', eine Nacht, die eisigkalt und durch schaurige Ereignisse schrecklich ist, nicht eine ''eisig-schaurige'', sondern eine ''eisige, schaurige Unglücksnacht'' und sage nicht ''schlicht-unbeabsichtigte'', sondern ''schlichte, unbeabsichtigte Weise'', nicht eine ''gesund-kräftige'', sondern ''gesunde, kräftige Erscheinung'' und noch weniger ein ''gleichmäßig ernstfreundliches'', sondern ''ernstes und freundliches Wesen''. Oft wirken offenbar Einflüsse der Dichtung, die gern das Wallen und Wogen der Stimmungen malt, wenn in solcher Weise schwer Vereinbares, namentlich Äußerungen zugleich verschiedener Sinne oder dieser und der Seele in eins zusammengepreßt werden, wie in den Wendungen: ''dunkel-ratlos lag das Pfarrhaus da, es regen sich leisgeheime Säfte''. Aber diese scheinbar malende und doch nur verschwommene und empfindelnd gefühlvolle Darstellungsweise führt zu nichtssagenden Wiederholungen, wenn da, wo ein Begriff genügte, noch ein verwandter angeschweißt wird; ''ausdrucksvoll-lebendig, engelhaft-überirdisch, unversehen-plötzlich, einfachnatürliches Gefühl''. $Seite 23$ Übrigens sind alle diese übersättigten Verbindungen vom kaltbleichen Frühscheine an nur ein kleiner Bruchteil eines langen Sündenregisters aus zwei Werken eines Führenden wie Jensen. Wenn die Meister so künsteln und pressen, ist es freilich kein Wunder, daß solch tändelndes, verschwommenes Gemale auch in Zeitungen, besonders in Kunstbesprechungen und Stimmungsbildern und in allerhand Schilderungen, auch der Romane, beliebt wird. Haben doch die Münchner Künstler einen Raum für ''edel-künstlerische Festesmöglichkeiten'' beantragt, wohl weil etwa(n)ige ''edlere, künstlerische Feste'' zu klar und zu gewöhnlich war für die heut so hehre, zielunsichere Kunst?!
Außer ''als'' tritt vor die Aussage bekanntlich auch ''für'' und ''zu''. Wann aber tritt nun ''als'', wann $Seite 226$ ''für'', wann ''zu'' und wann keins ein? Oft genug hat der Gebrauch zwei dieser drei Möglichkeiten nebeneinander stehn lassen; und wenn z. B. in der Tgl. R. stand: ''Die hygienisch-diätetische Methode hat als'' (statt: ''zum'') ''Ziel eine Hebung der Körperkräfte und Stärkung des Appetites'', so kann jenes höchstens als ungewöhnlicher denn dieses bezeichnet werden. In einzelnen Fällen wieder ist die Einschränkung auf eine Form durchgeführt oder doch fast erreicht. Ganz ist z. B. ''preisen für, schätzen für'' der Verbindung dieser Verben mit dem bloßen Eigenschaftsworte gewichen (''ich preise ihn glücklich'') neben der mit ''als'' und Hauptwort. Auf der nämlichen Stufe der Entwicklung würde auch ''finden für'' bald angelangt sein, wenn sich da nicht eine Spaltung vollzogen hätte, indem ''für gut finden, für das Beste finden'' soviel ist als ''für gut halten, sich für etwas als das Beste entscheiden'', sonst aber das bloße Eigenschaftswort steht; ganz unnatürlich ist es daher, wenn in der Tgl. R. stand: ''Moralphilosophen, die die Freisprechung eines Verbrechers für ganz in der Ordnung finden''. Ehedem war ''für'' (auch ''zu'') viel verbreiteter; jetzt wird es oft mit Recht als altertümlich empfunden, und so ist es immer neben den Zeitwörtern wenig gebräuchlich geblieben, deren Verbindung mit einem Objekte und einem auf dieses bezüglichen Aussageworte noch ziemlich jung ist, wie ''hinstellen, bezeichnen, sich darstellen'' u. ä. Daher fiel z. B. der Satz der Nationalzeitung auf: ''Lahovary bezeichnete das Prinzip der Intervention für verwerflich und für die kleineren Länder schädlich''. Gleich ungewöhnlich ist bei denselben Verben freilich auch das bloße Aussagewort, wie in dem Satze der Tgl. R.: ''Vollkommen'' (statt: ''Als vollkommen'') ''brauchbar für den Kreuzerkrieg können nur drei bezeichnet werden''. Der tiefere Unterschied zwischen dem bloßen oder dem mit ''als'' oder ''zu'' versehnen und dem von für abhängigen Aussagewort ist der, daß jene Fügung die Wesenseinheit und -gleichheit, diese eigentlich die Stellvertretung und daraus hervorgehend die bloße Ähnlichkeit bezeichnet, wie das etwa der Satz beleuchten kann: ''Ehedem brauchten die Lehrer nur Musterleistungen als gut (was sie wirklich waren) anzuerkennen, heute möchten sie auch manches Mittelmäßige noch dafür (für gut, was es eigentlich nicht ist, an dessen Stelle sie es aber gelten lassen) hinnehmen''. Wer sich aus seiner Jugend noch an Märchen und Fabeln erinnert, dem könnte da noch der Fuchs oder der Wanderer einfallen, der sich ''für tot hinlegte'' und ''für tot liegen gelassen wurde''. Daß diese Wendung jetzt kaum noch zu hören ist, beruht auf ihrer Verdrängung durch das Bindewort, das überhaupt im Gegensatze zu dem die Wesensgleichheit bezeichnenden ''als'' heute hauptsächlich die bloße Ähnlichkeit, den bloß vergleichbaren Gegenstand ausdrückt: wie: ''Das war hart'', heißt es unterrichtend in einer Erzählung, ''wie ein nicht zum Mitreden berechtigter Fremder aus einem Hause gewiesen zu werden, wo er jahrelang als Freund aus- und eingegangen war''; und bei Nietzsche: ''Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu euerm Freunde: „Seht nur Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Tieren?“ Aber so ist es besser geredet: Der Erkennende wandelt unter Menschen als unter Tieren."''
§ 234—237. Bis jetzt war von der Kongruenz des Prädikatsnomens die Rede, soweit es einem vollständigen Satze angehört. Wie steht es aber nun mit seinem Kasus, wenn solche Sätze in Partizipalkonstruktionen oder Beisätze übergehen, also attributiv, oder wenn sie gar substantiviert werden?
Gleich den substantivischen Bildungen auf ''-ei'' verraten die verbalen auf ''-ieren'' darin ihre fremde Herkunft, daß mit ihnen gebildete Wörter nicht, wie alle echt deutschen, auf dem Stamme, sondern auf der Endung betont werden. Deshalb soll es anerkannt und nachgeahmt werden, wo diese Endungen abgestreift worden sind und damit eine Wendung zum Heimischen eingetreten ist. Auch kein volkstümelnder Darsteller sollte mehr auf einst häufigere Formen wie ''wandelieren, schwänzelieren, dokterieren, schmausieren'' statt ''wandeln'' usw. zurückgreifen und noch viel weniger Wörter wie ''quengelieren, sinnieren'' neu einführen. Schon Matthison sagt ''harfen'' statt ''harfenieren'', die Grimm mit dem Volke ''drangsalen'' statt ''drangsalieren'', die Süddeutschen (wieder oder noch) ''buchstaben'' statt ''buchstabieren'', das Volk ''maulen'' statt sich ''vermaulieren'', ''kellnern, maulschellen, verklauselt''; Zeitungen: ''irrlichtelnde Halbgelehrte'' und ''kräftig pulsendes Leben'', der Normenausschuß der deutschen Industrie ''normen'', ''Normung'', sowie als Allerjüngste Chr. Morgenstern ''gemarmorter Baustoff'' und H. Leip ''kutschen'' und ''vorpsalmen''//1 Kieseritzky, Die Schönheit unserer Muttersprache, der im übrigen in der Endung ''-ieren'' ein Mittel zur Pflege des Satztones findet, empfiehlt S. 321 Freunden solch deutscherer Formen die klingenderen Abteilungen auf ''-ern'': ''wortspielern, irrlichtern''.//. Auf demselben Wege zu knappem Ausdruck liegen Kurzformen wie ''nächten'' statt ''nächtigen'', ''gewitzt'' statt ''gewitzigt'', samt entsprechenden Hauptwörtern wie ''Einung'' und bei H. Chrph. Ade ''Krustung, Vergeistung, Vereinung'' und ''Wiedereinung''. +
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Nicht leicht fällt es oft, zwischen der Nennform mit ''zu'' und der mit ''um zu'' die richtige Wahl zu treffen. Da die Verbindung ''um zu'' erst später entstanden ist und die Nennform mit bloßem ''zu'' früher zum Ausdruck der Absicht ausgereicht hat, kann diese kürzere Fügung noch heute überall da angewandt werden, wo auch um zu stehen könnte, vor allem in Absichtssätzen: ''Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler Held, den flüchtigen Gemsbock zu jagen'' (Schiller). Nur dann sollte man heute den verkürzten Absichts- und Folgesatz mit ''um zu'' beginnen, wenn im Satze zugleich ein verkürzter Subjekts-, Objekts- oder Attributsatz vorkommt; denn da gibt die jüngere Fügung mit ''um zu'' ein $Seite 333$ Mittel an die Hand, den Umstandssatz, dem allein ''um zu'' zukommt, von jenen ''zu'' unterscheiden. Musterhaft hat also Schiller auch geschrieben: ''Ihren Gedanken ist es genug, kein erklärter Rebell zu sein'' (Subj.), ''um sich befugt zu glauben'' (Umstandssatz), ''seine Amtspflicht nach Gutdünken zu modeln'' (Obj.). Tadelnswert dagegen ein Mitarbeiter der N. Fr. Pr.: ''Solche Vorteile zu erwerben, lohnt sich gewiß, der Dampfkultur näher zu treten''; denn bis zum Beginn der zweiten Infinitivfügung wird jeder die erste für das Subjekt gehalten haben; dem würde aber vorgebeugt durch die Form: ''Um solche Vorteile zu erwerben''.
Umgekehrt darf ''um zu'', die jüngere und nur für Umstandssätze ausgebildete Form, nicht für zu im Subjekts-, Objekts- oder Attributsatze eintreten, vor allem also nicht nach Hauptwörtern, deren Ergänzung ein Genetiv oder als dessen verbaler Ersatz der Infinitiv mit ''zu'' ist. Unbedingt getadelt werden muß daher wegen des überflüssigen um z. B. der Satz der Zitt. Nachr.: ''Doch denkt kein dortiges Blatt daran, um auch seinerseits eine starke Vermehrung der heimischen Armee vorzuschlagen''. Ebenso die Fügung v. Dürckheims: ''Dies alles''//1 Über den Zweck dieser Tonbezeichnung vgl. die folgende Anmerkung.// ''ließ uns keine Zeit, um unwohl zu werden. So würde der Insurrektion kein Vorschub geleistet, um sich zu verbreiten''; bei Sigm. Feist (1913): ''Die Darlegungen dienen nicht, um die Tatsache als solche offenkundig zu machen''; oder in der N. Fr. Pr.: ''In der Absicht, um zu gehen''. Anders liegt das Verhältnis, wenn solche Hauptwörter mit dem Zeitworte zusammen einen mehr oder minder einheitlichen Begriff bilden und dadurch ihre Kraft, eine Beifügung bei sich zu haben, auf die ganze Verbindung übertragen; denn daraus erwächst die Möglichkeit, wohlverstanden Möglichkeit, nicht Notwendigkeit, das, was beim Hauptwort allein als Beifügung stehn müßte, zu dieser Verbindung als Umstand zu setzen. So schrieb nicht nur v. Dürckheim richtig: ''Das Ministerium besaß nicht die nötige Kühnheit, um den König von seinem Eigensinn abzuwenden'', sondern auch die Köln. Ztg.: ''Das Erscheinen des Stadthalters beweist, daß derselbe keine Gelegenheit versäume, um zur Bevölkerung des Landes in persönliche Beziehung zu treten, deren Wünsche entgegenzunehmen'' usw. und Goethe: ''Der eigentlich geistreiche, verständige Mann müßte eifrig bemüht sein, um nur wieder auf den Grund des reinen, guten Textes zurückzugelangen''//2 Vor dem Tadel solcher Fügungen hätten Grammatiker wie Andersen und Wustmann durch eine ähnliche Entwickelung des Lateinischen bewahrt bleiben können. Man vergleiche: ''consilium bellum in Italiam transferendi'' (''inire'') und ''consilium inire bellum in Italiam transferre; datur occasio Servi criminandi'' (Livius) und ''dare occasionem, ut dicamus und nullam occasionem praetermittere quin'' (Cicero). Das Deutsche gibt überdies durch die — deshalb schon auf der vorigen Seite angegebene — Betonung einen Fingerzeig für die Auffassung. Wenn der Ton auf dem Substantiv ruht, so deudet dies dessen Vorherrschaft auch über abhängige Satzglieder an, und das bloße ''zu'' ist als vom Subst. abhängig das Richtigere. Daher tadelt Andresen mit Recht den Satz Schillers: ''Das übrige war der Beredtsamkeit des Botschafters überlassen, dem die Statthalterin einen Wink gab, eine so schöne Gelegenheit nicht von der Hand zu schlagen, um sich in der Gunst seines Herrn festzusetzen''; denn hier wird man den Ton, dadurch auf folgendes hinweisend, auf ''„Gelegenheit“'' legen. Dagegen ruht z. B. in dem oben aus der Köln. Ztg. angeführten Satze der Ton auf ''versäume'' und ''keine'', und so ist darin trotz ''„Gelegenheit“'' doch ''„um zu“'' möglich. Der Ton kann eine besondere Stütze durch ein Demonstrativ erhalten. Während in dem Satze Goethes $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ oben nach ''bemüht sein'' doch ''um zu'' möglich war, konnte derselbe nicht anders sagen, als er gesagt hat: ''Daß wir uns aus leerer Furcht die Mühe gegeben hätten, zu Fuß zu gehen''.//. Das letzte Bei- $Seite 334$ spiel wird noch durch eine andre Betrachtung gerechtfertigt. An Stelle aller präpositionalen Bestimmungen des Prädikats ist nämlich der Infinitiv mit ''um zu'' möglich, wenn die Präposition ''um'' + Substantivum damit verbunden werden kann; und wer sagt nicht: ''bemüht sein, sich Mühe geben um etwas''? Im übrigen wird ein empfindliches Sprachgefühl neben allen Satzaussagen, die eine Richtung, Anregung, Neigung, Fähigkeit zu etwas ausdrücken, noch heute bloßes ''zu'' bevorzugen und heute häufige Wendungen wie die folgenden nicht über sich gewinnen: ''Er ist nicht fähig, um es zu begreifen. Der Soldat Manteuffel war nicht dazu geeignet, um in diese Stellung eines Staatsmannes und Regenten berufen zu werden. Der folgende Tag wurde dazu benützt, um die Stadt kennen zu lernen'' (v. Dürckheim). Dagegen liegt es im Zuge der Entwicklung, wenn der Infinitiv mit ''um zu'' für den mit ''zu'' eintritt, selbst nach andeutendem ''dazu'', sobald die Auffassung als Absichtssatz überwiegt. So heißt es bei ''dazu gehören'' (= ''nötig sein'') kaum noch anders als bei Rodenberg: ''Es gehörte die ganze Unabhängigkeit und Energie ... der Herzogin dazu, um nicht an dem Unternehmen zu scheitern''; ähnlich ist für ''es fehlt'' heute der Satz v. Dürckheims mustergültig: ''Es fehlte ihm, um Staatsmann zu sein, der scharfe, klare Blick in die Zukunft''.
Bei weitem überwiegend kommen Ableitungen dadurch zustande, daß vokalische, gewöhnlich aus Vokal und Konsonant bestehende Endungen an den durch Weglassung jeder Beugungsendung gewonnenen Stamm des Grundwortes treten. Dabei darf dessen Form im allgemeinen nicht getrübt werden; nur bewirkten Endungen, die ein ''i'' enthalten, wie ''-ling, -lich, -nis'', oder doch ehemals hatten, wie ''-er'' (''Räuber'' aus ''roubaere'', älter ''roubari'') und ''-en'' (''hären'', aus ''haerin'') und in schwachen Verben (wie ''höhnen'' = gotisch ''haunjan zu Hohn''), ehedem allgemein den Umlaut eines ''a'' des Stammes in ''ä'', eines ''o'' in ''ö, u'' in ''ü, au'' in ''äu''. So steht neben ''Ursache'' nicht nur altes ''ursächlich'', sondern auch jüngstes (1918) Erzberger als der ''Ursächer des Reichstagsschlusses''. Wenn aber außer dem jüngeren ''töricht'' die Eigenschaftswörter auf -''icht'' keinen Umlaut haben, so liegt der Grund darin, daß die Endung ehedem ''-echt'' lautete. Ähnlich ist allen älteren Eigenschaftswörtern auf ''-ig'' der Umlaut fest gegeben oder sicher vorenthalten, je nachdem das heutige ''ig'' ein altes ''ic'' ist, das gewöhnlich umlautete, oder ein altes ''ac'', das dies nicht tat. Schwache Verben haben den Umlaut, wenn zu ihrer Bildung, wie etwa bei ''höhnen, erhöhen, nähren'', ein ''i'' oder ''j'' gedient hat, andere, wie ''wandeln, verwandt'', haben ihn nicht, weil sie ohne diese Laute gebildet sind. Ganz allgemein ist der Umlaut sodann schon in alter Zeit, vor tausend Jahren, als man ihn erst bloß zu sprechen, und später, als man ihn regelmäßiger zu bezeichnen anfing, durch gewisse Mitlaute und Mitlautverbindungen gehemmt worden. Indem die Kraft dieser Verbindungen wie überhaupt die Neigung zum Ausdruck des Umlauts in den verschiedenen Mundarten verschieden groß war, kamen in unsere aus bunt durcheinander gemischtem mundartlichem Sprachgut erwachsene Schriftsprache oft umgelautete Formen von einem, Stamme neben gleich gebildeten unumgelauteten von andern Stämmen; ja häufig stehen von demselben Stamme beide Formen nebeneinander sei es in gleicher Bedeutung, sei es auch so, daß die Doppelformen, deren Verschiedenheit ursprünglich bloß auf dem verschiedenen Lautstande der $Seite 6$ sie der Schriftsprache zuführenden Mundarten beruht, verschiedene Bedeutungen angenommen haben. Endlich schwächte sich mit der in der Entwicklung unsrer deutschen Sprache besonders fühlbaren Abnahme der musikalischen Kraft der Wortgebilde und mit der steigenden Berücksichtigung des Bedeutungsgehaltes und seines Trägers, der Stammsilbe, auch die umlautende Kraft der Endungen mit ''i'' und ''j'' ab. So ist das Fehlen des Umlautes gewöhnlich ein Zeichen jüngeren Ursprungs eines Wortes oder der Ausdruck für das heimliche Walten des Sprachgeistes, das darauf gerichtet ist, die für die Bedeutung maßgebende Zugehörigkeit zum Stammworte durch die Wahrung des gleichen Klanges der Stammsilbe zu betonen.
Einige Beispiele! Daß es z. B. heißt ''möchte, dürfte, müßte'' usw., aber wenn er nur ''wollte, sollte''! beruht auf der umlauthemmenden Wirkung der ''l''-Verbindungen. Daß neben jungen Bildungen wie ''Befugnis, Bewandtnis, Erfordernis, Ersparnis, Wagnis'' u. ä. auch von den älteren Bildungen, die sonst alle umgelautet sind — vgl. ''Begräbnis, Verständnis, Zerwürfnis'' — die beiden Wörter ''Erlaubnis'' und ''Verdammnis'' unumgelautet geblieben sind, beruht ebenso auf umlauthemmender Kraft, wie sie in den für beide maßgebenden oberdeutschen Mundarten ''b''-Verbindungen gehabt haben (''Verdammnis'' ward gesprochen und oft auch geschrieben: ''verdampnis''!). Wie der Umlaut für höheres Alter, sein Mangel für verhältnismäßig späte Bildung des Wortes zeugt, lehrt z. B. ''Behälter'' neben ''Kleiderhalter, Fördernis'' neben ''Erfordernis'', ''füglich'' neben ''Befugnis, gläubig'' neben ''unglaublich, spärlich, unersättlich, kärglich'' neben ''handlich, stattlich, fraglich'' und vielen jüngeren; ''bübisch, hündisch, abgöttisch, welsch, englisch, römisch, französisch'' neben ''schnakisch, schalkisch, modisch, launisch, russisch, spanisch, nordisch, jungfräulich'' neben den ganz jungen Bildungen Fr. Gundolfs: ''fraulich große Seelen'' und: ''wegen ihrer bürgerfraulichen Tugend'' (1915), ''räuchern'' neben: ''mich rauchert'' (= verlangt zu rauchen; H. Löns 1918). Aus dem mitteldeutsch zu ''(an)mut'' gewordenen ''(ane)muot'' ist zuerst auf mitteldeutschem Boden ''mutig, anmutig'' geformt worden, während alle andern Zusammensetzungen, wie ''groß-, hoch-, ein-, klein-, wehmütig'', auf das heute nur noch in Gemüt fortlebende oberdeutsche ''muote'', dann ''müete'' zurückgehen. Wie bunt überhaupt der Einschlag der Mundarten im Gewebe der Schriftsprache gerade hinsichtlich des Umlautes durcheinandergeht, mögen noch einige Beispiele zeigen: neben mitteldeutschen Formen mit ''au'' wie ''kauen, brauen, maulen'' sind die umgelauteten mit ''äu'' wie w''iederkäuen, Bräu, vormäulig'' oberdeutscher Herkunft; umgekehrt sind neben den oberdeutschen Formen mit ''u'' wie ''nutzen, putzen, lupfen, tupfen, jucken'' die umgelauteten mit ''ü'', wie ''hüpfen, nützen''//1 Die Vorschrift, ''nutzen'' nur transitiv, ''nützen'' intransitiv zu gebrauchen, ist willkürlich; doch ist in der Zusammensetzung ''aus-, abnutzen'' die unumgelautete Form häufiger.//, nach Mitteldeutschland zuständig. Neben das alte oberdeutsche ''faltig'' von ''Falte'' im eigentlichen Sinne und das uralte ''Dreifaltigkeit'' und ''Mannigfaltigkeit'' ist in allgemeinerem Sinne in allen andern Zusammensetzungen mit Zahlen -''fältig'' getreten: ''einfältig, zwiefältig'' usw. Ähnlich hat in Zusammensetzungen wie ''silber-, gold-, fuselhaltig'' die erwähnte umlauthemmende Kraft der ''l''-Verbindungen gewirkt, während sie in Wörtern $Seite 7$ Wie ''haushältisch'', ''haushälterisch'' dem ehedem immer umlautenden -''isch'' gegenüber nicht standhielt. Lediglich solche mundartlich verschiedene Doppelformen ohne Bedeutungsunterschied sind es denn, die in ''schlupfen'' und ''schlüpfen'', ''nutze'' und ''nütze, nutzen'' und ''nützen, tupfen'' und ''Tüpfchen'' nebeneinander stehen. Kronprinz Friedrich Wilhelm hob zuerst ''völkisch'' (= national) in die hohe Sprache hinauf; M. Fisch (H. Heine, 1916) redet von ''völkischer Größe'' und: ''volkischen Scheiden''. Wie sich anderseits der feinsinnig waltende Sprachgeist aber auch solche Doppelformen zunutze zu machen verstanden hat, um für eigenartige Begriffe auch besondere Ausdrucksmittel zu schaffen, das lehrt die Verschiedenheit der Bedeutung, die z. B. obwaltet zwischen den oberdeutschen Formen ''drucken, (Buch-)Drucker, Buckel, zucken''; ''sommern'' (Sommer werden) und den mitteldeutschen: ''drücken, Drücker, Bückling, zücken; sömmern'' (während des Sommers erhalten; [Betten] sonnen). Jung ist die Spaltung von ''sachlich'' und ''sächlich'' und ganz jung zwischen ''Buchse'' (Rohrstück für einen Zapfen) und dem allgemeinem ''Büchse''.
Das Streben, die für die Bedeutung der Ableitung maßgebende Stammsilbe rein zu erhalten, hat namentlich bei allen jüngeren Bildungen von Namen die Umlautung verhindert, vgl. ''Hallisch, hansisch, Hans Sachsisch'' neben ''sächsisch, gotisch'' neben ''Goethisch''. Ebendarauf beruht es auch, daß sehr häufig statt älterer Formen, die nur umgelautet oder mit einer nicht umgelauteten Nebenform umgingen, jetzt allein die unumgelautete Form die Herrschaft gewonnen hat, so z. B.'' behaglich'' statt ''behegelich, Gastin'' statt ''Gästin, kupfern, tannen, buchen'' neben ''hanebüchen''. Was lehrt diese geschichtliche Erwägung? Vor allem zweierlei: daß es gut ist und dem ausgleichenden Charakter der Schriftsprache entspricht, die einmal aufgenommenen Formen, hier die mit, dort die ohne Umlaut der Schriftsprache unangefochten zu wahren, und daß in ihr vor allem Neubildungen von der Einwirkung des mundartlich noch lebendigeren Umlauts am besten freigehalten werden. Daher soll in sie weder das niederdeutsche ''Pastören, Priören'' eingeschmuggelt werden, noch die mehr in Österreich zu hörenden Formen wie ''beanständet, gutveranlägt, bevormündet, ämtlich'', oder solche, wie ''törkeln'' statt ''torkeln, sömmerlich, vorsörglich, schneebällen''.
