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Ein gemeiner Fehler, für den leider in den weitesten, auch in gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein scheint, liegt in Verbindungen vor wie: ''Verein Leipziger Gastwirte, Ausschank Zwenkauer Biere, Hilfskasse Leipziger Journalisten, Verein Berliner Buchhändler, Radierungen Düsseldorfer Künstler, Photographien Magdeburger Baudenkmäler, eine Sammlung altmeißner Porzellane, die frühesten Namen Breslauer Konsuln, zur Topographie südtiroler Burgen, nach Meldungen Dresdner Zeitungen''.
Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf ''er'' werden von vielen jetzt für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: ''pariser, wiener, thüringer, schweizer''. Das ist ein großer Irrtum. Diese Formen sind keine Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von Substantiven. ''Der Leipziger Bürgermeister'' ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht ''consul Lipsiensis'' — das wäre ''der Leipzigische Bürgermeister'' —, sondern ''Lipsiensium consul, der Bürgermeister der Leipziger''. Man sieht das deutlich, wenn man solche Verbindungen zugleich mit einem wirklichen Adjektivum dekliniert, z. B. ''der neue Berliner Ofen''. Dann lauten die einzelnen Kasus: ''des neuen Berliner Ofens, dem neuen Berliner Ofen, den neuen Berliner Ofen, die neuen Berliner Öfen'' usw. Während also das Adjektiv ''neu'' und das Substantiv ''Ofen'' dekliniert werden, bleibt ''Berliner'' stets unverändert. Ganz natürlich; es ist $Seite 38$ eben kein Adjektivum, sondern ein eingeschobner, abhängiger Genitiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden, daß man, durch den Gleichklang der Endungen verführt, solche abhängige Genitive mit dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie ''deutscher, preußischer'' zusammengeworfen hat. Weil man richtig sagt: ''eine Versammlung deutscher Gastwirte'', glaubt man auch richtig zu sagen: ''ein Verein Leipziger Gastwirte''. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht ''Leipzige'', während er dort ''deutsche'' heißt.
Nun ist aber in der artikellosen Deklination der Genitiv der Mehrzahl, wenn er nicht durch ein hinzugesetztes Adjektiv kenntlich gemacht wird, überhaupt nicht kenntlich; er muß (leider!) durch die Präposition ''von'' umschrieben werden. Wenn man sagt: ''eine Versammlung großer Künstler'', so ist der Genitiv durch das Attribut ''großer'' genügend kenntlich gemacht; aber ''societas artificum'' läßt sich nimmermehr übersetzen: ''ein Verein Künstler'', sondern nur ''ein Künstlerverein'' oder: ''ein Verein von Künstlern''; erst durch das ''von'' entsteht ein erkennbarer Genitiv. Ganz ebenso ist es aber auch, wenn zu dem Substantiv ein Attribut tritt, das nicht deklinierbar ist, z. B. ein Zahlwort oder ein abhängiger (kein attributiver) Genitiv. So unmöglich und so falsch es ist, zu sagen: ''infolge Streitigkeiten, wegen Sonderzüge, mangels Beweise, ein Bund sechs Städte, innerhalb vier Wochen, nach Verlauf vier Wochen, die Lieferung fünftausend Gewehr, in der ersten Zeit dessen Leitung, mit Bewilligung dessen Eltern, unter Angabe deren Kennzeichen, die Neubesetzung Herrn Dornfelds Stelle, unterhalb Dr. Heines Brücke, der Verkauf ihres Mannes Bücher, Genüsse mancherlei Art, eine Quelle allerhand Verlegenheiten'', so gewiß in allen diesen Fällen der Genitiv nur mit Hilfe der Präposition ''von'' kenntlich gemacht werden kann (''ein Bund von sechs Städten, eine Quelle von allerhand Verlegenheiten''), so gewiß muß es auch unbedingt heißen: ''Verein von Leipziger Gastwirten, Verhaftung von Erfurter Bürgern, Verkauf von'' $Seite 39$ ''Magdeburger Molkereibutter''; bei ''Verein Berliner Künstler'' glaubt man immer nur einen Nominativ zu hören: ''ein Verein Künstler'', wie bei: ''eine Menge Menschen, ein Haufe Steine, ein Sack Geld, ein Stück Brot''.
Ebenso falsch ist es, wenn geschrieben wird: ''an Bord Sr. Majestät Schiff Möwe, die Forschungsreise Sr. Majestät Schiff Gazelle''. Der Genitiv ''Sr. Majestät'' hängt ab von ''Schiff''. Aber wovon hängt ''Schiff'' ab? Von nichts; es schwebt in der Luft. Und doch soll auch das ein Genitiv sein, der von ''Bord'' oder ''Reise'' abhängt. Der kann nur dadurch erkennbar gemacht werden, daß man schreibt: ''an Bord von Sr. Majestät Schiff Gazelle'', denn ''an Bord Sr. Majestät Schiffs Gazelle'' wird niemand gern sagen wollen.//* Der Fehler ist, wie die ganze Phrase und wie so vieles andre heute in unsrer Sprache, eine Nachäfferei des Englischen. Im Englischen wird ''on board'' mit dem Akkusativ verbunden (''to go on board a ship'' — ''on board Her Majesty's ship Albert''). Aber was geht das uns an?//
Anstatt des abhängigen ''dessen'' und ''deren'' braucht man sich nur des attributiven ''sein'' und ''ihr'' zu bedienen, und der Genitiv ist sofort erkennbar. Falsch ist: ''ich gedenke dessen Güte und Macht'' — ''die Briefe Goethes an seinen Sohn während dessen Studienjahre in Heidelberg — eine Darstellung der alten Kirche und deren Kunstschätze — die Interessen der Stadt und deren Einwohner — eine Aufzählung aller Güter und deren Besitzer — eine Versammlung sämtlicher evangelischen Fürsten und deren Vertreter — eine Tochter des Herrn Direktor Schmidt und dessen Gemahlin — zum Besten der Verunglückten und deren Hinterlassenen — die Sicherstellung der Zukunft der Beamten und deren Familien''; es muß heißen: ''seiner Güte und Macht, seiner Gemahlin, ihrer Hinterlassenen, ihrer Familien'' usw.//** Beim Dichter läßt man sich gefallen: ''drum komme, wem der Mai gefällt, und freue sich der schönen Welt und Gottes Vatergüte'' (statt ''der Vatergüte'').//
Zu diesen Nebensätzen, die sehr oft irrealen Sinn haben, gehören nun auch die Vergleichungssätze, die mit ''als ob, als wenn, wie wenn'' anfangen. Sehr oft kann oder muß man zu solchen Sätzen im Geiste den Gedanken ergänzen: ''was nicht der Fall ist'' oder: ''was nicht der Fall war'', z. B.: ''er geht mit dem Gelde um, als ob er'' (was gar nicht der Fall ist) ''ein reicher Mann wäre''. Auch diese Sätze werden in der lebendigen Sprache wie alle andern irrealen Nebensätze behandelt, d. h. in der Gegenwart stehen sie im Konjunktiv des Imperfekts, in der Vergangenheit im Konjunktiv des Plusquamperfekts. Auf dem Papier aber ist jetzt auch hier Verwirrung eingerissen. Daß sich jemand so weit verirrt, solche Sätze in den Indikativ zu setzen — z. B.: ''der Beschauer hat das Gefühl, als ob das Größte und Beste des Künstlers noch in der Zukunft begraben lag'' —, kommt allerdings selten vor.//* Romanschreiberinnen bringen freilich auch das fertig; sie schreiben: ''es war, als ob seit dem Einzuge der verwitweten Tochter ein unheimlicher Druck auf dem ganzen Hause lag''. In einem der schönsten Brahmsschen Lieder, Feldeinsamkeit, das H. Allmers gedichtet hat, heißt es: ''die schönen, weißen Wolken ziehn dahin — durchs tiefe Blau wie schöne, stille Träume; — mir ist, als ob ich längst gestorben bin''(!) — ''und ziehe''(!) ''selig mit durch ewge Räume''. Das bringt man doch beim Singen kaum über die Lippen. — Natürlich kann ein Vergleich auch als wirlich hingestellt werden, z. B. ''wir hörten ein Geräusch, wie wenn in regelmäßigen Zwischenräumen ein großer Wassertropfen auf ein Brett fällt'', d. h. ''wie man es hört, wenn ein Wassertropfen fällt'' (Schiller im Taucher: ''wie wenn Wasser mit Feuer sich menget''). Hier ist selbstverständlich der Indikativ am Platze.// Wohl aber drängt sich $Seite 156$ der Konjunktiv des Präsens und der des Perfekts immer öfter auch in diese Sätze, wo er schlechterdings nicht hingehört; man schreibt z. B.: ''er tut, als habe er schon damals diese Absicht gehabt — er sah mich verwundert an, als ob ich irre rede oder Fabeln erzähle''. Es muß heißen: ''als hätte er — als ob ich irre redete oder Fabeln erzählte'' — ganz abgesehen davon, daß sich in dem zweiten Beispiel die Konjunktive der Gegenwart nicht von den Indikativen unterscheiden.
Soll nicht angedeutet werden, daß der in dem Vergleichungssatze stehende Gedanke nicht wirklich sei, so kann (nach einem Präsens im Hauptsatze) der Konjunktiv der Gegenwart natürlich auch im Nebensatze stehen, z. B.: ''es will mir scheinen, als ob er geflissentlich die Augen dagegen verschließe — es gewinnt den Anschein, als wolle der Verfasser das sittliche Gefühl des Zuschauers absichtlich verletzen — ich habe die Empfindung, als ob ihm die Welt zuweilen recht verzerrt erschienen sei''.
Überhaupt wirkt ein vorhandenes wirkliches Hauptwort gewöhnlich besser als eine in derselben Bedeutung gebrauchte Nennform. Andresens Beispielen aus rheinischen Blättern: ''Der zum Einweihen'' (statt ''zur Einweihung'') ''anwesende Bischof, das Ausbrechen'' (statt ''der Ausbruch'') ''einer Ministerkrisis, mit dem Empfinden'' (statt ''mit der Empfindung'') ''des tiefsten Mitgefühls'', reihen sich gerade hierfür zahlreiche aus anderen Zeitungen an: ''Ein weiteres Ausdehnen'' (statt ''Ausdehnung'') ''der Landschaft und eine Vermehrung der Wohnsitze ist ausgeschlossen'' (Tgl. R.). ''Die Pianistin hatte die Herrschaft über ihr Können, das'' (sehr beliebt statt ''ihre Fertigkeit, die'') ... ''gerühmt wird, vollständig verloren'', und aus einem Berichte, in dem das elende Aussehen dreier Fabrikarbeiterinnen geschildert werden soll: ''ihr Erscheinen'' (statt ''ihre Erscheinung'') ''erregte die tiefsten Gefühle des Mitleides''. Die Tgl. R. bot auch: ''Die neue Regierung hätte an das Aufgeben von Witu und Sansibar denken sollen'' (statt ''die Aufgabe'' oder besser: ''daran, ... aufzugeben'') und gar: ''das strafbare Benützen'' (statt ''Benutzung'') ''eines Irrtums, das begriffsnotwendige Ausnutzen'' (''Ausnutzung'') ''des Vorteils'', und: ''die Maifeier soll ein schreckenerregendes Vorführen'' (statt ''Vorführung'') ''der Macht des verbündeten Proletariats sein''. Noch schlimmer ist es freilich, wenn der Verlockung zu dieser Bequemlichkeit auch hervorragende Meister nachgeben und damit ein Recht schaffen, sich auf sie zu berufen; so G. Keller, indem er schreibt: ''durch das Verstaatlichen aller möglichen Dinge'', Scheffel: ''des Belagertseins'' (statt ''der Einschließung'') ''unlustig werden'', Jensen: ''mit dem Wechseln'' (''Wechsel'') ''des Rheinflußbettes'', und Koser gar: ''Friedrich trank auf das Aufnehmen der Stadt Breslau'' (statt: ''auf seine Aufnahme in der'' oder ''durch die Stadt Breslau''). Daß der Brauch in Bekanntmachungen und anderen mit den Kanzleien irgendwie zusammenhängenden Schriftstücken vorkommt, ist dann wahrlich kein Wunder; so in den Wendungen: ''ihr Ausscheiden''* (statt ''ihr Austritt'') ''ist richtig in der Liste vermerkt, sie war hieran ohne ihr Verschulden''* (statt ''ihre Schuld'') ''verhindert; mit dem Bemerken'' (statt ''Hinweise''), ''mit dem Hinzufügen'' u. ä.
Indes verhältnismäßig sind die besprochenen Fälle noch nicht so schlimm; und bei einigen, den mit Sternchen versehenen, dürfte man an dem Rechte, sie zu tadeln, vielleicht zweifeln. Auch wird man einem beschaulichen Gemüte in der Art P. Richters ebensogut entsprechend finden, wenn es ''das Aufgehen der Sonne'', als wenn ein andrer ''den Aufgang der Sonne'' betrachtet; ebenso kann es nicht tadelhaft sein, wenn die Köln. Ztg. in einem $Seite 261$ Berichte geschieden hat zwischen der Bestimmung: ''nach Einbruch der Dunkelheit, der in dieser Form etwas Bestimmtes, Abgeschlossenes ist'', und der andern: ''mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit'', welche Form so gut wie die auch nicht seltene: ''mit hereinbrechender Dunkelheit'' das allmähliche Dunkelwerden bezeichnet.
Bei den Verhältniswörtern, die, je nachdem ein Verhältnis der Ruhe oder einer Richtung angegeben werden soll, den 3. oder 4. Fall bei sich haben, kommt noch die alte Kraft der Präpositionen zu lebendigem Ausdrucke, sinnliche Raumverhältnisse zu bezeichnen und zumeist recht verschiedenen Bedeutungen gerecht zu werden.
1. Kein Gebildeter braucht Aufklärung über den Grund des Dativs in dem Satze: ''Der Geier ließ sich auf dem Felsstücke nieder'', und über den des Akkusativs in dem anderen: ''Der Geier stieß auf das ahnungslos weidende Lamm nieder''. Feiner ist schon der Unterschied zwischen den Satzen: ''dieses'' $Seite 145$ ''Land ist die schönste Perle in der Krone dieses Fürsten'' (er hat es schon lange in ruhigem Besitz) und: ''das ist ein frisches Blatt in seinen Lorbeerkranz'' (das erst hineinkommt). Ähnlich unterscheiden sich solche Sätze: ''Wenn sich Freunde in unsere Lage fühlen'' (= versetzen), ''sind sie uns näher als die nächsten Verwandten'' (Goethe), und: ''Denke mich-, ich fühle mich noch in der alten Lage'' (als darin befindlich); ''Genies scheinen oft in der falschen Zeit herniedergestiegen'', und: ''Ich bin in die falsche Zeit geboren'' (DAZ. 27). Für solch feinere Unterschiede kann man sich besser als einfach nach den Fragen ''wo?'' und ''wohin?'' wohl nach folgenden Gesichtspunkten entscheiden: Der 4. Fall steht, wenn die Haupt-, die neue Aussage des Satzes in der Angabe des Richtungsverhältnisses liegt, der 3., wenn der betreffende Ort oder Gegenstand der schon fest eingenommene Standpunkt ist, auf dem sich die Tätigkeit vollzieht oder zum Abschluß gekommen ist, und zwar meist in einer besonders angegebenen Weise, deren Mitteilung dann ihrerseits die Hauptaussage bildet. So erklären sich die Stellen: ''Wir gingen in die Stube und saßen'' (''setzten uns'') ''an den Tisch'' bei Federer; ''Da kam der Falter flügelschlaggetragen, saß auf mein Knie'' (B. v. Münchhausen); ''Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen'' bei Schiller, und: ''Er setzte still auf dem Throne sich'' bei Rückert.
Zum Schlusse noch ein rechtes Durcheinander. Ein Fleischer kündigt ''bildschönes Mastochsenfleisch'' an, der Reiseschriftsteller v. Proskowetz rollt mit der Eisenbahn weiter, ''um'' (!) ''in Warschau zu landen, und nach ihm wird'' (!) ''das Nationalitätsprinzip zur Tagesordnug'', auf der es doch glücklicherweise nur neben anderen Gegenständen als ''einer'' auch ''mit'' stehn kann. Ein Gelehrter liefert ''Bausteine zur Vermittlung zwischen Glauben und Wissen'', die wohl von der Anziehungskraft der Erde aus dem Gebiete des Geistes dahin, wo sie verwendbar sind, herabgezogen werden dürften. Ein Kritiker findet ''vielen Werken Galens die meergeborne Seemövenstimmung innewohnen'', die er wohl so wenig kennen dürfte wie andre Erdgeborne. Der geschätzte Romanschriftsteller Jensen endlich bringt in einem Werke, worin er sich freilich im Dienste der Werbung Land und Leute zu schildern verdungen hat, unter vielem andern auch folgendes fertig: ''Das Gebirge lautet in den Burgberg von Durlach aus. Fast rund umher um das Schloß fließt ein Städtchen. Ein Schleier, der die Vogesen überfüllt gehabt'' (!), ''beginnt zu zerrinnen; und ein Fürst steckt voller Schulden'', gewiß ein Wunder, daß man mit weniger als nichts doch vollgefüllt werden kann! Statt des allein natürlichen ''Eindruck machen'' heißt es bei ihm: ''es regt den Eindruck'', oder: ''Die Feder ist kein Pinsel, vermag nicht den von jenem'' — richtiger: ''diesem''! ''geübten Eindruck in die Vorstellung zurückzubringen''. +
Wenn in den Grenzboten 1917 geschrieben stand: ''Legion ist die Zahl der Deutschen und Polen gemeinsamen Belange'', so mußte ''Deutschen'' und ''Polen'' zunächst als Wesfall aufgefaßt werden; die freilich noch geringfügige Irreführung des Lesers war zu vermeiden, wenn in dem gemeinten Sinne geschrieben wurde: ''die Zahl der den D. und P. gemeinsamen B''. Dasselbe einfache Mittel hätte diesem recht häufigen Anstoß vorgebeugt in den Fügungen Schlüter, der mit ''der'' [''den''] ''Blinden eigenen Gedächtnisstärke den Homer und Sophokles auswendig kannte; Tief prägt sich'' [''den''] ''dem polnischen Wesen Entfremdeten der Stempel der Negation auf; Graf Zeppelin'' (richtig: ''Dem Grafen Z''.), ''dem Sohne der Stadt Konstanz, zum Gedächtnis''. Ähnlich erweckt der Satz in einem Briefe Th. Storms: ''Die Friedrichstädter beschweren sich, daß ihnen, was überall Brauch sei unter gesitteten Völkern, das Bombardement nicht angesagt sei, den Anschein, die Nichtansage sei der allgemeine Brauch''; die Unklarheit kam nicht auf bei der Fügung und Stellung: ''daß ihnen nicht, wie überall Brauch sei, d. B. angesagt'' (''worden'') ''sei''. Ebenso war in dem Satze: ''Der Igel setzt sich der Schlange gegenüber, der er eine Reihe von Bissen beibringt, schnell zur Wehr'', das anfängliche Mißverständnis unmöglich, wenn es hieß: ''gegen die Schlange''. In dem Satze ''Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses bedeutet die parteiische Durchkreuzung der Wahrheitsermittelung durch die unparteiischen Organe der Rechtspflege'' hat die Hauptwörterhäufung ein geradezu ehrabschneidendes Mißverständnis nahegelegt, dessen Wirrsal nur durch Auflösung in Sätze entwirrt werden kann: ''Die Tätigkeit des U. bedeutet, daß statt einer Wahrheitsermittelung durch die unparteiischen Organe der Rechtspflege eine Durchkreuzung der Ermittelung eintritt''. +
Doch wozu sich den Kopf zerbrechen über die Berechtigung solcher Bilder in Romanen? Werden sie doch auch in den Zeitungen, in Mitteilungen und Berichten über die einfachsten und nüchternsten Vorgänge immer üblicher, weil ihre Verfasser von der Verschiedenheit der Stilarten, von der großen Kluft zwischen einfacher Mit- $Seite 357$ teilung und Prunkrede, zwischen Lehr- und Schönbeschreibung und wie die Arten der Darstellung alle heißen, nichts gelernt haben oder nichts mehr wissen wollen. Zum Beweise noch ein letztes Beispiel, ja diesmal das allerletzte des Buches. Das Ausrücken der Garnison aus Ansbach veranlaßte einen dortigen Zeitungsmann zu folgendem Ergusse: ''Zu festgesetzter Zeit haben heute morgen die Söhne des Mars zur Erprobung des erlernten kriegerischen Spiels auf weiterem Terrain unsre Stadt verlassen, um sie erst wieder am 19. künftigen Monats mit ihrem Einzuge zu beglücken. Zahlreich war das Geleite, das sie scheiden sehen wollte, und an manch Offiziers- und Unteroffiziersfrauenauge hing eine aus besorgtem Herzen kommende Perle, die über die Wange in tränendes Naß zerfloß. Besonders stark vertreten war aber der andere Teil des weiblichen Geschlechts, nämlich der Teil, der noch nicht Hymens Fesseln verspürt — die edle Zunft der Küchenfeen und Hausdragoner. Sie werden es sein, die die schmucken Ulanen am allermeisten vermissen; denn es fehlt ihnen der Geliebte, der Verzehrer ihrer Überbleibsel und der Führer zum Tanzplatz. Da nun aber einmal alles unter dem Wechsel des Mondes veränderlich ist, werden auch sie sich trösten in dem hoffenden Gedanken, daß die bis zu ihrem Wiedereinzuge dazwischenliegenden 37 Tage noch lange keine Ewigkeit bedeuten und daß der Geliebte der holden Maid doch die Treue bewahren wird''. Wollen sich aber die Schriftsteller und Zeitungsmänner von mir — Schulmeister nicht drein reden lassen, so will ich ihnen einen aus ihrer Mitte nennen, der ebenso urteilt, selber aber nur naturfrische und lebenswahre Bilder aufweist. Es ist G. Keller, der die „Manier" früh beobachtet hat und schon überwunden hatte, als er sie im ''grünen Heinrich'' (Volksausg. II, 145 f.) also geißelte: Die Art seiner Einrichtung, versetzte ich, werde vielleicht mit einem andern Wesen zusammenhängen, das ich seit einiger Zeit bemerkt habe, nämlich die wunderliche Manier, in welcher die verschiedenen Künste ihre technische Ausdrucksweise vertauschen. Da hätte ich kürzlich die Kritik einer Symphonie gelesen, worin nur von ''der Wärme des Kolorits, Verteilung des Lichtes, von dem tiefen Schlagschatten der Bässe, vom verschwimmenden Horizonte der begleitenden Stimmen, vom durchsichtigen Helldunkel der Mittelpartien, von den bewegten Konturen des Schlußsatzes'' u. dgl. die Rede sei, so daß man durchaus die Rezension eines Bildes zu lesen glaube. Gleich darauf hätte ich den rhetorischen Vortrag eines Naturforschers, der den tierischen Verdauungsprozeß beschrieb, mit einer gewaltigen Symphonie, ja mit einem Gesange der göttlichen Komödie vergleichen hören, während am andern Tische des öffentlichen Lokals einige Maler die neue historische Komposition des berühmten Akademiedirektors besprochen und von ''der logischen Anordnung, der schneidenden Sprache, der dialektischen Auseinanderhaltung der begrifflichen Gegenstände, der polemischen Technik bei dem dennoch harmonischen Ausklingen der Skepsis in der bejahenden Tendenz des Gesamttones'' zu reden gewußt hätten, kurz, es scheine keiner Zunft mehr wohl in ihrer Haut zu sein und jede im Habitus der anderen einherziehen zu wollen.
Wir stehen am Ende unserer Rundschau auf den verschiedenen Gebieten deutscher Sprachgestaltung vor einer Geschmacklosigkeit ohnegleichen, nachdem wir eine ganze Unzahl fehlerhaftester Gebilde von den oft gröb- $Seite 458$ lichsten Verunstaltungen der kleinsten Sprachteile bis zu den häßlichsten Verzeichnungen der ausgeführtesten Bilder haben an uns müssen vorüber ziehen lassen. Das Geschaute könnte sogar ohne viele Mühe leicht vervielfältigt werden. Dazu haben wir sehen müssen, wie heute oft auch die Meister nicht nur in Einzelfällen einen verzeihlichen Fehlgriff tun, sondern wie selbst sie und noch mehr die federgewandten Kritiker und Berichterstatter auch guter und großer Zeitungen in vielen Dingen die beklagenswerten Verirrungen der heutigen Sprachgestaltung eher fördern als abweisen, ja oft liebgewonnen haben. Wenn einer so die Besten, wenn er die, die echt deutsche Bahnen zu führen am berufensten wären, andre Wege wandeln sieht, wer könnte es ihm verdenken, wenn er da an einer allgemeinen Besserung verzweifelte und ausriefe wie jener Geistliche am Sarge Bernhards v. Weimar, als in diesem der letzte für große deutsche Belange kämpfende Held jenes uns fremdem Einflusse preisgebenden Krieges dahingesunken war: Du aber, armes Deutschland, gehe hin und weine bitterlich!
Während ''ob'', nur abhängige Fragsätze einleiten kann (''fragen; wissen wollen; zweifeln ob''), steht es oft falsch statt ''daß'' z. B. ''für den Fall, ob man wichtige Mitteilungen zu'' $Seite 278$ ''machen habe'' (Woche 23) oder: ''Ob man einmal bestimmte erbliche Fehlerarten nachweisen wird, ist nicht ausgeschlossen'' (= ''ist wahrscheinlich''!). Auch ''als'' findet man oft in ungebührlicher Weise, namentlich in der Verbindung: ''bei dem Umstande, als'', die auf einer Verquickung mit ''insofern als'' beruht, z. B. bei dem neueren Erzähler K. Jänike: ''Mit'' (!) ''dem Umstande, als'' (statt ''daß'') ''seine Tante eine reiche Fleischhauerin in G. war, stand ihm sogar etwas Großes in Aussicht''. Noch falscher steht ''als'' zeitlich in solchen Sätzen wie dem Auerbachs: ''Es wird jetzt ungefähr acht Monate sein, als ich einen Brief aus Sevilla erhielt''. Wieder sind da zwei Fügungen vermengt: ''es war ungefähr vor 8 Monaten, als ich ... erhielt'', und: ''es wird jetzt ungefähr 8 Monate'' (''her'') ''sein, daß ich erhielt''. — Vollends die noch häufigeren Wendungen: ''bei der Gelegenheit, in dem Augenblicke'' u. ä. ''daß'' (z. B. ''daselbst ein Ministerium geht''), die vielmehr ein Relativ wie ''wo, auch als'' fordern, sind lediglich Gallizismen und noch dazu verschuldet von schlechten oder ungewissenhaften Kennern des Französischen, die nicht beachten, daß das ''da'' übliche französische ''que'' nicht die Konjunktion ''daß'', sondern — auch ein relatives Adverb ist.
Bei alledem wäre es jedoch ein Irrtum, zu glauben, daß solche Verquickungen nur sprachstörend gewirkt hätten. Oft sind anfangs vereinzelte Abweichungen, die darauf beruhen, vielmehr allgemein üblich geworden und haben eine gewisse Mannigfaltigkeit der Ausdrucksweisen für die nämliche Sache geschaffen, manchmal auch — und dann soll man sie doppelt beachten — mit einer feinen Abtönung des Sinnes; nicht selten stehen freilich auch duldbare Verschmelzung und unzulässige Vermengung hart nebeneinander.
Wie zwei verschiedne Bilder, so werden oft auch zwei verschiedne Konstruktionen miteinander vermengt. Da wird z. B. die erste Person mit der dritten vermengt und geschrieben: ''die Verlobung unsrer Tochter'' (statt: $Seite 289$ ''ihrer Tochter''!) ''beehren sich anzuzeigen — um Rückgabe der von mir'' (statt: ''von ihm''!) ''entliehenen Biergläser bittet - meiner Mutter'' (statt: ''ihrer Mutter''!) ''gewidmet von der Verfasserin''. Oder es wird an ''hoffen'' ein Nebensatz angeschlossen, als ob ''wünschen'' vorherginge: ''ich hoffe sehr, daß ich das nie wieder erleben möge'' (''erlebe''!) — ''ich übergebe diese Arbeit der Öffentlichkeit in der Hoffnung, daß sie dazu beitragen möge'' (''beitragen werde''!) — ''er hoffe, daß andre Forscher glücklicher operieren möchten'' (''würden''!). Da wird ''weil'' geschrieben, wo es ''daß'' heißen muß: ''er hat seinen Namen davon, weil er die fürstliche Ehe war dem Volke besonders dadurch teuer, weil ihr eine reiche Zahl von Prinzen entsprossen war'' — oder ''wenn'', wo es ''daß'' heißen muß: ''es wäre sehr zu wünschen, wenn'' (richtig: ''es wäre sehr erfreulich, wenn''); dagegen ''daß'', wo es ''als'' heißen muß: ''meinem Arbeitsfelde liegen diese Untersuchungen nur insoweit nahe, daß ich daraus belehrt worden bin'' usw. Oder es wird geschrieben: ''da manche Erörterung die Untersuchung eher erschwert, statt sie zu vereinfachen'' — wo entweder das ''eher'' wegfallen, oder fortgefahren werden muß: ''als daß sie sie vereinfachte.''
Sehr häufig ist der garstige Fehler, daß man auf das Adverbium ''so'' einen Infinitiv mit ''um zu'' folgen läßt statt eines Folgesatzes mit ''daß'', z. B.: ''Aristoteles sagt, daß eine Stadt so gebaut sein müsse, um die Menschen zugleich sicher und glücklich zu machen — behauptet jemand, daß der Zucker so belastet sei, um weitere Lasten nicht zu ertragen — die Ansicht, daß nur der Philolog in den Sinn eines Literaturwerkes so vollkommen eindringe, um ihm die gebührende Stelle in der Literatur eines Volkes anzuweisen — die Verhältnisse haben sich so weit geordnet, um der Nation eine andre Haltung zu ermöglichen — die Einsicht in das Wesen der Erziehung sollte doch so weit fortgeschritten sein, um erkennen zu lassen — wenn man nur so viel Freiheit des Geistes hat, um sich über die Macht der Gewohnheit emporzuschwingen — die Realien waren noch nicht so weit in sich gefestigt, um als Bildungsmittel Verwendung'' $Seite 290$ ''zu finden — so einfach sind denn doch diese Fragen nicht, um sie spielend mit einem Worte zu erledigen — die Herren sind nicht so dumm, um auf diesen Leim zu gehen.'' In einigen der angeführten Beispiele mag wohl das Bestreben, nicht zwei Nebensätze hintereinander - einen Objektsatz und einen Folgesatz — mit ''daß'' anzufangen (für manche Leute ein entsetzlicher Gedanke!), zu dem Fehler verleitet haben. Dem läßt sich aber doch viel besser dadurch aus dem Wege gehen, daß man den Objektsatz ohne ''daß'' bildet: ''behauptet jemand, der Zucker sei so belastet, daß er'' usw.
Von den Titeln und Fremdwörtern aus hebt wegen der Unsicherheit, wie sie zu beugen seien, die Verwüstung an, durch die unsere Verhältnismäßig noch so reiche Deklination, gegenüber anderen Völkern ein reicher Altbesitz, zerstört zu werden droht. Da liest man nicht nur in Zeitungen zu Tausenden solch undeklinierte Fremdwörter wie ''Tochter des alten General v. M., des Schach, des Kolosseum'' (dies sogar auch bei Scheffel), ''des Alpenklub, des Memorandum, des Telephon, des Karneval, den'' -, ''im Parasit'', sondern auch bei einem so hervorragenden Gelehrten wie J. Minor in seinem Schiller: ''des neuentdeckten Originalgenie, des Klima, seines Interesse''. Kaum minder häufig findet man diese Verstöße an Namen und Titeln: ''die Stufen des Pennälers, Mulus, krasser und Brandfuchs'' (statt ''krassen'' und ''Brandfuchses''), ''Redaktion des Ausland, Bedeutung von Schillers Räuber.'' Man hat ''Nathan der Weise'' (statt ''den Weisen'') neben ''Gräfin Lea'' genannt, ''das Schwert Karl'' (statt ''Karls'') ''des Großen, des Göttermundschenk Ganymed''. Besonders veranlagt oft ein vorgesetztes Adjektiv den Abfall der Endung am Substantiv; ein Archäolog z. B. schreibt: ''des geflügelten Jüngling''. Dann sind auch die substantivierten Infinitive demselben Verluste ausgesetzt; schreibt doch nicht nur eine vielgelesene Schriftstellerin: ''Märtyrer des Landpartievergnügen'', sondern auch Fr. Th. Vischer einmal: ''Sinnbild des Versenktsein''. Ja herrschender Stil war die eigentlich fügungslose Verbindung ''die Besatzung Sr. Majestät Schiff Seeadler'' (statt ''von Sr. M. Schiff Seeadler''). Überhaupt verursacht die Vorschiebung eines Wesfalls vor dessen selbst genetivisches Leitwort oft die Täuschung, als ob auch an diesem der Wesfall — trotz Nichtbezeichnung — doch mit ausgedrückt sei. Schüler schreiben: ''mit Hilfe Achills Myrmidonen'' (statt: ''der M. Achills'' oder: ''von Achills M.''), ''die Opferung Iphigeniens, Agamemnon Tochter'' statt: ''I.s, der Tochter A.s'', und ein Schildmaler: ''Wagenfabrik vormals Haggenteufel selige Erben'', aber auch Meistern liefen solche Fügungen ohne Abhängigkeitszeichen unter, so Rosegger: ''Ihr Besuch meines Geburtshauses und meiner Mutter Grab'' (statt: ''des Grabes meiner M.''); J. Körner (1917): ''einem Zentrum seiner und seiner Schüler Tätigkeit'' (statt: ''seiner T. wie der seiner Sch.''); Th. Mann: ''eine Wende meines eigenpersönlichen und unser aller Leben''; ''das Gefühl ihrer beider Geschwisterlichkeit im Leide'' (DAZ. 27); H. Stehr: ''als bliebe ein Teil seines und Lenleins Wesen''; W. Oehlke (1918): ''in dem Bollwerk Kamenzer Frömmigkeit''; W. Thimme: ''die zaghafte Versammlung Wittenberger Freunde''. Namentlich ein solcher als Eigenschaftswort gebrauchter Bewohnername auf ''-er'' versucht solche Unfügungen wie: ''Meldungen Schweizer Blätter; eine Glanzleistung Dresdner Gewerbe''. Nur fälschlich kann man sie durch ganz richtige beisätzliche Fügungen gestützt finden wie ''Verein Berliner Presse'', zu dem freilich z. B. ''ein Kreis Dresdner Achitekten'' kaum mehr gehört. Vor allem aber ist ein Feind der Endungen ein Zeichen, das jetzt viel zu oft angewandt wird: die leidigen Anführungsstriche, in die besonders Namen und Überschriften, von Aufsätzen und Zeitungen zumal, eingeschlossen werden und zwar versteinert ohne jedwede- $Seite58$ die Fügung andeutende Endung. Offenbar fürchtete der Korrespondent des ''„Tageblatt"'', dieser Verbreiter seiner Weisheit könnte unkenntlich werden, wenn es in der allein richtigen Form erschiene: ''des Tageblattes''. Dazu steht er ja im Bunde mit anderen der Grammatik gegenüber gleich Unbeugsamen, ''dem Korr. der Augsburger „Allgemeine Zeitung"'', ''dem Verleger des „Bund"'', und überdies bezeichnen die Buchhändler selber oder vielmehr ihre Faktoten, die also auf diese Weise am Rückgange des Formenreichtums unserer Sprache eine Hauptschuld trifft, ihre Blätter selber z. B. als ''Jahrbuch des „Schweizer Alpenklub"'', ''Illustriertes Unterhaltungsblatt des „Münchner Bote"'' und ''Gratisbeilage zum „Münchner Bote"''. Sie sehen auch weiter, wie sich alle titelgeschmückten Herren von den nämlichen Faktoten gefallen lassen müssen, der Deklination entkleidet zu werden, also daß es von ihnen kaum noch anders heißt als etwa ''die Anschläge des Wasserbauinspektor N.'', ''die Rede des Bürgermeister Y.'' Schließlich scheint die Furcht der Setzer, daß die Träger der Titel in deklinierter Form nicht deutlich genug zu erkennen sein möchten, gar von manchen dieser Herren selber geteilt zu werden, so daß sie sich und Genossen auch selber nicht mehr beugen. Rektoren sogar lassen auf ihren Programmen drucken: ''Rede des Rektor M.'', und Lehrer sprechen in Festberichten über ''die Vorträge des Obertertianer M. und Unterprimaner N.'' Vgl. auch § 159.
Im letzten Beispiel liegt einer der Fälle vor, in denen man von einer Verquickung verschiedener Fügungen reden muß; aber so begreiflich diese im ungezwungenen Sprechen und zumal zwischen verwandten Fügungen sein mag, so entschieden verrät sie eine Unklarheit und Unaufmerksamkeit, die nicht in die gute Schriftsprache gehört. Diese Unbedachtsamkeit muß umso empfindlicher auffallen, je näher die entsprechenden Glieder einander gerückt sind. Danach wird man fordern dürfen, daß mehrere durch einander entsprechende Bindewörter verbundene gleichartige Sätze eines Satzganzen in der beim ersten anklingenden Form zu Ende geführt werden. Der Verfasser des Höllenbreughel durfte also nicht schreiben: ''Täuschungen, welche entweder aus leeren Worten, aus unvollständiger Erfahrung und Bildung und'' (statt ''oder'') ''aus abergläubischer Gesinnung hervorgehen'', und Mitarbeiter der Tgl. R. nicht: ''In Turgenjews Rauch ist weder Liebe zu etwas und fast gar keine'' (statt ''noch irgend welche'') ''Poesie'', noch: ''Die Hütten sind aus Stroh und Rohr hergestellt, bald mit spitzen oder'' (statt ''bald'') ''mit flachen Dächern''. +
Das intransitive ''hangen'' und das transitive ''hängen'' (eigentlich ''henken'') jetzt noch streng auseinanderhalten zu wollen ist wohl vergebliches Bemühen. Wenn auch im Perfekt noch richtig gesagt wird: ''ich habe das Bild'' $Seite50$ ''aufgehängt'', und ''aufgehangen'' hier als fehlerhaft empfunden wird, so hat sich doch leider fast allgemein eingebürgert: ''ich hing den Hut auf'', und ''hangen, abhangen, zusammenhangen'' erscheint uns altertümlich gesucht, obwohl es das richtige ist (Heine: ''und als sie kamen ins deutsche Quartier, sie ließen die Köpfe hangen''). Ähnlich verhält sichs mit ''wägen'' und ''wiegen''; man sagt jetzt ebenso: ''der Bäcker wiegt das Brot'', wie: ''das Brot wiegt zu wenig'', obwohl es im ersten Falle eigentlich ''wägt'' heißen müßte. Auch bei ''schmelzen, löschen'' und ''verderben'' ist von Rechts wegen zwischen einer transitiven schwachen und einer intransitiven starken Flexion zu unterscheiden: ''die Sonne schmelzt den Schnee, hat den Schnee geschmelzt'', aber ''der Schnee schmilzt, er ist geschmolzen; der Wind löscht das Licht aus, hat es ausgelöscht'', aber ''das Licht verlischt, ist verloschen; das Fleisch verdirbt, verdarb, ist verdorben'', aber ''der schlechte Umgang verderbt die Jugend, verderbte sie, hat sie verderbt''. Leider wird der Unterschied nicht überall mehr beobachtet (am ehesten noch bei ''löschen''). Sehr in Verwirrung geraten sind das intransitive und das transitive ''schrecken''. Das intransitive ''erschrecken'' wird allgemein noch richtig flektiert: ''du erschrickst, er erschrickt, ich erschrak, ich bin erschrocken''; ebenso das transitive: ''du erschreckst mich, ich erschreckte, ich habe erschreckt''. Bei ''aufschrecken'' und ''zurückschrecken'' aber hat die schwache Form die starke fast ganz verdrängt; selten, daß man noch einmal richtig liest: ''daß die Sozialdemokratie hiervor nicht zurückschrickt''. Von dem ursprünglich intransitiven ''stecken'' (''der Schlüssel steckt an der Tür'') hat sich ein transitives ''stecken'' abgezweigt (''ich stecke den Schlüssel an die Tür''). Beide werden jetzt meist schwach flektiert; das intransitive war aber früher stark: ''wo stickst du''? Und mundartlich heißt es ja noch heute: ''der Schlüssel stak'', ja sogar: ''wo hast du die Nacht gestocken''?
Schlechterdings nicht verwechselt werden sollte ''gesonnen'' und ''gesinnt, geschaffen'' und ''geschafft''. ''Gesonnen'' kann nur die Absicht oder den Willen be- $Seite51$ deuten: ''ich bin gesonnen, zu verreisen; gesinnt'', das gar nicht von dem Zeitwort ''sinnen'', sondern von dem Hauptwort ''Sinn'' gebildet ist (wie ''gewillt'' nicht von ''wollen'', sondern von ''Wille''), kann nur von ''der Gesinnung'' gebraucht werden: ''er war gut deutsch gesinnt, er ist mir feindlich gesinnt''. ''Schaffen'' bedeutet in der starken Flexion (''schuf, geschaffen'') die wirklich schöpferische Tätigkeit, das Hervorbringen: ''der Dichter hat ein neues Werk geschaffen''. Ist aber nur ''arbeiten, hantieren, ausrichten, bewirken, bringen'' (z. B. ''Waren auf den Markt schaffen'') gemeint, so muß es schwach flektiert werden (''schaffte, geschafft''). ''Von Rat schaffen'' also, ''Nutzen schaffen, Abhilfe schaffen, Ersatz schaffen, Raum schaffen, Luft schaffen'' und dem jetzt in der Zeitungssprache so beliebten ''Wandel schaffen'' dürfen durchaus nur die schwachen Formen gebildet werden; es ist ein grober Fehler, zu sagen: ''hier muß Wandel geschaffen werden''. ''Ein neuer Raum'' (''ein Zimmer, ein Saal'') kann ''geschaffen'' werden, aber ''Raum'' (''Freiheit der Bewegung'') wird ''geschafft''.
Auch das starke Zeitwort ''schleifen'' (''schliff, geschliffen'') hat im Laufe der Zeit ein schwaches von sich ''abgespalten'' (''schleifte, geschleift''), das andre Bedeutung hat. ''Das Messer wird geschliffen'', aber ''die Kleiderschleppe wird über den Boden geschleift''. Früher wurden auch ''Städte und Festungen geschleift'', auch ''Verbrecher auf einer Kuhhaut auf den Richtplatz''; jetzt wird nur noch ''ein Student vom andern in die Kneipe geschleift'', und dort wird dann ''gekneipt'' (nicht ''geknippen''), denn ''kneipen'' „in diesem Sinne" ist nur eine Ableitung von ''Kneipe''.
Zwei ganz verschiedne Verba, ein starkes und ein schwaches, begegnen einander in ''laden''. Zwar werden jetzt ebenso ''Gäste geladen'' wie ''Kohlen'' und ''Gewehre'', auch sagt man schon in beiden Fällen: ''ich lud''. Im Präsens wird aber doch noch bisweilen unterschieden zwischen: ''du ladest'' oder ''er ladet mich ein'' (Schiller: ''es lächelt der See, er ladet zum Bade'') und ''er lädt das Gewehr''.
$Seite52$ Höchst unangenehm fällt die fortwährende Vermischung von ''dringen'' und ''drängen'' auf. ''Dringen'' ist intransitiv und hat zu bilden: ''ich drang vor, ich bin vorgedrungen. Drängen'' dagegen ist transitiv oder reflexiv und kann nur bilden: ''ich drängte, ich habe gedrängt''; also auch: ''ich drängte mich vor, ich habe mich vorgedrängt, es wurde mir aufgedrängt''. Durchaus falsch ist: ''ich dringe mich nicht auf, ich habe mich nicht aufgedrungen, diese Auffassung hat sich mir aufgedrungen''.
Eine ärgerliche Verwirrung ist bei ''dünken'' eingerissen. Man sollte doch dieses Wort, das ohnehin für unser heutiges Sprachgefühl etwas gesucht altertümelndes hat, lieber gar nicht mehr gebrauchen, wenn mans nicht mehr richtig flektieren kann! Das Imperfekt von ''dünken'' heißt ''däuchte''; beide Formen verhalten sich zueinander eben so wie ''denken'' und ''dachte'', womit sie ja auch stammverwandt sind. Aus ''däuchte'' hat man aber ein Präsens ''däucht'' gemacht, noch dazu falsch mit dem Dativ verbunden: ''mir däucht'' (!). Wer sich ganz besonders fein ausdrücken will, sagt immer: ''mir däucht'' (statt ''mir scheint'') und macht dabei zwei Schnitzer in zwei Worten. Das richtige ist: ''mich dünkt'' und ''mich däuchte''.
''Willfahren'' und ''radebrechen'' (''eine Sprache'') sind nicht mit ''fahren'' und ''brechen'' zusammengesetzt, sondern von Hauptwörtern abgeleitet, von einem nicht mehr vorhandnen ''willevar'' und von der ''Radebreche'', einer abschüssigen, für die Wagen gefährlichen Straßenstelle.//* Andre wollen es auf ''das Rädern'', die Tätigkeit des Henkers, zurückführen.// Beide werden also richtig schwach flektiert: ''er willfahrt, willfahrte, hat gewillfahrt, er radebrecht, radebrechte, hat geradebrecht''.
Von manchen schwachen Verben ist vereinzelt ein starkes Partizip gebräuchlich mit einer besonders gefärbten Bedeutung, z. B. ''verschroben'' (von ''schrauben''), ''verwunschen'' (''der verwunschne Prinz'', von ''verwünschen''), ''unverhohlen'' (''ich habe ihm unverhohlen meine Meinung gesagt'', von ''verhehlen'').
Ebenso tritt ein Bedeutungsunterschied der bei ''versichern'' möglichen Fügungen nur teilweise noch zutage. Neben einem Objektsatze steht nämlich der dritte Fall ganz gleichwertig mit dem ursprünglich richtigeren vierten und auch gleich häufig. Also: ''Ich versichere dir'' oder ''dich, daß die Nachricht übertrieben ist'', oder: ... ''die Nachricht ist übertrieben''. Wenn Person und Sache beide in einer Kasusform genannt werden, so heißt es gemäß der bekannten Wechselbeziehung (§ 209) entweder: ''Ich unterließ nicht ihm dieses, ihm meine Ergebenheit zu versichern'', oder: ''Ich versichere Sie meiner steten Anhänglichkeit; Er versicherte ihn der baldigen Erfüllung seines Wunsches'' (Hansjakob). Bloß derb mundartlich ist also das häufig zu hörende: ''Das'' (statt ''des''[''sen''] ''versichere ich Sie'', und vollends Gutzkows Satz: ''Ist das die Liebe, die'' (statt ''deren'') ''du mich versichert hast?'' Der Unterschied beider Fügungen wird erst im Passiv fühlbar. Da ist in den Formen der Zuständlichkeit nur die zweite Fügung üblich: ''Mit solchen Genossen war er des Erfolges versichert. Ihrer Überlegenheit versichert und dieses Beistandes gewiß''. Die Wendung ist also soviel als ''von etwas überzeugt, einer Sache gewiß, sicher sein, über sie verfügen können''. In der Bedeutung unter beteuernden Worten erklären ist dagegen das der ersten Fügung entsprechende Passivum üblich, freilich nicht so ausschließlich: ''Mir ist wiederholt die Richtigkeit'' oder ''daß alles in Ordnung sei, versichert worden, und nun dieser Fehlbetrag!'' Vom Passivum hat sich aber eine Rückwirkung auf das Aktivum geltend gemacht. In dem Zuge zu verschönernder Darstellung wollten die Biedermänner, für die ja am liebsten alle Schreibenden sich ausgäben, in ihre Versicherung gleich die Folge, die Überzeugung der Person, an die jene gerichtet ist, mit hineinlegen, und so wird die Verbindung einen ''einer Sache, seiner Teilnahme, Freundschaft, Unterstützung, seines Schutzes, Rates'' usw. ''versichern'' vor der anderen bevorzugt; diese erscheint eben weniger eindringlich und verbindlich. Gar nicht empfehlenswert ist die Ersetzung des Genetivs durch ''von, außer etwa'', wenn sonst zwei Genetive zusammenträfen oder Undeutlichkeit entstünde, wie denn Varnhagens Fügung: ''von Wredes Anrücken versichert dadurch berechtigt wurde''.
Geradezu einen Rückschritt stellt es dar, wenn die in § 375 gerügte Unart ganz allgemein in die Wiedergabe des von jemand Gesagten oder Gedachten eindringt und einem für die Gegenwart gültigen abhängigen Gedanken der Modus, einem in der Vergangenheit ausgesprochenen gar Modus und Zeit belassen werden, wie sie ihnen nur vom Standpunkte der wörtlichen Rede zukämen. Denn damit wird die abhängige Rede oder überhaupt die Ausdrucksweise für alle abhängigen Aussagen, die auch in der lateinischen Sprache nicht seiner und folgerichtiger durchgeführt ist als in der deutschen, geradezu auf einen früheren Standpunkt (Behaghel a. a. O. S. 137) zurückgeschraubt, auf dem ihr gänzlich und später oft noch teilweise dasjenige vorenthalten war, was heute neben der Personenverschiebung ihr deutlichstes Kennzeichen ist, deutlicher und häufiger sichtbar als die Personenverschiebung//1 Für den an solche Ausdrücke weniger Gewöhnten seien sie durch je ein Beispiel erläutert: ''Der Erzürnte schrie: Ich könnte dich gleich aus dem Hause jagen'', heißt abhängig, ohne daß von der Verschiebung des Modus etwas zu merken wäre, wohl aber von der ersten und zweiten Person in die dritte; ''er schrie, er könnte ihn gleich aus dem Hause jagen''. An dem Satze: ''Ich habe es ihm erklärt: Ich kann nicht anders'', kann man dagegen nur die Modusverschiebung in der Weise beobachten: ''Ich habe es ihm erklärt, ich könne nicht anders''.//: das ist die Modusverschiebung. Der volkstümlichen und mundartlichen Erzählung, vor allem aber Rede mag man gestatten, einmal auf jener Stufe stehn zu bleiben oder darauf zurückzutreten. In die verstandesmäßige Prosa und die gewählte Erzählung, selbst in die Erzählung, der mehr oder weniger mundartlich gefärbte Reden eingeflochten sind, gehört solche Satzfügung nicht. Leider droht sie aber gerade wieder von dorther um sich zu greifen, so gut in Roseggers wie in — Auerbachs Gleisen. Man höre nur einige Sätze aus Auerbachs „Nännchen von Mainz": ''Er nahm sich vor, wenn Nännchen von den Preußen nicht läßt'' (statt: ''lasse''), ''sie künftig zu begleiten, wohin sie will'' (statt: ''wolle''). ''N. betrachtete staunend den Vater, wie er so hartherzig sein kann'' (statt: ''könne''). ''Eines Tages, als ein'' $Seite 383$ ''Brief aus der Havelstadt ankam, worin es hieß, daß W. sich wohlbefand'' (statt: ''befinde''), ''sagte N. Denn erstens merkten die Kameraden nicht, wohin es geht'' (statt: ''gehe oder ginge''). Andrerseits schreibt Rosegger z. B. in „Als ich jung war": ''Immer wieder mußte ich an daheim denken, wo sie ja jetzt auf mich warten werden mit dem Abendessen und mutmaßen, warum er denn nicht heimkommt''. Zu solchen Entgleisungen aus Meistern rein kunstmäßigen Stiles seien die Sätze Stifters beigesteuert: ''Gustav konnte seiner Freude kein Ende machen, daß alles sei, wie es ist'' (statt: ''war'',) ''und Gustav, der wohl anfangs seine Freude ausgesprochen hatte, daß alles sei, wie es ist'' (statt: ''war''), ''sprach nun von dem Gegenstand nicht mehr''. In der Tgl. R. stand: ''Ein Beamter erzählte, daß er, vom Goldfieber ergriffen, nach Betschuanaland ging'' (statt. ''gegangen sei''); ''es glückte ihm auf einer Farm'' usw. Das nennt man aber eine indirekte Rede kaum anzufangen, geschweige fortzusetzen verstehn.
Eine vollständige Verschiebung scheinen manche jetzt unter den Hilfszeitwörtern durchsetzen zu wollen (''können, mögen, wollen, dürfen, sollen, müssen''). Und warum? Aus bloßer Ziererei, nur um es einmal anders zu machen, als es bisher gemacht worden ist. Da schreibt einer: ''es mag für ältere Mitglieder von Interesse sein, die Mitgliederliste kennen zu lernen''. Nun denkt man, er werde fortfahren: ''aber für die jüngern hat es kein Interesse, darum teile ich sie nicht mit''. Nein, er teilt sie mit! Er hat also sagen wollen: ''die Liste kann oder wird vielleicht von Interesse sein, darum will ich sie mitteilen''; mag drückt ja ein Zugeständnis aus. Eine Zeitschrift macht bekannt: ''Abonnenten wollen die Fortsetzung bei der Expedition bestellen'' — ein Realschuldirektor schreibt: ''neuphilologisch geschulte Bewerber wollen ihre Gesuche bis zum 1. Dezember einreichen''. Das ist doch nichts als Nachäfferei des Französischen (''veuillez''); deutsch kann es nur heißen: ''mögen sie einreichen'', oder wenn das nicht höflich genug scheint, ''werden gebeten, werden ersucht, sie einzureichen''. Noch alberner ist es, ein solches ''wollen'' mit dem Passivum zu verbinden: ''die Redaktion wolle angewiesen werden'' (statt: ''es wird gebeten, die Redaktion anzuweisen'') — ''das Testament wolle in Verwahrung genommen werden — das Öffnen der Fenster wolle den Schaffnern aufgetragen'' $Seite 338$ ''werden — es wolle sich gefälligst des Tabakrauchens enthalten werden''. Sehr beliebt ist es jetzt, zu schreiben: ''ich darf endlich noch hinzufügen — hier darf zum Schluß noch angeführt werden'' usw. ''Darf''? Wer erlaubt es denn? Der Schreibende erlaubt es sich doch selber, er nimmt es sich heraus. Er kann also nur sagen: ''hier darf wohl zum Schluß noch angeführt werden''; mit dem ''wohl'' sucht man sich höflich der Zustimmung des Lesers zu versichern. Ganz abgeschmackt ist der Mißbrauch, der jetzt mit ''sollen'' getrieben wird. Da wird geschrieben: ''eines nähern Eingehens aus diese Punkte glaube ich mich enthalten zu sollen — wir glauben, diesen Satz auf das ganze Werk ausdehnen zu sollen — der Heilige Vater glaubt dich ermuntern zu sollen, in der begonnenen Arbeit fortzufahren — wir glaubten die Eröffnung nicht vornehmen zu sollen, ohne die maßgebenden Persönlichkeiten dazu einzuladen — im Interesse des Publikums hat die Behörde geglaubt, den Betrieb nicht in städtische Regie nehmen zu sollen''. ''Sollen'' bezeichnet einen Befehl, einen Auftrag. In den angeführten Beispielen aber handelt sichs entweder um eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit. Weshalb also nicht ''können, müssen, dürfen''? Es ist nichts als dumme Ziererei.
Einen eigentümlichen Fehler, dem man sehr oft begegnet, zeigen in verschiednen Spielarten folgende Beispiele (das richtige soll wieder gleich in Klammern danebengesetzt werden): ''die Lage Deutschlands inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner macht es ihm zur Pflicht'' (''seine Lage macht es Deutschland zur Pflicht'') — ''das Zartgefühl des Fürsten erlaubte ihm nicht die Annahme des Opfers'' (''sein Zartgefühl erlaubte dem Fürsten nicht'') — ''leider hat die enge Begabung des Dichters ihm nicht ermöglicht'' (''leider hat seine enge Begabung dem Dichter'') — ''der Haß des Berichterstatters gegen Textor hat ihn zu Übertreibungen geführt'' (''sein Haß hat den Berichterstatter'') — ''die Krankheit des Papstes hat ihn zu einer andern Lebensweise veranlaßt'' (''seine Krankheit hat den Papst'') — ''man hatte gleich nach dem ersten Auftreten Raimunds ihn verdächtigt'' (''man hatte Raimund gleich nach seinem ersten Auftreten verdächtigt'') — ''es stellt sich dabei heraus, daß die eignen Kenntnisse des Kritikers ihn zu diesen Angriffen nicht berechtigen'' (''daß seine eignen Kenntnisse den Kritiker'') — ''die Romanschreiber, die im Vertrauen auf die Dummheit der Gesellschaft dieser den Spiegel vorhalten'' (''die der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Dummheit'') — ''nach ältern Beschreibungen des Kodex war er früher in roten Sammet gebunden'' (''nach ältern Beschreibungen war der Kodex'') — ''die Begleiter des Kranken vermochten ihn nicht zu überwältigen'' (''die Begleiter vermochten den Kranken'') — ''zur Zeit der Ausweisung des Ordens aus dem Deutschen Reiche zählte'' $Seite 278$ ''er innerhalb desselben sechzehn Niederlassungen'' (zweimal der Fehler in einem Satze! es muß heißen: ''zur Zeit seiner Ausweisung zählte der Orden innerhalb des Deutschen Reichs'' usw.) — ''angesichts der Macht dieser Gesetze dieselben'' (!) ''auf ihre Annehmbarkeit zu prüfen ist dem Gesetzgeber nicht eingefallen'' (''angesichts ihrer Macht diese Gesetze zu prüfen'') — ''man wollte trotz der von den Gehilfen beschlossenen Kündigung des Tarifs an letzterm'' (!) ''festhalten'' (''trotz der beschlossenen Kündigung an dem Tarif festhalten'') — ''wir betrauern den Heimgang des liebenswürdigen Kollegen, der seit Gründung der Ärztekammer derselben angehört'' (''der der Ärztekammer seit ihrer Gründung angehört'') — ''wegen Reinigung der großen Ratsstube bleibt dieselbe'' (!) ''nächsten Montag geschlossen'' (''wegen Reinigung bleibt die große Ratsstube'') — ''wegen Neubaues der Schleuse in der Zentralstraße bleibt letztere'' (!) ''für den Fahrverkehr gesperrt'' (''wegen Neubaus der Schleuse bleibt die Zentralstraße'') — ''sie heiratet darauf den Grafen Tr., dessen Frau ihm kurz vorher durchgegangen ist'' (''dem seine Frau'') — ''der Bedauernswerte, dessen Eltern ihm gestern einen Besuch zugedacht hatten'' (''dem seine Eltern'') — ''der Vorwurf trifft nur den, dessen Männerstolz ihm nicht gestattet'' (''dem sein Männerstolz'') — ''der Verfasser, dessen Bescheidenheit ihn bis in sein Greisenalter zögern ließ, seine Arbeit zu veröffentlichen'' (''den seine Bescheidenheit'') — ''Scharnhorst ist einer jener schicksalvollen Männer, deren Genius sie zu Dolmetschern eines ganzen Volkes gemacht hat'' (''die ihr Genius'') — ''es wird das auch von solchen bestätigt, deren Auftrag sie zu möglichst gründlicher Prüfung verpflichtet'' (''die ihr Auftrag'') — ''Menschen, deren Halbbildung sie unempfänglich macht'' (''die ihre Halbbildung'') — ''die Italiener, deren Freude an der farbigen Oberfläche der Dinge sie abhält, in den Chor der Naturalisten einzustimmen'' (''die ihre Freude'').
In allen diesen Sätzen ist ein Begriff doppelt da: das einemal in Form eines Hauptworts (in den zuletzt angeführten Relativsätzen in Form eines relativen Fürworts), das andremal in Form eines persönlichen Für- $eite 279$ worts (wozu hier auch ''derselbe'' und ''letzterer'' gerechnet werden müssen). Der Fehler liegt nun darin, daß beide am falschen Platze stehen: sie müssen ihre Plätze wechseln, wenn der Satz richtig werden soll. Warum? Weil das Hauptwort in allen diesen Sätzen nur in einem Attribut (meist in einem abhängigen Genitiv) und damit gleichsam im Hintergrunde, im Schatten, das persönliche Fürwort dagegen als Subjekt oder Objekt im Vordergrunde, im vollen Lichte des Satzes steht. Umgekehrt muß es sein: das Hauptwort gehört in den Vordergrund, der bloße Ersatz dafür, das Fürwort, in den Hintergrund. Nicht selten kann nach dem Platzwechsel das Fürwort ganz wegfallen. Wer lebendiges Sprachgefühl hat, macht solche Sätze von selber richtig, ohne zu wissen, warum. Andern wird die Sache möglicherweise auch durch diese Erklärung nicht deutlich geworden sein. Es ist wirklich ein etwas schwieriger Fall.
Selbst daß ''Vater, Mutter'' samt manchen andern Verwandtschaftsnamen in bezug auf Artikel wie Deklination (Genetiv auf -''s'' auch bei Femininen: ''Tantes'', Dat. und Akk. auf ''n'', freilich hauptsächlich nur bei denen auf -''er: Muttern'') wie Eigennamen behandelt werden, wird man gern als einen kindlichen, verinnerlichenden Zug gelten lassen, der übrigens aus dem Norden, wo er herkam, bereits auch in den Süden hinübergeweht hat, mehr freilich in der Umgangssprache feiner Familien und deren Widerspiegelung in den Gesprächen der Erzählungen. G. Keller z. B. läßt schon nicht nur die Kinder Salanders so reden, sondern erzählt auch selbst gleich schlicht z. B. von ''Mama Weidelich'' und: ''Mutter Weidlichs Butterstulle'', gerade wie ein Erzähler der Tägl. Rundschau: ''Vater war vortragender Rat im Kultusministerium, Durchlauchts Ungnade, Exzellenzens Befehl''. Warum sollten schließlich auch liebe Verwandte anders behandelt werden, als in der Kinder- und Märchensprache jedes Appelativum behandelt werden kann, wenn es als Persönlichkeit gefaßt wird: ''Strohhalm sprach?'' Auch Bezeichnungen eines gemütlichen Verhältnisses, in das der Erzähler zu einem Besprochenen tritt, können eben dieses Tones wegen ohne Artikel bleiben: ''Held Geßner, Freund Hein, Meister Zufall; Mutter Grün, - Erde, - Natur''. Auch von solchen Verbindungen kann der Wesfall bei weiblichen wie männlichen und sächlichen Worten wohllautend heißen: ''Meister Zufalls Weltgestaltung; alles, was aus Mutter Naturs Händen hervorgeht'' (P. Cauer); ''Helfershelfer, Bruder Langsams''. Nicht minder stehen so Würden und Titel, teils eben deshalb, teils weil sie, als zum Namen gehörig betrachtet, dessen Verzicht auf den Artikel teilen können, ohne Beschränkung im 1. und 4. Fall, sobald nur keine Undeutlichkeit eintritt; ja auch im 3., wenn er von Verhältniswörtern abhängt: ''bei Geheimrat Wolf''; im 2. gewöhnlich nur, wenn sich dieser am Namen leicht und deutlich ausdrücken läßt. Also wohl ''Kaiser -, König Wilhelms, Professor Ribbecks'', aber nicht ''Kaiser Tiberius' '', sondern besser ''des Kaiser Tiberius'', ebenso ''des Professors Lipsius''.
Nicht bloß Kindern, auch Erwachsenen, oft sogar recht „gebildeten" Erwachsenen begegnet es, daß sie ein Wort in falschem Sinne gebrauchen oder zwei Wörter oder Redensarten miteinander verwechseln oder vermengen. Es fehlt ihnen dann an der nötigen Spracherfahrung. Sie haben die Wörter noch nicht oft genug gehört, oder sie haben nicht scharf genug auf den Zusammenhang geachtet, worin ihnen die Wörter vorge- $Seite 331$ kommen sind, und so verbinden sie nun einen falschen Sinn damit. ''Es gibt Bücher über Shakespeares, Goethes, Schillers Frauengestalten''. Darunter hat wohl noch niemand etwas andres verstanden als die Frauen in den Werken der drei Dichter. Vor kurzem ist aber ein Buch erschienen: ''Lenaus Frauengestalten''. Das behandelt ''diejenigen'' (!) ''Frauen, welche'' (!) ''bedeutsam'' (!) ''in das Leben und Werden'' (!) ''Lenaus eingegriffen haben.''
Wenn eine solche Begriffsverwechslung einem Schriftsteller begegnet, dann kann man den Schenkwirten keinen Vorwurf machen, wenn sie neuerdings mit Vorliebe auf die kleinen Preise ihrer Speisekarte aufmerksam machen. Zwischen ''Preis'' (''praemium'') und ''Preis'' (''pretium'') ist ein Unterschied. Große und kleine Preise gibt es bei Preisausschreiben und Preisverteilungen; im Handel gibt es nur hohe und niedrige Preise. In den Zeitungen kann man jeden Tag lesen, daß ''ein Erkrankter'' oder ''ein Verunglückter in das'' oder ''jenes Krankenhaus eingeliefert worden sei''. Welche Roheit! Ein Verbrecher wird ins Gefängnis eingeliefert, nachdem er verhaftet worden ist, aber doch nicht ein armer Kranker.
Oft verwechselt werden jetzt von Hauptwörtern: ''Neuheit'' und ''Nettigkeit'', ''Wirkung'' und ''Wirksamkeit'', ''Folge'' und ''Erfolg'', von Zeitwörtern: ''zeigen, zeichnen, bezeichnen'' und ''kennzeichnen, verlauten'' und ''verlautbaren'', von Adverbien: ''regelmäßig'' und ''in der Regel, anscheinend, scheinbar'' und ''augenscheinlich, zumal'' und ''besonders''.
''Neuheiten'' liegen in dem Schaufenster des Modewarenhändlers; in dem des Buchhändlers liegen ''Neuigkeiten''. Bis vor kurzem wenigstens ist dieser Unterschied stets gemacht, und von literarischen Erzeugnissen dasselbe Wort gebraucht worden wie von neuen Nachrichten: ''Neuigkeit''. Es hat einen geistigern Inhalt als ''Neuheit'', und die Schriftsteller sollten es sich verbitten, wenn man jetzt ihre Erzeugnisse mit denen des Schneiders auf eine Stufe stellt.
Von der ''Wirksamkeit des Sarlehnerschen Bitterwassers'' zu reden ist ebenso verkehrt, wie zu sagen: d''iese Maßregel verliert auf die Dauer ihre Wirksamkeit''. $Seite 332$ ''Der Pfarrer wirkt in seinem Amte, eine Maßregel wirkt vielleicht im Verkehr, und das Bitterwasser wirkt in den Gedärmen''; aber nur der Pfarrer hat eine ''Wirksamkeit'', die beiden andern haben eine ''Wirkung''.
Ebenso sinnwidrig ist es, von dem ''Erfolg zu knapper Mittel'' zu reden, statt von den ''Folgen'', denn ein ''Erfolg'' ist etwas positives, erfreuliches, ''zu knappe Mittel'' sind etwas negatives, unerfreuliches.
''Kennzeichnen'' ist sehr beliebt geworden, seitdem man es als Ersatz für das Fremdwort ''charakterisieren'' gebraucht. Es wird aber oft ganz gedankenlos verwendet. Wenn geschrieben wird: ''welche Stellung er zur Revolution einnahm, ist schon oben kurz gekennzeichnet worden — durch ihre Aussprüche kennzeichnen sie ihre Zugehörigkeit zur stillen Gemeinde — wir haben das Buch als das gekennzeichnet, was es ist: als eine Tendenzschrift — der ungeheure Verbrauch von Offizieren muß als ein Luxus gekennzeichnet werden — der Hauptraum, der als Halle oder Kapelle gekennzeichnet werden kann — die ganze Kläglichkeit der heutigen Handwerkspolitik hat kürzlich Stieda trefflich gekennzeichnet'' — so liegt auf der Hand, daß in den ersten drei Sätzen ''zeigen'' (''andeuten, verraten, nachweisen''), in den zwei nächsten ''bezeichne''n, in dem letzten einfach ''zeichnen'' (''schildern'') gemeint ist.
''Verlauten'' ist ein intransitives Zeitwort und bedeutet: laut werden. ''Es verlautet etwas'' — heißt: man erzählt es, man spricht davon. ''Verlautbaren'' dagegen (ein entsetzliches Kanzleiwort!) ist transitiv und bedeutet: laut aussprechen, bekannt machen. Ganz verkehrt ist es also, zu sagen: ''es verlautbart etwas''.//* In Leipzig wird ein Hauskauf nicht ins Grundbuch ''geschrieben'' sondern ''grundbücherlich'' (so!) ''verlautbart''.//
''Regelmäßig'' ist dasselbe wie ''immer''; ''in der Regel'' aber ist nicht dasselbe wie ''immer''. Wer ''regelmäßig'' früh um fünf Uhr aufsteht, leistet mehr, als wer es bloß ''in der Regel'' tut. ''Die Regel'' leidet eine Ausnahme, ''die Regelmäßigkeit'' leidet keine.
$Seite 333$ Wenn eine Zeitung schreibt: ''die Herren verlebten einen scheinbar köstlichen Abend'' — so ist das etwas ganz andres, als was der Zeitungschreiber sagen will. Mit ''scheinbar'' wird ein Anschein gleich für falsch erklärt, mit ''augenscheinlich'' wird er gleich für richtig erklärt, mit ''anscheinend'' wird kein Urteil ausgesprochen. ''Er verzichtet scheinbar auf einen Gewinn'' — heißt: in Wahrheit ist er ganz gierig darnach; ''er verzichtet anscheinend'' — heißt: es kann sein, daß er verzichtet, es kann auch nicht sein; ''er verzichtet augenscheinlich'' — heißt: er verzichtet offenbar.
Durch ''zumal'' erfährt eine Behauptung eine in der Sache selbst liegende, also selbstverständliche Steigerung, z. B.; ''die Urkunden sind schwer lesbar, zumal im siebzehnten Jahrhundert'' (''wo man überhaupt schlecht schrieb'' — ist der Sinn) — ''du solltest dich doch sehr in acht nehmen, zumal im Winter''. Ganz unangebracht ist es dagegen in folgendem Satze: ''als ich die Quellen zur Geschichte des Bistums durcharbeitete, stieß ich, zumal in zwei Handschriften des fünfzehnten Jahrhunderts, auf zahlreiche Aktenstücke''. Hier kann es nur ''besonders'' oder ''namentlich'' heißen.
Keine Verwechslung, sondern bloße Ziererei ist es, für ''erstens'' zu schreiben ''einmal''; ''ich muß das aus verschiednen Gründen ablehnen, einmal weil, sodann weil'' usw. Wer darauf aufmerksam gemacht worden ist, unterläßt es; es ist wirklich eine Abgeschmacktheit.
Nicht verwechselt, aber vermengt werden neuerdings fortwährend die beiden Redensarten ''einig sein'' und ''sich klar sein''. ''Einig sein über etwas'' können immer nur mehrere; ''sich klar sein'' kann auch ein Einzelner. Ganz sinnlos also ist das aus beiden zusammengeknetete ''sich einig sein'', das man jetzt täglich lesen muß: ''Protestanten und Katholiken sind sich in diesem Punkte einig — die Archäologen sind sich nicht ganz einig, ob sie in dem Jüngling einen Hermes oder einen Epheben sehen sollen — darin waren sich zwei Männer von so verschiedner Art wie Freytag und Treitschke einig — es handelt sich da um wirtschaftliche Maßnahmen, über die wohl die überwiegende Mehrheit sich einig ist.''
Mancherlei Verwirrung herrscht auch auf dem Gebiete der Präpositionen. So werden z. B. sehr oft ''durch'' und ''wegen'' verwechselt, obwohl sie doch so leicht auseinanderzuhalten wären, denn ''durch'' gibt das Mittel, ''wegen'' den Grund an. Da wird z. B. geschrieben: ''das Buch ist durch seine prachtvolle Ausstattung ein wertvolles Geschenk — die Marienkirche enthält viele durch Kunst und Geschichte bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten — der Streit ist durch seine lange Dauer von mehr als bloß örtlicher Bedeutung gewesen — durch die verkehrte Methode seines Lehrers machte er lange Zeit keine Fortschritte — Falb, der durch seine kritischen Tage vielgenannte Wetterprophet — die Mißernten bleiben dann nur noch durch Regen zu fürchten — durch körperliches Leiden ist als sicher anzunehmen, daß sie sich ein Leid angetan hat — durch sein liebenswürdiges und aufrichtiges Wesen werden wir stets seiner in Ehren gedenken''. In allen diesen Sätzen muß es ''wegen'' heißen, denn man fragt hier nicht: ''wodurch?'' sondern ''weshalb'' oder ''warum?'' Ebenso werden oft ''für'' und ''vor, für'' und ''zu, für'' und ''über'' vertauscht. Früher hatte man ''Liebe zu jemand, faßte Neigung zu jemand, hegte Achtung vor etwas, hatte Sinn'' oder ''Interesse für etwas''; jetzt gilt es für fein, das alles durch ''für'' zu erledigen: ''daher seine merkwürdige Neigung für alle Verkommnen und Gescheiterten — der Sozialismus hat wenig Achtung'' $Seite 340$ ''für rein geistige Arbeit. Eine Stadtgemeinde gibt Verwaltungsberichte heraus für das abgelaufne Jahr''. Nein, Kalender und Adreßbücher druckt man ''für ein Jahr'', Berichte kann man nur ''über ein Jahr'' drucken. Früher sagte man: ''von heute an''. Jetzt liest man nur noch ''von heute ab, von Montag ab, vom 1. Januar ab''. Warum denn ab? Man bildet sich doch nicht etwa ein, ''ab'' könne hier in dem Sinne stehen wie auf den Eisenbahnfahrplänen, wo es den Ausgangspunkt bezeichnet? Nein, es bedeutet die Richtung. ''Von Kindesbeinen an'' — das will sagen, daß der Weg von der Kindheit in die Höhe führe (vgl. ''hinan, bergan''); noch deutlicher sagt es: ''von Jugend auf''. Bei dem neumodischen ''von — ab'' hat man immer die Vorstellung, als ob alles, was jetzt unternommen wird, von Anfang an dazu verdammt wäre, bergab zu gehen.
Besonders anstößig ist es, wie oft sich — offenbar unter dem Einflusse des Lateinischen — die Präposition ''in'' an Stellen drängt, wo sie nicht hingehört. In gutem Deutsch hat man ''Vertrauen zu jemand, Hoffnung auf jemand'' und ''Mißtrauen gegen jemand''. Das wird jetzt alles durch ''in'' besorgt: man hat ''Vertrauen in die Kriegsleitung'' (scheußlich!), ''verliert die Zuversicht in sich selbst, ist ohne jedes persönliche Mißtrauen in die Behörden und setzt seine Hoffnung in die Zukunft''. Ja die Juristen reden sogar von einer ''Vollstreckung in verschuldeten Besitz, einer Zwangsvollstreckung in Liegenschaften'' und ''verurteilen einen Angeklagten in die Kosten''. Das alles ist schlechterdings kein Deutsch, es ist das offenbarste Latein. Früher ging man auch ''auf einem Wege vorwärts'', und nur wenn einen auf diesem Wege jemand hinderte, sagte man: ''er tritt mir in den Weg, er steht mir im Wege, er mag mir aus dem Wege gehen''. Unsre Juristen aber möchten nur noch ''im Wege vorwärtsgehen'' oder vielmehr ''„vorschreiten''," sei es nun ''im Wege der Gesetzgebung'' oder ''im Wege der Verordnung'' oder ''im Wege des Vergleichs'' oder ''im Wege der Güte''. Man denkt sich die Herren unwillkürlich in einer Schlucht oder einem Hohlwege stehen, „rings von Felsen eingeschlossen," wenn sie so ''im Wege vorschreiten''. In der Juristensprache bedeutet $Seite 341$ aber doch wenigstens das Wort den eingeschlagnen Weg, das Verfahren. Wenn aber gar eine Bibliothek berichtet, daß ihr ''Bücher zugegangen seien im Wege der Schenkung, des Tauschs'' oder ''des Kaufs'', so ist das doch völlig abgeschmackt, denn da ist doch nur von der Art und Weise die Rede: ''die Bücher sind ihr durch Schenkung, Tausch oder Kauf zugegangen''.
Die neuesten Dummheiten sind, daß man die Präposition ''nach'' gebraucht in einem Falle, wo sie nicht hingehört, und nicht gebraucht in einem Falle, wo sie hingehört. Man schreibt nicht mehr: ''nach der und der Zeitung'' oder ''dem und dem Telegramm ist das und das geschehen'', sondern: ''zufolge'' (!) ''der Zeitung'' oder ''des Telegramms'', als ob die Zeitung oder das Telegramm die Ursache, die Veranlassung des Ereignisses wäre! Da ist hier eine Ministerkrisis ausgebrochen, dort ein Lustschiffer verunglückt, hier beim Rennen ein Pferd gestürzt, dort ein Leprafall vorgekommen, alles ''zufolge von Zeitungen''! Es ist zu dumm; man kann es aber alle Tage lesen. Andrerseits ''geht man aber nicht mehr zu Schulze'', sondern ''nach Schulze'', ja man schreibt sogar ''nach Schulze'' und ''schickt einen Brief nach Schulze'' (statt: ''an Schulze''). In meiner Kinderzeit ging man noch ''zu Hause'', so gut wie man ''zu Tisch'' und ''zu Bette'' ging. Dann hieß es auf einmal: ''zu Hause'' auf die Frage ''wohin''? sei nicht fein, man müsse sagen: ''nach Hause''. Vielleicht wird auch ''nach Schulze'' noch fein. Feine Leute schicken aber auch ihre Kinder nicht mehr ''in die Schule'', sondern ''zur Schule''. ''Geht Ihre Kleine schon zur Schule?'' heißt es. Da wird sie nicht viel lernen, wenn sie bloß ''zur Schule'' geht; sie muß hineingehen!
Neben der vollständigen Versetzung eines Verbums aus der starken in die schwache Konjungation ist fast häufiger noch ein teilweiser Verzicht auf die starke Bildung, soweit sie die Gegenwart berührt, nämlich auf den schönen Vokal-, also Klangwechsel der folgenden Art. Die Stämme auf ''o, au'' und besonders ''a'' haben nämlich in der 2. und 3. Pers. Sing. Präs. Indik. den Umlaut ''ö, äu'' und ''ä'': ''ich laufe, du läufst, er läuft; ich stoße, du stöß(es)t, er stößt'' //1 Ähnlich wie diese Formen darf man jetzt auch die Formen ''du kömmst, er kömmt von kommen'' beurteilen, die ganz zu verbannen man durch das Bildungsgesetz gar nicht, aber auch durch den Brauch nicht sonderlich berechtigt ist. Tatsächlich kommt die Unsicherheit in diesen Formen ja daher, daß das ''o (ö)'' gar nicht ursprünglich, sondern erst durch Trübung aus ''e (i)'' entstanden ist, wie denn das Volk dem ahd. ''quimis, quimi''t entsprechend noch sagt: ''du kimmst, er kimmt''; und Hildebr. in Wb. V, 1629 sagt vorsichtig, daß der Umlaut hier wohl seltener würde, obwohl er richtig sei. Ebenso ist es nicht mehr am Platze, gegen du ''frägst, er frägt'', z. B. bei Nietzsche, neben ''fragst fragt'' loszuziehen, da ja diese Formen zu dem nun doch eingebürgerten ''frug'' stimmen.//: ''ich falle, du fällst, er fällt''; und die starken Stämme mit ''e'' oder in seltenen Fällen dafür eingetretenem ''ä'' (''gebären'') oder ''ö'' (''erlöschen'') haben in denselben Formen und außerdem in der Einzahl der Befehlsform für diese ''e, ä'', und ''ö'' ein ''i'' oder vor einfachem Mitlaute und bei langer Aussprache ''ie'': ''ich lese, du lies(es)t, er liest, lies: ich gebe, du gibst, er gibt, gib! ich erlösche, es erlischt, erlisch! ich helfe, du hilfst, er hilft hilf!'' Unterbleiben muß dieser Wechsel nur bei ''hauen, schnauben, saugen'' $Seite 92$ und ''schaffen'', ebenso bei ''genesen, heben, schwören''. Daß zugleich ein schwaches Verb in dem heute wesentlich starken ''scheren'' steckt, ist wohl der Grund, daß es auch von diesem im eigentlichen Sinne heißt ''du scherst'' (''das Haar''), wie: ''er hätte sich nicht um die Bosheit geschert'' (Beyerlein), während in der Bedeutung ''quälen, angehn'' die Mutter dem Kinde gewöhnlich noch ebenso zuruft: ''Schier mich nicht so'', als Goethe sagte: ''Was schiert es mich'', u. E. T. A. Hoffmann: ''Schier dich zu Bett!'' neben dem Imperfekt: ''es scherte ihn nicht'' (H. Leip). — ''Berstest, berstet'' von ''bersten'' sind erst seit Schiller häufig, nachdem sie freilich schon vorher in den zweisilbigen Formen ''birstest, birstet'' vorbereitet waren, die wegen der Konsonantenhäufung ungewöhnlich statt ''birst'' erhalten geblieben waren. Außerdem hat sich bei den Schriftstellern noch ''melk(e)st, melkt, melke!'' eingeschlichen statt ''milkst'' usf., und F. Avenarius bildet (1917): ''Mit dem Stoff gebärt'' (statt: ''gebiert'') ''sich der seelische Gehalt eines Werkes.''
