Attribut: KapitelText
Aus Zweidat
Dies ist ein Attribut des Datentyps Text.
V
''Voll'' und ''voller''//1 Vgl. K. Ondrusch Zeitschrift für d. deutschen Unterricht 1890, S. 30 ff. Die Form ''voller'' ist die deklinierte Maskulinform, die hier auch an den Stellen bewahrt ist, wo heute sonst die undeklinierte üblich ist, in der Nachstellung und in der Satzaussage: ''ein rotes Röslein'', aber ''Röslein rot'' und ''das Röslein ist rot'', dagegen wie ''ein voller Eimer'' auch ''ein Eimer voller (Wasser)'' und ''der Eimer ist voller (Wasser)''. Daß aber gerade diese Form erhalten worden ist, beruht zweifelsohne auf einem Irrtum des Sprachgefühls: Luther verband nur weibliche Wörter in der Einzahl und Mehrzahl damit, und noch heute steht die Form nie vor einem Worte mit Artikel oder einem gleich diesem hinweisenden Fürworte. Das irregeleitete Sprachgefühl empfand also ''voller'' als Verschmelzung von ''voll'' und ''der'' danach häufigsten Artikelform ''der''.// Das Wort ''voll'' steht prädikativ und attributiv und zwar, sobald Ergänzungen hinzutreten, als Attribut immer nach dem Substantiv, entweder in dieser ungebeugten Form oder, gleichviel auf welche Zahl und welches Geschlecht bezogen, auch in der Form ''voller''. Nur ist diese zweite Form in der Hauptsache auf den Fall beschränkt, daß artikel- und attributlose Hauptwörter davon abhängen und zwar in der Mehrzahl im wirklichen, freilich auch nur bei substantivierten Adjektiven kenntlichen Genetive, in der Einzahl meist in ungebeugter Form, indem die Gleichheit des Genetivs und Nominativs beim Femininum der Einzahl und bei allen Mehrzahlen gewöhnlich auch für die Einzahl des männlichen und sächlichen Geschlechtes auf die Bezeichnung des Genetivs zu verzichten verleitete: also ''voll und voller Mut'', ''voll und voller Achtung, voll und voller Glanz; ein Kasten voll(er) Blumen'' und deutlicher: ''ein ganzes Schlachtfeld voll und voller Toter, eine Stadt voll Weltleute und Weltweiser''. Wenn die Form ''voller'' — freilich seltener — auch vor einem mit Attribut versehenen Hauptworte erscheint, steht das Attribut so gut in der starken als in der schwachen Form: ''voll(er) schändlicher, unflätiger Gebärden und unzüchtiger Bewegungen'' und ''voller starken glücklichen Stellen''. Auch bei ''voll'' ist ein artikel- und attributloses Hauptwort im wirklichen Genetiv der Einzahl, der bei ''voller'' nie steht, höchst selten, und wenn ''voll Lobes über eine Sache sein'' formelhaft erhalten ist, so ist z. B. selten, wenn auch nicht falsch ''voll Schnees, voll Wassers'' und allein möglich ''voller Lob'' sein. — Vor Hauptwörtern mit Geschlechtswort steht nur ''voll'', und dieselbe Form gewöhnlich auch vor Hauptwörtern, die durch vorangestellte Eigenschaftswörter bestimmt sind, wobei die schwache oder starke Adjektivform ganz nach den dafür allgemein gültigen Gesichtspunkten gewählt wird (vgl. § 77 ff); auch kann wohl ''voll'', nie ''voller'' den davon abhängigen Wörtern nachfolgen, also nur: ''voll des innigsten Mitleids, voll der schönsten Zähne''; gewöhnlich: ''voll raschen Verständnisses'' (§ 79); ''heiliger Ruchlosigkeit voll; voll sonntäglich geputzter Menschen; die Augen standen randvoll fröhlichen Lachens'' (W. Flex).
Außerdem verbindet man ''voll'' (nie ''voller'') auch mit dem Verhältniswort ''von'', freilich im allgemeinen nur unter folgenden Bedingungen: 1. wenn ein artikel- und attributloses Hauptwort dem regierenden ''voll'' vorangestellt oder durch ein dazwischentretendes Zeitwort davon getrennt wird, so daß es sonst ohne jegliches Zeichen der Zusammengehörigkeit in der Luft schweben würde: ''ein Jüngling, dessen Herz von Liebe voll ist; Primula, die heute abend voll ist von Reminiszenzen'' (Spielhagen), neben: ''Die, welche voll sind des heiligen Geistes tätiger Menschenliebe'' (Ders.). — 2. wenn ''voll'' (''sein'') viel sagend = ''ganz erfüllt, noch satt, über''- $Seite 180$ ''sättigt'' (''sein'') steht und so natürlich gleich der Leideform ''von'' neben sich fordert: ''Alles war noch voll von dem Besuche''. — 3. wenn ein substantivisches, besonders persönliches Fürwort davon abhängt: ''voll von ihnen, voll von jenen, — Die Blumen, von denen alles voll lag''. Dagegen kann ein Substantivum mit adjektivischem Fürwort vor sich auch im Genetiv steht, ja indem ''voll'' dann nachtritt, ist das sogar das gewöhnliche; also: ''voll von diesen Lobsprüchen'' und auch: ''voll dieser Lobsprüche'', gewöhnlicher aber: ''deines Ruhmes und deines Preises voll'', und nur selten: ''voll ihrer Liebe''. — 4. tritt die Präposition ''von'' auch sonst noch oft ein, wo die anderen Fügungen neben ''voll'' oder ''voller'' möglich wären, z. B. um das Zusammentreffen zweier Genetive zu vermeiden oder sonst einen Mißklang, ja auch ohne besonderen Grund; nur daß die Präposition, zumal im gewöhnlichen Stile, überwiege und die Form ''voller'' nicht gewählt genug sei, ist eine falsche Meinung. Fehlerhaft ist die namentlich bei P. Richter beliebte Fügung mit dem 4. Falle (''der Kopf voll blondes Haar, die Achseln voll dünne Kirschblüten''); und besser wird — wenigstens für die heutige Schriftsprache — auch die mit dem Dative gemieden, die sich nicht minder bei P. Richter findet und jetzt namentlich bei artikellosen, mit einem Adjektivattribut versehenen Substantiven immer häufiger wird, in der Art, wie ja auch sonst um ein Zeichen der Zugehörigkeit Verlegenen (§ 157 und 241) gerade dieser Fall herhalten muß: ''eine keine voll Gems- und Rehfellen: ein Kasten voll weißem gelöschtem Kalke; voll Geheimnissen'' (H. Federer), gar ganz unebenmäßig: ''ein Gemach voll farbigen Glanzes, zauberhaftem Leuchten'' (Ad. Gerhard).
Das Adjektivum ''voll'' verbindet wohl jeder richtig mit dem Genitiv oder, je nachdem, mit der Präposition ''von'', z. B.: ''die Straßen waren voll geputzter Menschen — er war deines Lobes voll — das ganze Haus war voll von Altertümern und Merkwürdigkeiten''. Daneben ist noch üblich, das Substantiv gänzlich unflektiert zu ''voll'' zu setzen: ''voll Blut, voll Rauch, voll Zorn, voll Haß, voll Verlangen'' usw. Das ist eigentlich ein Fehler, aber einer, der nicht mehr gefühlt wird. Wenn man ''voll Liebe'' sagte, so meinte man ursprünglich auch den Genitiv. Da dieser aber beim Femininum nicht erkennbar war, verdunkelte sich allmählich das Gefühl dafür, und so ging er auch bei männlichen und sächlichen Hauptwörtern verloren. Auf dieselbe Weise sind ja auch Verbindungen entstanden, wie: ''ein Stück Brot, ein Glas Wein''.
Nun aber ''voller'' — wie stehts damit? Im Volksmund ist es ganz gäng und gäbe, auch unsre besten $Seite 240$ Schriftsteller haben es oft geschrieben, aber heute getraut man sichs doch nicht mehr so recht, weil man so gelehrt geworden ist, daß man immer grübelt, ob man wohl auch so sagen dürfe oder nicht, aber nicht gelehrt genug, die Zweifel wieder zu bannen. ''Die Kirche war voller Menschen — der Kerl ist voller Neid — der Himmel hängt ihm voller Geigen — der Junge steckt voller Schnurren — der Garten ist voller Unkraut'' — darf man denn so schreiben? Ei, gewiß darf mans; jedermann, Hoch und Niedrig, spricht so, warum soll mans nicht schreiben dürfen?
''Voller'' ist ein erstarrter männlicher Nominativ, der im Prädikat auf alle drei Geschlechter angewendet worden ist (ganz ebenso wie ''selber'', und ganz ebenso wie ''selbst'', das nichts andres als das erstarrte Neutrum ''selbs'' ist). Schon Luther scheint über diese merkwürdige Spracherscheinnng nachgedacht zu haben, aber zu der Annahme gekommen zu sein, daß ''voller'' aus ''voll der'' entstanden sei; er gebraucht es gern, aber immer nur vor dem Femininum und vor dem Plural. Auf keinen Fall hat die Bildung etwas niedriges an sich, im Gegenteil etwas trauliches, anheimelndes, und der guten Schriftsprache ist sie durchaus nicht unwürdig.//* Eine ähnlich merkwürdige Bildung wie ''voller'' ist ''Maler, Stücker, Tager, Jahrer'' in Verbindungen wie: ''ein Maler drei, ein Stücker drei, ein Jahrer fünf, ein Tager sechs'' u. ähnl. Hier ist das er der Rest eines rasch und nachlässig gesprochnen oder: ''ein Stück oder drei''. Diese Verbindungen würden sich aber in der guten Schriftsprache doch recht seltsam ausnehmen, sie gehören nur noch der Umgangssprache an.//
Noch täppischer ist es freilich, was garnicht mehr als Wes-Fall empfunden wird, oder gar den bloßen Stamm eines Bestimmungswortes eigentlicher Zusammensetzung in den vollen 2. Fall auf ''es'' (nach ''-er'' und ''-el'' bloß ''s'') auseinanderzuziehen. Das darf sich höchstens der Dichter dem Versmaß zuliebe ausnahmsweise einmal gestatten, aber wir dürfen weder Boyen ''Kriegesrat, -laufbahn'' noch Schleiermacher ''Landesleute'' nachmachen, und heute sollte man es nicht in allen Stimmungsbildern und Festberichten der Zeitungen von ''Kampfeslust, Blitzesschlag'' und ''Wolfesrachen, Winters-, Herbstesfreude'' und ''Festesstimmung'', noch weniger bei R. Herzog in ''Burgestrümmern'', bei A. Hochberg von ''lärmesscheu'' und amtlich in ''Dienstesnachrichten'' zischen hören. Noch mehr wie ein dichterischer Hauch $Seite 19$ der von sachlich nüchternen Darstellungen ferngehalten werden muß, weht es uns an, wenn das Bestimmungswort, vor allem ein weibliches, das heute in der Einzahl keine schwache Endung mehr hat, noch altertümlich, für den Dichter ebenfalls oft bequemer mit der Endung ''-en'' erscheint, ohne daß sachlich an eine Mehrzahl gedacht werden könnte. ''Erdental'' und ''Erdwall, Erdenglück'' und ''Erdkreis'' gehören eben je in ganz verschiedene Arten des Stils und Darstellungsgebietes; und mit Befremden las man in der Tägl. Rundschau z. B. ''Betrachtungen über die Mondenbahn und das Erdenklima''. +
Durchaus undeutsch und lediglich Nachäffung des Französischen sind Wendungen wie: ''zufrieden sein von etwas, trösten von'' (statt ''über'') ''etwas, verhebt sein von jemand; selbst mit jemand sein oder bleiben: Bleiben sie mit'' (statt ''bei'') ''uns; so konnte er ein paar Stunden mit dem Wesen sein''. +
Es sind dies 1) nicht nur attributive Bestimmungen, Angaben stehender Eigenschaften oder auch vorübergehender derartiger Zustände, die für die Handlung des Satzes von $Seite 353$ Bedeutung sind; es sind vor allen Zeitbestimmungen, Angaben der Weise (''indem''), des Grundes (''weil, da''), auch des möglichen Grundes, d. h. Bedingungen (''wenn''). Dagegen schon wenn der Grund für das Gegenteil, also eine Einräumung im Partizip angegeben werden soll, pflegt zur Verdeutlichung des Verhältnisses das Bindewort ''obgleich, obschon'', (''wenn'') ''auch'' beibehalten zu werden (vgl. § 313 f.); wenigstens muß im folgenden übergeordneten Sätze ein doch der Auffassung zu Hilfe kommen (vgl. S. 282). Sonst bleibt der Gedanke unklar oder doch undeutlich ausgedrückt wie in dem Satze Gerstäckers: ''Gering an Zahl wie alle diese Völker sind, wagen sich die Russen'' (fehlt: ''doch'') ''nicht in ihre innern Angelegenheiten''.
Diese Beschränkung der Fügungen des Mittelwortes entspringt der Natur seiner Formen; ist in diesen doch aus der Handlung ein in Nominalform kristallisierter Begriff eines sich entwickelnden, andauernden oder abgeschlossenen Zustandes geschaffen. Somit können sie nur für solche Ereignisse eintreten, die der Haupthandlung innewohnen oder ihr vorbereitend, bestimmend oder beschränkend vorangehn. Dieser Natur widerspricht nicht nur die oben § 335 abgewiesene Verwendung der Mittelwörter für weiterführende Hauptgedanken, sondern auch die Verwendung für andre als die eben angegebenen Arten von Nebensätzen, ein Fehler, der denn auch sehr selten ist. Denn einem Satze wie dem der Tgl. R.: ''Vor dem Gipfel angelangt, im nächsten Takte oben befindlich, schweigt plötzlich die anschwellende Masse'', fühlt jeder an, daß eine partizipialadjektivische Form unfähig ist, eine Folge, eine irreale sogar, auszudrücken: ''so daß sie im nächsten Takte oben gewesen wäre''! Nicht viel anders ist der Ausdruck G. Kellers zu beurteilen: ''Ich fand die Augen und das Kissen zwar trocken, dachte aber über möglich gewesene Folgen nach, bis ich endlich einschlief''.
Von Präpositionen als ursprünglichen Adverbien können so gut wie von Adverbien und adverbialen Wendungen mit Hilfe der Endung ''-ig'' Eigenschaftswörter gebildet werden, z. B. ''vorig, übrig, jenseitig, nach-, seitherig; zeit-'' und, weniger gut, ''mittlerweilig, meine zwischenweilige Tätigkeit'' (G. Keller) und ganz neu: ''nach beinahiger Verödung'' (E. Bertram 1919), ''dermalig, vor-, nachmalig, seinerzeitig, derzeitig''//1 Eine falsche Sparsamkeit läßt jetzt häufig das allein die Beziehung auf die Gegenwart enthaltende ''der'' weg: ''Vortrag, gehalten von dem zeitigen Rektor N.'' Dies nachzuahmen empfiehlt sich gleich wenig wie die Auslassung von ''darauf'' vor ''bezüglich'', die aus den Anzeigen herrührt, oder der Gebrauch von ''einstig'' statt ''dereinstig'' (= zukünftig) und von ''gleich'' statt ''sogleich'', ''(so)eben''.//, sogar mit beibehaltenem Bildungs-''s'': ''all(en)-, desfallsig'' und als Satzaussage Th. Birt (1916): ''er war häufiger aushäusig als früher; hirnrissig; Zola ist der erste, dem zwischenmenschliche Gebilde vollste Gefühlswerte gewannen; in dem zwischenmenschlichen Elementarverhältnis der Auseinandersetzung der Geschlechter'' und G. K.: ''zwischenweilige Verwaltung''. Freilich sind solche Gebilde nicht einfache Ableitungen, sondern sogenannte Zusammenbildungen, d. h. die Umstandsangabe ''zwischen den Menschen'' hat in dem älteren ''menschlich'' den Kern gefunden, um den sich die Adjektivierung der Wendung kristallisieren konnte. Doch gleichviel ob Ableitung, ob Zusammenbildung: unstatthaft sind solche Bildungen von nachgestellten, ihren Kasus vor sich habenden Präpositionen, also Unbildungen wie ''zweifelsohnig, deshalbig, eidesstattliche Versicherung; trotz seines allenfallsigen Gedankengehaltes'' (B. v. Münchhausen 1928). Nur aus der Notwendigkeit hervorgegangen, adverbiale Bestimmungen gelegentlich in adjektivische Fügung bringen zu können, dürfen solche Gebilde vor allem nicht wieder an Stelle der zugrunde liegenden Adverbien oder Adverbialien verwendet werden. Es ist ganz falsch, wenn man sagt: ''Mittlerweilig beobachte man, die Lähmung traf ihn linkseitig, Anlegung von Leitungen linkseitig vom Goldenen Horn; wie man es vorjährig gemacht haben würde'' (H. v. Zobeltitz 1920), ''der bunte Rock, in den du als Plöner Kadett erstmalig hineinschlüpftest'' (ders. 1927); ''man muß den Geltungsbereich, wie obig, auf die historische Erfassung Shakespeares einschränken'' (Koschmieder in einer Breslauer Diss. von 1913). Auch für: ''er ist nur zeitweilig Vorsteher'', stünde zur Verfügung: ''einstweilen, vorübergehend, zur Zeit''. Außerdem vermeidet man die nur einer Notlage entstammenden Ableitungen überhaupt, wo man ein besseres Wort dafür hat. Für ''demnächstige Neuauflage'' sagt man besser ''baldige, balderscheinende'', und für ''immerfortiges Hänseln'' lieber ''fortwährendes, ununterbrochenes''. Ganz überflüssig sind die $Seite 11$ in Österreich beliebten ''vorwärtig'' statt ''vorder'' und besonders ''rückwärtig'' statt ''hinter'' (''rückwärtige Fläche'' statt ''Kehrseite, rückwärtige Kolonnen'' statt ''hintere Kolonnen''), sowie das schon in Alldeutschland weidlich gebrauchte ''beiderseitig''. Da gibt es ''beiderseitige Häuser und Eltern'', selbst Darstellungen und Ansichten, wobei man an Darstellungen und Ansichten von zwei Gesichtspunkten zu denken versucht ist, während dies bei der Anwendung des in allen Fällen richtigen Genetivs von ''beide'' ausgeschlossen wäre: H. Hoffmann mußte statt ''die Häuser unser beiderseitigen Eltern'' sagen ''unser beider Elternhäuser'' und M. Ebeling statt ''ihre'' (des Cäsar und Tacitus) ''beiderseitigen Darstellungen'' einfach ''beider Darstellungen'', Federer Schrieb (1924) gar: ''Das Dokument wurde beidseitig unterzeichnet.''
Die Verhältniswörter fordern heut im allgemeinen einen bestimmten Fall nach sich, und wenn sie ihn nicht erhalten, so wird das als Abweichung von der Regel, ja als Sprachfehler empfunden; denn der bestimmte Fall bei den Verhältniswörtern ist etwas im Laufe der Jahrhunderte Gefestigtes, und bereichert wird die Sprache wahrlich nicht, wenn nun statt der Sicherheit wieder Unruhe in ihre Fügungsweise gebracht wird, indem z. B. G. Freytag, G. Keller u. a. Hervorragende ''ohne dir, ohne dem Bruder'' sagen, Kaufleute ''wegen bevorstehendem Ausverkaufe'', selbst ein Gelehrter ''wegen dem roten Brustflecke'', freilich auch das Volk hundertfach: ''dem Dinge halben'' und ''wegen mir''.
Eine andere Unsicherheit, eine vorübergehende Irreführung des Lesers oder Hörers entsteht, wenn zwischen Verhältniswort und davon abhängigen $Seite 140$ Fall eine Form im gleichen Falle eingeschoben wird, zumal wenn die ganze Fügung zu lang ist, um auf einmal durchschaut werden zu können. Man wird z. B. kaum auch nur vorübergehend eine Fügung mißverstehen wie: ''das Haus mit der Straße zugekehrtem Giebel'', sicher aber eine solche: ''eine Anzahl von dem Fürsten von Bülow zum Teil persönlich feindlichen Amateurpolitikern'', und hier war so einfach zu helfen: ''eine Anzahl dem Fürsten von Bülow persönlich feindlicher Amateurpolitiker''! +
Als gönnte man dem Deutschen seinen noch kräftigen zweiten Fall nicht — weil ihn Engländer und Franzosen nicht mehr haben, denen man ja freilich so viel nachübersetzt — wird nun aber von auch weit über jene Grenzen hinaus angewendet, durchaus mit Unrecht, und wenn auch neumodische Sprachforscher darin, daß bei Voransetzung der Kasuspräpositionen das Verhältnis vorher klargelegt würde, eine größere Vergeistigung dieser Sprachen erkennen wollen. Der einfache Subjektsgenetiv war z. B. viel besser als die Fügungen: ''zum Wohle von Preußen, das Benehmen von Bennigsen, die Unentschlossenheit und Schwäche von Preußen'' bei Boyen oder ''eine Verwandte vom verstorbenen Herrn'' bei Grosse; ebenso der Objektsgenetiv in solchen Fällen: ''die Übergabe von Danzig, zur Erhebung und Befreiung von Preußen'', in welch letzterem Fall die beiden Sätze stecken könnten: ''Preußen befreien'' und ''einen Staat von Preußen befreien''! Aus den Tageblättern nur einige solche Ungeheuerlichkeiten: ''die Extreme von Glauben und Unglauben'' (statt ''des Glaubens und Unglaubens'') oder gar: ''Die Heimat vom Witze und die vom Scharfsinne''. Wenn es indes selbst Dahlmann fertig gebracht hat, zu schreiben: ''Die Leiche vom sechzigjährigen Könige'', Sanders (!): ''der Wechsel vom Kasus'', oder Ranke: ''die Macht von Rom in alten und neuen Zeiten''//1 Mit den Fügungen Goethes: ''Spur von meiner Wohltäterin oder Herr vom Hebräischen werden, Herr vom Garten, - von seinen Handlungen sein'', lassen sich die obigen nicht rechtfertigen; die erste wird durch das ''von'' des Urhebers erklärt; die andern konnten sich — um nur eins anzudeuten, sehr bequem an stehende Wendungen anlehnen, wie: ''Herr vom Hause'' (''sein''), ''die Herren vom Rat''. Ähnliche Ausdrücke bei Grimm sind aber auch ein Entgegenkommen gegen die Bequemlichkeit der Volkssprache.//, so kann das nur beweisen, daß auch an Gefeiten einmal der Keim einer umgehenden Krankheit haften bleiben kann, nimmer aber Fügungen rechtfertigen, wie man sie tagtäglich in Zeitungen liest: ''das Gesicht von der angeschwommenen Leiche war noch deutlich zu erkennen; Der erste Teil vom Zuge stand noch oben auf dem Damme''; und besonders mit Objektsgenetiven: ''die Berufung von Kritzinger sowie'' (!) ''von Wendland, wegen Aufgabe vom Geschäft, die Schließung vom Theater; Der Kirchenvorstand hat die Restauration'' (!) ''von der Weberkirche beschlossen'', oder mit ungerechtfertigtem Wechsel: ''das Missionsgebiet von Mangila und seiner Nebenstaaten'' und besonders in solcher Weise: ''die wiederholte Hinausschiebung vom Eröffnungstage des Lutherfestspiels''. Ja dieser Wechsel hat sogar die Billigung mancher Sprachlehrer für sich: nach denen soll nämlich der Genetiv durch ''von'' ersetzt werden, wenn sonst vom ersten Genetiv ein zweiter, vollends in derselben Form, abhängen würde; und $Seite 154$ doch klingt ''eine entschiedene Weigerung von einem Teile der Rechten, der Erbe von seines Vaters mutigem und strebsamem Geiste, eine ungeheuchelte Bewunderung einesteils von dem nationalen Schwunge des Festes, andrerseits von dem feinen künstlerischen Geiste Kölns'', wie z. B. die Kölnische Zeitung geschrieben hat, wahrlich nicht besser, jedenfalls aber undeutsch gegenüber solcher Fügung: ''eine Weigerung einesteils der Rechten, der Erbe des mutigen ... Geistes seines Vaters, die Bewunderung ebensowohl des nationalen Schwunges in dem Feste, als des feinen künstlerischen Geistes der Kölner''. Mehr über das Zusammentreffen zweier Genetive in § 176.
Mindestens eine Unebenheit ist es, einem Gliede mit ''von'' statt Wesfalls durch und ein zweites im Wesfall beizuordnen: ''infolge von Gobineaus rastloser Geistestätigkeit und seines Mangels an gesammelter Muße''; Vollends fehlerhaft aber, einem von ''von'' abhängigen Wem-Fall einen Beisatz im Wesfall zuzuordnen: ''die Dissertation von Raoul Nicolas, eines Franzosen'' (Grenzb. 1917).
Wenn zu einem Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so ist es selbstverständlich, daß sie in der Dekli- $Seite 29$ nation gleichmäßig behandelt werden müssen. Da haben nun manche in der starken Deklination, wenn das Eigenschaftswort allein, ohne Artikel oder Fürwort steht, im Dativ der Einzahl einen künstlichen Unterschied schaffen wollen. Sie haben gelehrt, nur dann, wenn zwei Adjektiva gleichwertig nebeneinander stünden, wenn sie dem Sinne nach koordiniert wären, dürften sie gleichmäßig behandelt werden, z. B. ''Tiere mit rotem, kaltem Blute, nach langem, heißem Kampfe''; wenn dagegen das zweite Adjektivum mit dem Substantiv einen einheitlichen Begriff bilde, der durch das erste Adjektivum nur näher bestimmt werde, das erste also dem zweiten übergeordnet sei, so müsse das zweite schwach dekliniert werden, wie wenn es hinter einem Fürwort stünde, z. B. ''mit echtem kölnischen Wasser, nach allgemeinem deutschen Sprachgebrauch, zu kühnem dramatischen Pathos, mit eigentümlichem humoristischen Anstrich, von großem praktischen Wert, aus übertriebnem patriotischen Zartgefühl''. Ebenso müsse im Genitiv der Mehrzahl unterschieden werden zwischen: ''frischer, süßer Kirschen'' (''denn die Kirschen seien frisch und süß'') und ''neuer isländischen Heringe, scharfer indianischen Pfeile, einheimischer geographischen Namen, ehemaliger freien Reichsstädte'' (denn ''die Heringe seien nicht neu und isländisch'', sondern ''die isländischen Heringe seien neu'').
Diese Unterscheidung ist logisch unzweifelhaft notwendig, und sie muß auch in der Interpunktion zum Ausdruck kommen: koordinierte Adjektiva werden durch ein Komma getrennt, während zwischen zwei Eigenschaftswörtern, von denen eins dem andern übergeordnet ist, kein Komma stehen darf. Grammatisch aber ist die Unterscheidung reine Willkür. Warum sollte sie auch gerade auf diese beiden Kasus beschränkt werden? auf den Dativ im Singular und den Genitiv im Plural? Nur in diesen beiden Kasus aber wird sie angenommen, in den übrigen Kasus fällt es gar niemand ein, das zweite Adjektiv jemals in die schwache Form zu bringen. Ober sagt jemand: ''ohne selbständiges geschichtliche'' $Seite 30$ ''Studium''? ''von bewährter christlichen Gesinnung''?//* Früher hat man freilich auch so gesagt. Im siebzehnten Jahrhundert: ''nach gepflogner reifen Beratschlagung''; Lessing: ''aus eigner sorgfältigen Lesung''.// Dazu kommt, daß sich in manchen Fällen kaum entscheiden läßt, ob zwei Adjektiva einander koordiniert sind, oder eins dem andern untergeordnet. Unsre Romanschriftsteller scheinen zu glauben, daß stets eine Unterordnung vorliege, wenn das zweite Adjektiv eine Farbe bedeutet; sie schreiben fast ausnahmlos: ''bei schönem blauen Himmel, mit langem schwarzen Haar, mit schmalem braune' Rande, mit auffälligem roten Bande''. Das ist aber völlig widersinnig. Freilich gibt es ''langes schwarzes Haar'' und ''kurzes schwarzes Haar''. Aber eine solche Sortierung schwebt doch hier nicht vor. Bei ''dem schönen, blauen Himmel'' vollends denkt doch niemand an eine andre, weniger schöne Art von blauem Himmel, sondern ''blau'' ist eine weitere Ausführung und Begründung von ''schön'': ''der Himmel ist schön, weil er blau ist''. Ebenso ist ''das Band'' auffällig, weil es ''rot'' ist. In Todesanzeigen kann man täglich lesen, daß jemand ''nach langem, schweren Leiden'' oder ''nach kurzem, schweren Leiden'' gestorben sei. Man liest das so häufig, daß man fast annehmen möchte, die Setzer setzten das grundsätzlich so, auch wenn in der Druckvorlage richtig gestanden hat: ''nach langem, schwerem Leiden''. Denn daß auch gebildete Menschen das immer falsch schreiben sollten, ist doch kaum anzunehmen!
Die unmittelbare Nebeneinanderstellung zweier Verhältniswörter ist der Schriftsprache nicht unbedingt fremd. Nicht erst Luther sagt: ''von jenseit des Jordans'', sondern schon mittelhochdeutsche Dichter: ''von über Rîn, von über sê, von über mer''. Also wie R. Hildebrand schreibt: ''die Leute von vor 100 Jahren'', und W. Raabe: ''von unter der Decke weg'', so dürfen Blätter bieten: ''eine Summe von über 12 000 M, eine Verstärkung des Übergewichts der Höchstbesteuerten um über 40 v. H''. Kurz, solche Nebeneinanderstellung ist ganz unbedenklich, wenn das Haupt- und das ihm zunächst vorangehende Verhältniswort einen einheitlichen Begriff bilden, der bequemer nicht ausgedrückt werden könnte und dem nun in seiner Einheit das zweite Verhältniswort vortritt. +
Eine ganz besondere Stellung nimmt das Wörtchen ''von'' insofern ein, als es Vertreter des Genitivs ist, noch öfter freilich sich bloß dafür aufspielt. Ein Fall, wo es berechtigt ist, wurde schon S. 51 u. 121 erwähnt: bei Länder-, Städte- u. a. Eigennamen, flexionslosen zumal. Nicht minder nötig ist die Vertretung überhaupt bei Wörtern, die an sich selber keine deutliche Genetivform darstellen lassen, also bei den meisten Zahlwörtern und bei artikellosen Mehrzahlen: ''Die Gefangennahme von 83 000 Mann. Verfasser von Gedichten sind noch lange keine Dichter''. Simrock durfte nicht schreiben: ''Heimdall ist neun Mütter Sohn''; Hindenburg nicht: ''diese Erscheinung religiösen Fanatismus'', Paléologues Übersetzer nicht: ''Sie gaben sich den Anschein'' (fehlt: ''eines'') ''zuversichtlichen Optimismus''; und wenn auch häufige Fügungen wie ''Verein Berliner Künstler'', solange sie den Vereinsnamen darstellen, als erstarrter Beisatz nach § 187 ff. zu rechtfertigen sind, so zeigen doch Verbindungen wie: ''nach sieben Jahren Dresdner Gesellschaft und Dresdner Hoftortur'' die reine Fügungslosigkeit. An diesen Brauch schließt sich der stoffartige Gebrauch artikelloser Hauptwörter auch in der Einzahl an, obwohl diese im männlichen und sächlichen Geschlecht einen Genetiv an sich kennzeichnen könnten; Wie ''ein Rohr von'' (''aus'') ''Stahl'', heißt es also auch ''ein Strahl von Glück''. Endlich kann man durch ''von'' vor einem Namen den Urheber, Verfasser eines Wertes von dessen $Seite 153$ Besitzer unterscheiden: ''Die Dresdner Sixtinische Madonna von Raffael, der Faust von Goethe'', doch auch, ja schöner: ''Goethes Faust''; aber nur: ''Künstlers Erdenwallen von Goethe'' und nicht wie in der Tägl. Rundschau: ''Erdmanns „Feindes Rache“''. Wie hier der im Titel schon vorkommende Genetiv zur Wahl des ''von'' nötigt, so wird umgekehrt der Genetiv sich wieder für den Verfasser empfehlen, der durch die Abwechslung gebotenen Schönheit halber, wenn der Titel ein ''von'' oder eine andere Präposition enthält: ''Goethes Iphigenie auf Tauris''. Ähnlich wechselt R. Sexau: ''Übersetzungen von Boccaccios Leben Dantes und der Sonette von Luiz de Camiens''.
Beim zweiten Mittelworte herrscht bisweilen Unsicherheit über die Notwendigkeit der Vorsilbe ''ge-'', ja auch über ihre Stellung. Von den weitaus meisten Fällen aus, wo sie vorhanden ist, schließt mancher, aber noch heute trügerisch, daß sie überall notwendig und z. B. ''er hat es offenbart, alle Hähne waren kapaunt'' falsch sei. Wer so urteilt, hat die für oder gegen ''ge-'' entscheidende Kraft nicht erkannt, das ist die größere oder geringere Tonstärke der ersten Silbe. Denn nur weil die erste Silbe der vielen Verben auf -''ieren'' unbetont ist $Seite 97$ und so durch Vorsetzung von ''ge''- eine unangenehme Häufung tonschwacher Silben entstehen würde, haben diese Verben nie ''ge-'' vor sich (jetzt wird ''lautiert'', früher wurde ''buchstabiert''), und ebenso wenig alle untrennbar zusammengesetzten Zeitwörter: ''es ist entschieden, er wird immer beobachtet; das überlegte Handeln''. Selbst neben dem einfach zusammengesetzten ''anstrengen'': ''ich strenge an, habe angestrengt'' steht von der doppelten Zusammensetzung mit unbetontem ''über''- das Mittelwort ''er ist überanstrengt'' //1 P. Pietsch, ''ge-'' beim Mittelwort der Vergangenheit, Zeitschr. des Allg. deutschen Sprachvereins 1906, S. 135 ff. u. 357 ff. faßt die Regel einfach so: Hat die erste Silbe des Zeitworts den Hauptton, so tritt ''ge-'' davor; hat ihn eine andere Silbe, so bleibt es weg; bei den trennbar zusammengesetzten Zeitwörtern entscheidet die Betonung des einfachen Zeitwortes, — wonach sich auch die ebenfalls vorkommende Form ''überangestrengt (Heer)'' rechtfertigt. — ''Von sich überessen'' wurde sowohl ''übergéssen'' gebildet, weil das zweite ''g'' in ''gegéssen'' nicht mehr als selbständige Vorsilbe empfunden wurde, als auch ''überessen'' mit gründlicher Tilgung der doppelten Vorsilbe.// Diese Kraft hat also der Berichterstatter über ''die kapaúnten Hähne'' noch empfunden trotz der gegenüber früheren Sprachstufen so ausgedehnten Herrschaft des ''ge-'', nicht minder für Zusammensetzungen von solchen Wörtern Kriegsschriftsteller, die von ''zusammenkartätschten Kolonnen'' schreiben, oder H. Heine bei seiner ''ausposaúnten Herrlichkeit'', Fr. Th. Vischer bei seinem ''austrompeteten Hühnerauge Garibaldis'', sowie neuerdings Ganghofer: ''Liebkost von dem Glanz des Lenzmorgens, möchte sie alle Wintersorgen abwerfen'', und umgekehrt W. v. Polenz: ''der Genásführte'', freilich auch — kaum richtig: ''nasgeführt werden''; Th. Storm 8. 12. 84: ''Über Heyses Drama ,Simson' hab ich mit ihm mehrfach gebriefwechselt''; Schirokauer in dem Ausdruck: ''jetzt hat es sich ausgegnädigefraut''. Th. Mann wieder hat gegenüber dem herrschenden ''das ist (wohl) durchdacht'' sinnlichere Kraft zurückgewonnen (1919) mit der Fügung: ''da er sich selbständig bis zum kosmopolitischen Radikalismus durchgedacht hatte''. Ähnliche Beweglichkeit der Sprache verrät es, wenn H. Löns schreibt: ''Er hätte alle 4 Gemälde übergestrichen (= ausgestrichen)''', über Bierbaum: ''Das Gedicht ist von ihm durchstrichen''. Eben daß die Betonung von ''offenbaren'' schwankt, indem in Nord- und Mitteldeutschland ''offenbaren'', in Süddeutschland ''offenbaren'' gesagt wird, ist auch der Grund für das Nebeneinander der Formen ''offenbart'' und der gewiß weniger wohlklingenden ''geoffenbart''. Nicht minder ist bei den mit ''miß-'' zusammengesetzten Wörtern das Schwanken der Betonung schuld an dem Schwanken zwischen Formen mit und ohne ''ge-'', und, was auch auf demselben Grunde beruht, zwischen der Vor- und Zwischenstellung der Infinitiv-Präposition ''zu''.
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Das Geschlecht des Hauptwortes ist eine Eigentümlichkeit desselben, für deren innern Grund uns längst das Verständnis verschlossen ist. Denn wenn wir uns jetzt über den Mann aus dem Volke wundern, der ''den Bach'', welcher hinter seinem Hause vorüberfließt, ''die Bach, den Altar'' seines Kirchleins, den er zum Erntefeste schmückt, ''das Altar'' nennt; wenn wir bei dem Verse Goethes: „Sah nach dem Angel ruhevoll" oder bei einer anderen Stelle, wo er von ''seinem Befugnis'' mitzureden spricht, einen leisen Ruck empfinden, so ist das die Folge einer bloßen Gewohnheit, nach der wir in diesen Fällen ein anderes Geschlecht erwarten. Wie anders als beim Erwachen des Sprachgeistes und in den Jahrhunderten nachher, wo er noch in voller, sinnlicher Anschauung webte und bildete! Da erschienen nicht nur die Lebewesen, für die allein wir jetzt ein natürliches Geschlecht zu bestimmen wissen, sondern auch die gesamte Welt ringsum mit allen ihren Gegenständen und all den durch sie angeregten Gedanken belebt und beseelt, und bei allen wußte der schaffende und weiterbildende Sprachgeist je nach der Tatkraft oder Empfänglichkeit, Stärke oder Schwäche, Größe oder Kleinheit, Furchtbarkeit oder Lieblichkeit und welche Gesichtspunkte mehr er immer entdeckte, eine Ähnlichkeit vieler Gebilde mit der Art des Mannes oder der Frau herauszufinden und sie so aus einem natürlichen Gefühle dem männlichen oder weiblichen Geschlechte (genus masculinum oder femininum) zuzurechnen: vielleicht hatte er dies sogar ehemals mit allen fertig gebracht, wie dies ja dem bilderreicheren und gleichnisstärkeren Semiten noch natürlich und möglich fällt. Doch sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls ist solche Beziehung bei einem guten Teile der Wörter früher oder später dem Sprachgefühle unnatürlich erschienen, und immer überwiegender ist die Ähnlichkeit nach Bildung und Endung für die Einreihung in gleiche Geschlechtsreihen maßgebend geworden//*) Vgl. Werner Hodler, Beiträge zur Wortbildung aus dem Deutschen (A. Franke, Bern 1916 = Sprache und Dichtung, H. 16).//. Jedenfalls blieb schließlich eine große Zahl von Gegenständen übrig, die keinem der beiden natürlichen Geschlechter angereiht waren; selbst manchen Lebewesen erging es so, wenn die Bezeichnung ihres Geschlechtes nicht nötig oder an sich wohl möglich, jedoch im Zusammenhange nicht angängig ist. Auf diese $Seite37$ Weise entstand das sogenannte sächliche Geschlecht, wie es im Deutschen mißverständlich heißt, das genus neutrum, wie es richtiger lateinisch bezeichnet wird, d. h. das, welches keins der beiden natürlichen ist.
''Wenn'' steht jetzt ebenso zur Bezeichnung des wiederkehrenden oder eines künftigen Falles wie im Bedingungssatze, dem jene beiden Fälle verwandt sind: ''Wenn ich ein Vöglein wär, flog ich zu dir. Partei wird alles, wenn das blut’ge Zeichen des Bürgerkrieges ausgehangen ist'' (Schiller). ''Wenn ich einst von jenem Schlummer, welcher Tod heißt, aufersteh'' usw. Dagegen gehört in die Frage nach dem Zeitpunkte in Haupt- und Nebensatz ''wann'', wie in der Briefstelle Bismarcks: ''Kommt nur auf alle Fälle, wann und auf wie lange, ist uns gleich willkommen''. Dagegen steht diese Form im gewöhnlichen Zeitsatze nur in dichterischer oder sonst gehobener Rede: ''In lauen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn'', hat Uhland und: ''Im Herbste, wann die Trauben glühn, Geibel gesungen'', aber in gewöhnlicher Rede zu sagen: ''wann ich früh aufstehe, trinke ich ein Glas Wasser'', klänge geziert oder — norddeutsch landschaftlich.
$Seite 284$ Von ''denn'' und ''dann'' darf dieses, das außer zur Bezeichnung der Zeitfolge auch zur Aufnahme und zum Ersatz eines Bedingungssatzes dient, nicht durch das in Norddeutschland dafür auch übliche ''denn'' verdrängt werden; nicht einmal in der Frage, wenn sie der Nachsatz zu einem Bedingungssatze ist: ''Wenn er Adda wirklich liebt, warum dann nicht offen?'' +
Zugleich rückbezüglich und fragend, wie ''wer'' und ''was'', sind auch die Formen ''worum'' und ''warum'', die, einst gleichbedeutend, sich jetzt so scheiden, daß ''warum'' (wie ''weshalb'') zur Andeutung des Grundes dient, ''worum'' sich dagegen (wie ''um'' + Pronomen) auf einen Gegenstand in jeder andern Hinsicht als der des Grundes bezieht: ''Das ist's, warum ich erbittert war''. — ''Hiermit schicke ich die Bücher, worum'' (= ''um welche'') ''Sie gebeten haben. Worum der Wandrer ansprach? — Um ein Paar Stiefel.'' +
Unter den Fragewörtern unterliegt endlich ''was für (ein)'' noch, zwei ungerechtfertigten Maßregelungen durch die Grammatiker. Es sollen nämlich trotz Grimm, WB IV, 1, 154 diese Wörter nie durch ein anderes dazwischen tretendes getrennt werden $Seite 84$ dürfen; und doch gilt dies nur für den 2. und 3. Fall, deren Deklinationsendungen ''was für eines'' usw. das Wort allerdings als einheitlich gefühlt erweisen; also sind mit ''was er für einer Derbheit auftrat!'' Und ''wegen was er für eines Vergehens bestraft werden sollte'' freilich hart statt: ''mit was für einer Derbheit'' usw. Aber das hindert nicht, daß in endungslosen Nominativ- und Akkusativformen das Lose der Zusammenstellung von ''was'' und ''für'' + Substantiv noch deutlicher gefühlt und sie leichter gelockert wird, wie Leitung der Saarkohlenwerke u. W. Flex, gehen denn auch mit ihren Sätzen: ''Die großen Kohlenfirmen wissen gar nicht mehr, was sie ihren Kunden für Gründe wegen der Nichtlieferung angeben sollen''; u.: ''was treibt das Gesindel dort für Nachtspuk?'' in der Möglichkeit — nicht Notwendigkeit — dieser Trennung einig mit Scheffel, G. Keller, E. Zahn und manchem Klassiker. Klopstock z. B. stellte: ''Was sind, o ihr Himmlischen, dies für Augenblicke!'' — Die Mehrzahl aber zu ''was für ein'' lautet, wenn ein Hauptwort dabei steht, nur ''was für'', wenn es nur zu ergänzen ist, ''was für welche'' //1 Nach dem Grimmschen Wörterb. IV. 1,654 wäre es unzulässig, daß sich ''was für'', das fast soviel als ''welch sei'', noch einmal damit verbinde. Aber dieses ''welch'' wird garnicht als relativ = ''wie'' beschaffen empfunden, sondern als Indefinitum, als Mehrzahl zu ''ein'' wie in dem Satze: ''Hast du Fische bekommen? Ja, ich habe welche'', was man freilich auch am liebsten durch das höhere — weil französische: ''deren'' ersetzen möchte; aber G. Keller hat solches ''welche'' sehr oft. Der Rat im Wörterbuch, auch ohne Hauptwort nur ''was für'' zu setzen, wie einmal Goethe: ''Gelehrsamkeit, aber was für?'' ist im Gebrauche nicht begründet.//. Also ''Gott weiß, aus was für Gründen'', aber: ''Gründe mag er haben, aber was für welche!''
Was, vollends wenn es sich auf kein vorhergehendes Wort bezieht und selbst die einzige Andeutung einer Substanz ist, braucht nicht immer so oft wiederholt zu werden, als es einen anderen Kasus bezeichnet. Bei Beziehung auf ein vorhergehendes Neutrum mag immer der Satz Jaenickes mustergültig sein: ''Jeder der drei hatte etwas, was die beiden andern nicht hatten und was dem Gesichte das Charakteristische verleiht''. Anderseits ist ein feiner Unterschied, ob man sagt: ''was ich bin und was ich habe'', oder: ''was ich bin und habe, weih ich dir''. Jene Form wird man wählen, wenn man sein Wesen und seinen Besitz als verschiedene Dinge sondern und ihre Hingabe als ein zweifaches Opfer hinstellen will; denn dieser Sonderung liefe die Zusammenziehung zuwider. Die andre ist entsprechender, wenn man die Einheit der verschiedenen Teile des Geschenkes, sein Wesen und Besitztum als ein Ganzes bezeichnen will. In diesem Sinne hat Goethe gesagt: ''Alles was ihr gehörte, sie berührt hatte'', wo ''was'' durch Wiederholung unnötig hervorgehoben und der Tonstärke der wichtigeren Worte ''ihr'' und ''sie'' Eintrag tun würde. Ebenso Lessing: ''was geschieht und ich nicht hindern kann''; unter den Neueren G. Keller noch manchmal also: ''Ich muß zu dem übergehen, was hiermit zusammenhängt und ich dir vorzulegen habe''; und mit ungewöhnlicherer Form: ''kindliche Dinge, dergleichen sie niemals erfahren und für sie nicht schmeichelhafter waren; Marie, befiehl du, was du wünschest und den Kindern gut ist'', und ganz jüngst H. Johst: ''kriechen ihren Vordermännern hinten hinein, was sie mit Karriere bezeichnen und ihr Glück ausmacht''! Endlich Schramm-Macdonald nach englischer Vorlage: ''Ich bin kein Maßstab dafür, was ihr hier sein und denken sollt''. +
Zuletzt noch eine allgemeine Bemerkung. Die verschiedenen Arten der Darstellung mögen sich untereinander wieder durch ihren besondern Satzbau unterscheiden, man mag sich in mündlicher gewöhnlicher Belehrung gern mit den einfachsten anreihenden Sätzen begnügen, für die Erzählung, die gelesene zumal und den Lehraufsatz mögen schon länger ausgesponnene Gewebe beliebt sein, vollends für die feierliche Rede und jede Darstellung pathetischer Art mag ebenso die kunstvolle Periode bevorzugt werden; und doch macht sich für alle Darstellungsarten in gleicher Weise das Bedürfnis des Hörers und Lesers nach Abwechslung in der Forderung geltend, daß mit den kunstvolleren und verwickeltsten Sätzen einfachere und einfachste abwechseln, und zwar diese in überwiegender $Seite 423$ Zahl. Davon gehören einfache Mitteilungen, Berichte über Tatsachen, die eigentliche Erzählung in die einfachen, gleich den Tatsachen selber schnell fortschreitenden Sätze; in die längeren, kunstvolleren dagegen die Erwägungen, Schlußfolgerungen, Betrachtungen und Anwendungen, in denen der Darsteller und mit ihm der Leser und Hörer warm werden soll. Ein Abschnitt aus Goethe mag den Wechsel erläutern: ''Überhaupt ist es leider der Fall, daß alles, was durch mehrere zusammentreffende Menschen und Umstände hervorgebracht werden soll, keine lange Zeit sich vollkommen erhalten kann. Von einer Theatergesellschaft so gut wie von einem Reiche, von einem Zirkel Freunde so gut wie von einer Armee läßt sich gewöhnlich der Moment angeben, wenn sie auf der höchsten Stufe ihrer Vollkommenheit, ihrer Übereinstimmung, ihrer Zufriedenheit und Tätigkeit standen. Oft aber verändert sich schnell das Personal, neue Glieder treten hinzu, die Personen passen nicht mehr zu den Umständen, die Umstände nicht mehr zu den Personen; es wird alles anders, und was vorher verbunden war, fällt nunmehr bald auseinander. So konnte man sagen, daß Serlos Gesellschaft eine Zeitlang so vollkommen war, als irgend eine deutsche sich hätte rühmen können. Die meisten Schauspieler standen an ihrem Platze; alle hatten genug zu tun, und alle taten gern, was zu tun war. Ihre persönlichen Verhältnisse waren leidlich, und jedes schien in seiner Kunst viel zu versprechen, weil jedes die ersten Schritte mit Feuer und Munterkeit tat. Bald aber entdeckte sich, daß ein Teil doch nur Automaten waren, die nur das erreichen konnten, wohin man ohne Gefühl gelangen kann, und bald mischten sich die Leidenschaften dazwischen, die gewöhnlich jeder guten Einrichtung im Wege stehen und alles so leicht auseinanderzerren, was vernünftige und wohldenkende Menschen zusammenzuhalten wünschen.''
Schwer fällt oft Urteil und Entscheidung über den Modus in Aussagesätzen nach Zeitwörtern, die Glauben, Vermutung, Vorstellung, Wahrnehmung und Erfahrung, selbst Schlußfolgerung bezeichnen. Zwar das ist einfach, daß der Indikativ dann stehen kann und genau genommen auch stehn sollte, wenn die im Nebensatze angeführte Auffassung des Subjektes eines bejahenden Hauptsatzes im Einklange, eines nach Form oder Inhalt verneinten im Widerspruche steht mit den allgemein bekannten oder angenommenen tatsächlichen Verhältnissen. Man kann sich demgemäß wohl über einen derartigen Satz Grimms wundern: ''Dieser Wahrnehmung, daß „ich“ seiner Form nach eines Plurals entbehre'' (statt: ''entbehrt''), ''steht die andre gleich wichtige zur Seite, daß es formell und eigentlich nur des Nominativs, keiner obliquen Kasus fähig sei'' (statt: ''ist''); denn das sind Tatsachen, deren Kenntnis und Wahrnehmung er auch bei seinen Lesern voraussetzen muß. Umgekehrt wird man die Meldung von einer Untersuchung richtig finden: ''Der Verhaftete stellt durchaus in Abrede, daß er der Beschädiger jener Bäume ist''; denn da wird festgestellt, daß er sich zu einem bisher allgemein verbreiteten Urteile, das schon vorliegt, in Widerspruch setzt; grade so kann von dem Zweifel eines Arztes an der allgemein genährten Hoffnung, daß ein Kranker genesen wird, also berichtet werden: ''nur der Arzt bezweifelt, daß er genesen wird''. +
