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D
Voran stehe die meistumstrittene Frage nach der Berechtigung des Gebrauchs von Zusammensetzungen mit ''..weise'', als Beiwörtern. Darf man schreiben: ''ein teilweiser Ersatz, das schrittweise Zurückgehen, der glasweise Ausschank, der stückweise Verkauf, der stufenweise Fortschritt, die zwangsweise Vorführung des Angeklagten''? Durfte Lessing schreiben: ''die stückweise Schilderung'', Goethe: ''die stufenweise Ausbildung'', Schiller: ''wechselweiser Übergang'', Moltke: ''ein angriffsweises Vorgehen'', Bismarck: ''die teilweise Vernichtung eines Werkes''? Die Frage selbst ist nicht so wichtig wie die aus ihr folgenden Grundsätze für die wahrhaft sprachwissenschaftliche Beurteilung der meisten Schwankungen und Zweifel, die der stete Wechsel in jeder lebenden Sprache mit sich bringt.
Die Sprachgeschichte lehnt das heutige Beiwort auf ''..weise'' ab, denn es sei nicht sehr alt; die Sprachlehre verwirft es, denn eine Beiwortendung ''..weise'' gebe es nicht; sämtliche Zuchtmeister der Sprache belegen es mit mehr oder minder grober Schelte. Aber auch ein so einsichtsvoller Sprachkenner wie Gildemeister erklärte, das Beiwort auf ''..weise'' mache ihm Ohrenschmerz (den ihm die übelsten Welschwörter nicht bereiteten!), und Treitschke nannte es ,ein Zeichen gänzlicher Verrohung unseres Sprachgefühls'. Dies von einem Gebrauch, der sich fast bei jedem unsrer besten Schreiber findet!
An wenigen sogenannten Fehlern können wir so deutlich den rastlosen Kampf zwischen einer an sich nicht schlechten Regel und dem mächtigen Sprachgebrauch beobachten wie an diesem. Wessen Aufmerksamkeit einmal für die Unstimmigkeit eines Beiworts mit Umstandsendung geschärft worden, der wird den Gebrauch selbst dann lieber vermeiden, wo er ihm recht bequem wäre, und wird eine andre, einwandfreie $Seite 158$ Ausdrucksform suchen und leicht finden. Daß keine Notwendigkeit zur '',teilweisen Benutzung, stückweisen Beseitigung' '' zwingt, leuchtet dem Leser ein, und er wird gute andre Wendungen ohne weiteres dafür einsetzen können, z. B. für ''den glasweisen Ausschank'': ''den Ausschank in Gläsern, für die teilweise Benutzung'': ''die Benutzung von Teilen oder eine zeitwörtliche Wendung'': ''Er hat teilweise .. benutzt''. Was hindert einen besinnlichen Schreiber, statt '',Der teilweise Erfolg des Planes . .' '' zu sagen: ''Der Plan, der teilweise'' (''zum Teil'') ''Erfolg hatte . .' ''? Aber leugnen läßt sich nicht, daß die Beiwörter auf ''..weise'' bequemer sind und sich ungesucht darbieten. Bei ''teilweise'' kann man sagen: hätte nicht das allzu bequeme Welschwort partiell die Bildung oder Anwendung von ''..teilig'' zur rechten Zeit verhindert; wäre der deutsche Sprachtrieb nicht überhaupt in unzähligen Fällen gelähmt, unterdrückt worden durch die sich einschleichenden und vordrängenden fremden Unwörter (z. B. ''graduell, fragmentarisch, individuell, speziell''), so hätte er ''gradig, stufig, stücklich'' usw. gebildet, und man brauchte nicht die umständliche und verschwommene Umschreibung mit ''..weise''. Andre Sprachen besitzen für alle diese Begriffe selbständige echte Beiwörter; der Franzose z. B. hat nie das Bedürfnis gefühlt, sich erst aus Umstandswörtern auf ''..ment'' die entsprechenden Beiwörter zu schaffen, also etwa zu schreiben: ''Une rénovation partiellemente''.
Gar so ungeheuerlich ist der Vorgang im Deutschen nicht: auch ''behende, vorhanden, einzeln, zufrieden, gänzlich, anderweit, fern, nahe, selten, öfter, ungefähr'' waren ursprünglich nur Umstandswörter und sind daneben zu Beiwörtern geworden. Gegen das Aufsteigen jedes dieser Wörter in eine höhere Klasse hätte also ein Sprachzuchtmeister seiner Zeit empörten Einspruch erheben können. Wir sehen das starke Bedürfnis zu solcher Umbildung noch in unsern Tagen an mancherlei umstandswörtlichen Ausdrücken: in Norddeutschland spricht der Volksmund von ''einer'' ''zunen'' (''zuenen'') ''Droschke'', ''einer durchen Gurke'' (Käse), und sehr gebildete und gut schreibende Männer haben es z. B. mit ''schlechthinnig'' versucht, D. Fr. Strauß nach dem Vorgange Schleiermachers. Auch ''vorherig'' von ''vorher'' ist nicht sehr alt und wird nicht mehr getadelt. Dasselbe gilt von ''sofortig'', ''dortig'', ''obig'' (vgl. S. 131).
$Seite 159$ Wie also wählen wir unsern Dornenweg zwischen Falsch und Richtig in diesem Falle? Wie in so manchem andern: Man schelte keinen, der sich auf die großen Vorbilder berufend ,''eine teilweise Erneuerung' '' schreibt; schnauze nicht gleich mit ,höchst beleidigend' um sich, denn also tun nur die selbstgerechten makellosen Sprachbüttel; sondern nehme sich vor: so will ich selber niemals schreiben. Das genügt, denn am Ende sind wir doch nicht alle zum Richten berufen, vielmehr — Ein Jeder fege vor seiner Tür Und rein ist gleich das Stadtquartier. Ich habe nie Wörter auf ''..weise'' beiwörtlich gebraucht, weil ich in jungen Jahren zurechtgewiesen wurde, und werde mich freuen, wenn meine Leser ebenso verfahren. Noch ist es nicht unmöglich, dieser Schreibweise Einhalt zu tun; ja mir scheint, sie ist im letzten Menschenalter seltner geworden. Sollte sie sich aber trotz allen Widersprüchen siegreich erweisen, so wäre das Unglück nicht größer als bei ''zufrieden'' usw.: aus einem bösen Fehler wäre dann eine nicht mehr angezweifelte Richtigkeit geworden.
Mit ''beziehungsweise'' wollte man das Kanzleiwort ''respective'' verdeutschen; leider ist aus dem Fünfsilber ein Wucherschwamm geworden wie aus ''Derselbe''. Es gibt Schreiber, besonders in Amtstuben, die es regelmäßig für ''oder'' setzen: ''Herren bezw. Damen bezahlen 5 bezw. 3 M. Eintrittsgeld.'' Meist genügen: ''oder, und''. — Ebenso schlimm steht es mit ''diesbezüglich'', das als Umstands- und Beiwort gebraucht wird. Beide Wörter sollten ganz verschwinden.
Gegen ''naturgemäß'' statt ''natürlich'' wettert ein Sprachmeister. Gewiß bedeutete ''naturgemäß'' ursprünglich nicht dasselbe wie das landläufige ''natürlich'' (''selbstverständlich''); es hat sich aber mit der Zeit so eingebürgert, daß es aus der Umgangsprache schwer hinauszubringen ist. Geschrieben sollte es nur im eigentlichen Sinne: ''der Natur gemäß'', werden
In Süddeutschland wird selbst von Ungebildeten kaum je ein Fehler begangen, der in Norddeutschland mehr und mehr zur Regel wird: die Verwechslung von ''her'' und ''hin'', oder vielmehr die Ersetzung von ''hin'' durch ''her'', denn dies ist jetzt der beinah herrschende nord- und mitteldeutsche Sprachgebrauch. Man kann scharf trennend gradezu sagen: der Süddeutsche ruft: ' ''naus!'' der Norddeutsche: ' ''raus!''
$Seite 160$ Die vernünftige Regel lautet sehr einfach: ''hin'' bezeichnet die Richtung von mir hinweg, ''her'' die Richtung zu mir her. Nichts ist leichter zu unterscheiden; also: ,''Wir sehen mit Staunen auf den Wilden hinab'' (bei dem Schreiber dieses Satzes steht: ''herab''), ''der an unsern Mauern tobt''. — ''Komm zu mir heraus!'' — ''Ich werde zu dir hinauseilen''. — ''Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es wieder heraus''. — ''Da stand es gut um unser Haus: Nur viel herein und nichts hinaus' '' (Goethe). — Ein Luftschiffer muß sagen: ,M''ein Flugzeug fiel zur Erde hinab' ''; der untenstehende Zuschauer: ,''Das Flugzeug fiel zur Erde herab''.' — Der Deutsche mußte sagen: ,''Der König von England reiste zu uns herüber' ''; der Engländer: ,''Unser König reiste nach Deutschland hinüber''.' — ''Man geht von oben die Treppe hinab''; ''er steigt von unten die Treppe zu mir herauf''. — ''Komm hierher''! (zu mir). — ''Ich werde zu dir hinkommen''. — ''Bauch hinein''! ''Brust heraus''! müßte ein Sprachgebildeter Unteroffizier befehlen. Es ist falsch zu sagen: ,''Hier geht er hin, dort geht er hin' '' — ein ''hierhin'' gibt es strenggenommen überhaupt nicht. Die richtige Form für den ,''Reinfall' '' müßte lauten: ''Er ist hineingefallen''.
Gleich dieses letzte Beispiel zeigt, daß die klare Regel selbst im Sprachgebrauch der Gebildeten nicht streng befolgt wird. ''Reinfall'' und (''he'')''reinfallen'' sind schon mindestens erlaubte Umgangs-, ja leidliche Schriftsprache geworden, mag auch der Sprachsittenrichter schmälen: ,gemeine Redensart'. Sie ist zur Zeit noch nicht grade fein; aber gemein —? Dabei muß der Gestrengste zugeben, daß es eine Reihe von Fällen gibt, in denen die Vertauschung von ''hin'' mit ''her'' weder gemein noch fehlerhaft ist: ''man ist herablassend, läßt sich zu jemand herab'' (nicht ''hinab''); ''Er ist sehr von oben herab''; ''Der Mann ist arg heruntergekommen'' (doch nicht zu mir her, sondern irgendwo anders hin als vorher); ''Der Verfasser hat sich selbst herabgewürdigt''; ''Der Ladenpreis des Buches wird herabgesetzt''. In der besten Heeressprache macht man sich ''an den Feind heran'' (nicht: ''hinan''), und überall macht man sich ''an eine Sache heran'' (nicht ''hinan''); es gibt nur den ''Herausgeber'', keinen ''Hinausgeber'' eines Buches, wie man auch auf eine Banknote nichts ''hinaus-'', sondern nur ''herausgibt''.
Indessen durch solche Ausnahmen in festen Wendungen wird die Notwendigkeit, im guten Deutsch streng zwischen $Seite 161$ ''hin'' und ''her'' zu unterscheiden, nicht aufgehoben, und wenn Hofmannsthal seine eingesperrte Elektra sagen läßt: ,''Ich will heraus!' '' so beweist das ein Nachlassen sprachlicher Achtsamkeit. Mancher Satz gestattet allerdings eine entschuldbare Doppelauffassung. Es ist nicht unbedingt falsch: ,''Goethe ragte bis tief in unser Jahrhundert hinein' '': denn der Schreiber kann sich selbst hinwegdenken, sich in Goethes Stellung versetzen und die Richtung nur von ihm aus nehmen.
Ein ähnlicher Richtungsunterschied waltet zwischen ''fort'' und ''weg''. Auch hier beginnt das eine Wort — ''fort'' — das andre zu verdrängen und das klare Verhältnis zu trüben. ''Fort'' (''Fortschritt''!) bedeutet ''vorwärts'', ''voran''; ''weg'' ist das kürzere ''hinweg''. ''Eine Sache kommt'' (''rückt'') ''fort'' bedeutet: ''sie kommt vorwärts''; aber nicht, wie oft im Munde Ungebildeter: ''sie geht verloren''. ,''Diese Ausgabe fällt künftig fort' '' ist falsch, sie kann nur ''wegfallen''. Man wirft ein Buch nicht ''fort'', sondern ''weg''. Im Bürgerlichen Gesetzbuch steht richtig: ''Der Grund fällt weg, die Wegnahme. Eine Arbeit schreitet fort, das Schiff sackt weg''. Ein sehr einleuchtendes Beispiel verdanken wir Wustmann: ,''Der große Hund hat dem kleinen alles weggesoffen' ''; ein bekannter § 11 lautet: ,''Es wird fortgesoffen!' '' — Hier liegt einer der sehr seltnen Fälle vor, wo kein Fehler begangen werden sollte, weil es keinen Zweifel und für den guten Sprachgebrauch kein Schwanken gibt. Um so erstaunlicher ist es, daß ein Sprachgelehrter und -Lehrer wie Sanders einen ganzen Abschnitt überschreibt: ,''Fortfall eines tonlosen e' '' und sich, noch erstaunlicher, beruft auf das Beispiel von ,''Fortbildung' ''! Der Leser wird die Unhaltbarkeit dieser Berufung und die Unmöglichkeit eines Wortes ''Fortfall'' selbst einsehen.
Vielleicht kein Sprachgebrauch des Alltags scheidet Nord-und Süddeutschland so scharf wie: ''Es schmeckt schön'' (Nord), ''Es schmeckt gut'' (Süd). Darf man das Schönschmecken einen Fehler nennen? Wenn irgendetwas, dann ist dies — Geschmacksache: gibt es nicht manche gute Dinge, die ebensowohl ''schön'' wie ''gut'' schmecken? +
Was will der Satz: ,''Städtische Betriebsverwaltungen erzielen in Großstädten wie Berlin selten hohe Überschüsse' '' $Seite 162$ besagen? Wer ihn in einer Zeitung liest und an sich zu verstehen sucht, muß zuerst untersuchen, ob er einen Schreiber mit gutem oder mit mittelmäßigem Deutsch vor sich hat. Im ersten Falle erzielt man in Berlin ungewöhnlich hohe, im zweiten nur geringe oder gar keine Überschüsse. Der Gebrauch von ''selten'' vor Beiwörtern, um diese zu steigern, ist sehr gefährlich. Es lassen sich Sätze bauen, die der Leser wohl kaum falsch verstehen wird, etwa: ,''Sie ist ein selten schönes Mädchen' ''; das ändert nichts an der leidigen Zweideutigkeit von ''selten'' vor Beiwörtern. ,''Dieser Weinberg bringt selten große Trauben hervor.' '' Bringt er sehr große Trauben oder zumeist nur mittelgroße hervor? ,''Ein selten nüchterner Droschkenkutscher?' '' Der Leser muß ein Stück weiter lesen, um den wahren Sinn zu erraten. Den aber soll ihm der Schreiber mit den reichlich vorhandenen Mitteln seiner Sprache sofort unzweideutig vermitteln, denn das ist seine Aufgabe; es ist nicht die Aufgabe des Lesers, sie aus einem mehrdeutigen Wort zu erraten. Hier muß ich ausnahmsweise dem trefflichsten Verteidiger des unaufhörlichen Sprachlebens und Sprachwandels Wilhelm Fischer widersprechen, der in seinem prächtigen Büchlein ,''Die deutsche Sprache von heute' '' (Leipzig, Teubner) über das falsche ,''selten' '' sagt: ,Wenn in einigen Fällen sich wirklich ein ernstlicher Zweifel erheben kann, so ist das kein Grund, den Gebrauch in allen Fällen zu verurteilen.' Er unterschätzt einen in unsrer Zeit zum Glück immer gewichtiger werdenden Grund, solche anrüchige Gebräuche lieber ganz zu verbieten: die Aufmerksamkeit sehr vieler Leser ist durch die Unterweisungen in Sprachlehren aller Art so geschärft, daß jede Anwendung eines bemakelten Ausdrucks jetzt strenger geprüft wird. Das falsche ''selten'' ist schon so oft lächerlich gemacht worden, daß ein Schreiber gut tut, es lieber zu meiden, denn der erste Eindruck auf den Leser ist der einer Anstößigkeit.
Übrigens ist die Möglichkeit des Mißverstehens ziemlich groß. ,''Die selten zuverlässige Times berichtet ..' ''? ''Vor dem Weltkriege war die Times in der Tat ein gutunterrichtetes Blatt'', — wohinaus soll also des Lesers erste Verständnisregung gehen? Er wird gezwungen, hin und her zu denken, und das ist nicht des Schreibens Zweck; vielmehr soll der Schreiber hin und her denken, wie er sich dem Leser unzweideutig klar machen könne. Ein Satz hebt an: ,''Bei dem selten gün-'' $Seite 163$ ''stigen Wetter der letzten Monate —' ''. In welche Richtung soll das Denken des Lesers sich einstellen? Das ist von Wichtigkeit, und jeder Schreiber sollte die Möglichkeit sorgsam vermeiden, daß der Satzanfang vom Satzende lügengestraft werde. Jener Satz fährt fort: ,''. . konnte die Heuernte in den meisten Gemeinden der Eifel nur sehr kärglich ausfallen' ''. Die meisten Leser werden durch die zwei letzten Worte gezwungen sein, ihr ganzes Denken umzustellen. Oder man lese diesen Anfang einer Xenie Schillers: ,''Selten erhaben und groß und selten würdig der Liebe' '', — Wie heißt wohl dieser Ausbund der Menschheit? — ,''Lebt er doch immer, der Mensch, und wird geehrt und geliebt.' '' — Ach so war's gemeint: ,''selten' '' bedeutet hier eben ,''selten' '', nicht ,''außerordentlich' '', und auch hier muß der Leser des zweiten Verses das Gefühlsergebnis der ersten vernichten oder umkehren. Nein, es ist doch am besten, wir schreiben ,''selten' '' nur da, wo man ,''vereinzelt' '' meint, um so mehr als wir durch das Meiden jeder andern Anwendung nie in Verlegenheit kommen können. Schreiben wir statt ,''ein selten schönes Mädchen' '' —: ,''ein Mädchen von seltner Schönheit' '', so fällt der leiseste Grund des Mißverstehens oder der Lächerlichkeit weg, und wir werden unzweifelhaft richtig verstanden.
Die deutsche Sprache hat zwei deutlich unterscheidbare und deutlich unterscheidende Umstandswörter zur Bezeichnung zweier Bewegungen, die man nicht miteinander vertauschen darf: ''herum'' und ''umher''. ''Herum'' bedeutet: ''rundum'', ''im geschlossenen Kreise, rundherum''; ''umher'': ''nach allen Seiten, ausstrahlend, nicht kreisförmig''. ''Gäste sitzen um eine Tafel herum und bewegen sich nach Tische im Speisesaal umher''; ''der Plumpsack geht herum''; ''die Erde dreht sich um ihre Achse herum''; ''die Menschen gehen auf der Erde umher''; ''es geht im Gesellschaftsspiel die Reihe herum''. Eine so nützliche Unterscheidung sollte nicht verwischt werden; sie beginnt schon sich zu trüben, man hört öfter: ,''Er treibt sich herum' '', was falsch ist, als ,''Er treibt sich umher' ''. Man schärfe sein Sprachgefühl und unterscheide richtig.
Manche glauben, ''wo'' im bezüglichen Nebensatz dürfe nur für Ortsbezeichnungen, nicht für Zeitangaben gebraucht werden, also nicht: ,''Die Stunde, wo ich ihn zuerst gesehen' ''. Dies $Seite 163$ ist durchaus erlaubtes, gutes Deutsch. ,''Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo er dem Weltgeist näher ist als sonst' '' (Schiller) — untadlig. Also: ,''in der Zeit, wo; der 10. November, wo Schiller geboren wurde ..' ''
In der nachlässigen Umgangsprache, meist aber nur in der niedern, werden ''dann'' und ''denn'' verwechselt; ja ''dann'' tritt hinter ''denn'' mehr und mehr zurück. Man kann täglich hören: ''Und denn sagte ich ihm ..'' — Ähnlich steht es mit der Verwechslung von ''wann'' und ''wenn'' in der niedern Verkehrssprache: ''Wenn kommst du? Wenn werden wir uns wiedersehen?'' Bis in die Schriftsprache ist dies zum Glück noch nicht gedrungen.
Seltsamerweise glauben manche grade unter den Gebildeten, die Verbindungen ''daran, dafür, darauf, damit, darunter, darüber, daraus, woran, woraus, wofür'' usw. seien weniger fein als die Auflösungen: ''an das, an dem, an der, für das, auf dem, auf das, an welchem'' (''dem''), ''für was'' usw. Sie sind ebenso fein und sie sind flüssiger, geben namentlich den mit ihnen angeknüpften Bezugsätzen eine größere Bündigkeit. ,''Die Frage, worauf'' (''auf die'') ''wir neulich zu sprechen kamen . .'' — ''Ich habe mich daran'' (''an das'') ''nicht erinnert''. — ''Das Land, wofür'' (''für das'') ''er kämpfte . .'' — ''Der Fluß, worin'' (''in dem'') ''er ertrank ..'' — ''Woran'' (''an was'') ''mag er denken?' '' ,''Wovon sprechen Sie'?'' ist die einzig richtige Form, nicht etwa ''Von was . .'' Zu bemerken ist jedoch: diese Verbindungen sind nur zulässig bei Sachen, toten oder lebenden, nicht bei Einzelmenschen. ,''Meine Schwester, woran ich eben gedacht ..' '' ist schlechtes Deutsch, desgleichen: ,''Der Freund, womit ich gereist bin ..' '' Wohl aber kann man sagen: ,''Das Pferd, worauf ich ritt ..' '' Bei Menschenmengen ist die Verbindung erlaubt; das Sprachgefühl empfindet sie als Denkwörter für abgezogene Begriffe und behandelt sie von Sachen: ,''Das Regiment, worin er gedient hatte..'' — ''Das Volk, worunter er lebte ..'' — ''Die Abgeordneten, wovon die Mehrzahl fehlte ..'' — ''Der Reichstag hat 397 Mitglieder, wovon die meisten nur Mittelmäßigkeiten, worunter aber einige bedeutende Köpfe.' '' Also nicht: ,''Mein Bruder ist zuverlässig, du kannst dich darauf'' (''auf ihn'') ''verlassen' ''; wohl aber: ,''Dieses Volk ist treu, du kannst darauf bauen''.'
An Vordersätze mit ''davon'', ''damit'' usw. darf nicht mit $Seite 165$ ''was'' angeknüpft werden, also nicht: ,''Ich weiß nichts davon, was du mir erzählt hast.' '' In solchen Fällen muß es heißen: ''von dem'' (''mit dem''), ''was ..''
Auch ''wie'' dient in Bezugsätzen zur bequemen Verknüpfung und vermag Verbindungen mit Vorwörtern zu ersetzen. ,''Die Art, wie er sein Unglück ertrug ..' '' ist flüssiger und mehr gesprochene Sprache als ,''Die Art, in'' (''mit'') ''der er ..' ''
Man hüte sich in der Schrift- und gewählten Umgangsprache vor der Trennung der meisten obigen Verbindungen; sie gehört fast nur der Volksprache an. Also nicht: ,''Da kann ich nichts für'' (''vor''); ''Da hat er Angst vor''; ''Da bin ich nicht zufrieden mit''; ''Wo kann ich das mit machen. Da weiß ich nichts von.' '' Gegen die alte feste Fügung ,''Da sei Gott vor!' '' ist natürlich nichts einzuwenden; ebensowenig gegen die volkstümliche Redensart: ,''Da beißt die Maus keinen Faden von ab.' '' Und der Dichter durfte sagen: ,''Wo kommst du her in dem roten Kleid?' '' Offenbar fließen solche Bequemlichkeiten aus dem Geiste der germanischen Sprachen: sie kommen im Skandinavischen und besonders im Englischen als gebildete Ausdrucksformen vor und waren im ältern Deutsch bis auf Luther Schriftsprache.
''Darin'' (''drin''), ''darein'' (''drein''), sind streng auseinander zu halten, desgleichen ''worin, worein''. Der Unterschied ist derselbe wie zwischen dem 3. und 4. Fall bei den doppelfügigen Vorwörtern ''in, an, auf'' usw. ''Darin'' (''drin'') steht auf die Frage ''Wo?'', ''darein'' (''drein'') auf die Frage ''Wohin?'' Daher mit Recht nur ''dreinschlagen''. ,''Er weiß darin Bescheid. Er muß sich darein oder drein'' (''da hinein'') ''finden'' (''fügen''). — ''Worin liegt das Kleid? Worein'' (''wo hinein'') ''hast du es gelegt?'' — ''Zeig' her die Hand, was ist darin'' (''drin'')''?'' — ''Was hast du ihm drein gelegt?'' — ''Worin besteht das wahre Glück?'' — ''Ich setze es nicht darein, Geld und Gut zu haben.'' — ''Ich befinde mich darin.'' — ''Ich finde mich darein'' (''drein''). Einen so unverwischbaren Unterschied darf kein guter Schreiber oder Sprecher mißachten, so wenig wie den zwischen ,''Ich sitze auf der Bank, Ich setze mich auf die Bank.' ''
''Warum'' und ''Wieso'' sind einander sehr ähnlich, aber nicht völlig gleich. Man kann gleich gut sagen: ''Warum oder Wieso bist du traurig?'' In Bezugsätzen verdient ''warum'' den Vorzug: ,''Ich weiß nicht, warum du traurig bist.' '' Der Unterschied ist gering, aber er ist da.
$Seite 166$ Wer etwa nicht wissen sollte, daß ''wowegen'' (statt ''weswegen'') schlechte Umgangsprache ist, der erfahre es hiermit.
''Weshalb'' steht richtig auch als bezügliches Für- oder Umstandswort: ,''Der Grund, weshalb'' (oder ''warum'') ''ich dir das sage . .' '' und dient ähnlich wie ,''woran, worin' '' usw. (vgl. S. 164) zur bequemeren Verbindung als mit der aufgelösten Wendung ,''aus dem' ''.
''Trotzdem'' ist ein Umstands-, kein Bindewort, wird aber jetzt mehr und mehr als Bindewort, also ohne ''daß'' gebraucht. Die richtige Fügung müßte lauten: ,''Trotzdem, daß ich ihn himmelhoch bat ..' ''; geschrieben wird meist: ,''Trotzdem ich ..' '' Man behandelt es wie ''obgleich'', und dieser eigentlich falsche Gebrauch nimmt so überhand, daß man ihn schwerlich mehr wird beseitigen können. Das Gleiche gilt von ''zumal'', das richtig nur mit ''da'' verbunden stehen dürfte: ,''Ich kann ihn heute nicht empfangen, zumal da ich ihn gestern zweimal gesprochen habe.' '' Auch hier muß ein fast vollzogener Wandel des Sprachgebrauchs festgestellt, — beklagt, aber geduldet werden. Der Einzelne kann sich, wie in allen solchen Fällen, dagegen nur wehren, indem er selbst das Richtige schreibt.
''Dessenungeachtet'' ist die offenbar sprachrichtigere Form; doch kommt ''demungeachtet'' bei sehr guten Schriftstellern, z. B. bei Goethe, vor und gewinnt in der Redesprache jetzt das Übergewicht. — ''Währenddem, ohnedem'' sind stehengebliebene feste Wendungen aus der Zeit, wo ''während'' und ''ohne'', gleich manchen andern Vorwörtern (vgl. S. 170), andre Fälle nach sich hatten als heute. Sie waren einst ganz richtig, erscheinen infolge des Sprachwandels heute falsch und verschwinden aus der guten Schriftsprache.
''Gerne gern''; ''heute heut''; ''von ferne'', ''von fern'' — es lohnt nicht, streng zu scheiden. ,''Es sei ferne von mir' '' ist die überkommene Form und darf gelten. In der Umgangsprache wird heute vor Selbstlautern, aber auch sonst meist gekürzt, und in fester Wendung wie ''heutzutage'' ist es Regel. ''Gern'' ist gut, ''gerne'' kein Fehler.
''Balde'' ist die dichterische Form; in der Prosa steht nur ''bald''. Die Steigerung ''bälder'' von ''bald'' ist ungewöhnlich und wird meist durch ''eher'', ''früher'' ersetzt. Auch als Beiwort gilt ''bälder'' nicht für beste Schriftsprache.
Es gibt Sprachlehren, worin (in denen) ''beinahe'' für die richtigere Form gegenüber ''beinah'' erklärt wird. ''Beinah'' $Seite 167$ ist genau so gut wie ''beinahe''; gesprochen wird fast nur ''beinah'', — also darf auch so geschrieben werden.
Es heißt ''irgend, nirgend''; die Form ''nirgends'' ist eine Nachlässigkeit, die weder in der gepflegten Umgangs- noch Schriftsprache vorkommen sollte, aber — sehr häufig vorkommt.
''Neuerdings'' bedeutet nur: ''neulich, jüngst, in neuerer Zeit'', aber nicht: ''aufs neue, abermals''.
Man unterscheide genau ''mittwochs'' und ''Mittwoch''. Der Unterschied ist ähnlich dem zwischen ''.. lich'' und ''. . ig.'' (S. 120): die Formen auf ''s'' sind Umstandswörter, bezeichnen die wechselnde Wiederkehr; die ohne ''s'' sind vierte Fälle und bezeichnen den einen Zeitpunkt, die Dauer.
''Einst'' gilt für Vergangenheit wie Zukunft und kann dadurch Mißverständnisse erzeugen — man sei achtsam!
Von einem bedeutenden Germanisten, von dem man nie einen Tadel gegen ein Welschwort gehört, wurde ohnehin heftig getadelt. Will man auch ''mithin, vorhin, obenhin, schlechthin'' verwerfen? ''Ohnehin'' ist ein gutes, nützliches Wort und soll in Ruhe gelassen werden (vgl. S. 31).
''Zweifelsohne'' wird meist für eine schlechte Neubildung gehalten und auf den Vers eines Schulrats Wantrup ,''So reinlich und so zweifelsohne' '' (1865) zurückgeführt. Das Wort ist viel älter, darum aber nicht besser; es taugt nicht für die gute Schriftsprache, wird auch meist halbspöttisch gebraucht.
Drollig ist eigentlich das Wort ''ungleich'' bei Steigerungen: ,''Sie ist ungleich schöner als ihre Schwester.'' — ''Eine ungleich größere Stadt als alle andern.' '' Es ist wohl die Kürzung von ''unvergleichlich'', wirkt genau betrachtet sinnlos, aber — die Meisten betrachten es eben nicht genau. Es ist ein Schrei-und Modeflickwort wie manches andre und sollte von keinem guten Schreiber gebraucht werden.
''Hienieden'' ist gutes Deutsch; ''hie und da'' ist nicht falsch, aber ''hievon'' ist schlechte Sprache.
''Auf'' oder ''offen''? Kann man, darf man sagen: ,''Das Fenster steht auf?' '' Es wird gesagt, aber gut ist es nicht; es ist gebildet nach dem richtigen ,''Die Tür geht auf' '', also sagt man auch: ,''Die Tür steht auf, Das Fenster steht auf' ''. Im guten Deutsch heißt es: ,''Das Fenster ist (steht) offen' ''. Ebenso: ,''Laß offen!' '', aber ,''Mach' auf!' '', denn es heißt nicht ,''die Tür auflassen' '', sondern ,''offen lassen' '', wohl aber in der $Seite 168$ Umgangsprache ,''die Tür aufmachen' ''; in der höheren Schriftsprache: ,''.. öffnen' ''.
''Bislang'', neben ''bisher'', wurde als hannöverscher ,Provinzialismus' getadelt. Es hat sich von den Volksvertretungen her, worin hervorragende hannöversche Redner saßen, so stark verbreitet, daß es heute in ganz Deutschland schriftsprachlich geworden ist. — Seither wird oft fälschlich für ,''bis jetzt' '' gebraucht; es bedeutet nur: ''seitdem''.
Verwechselt werden häufig ''scheinbar'' und ''anscheinend'', sollten aber streng unterschieden werden; ''scheinbar'' erweckt einen falschen Anschein, ''anscheinend'' bezeichnet eine ziemlich annehmbare Vermutung: ,''Es liegt scheinbar ein Raub vor' '' (es ist aber keiner, sondern etwas ganz andres); ,''Es liegt anscheinend ..' '' (und so wird es wohl in Wahrheit sein).
Die doppelte Verneinung war im ältern Deutsch etwas ganz Gewöhnliches und Richtiges; Fügungen wie '',.. als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß' '' finden sich nicht nur im Volksliede, sondern zu Dutzenden bei unsern Klassikern. Die Verdopplung galt ehedem als Verstärkung; so empfinden wir sie in der Dichtung noch heute und sehen in Goethes Versen: '',Keine Luft von keiner Seite, — Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt' '' keinen Fehler, sondern eher eine feine Schönheit. Bei Luther sind die verstärkenden Doppelverneinungen wie: '',Man soll keinem Heuchler nichts glauben' '' nicht zu zählen; ja selbst die dreifache verstärkende Verneinung kommt bei ihm vor: '',Ich habe ihrer keinem nie kein Leid getan.' '' Vom Lateinischen, wo Verdopplung des Nein Bejahung erzeugt, haben wir für die Alltagsrede und die Schriftsprache uns daran gewöhnt, das Wiederholen der Verneinung als altfränkisch und ungut anzusehen, und gegen diesen Wandel des Sprachgefühls oder doch der Sprachbildung ist nicht mehr anzukämpfen.
Strenggenommen sollte die Verneinung auch wegbleiben in Sätzen wie: '',Ich kann nicht scheiden, bevor (bis) ich nicht das Werk vollendet habe. — Eh du mir nicht die Wahrheit gestanden, lasse ich dich nicht von mir. — Ohne daß nicht zuvor für Beleuchtung gesorgt wird, kann der Vortrag nicht stattfinden.' '' Sie wird aber selbst von guten Schreibern gesetzt, und solange durch solche nicht ganz denkgerechte Wiedergabe des $Seite 169$ Gedankens kein offenbares Mißverständnis entsteht, läßt sich nichts dagegen sagen. Wie gefährlich aber diese Läßlichkeit ausarten kann, zeigt folgender Satz: '',Nichts hindert dich, die Erbschaft nicht anzutreten' '', der erst durch die Fortsetzung voll verständlich wird. Man muß immer erst untersuchen, ob der Schreiber zu den sorgfältigen oder den läßlichen gehört, um zu entscheiden, ob die zweite Verneinung aufhebend oder verstärkend gedacht ist. Man achte hierauf besonders bei Zeitwörtern, in denen etwas Verneinendes steckt, bei ''verbieten, warnen, abraten, leugnen, bestreiten, fürchten, zweifeln, verhindern'' usw. Bei den älteren Dichtern herrscht unschädliche Freiheit: '',Man verbot ihnen, daß sie keine Waffen in ihrem Hause haben sollten'' (Lessing). — ''Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt' '' (Goethe).
Zu wahrer Sprachkrankheit ausgeartet ist die Neigung, besonders beim weiblichen Geschlecht, an jede Antwort ein '',nicht?' '' — meist in der Form '',nich?' '' anzuhängen. '',Was kostet der Käse?' — ,40 Pfennig, nich?' '' Kenner behaupten, die Krankheit habe sich von Hamburg aus über Deutschland, besonders Nord- und Mitteldeutschland, verbreitet. Ob sie überhaupt noch zu heilen ist, muß beinah bezweifelt werden — nicht?
Nachsichtiger muß man gegen eine ganze Reihe formell ungenauer, dem Sinne nach richtiger Beziehungen nach Geschlecht und Zahl sein, die unter den § 251 f. gegebenen Gesichtspunkten betrachtet werden können. So muß es statthaft sein, ein Fürwort statt auf die singularische Form eines Sammelnamens oder auf ein Hauptwort selbst auf den pluralischen Inhalt von jenem oder auf den Beisatz bei diesem zu beziehen. So schrieb nicht nur Luther: ''Ich habe mich offenbart deines Vaters Hause, als sie noch in Ägypten waren'', und ähnlich Klinger, sondern noch kürzlich auch ein berufener Sprachkenner: ''Das könnte man der Jugend einprägen, die für solche hohe Empfindungen und große Gedanken noch ganz offen sind''; und z. B. Eltze: ''Das Gouvernement hat ihm, glaube ich, jeden Soldaten, den sie entbehren können, nachgeschickt''. +
Es braucht nicht untersucht zu werden, ob nicht ,''Verhältniswort' '' deutlicher wäre; ich wähle das kürzeste Wort, weil ich es sehr oft setzen muß, und beanspruche dafür keine über dieses Buch hinausgehende Geltung. Schon Lessing hat ''Vorwort'' statt ''Präposition'' gebraucht. Es ist für den Leser verständlich und nicht halb so lang wie ''Präposition'', das allenfalls auch nur ''Vorwort'' bedeutet. — In dem Abschnitt ,Satzfügung' stehen Ergänzungen, die besser in den dortigen Zusammenhang passen (vgl. S. 296).
Vorweg sei bemerkt: in älterer Zeit, ja noch bis ins 19. Jahrhundert, schwankte die Fügung der Vorwörter stärker als heute, und mehre wurden mit andern Fallbeugungen gebraucht, besonders ''wegen, gegen, ohne, während''. Die Berufung auf Stellen bei den Klassikern oder selbst bei Neueren wie Heine, Freytag, Gutzkow haben für den heutigen Gebrauch keine Geltung. So würde z. B. heute selbst ein Dichter nicht mehr wagen dürfen, ein Vorwort kurz nacheinander mit zwei verschiedenen Fügungen zu gebrauchen, wie Goethe:
''Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,''
''Statt ehrfurchtsvollem Willkomm ..''
(Faust 9192).
Allgemein ist nachdrücklich zu warnen vor Undeutlichkeiten und Härten infolge Weglassens der von den Vorwörtern geforderten Beugungszeichen. Bei namhaften Schreibern kommen Loddrigkeiten vor wie: '',In (aus) aller Herren Länder, Das Buch ist in aller Hände' '', und in öffentlichen Bekanntmachungen und Anschlägen, nun gar erst in Anzeigen steht täglich zu lesen: '',Wegen Mangel an Bindfäden, Wegen Umzug .., Wegen Todesfall' ''. Sobald das Geschlechtswort ausfällt, erlahmt in vielen Schreibern, die sonst keine groben Fügungsfehler bei den Vorwörtern begehen, das Gefühl für deren Fügungskraft, und sie vergessen die einfachsten Grund- $Seite 171$ regeln, die sie noch jetzt in früh auswendig gelernten Verschen hersagen könnten.
Wo nach Vorwörtern die Beugung des Hauptwortes ohne Geschlechtswort nicht deutlich zu erkennen ist, muß auf andre Weise für das sofortige Erkennen der richtigen Fügung gesorgt werden. Man darf bedenkenlos schreiben: '',Er fehlte wegen Krankheit' '', weil diese Einzahlform für jedes Vorwort dieselbe ist; aber '',wegen Reichtümer' '' wird von Gebildeten störend empfunden, weil die Beugungslosigkeit leicht als eine Folge sprachlicher Unwissenheit gilt. Wo der Zweitfall stehen muß, will ihn das gebildete Ohr auch hören. '',Wegen Reichtümer, wegen Mißverständnisse, während Fieberzustände' '' ist nicht gradezu falsch, aber das Sprachgefühl sträubt sich aus einem sehr löblichen Grunde dagegen. Darum, nur darum, ist auch die nach dem Buchstaben der Beugungslehre nicht falsche Verbindung '',Verein Berliner Studenten' '' unzulässig, weil das Gefüge nicht ohne weiteres erkennbar hervortritt. Vielfach wird aus richtigem Gefühl für die Härte zu dem nicht unbedenklichen Mittel gegriffen, durch einen falschen Fall mit deutlicher Fallendung eine festere Fügung zu schaffen, also z. B. ''während'', das sonst nur mit dem Zweitfalle steht, mit dem Drittfall zu verbinden: '',während zehn Tagen' ''. Zu empfehlen ist dieses Heilmittel eines Notstandes nicht, denn bei der heutigen Verbreitung strengerer Sprachausbildung könnte es nicht so sehr als Notbehelf wie als Unwissenheit gedeutet werden. Ich bediene mich in solchen Fällen andrer Ausdrucksmittel, deren wir im Deutschen nicht ermangeln, etwa: '',zehn Tage lang (hindurch)' ''.
Wie steht es in den nicht seltnen Fällen, wo man, besonders um der Kürze und Bündigkeit willen, zwei Vorwörter nebeneinander braucht, die verschiedene Beugungsfälle fordern? '',Mit und ohne Geld, Um und bei dem Hause, Ich lebe für und mit dir, Durch und wegen des Geldes' '' — sind solche Verbindungen zulässig? Die strenge Sprachlehre sagt Nein, aber sie läßt sich erweichen für solche Fälle, wo die Gleichheit der Hauptwortform die Verschiedenheit der Vorwortfügung verschleiert, wo also kein unterscheidendes Geschlechtswort den Fehler schonungslos aufdeckt. '',Mit und ohne Geld, vor und für Gott, von und für England' '' sind erträglich, ja bedenkenlos zulässig; '',um und bei dem Hause, für und mit dir, mit und ohne dich, durch und wegen des'' $Seite 172$ ''Geldes, während und nach dem Gewitter, Er lebt in und durch die Hoffnung' '' sind für sprachgebildete Ohren unmöglich, und kein Notstand entschuldigt dergleichen, denn es gibt mehr als eine fehlerfreie Hilfe aus solcher vermeintlichen Not.
Über den von den Vorwörtern bedingten Fall des folgenden Einzelwortes handelt ein früherer Abschnitt (S. 170); das hier Folgende gilt ihrer Bedeutung im vollen Satz.
Das Vorwort wird auch Verhältniswort genannt, und nur der Kürze wegen wird hier der bequemere zweisilbige Kunstausdruck vorgezogen. Es bezeichnet die mannigfachsten Verhältnisse, räumliche, zeitliche, ursächliche, bewirkte, gesellige, zwingt also den Leser, sich bei jedem neuen Auftreten eine neue Beziehung sinnlich oder gedanklich vorzustellen. Daher die Warnung: nicht zu viele Vorwörter auf einen mäßig langen Satz! ,''Der durch die von ihm mit leiser Stimme an ihn gerichteten Ermahnungsworte bekehrte Knabe .., Auf die an ihn aus der vor dem Schlosse versammelten Menge gestellte Frage ..' ''; ein Satz dieser Art ist, abgesehen von seiner Schachtelei, schon darum schlecht, weil er die Vorstellungstätigkeit des Lesers hin und her hetzt; er erzeugt ein geistiges Schwindelgefühl wie bei heftigem Schaukeln. Sonst gutgebaute, nichtgeschachtelte Sätze mit zu vielen Vorwörtern ermüden ungemein. ,''Bei den im Nachsatz gegen das Ende auftretenden Abweichungen von der Regel über die Zeichensetzung im Zusammenhang mit ..' '': solche Verwicklungen lehnt das Lesergehirn mit Recht ab. Nun gar die als echt überlieferte Überschrift einer alten Predigt, ,''von der an dem bei der in dem Dorf Lerche entstandenen Feuersbrunst geretteten Ziegenbocke erwiesenen Gnade Gottes!' '' Verbürgen kann ich mich für die Echtheit des folgenden Satzes: ''Hauptmann leidet in für die in Deutschland verbreitete poetische Kultur ganz ungewöhnlicher Weise ..' ''(A. Bartels).
Keine öftere Wiederholung desselben Vorworts kurz nacheinander! ,''In einem Hinterhause in der Kaiserallee in Wilmersdorf ..' '' ist unmöglich.
Der Leser ist berechtigt, das unmittelbar auf ein Vorwort folgende Begriffswort für das vom Vorwort abhängige zu $Seite 297$ halten; er bekommt einen sehr unliebsamen Ruck und muß den Satz zum zweitenmal nachprüfend überlesen, wenn von der Regel abweichend zwischen die zwei eng zusammengehörigen Wörter ein andres eingeschoben wird, das fälschlich vom Vorwort abhängig erscheint: ,''Dort stand die Alte mit einer Kröte nur gar zu ähnlichem Gesicht.' '' Der erste Eindruck ist der, daß die Alte mit einer Kröte dastand. ,''Ich bin von meinem Bruder, der in der Nähe wohnt, befreundeten Leuten besucht worden. — Die Truppen Chiles werden nach dem preußischen Reglement ähnlichen Vorschriften ausgebildet. — Mit der Größe des hohen Zieles entsprechenden Fähigkeiten. — Bei dem Verderben oder hoher Fracht unterliegenden Waren.' '' Ein Schreiber, bei dem Verstöße dieser Art oft vorkommen, wird ungenießbar.
Eine Ausnahme von dem Verbot der Einschiebsel nach dem Vorwort bilden Umstandswörter, die zur genaueren Umgrenzung des Begriffswortes dienen. Es ist erlaubt zu schreiben, und alle Welt schreibt: ,''in fast allen Fällen' ''; aber der Sprachmeisterer fährt keifend dazwischen und gebietet aus willkürlichster Selbstherrlichkeit: ,Es ist eine Barbarei, so zu schreiben', so daß hierdurch endlich ein Beweis für das allgemeine Barbarentum in Deutschland — immer mit Ausnahme dieses einen Klassikers unsrer Sprache — herbeigebracht wäre. ,Dieses Gesetz geht durch alle Sprachen', verkündet der Sprachgewaltige. Dieses Gesetz gilt nicht für Griechisch, Englisch, Skandinavisch, Französisch, Italienisch, Spanisch! Mit derselben Willkür verfügt er gnädig, daß steigernde Umstandswörter ohne Barbarei eingeschoben werden dürfen. Nach ihm darf also geschrieben werden: ,''in sehr vielen Gegenden' '', nicht: ,''in nicht vielen Gegenden' ''! Er verlangt durchaus nur: ,''nicht in vielen ..' '' Falsch wäre: ,''Ich miete die Wohnung auf mindestens drei Jahre' ''; richtig: ''.. ,auf höchstens drei Jahre' ''. Falsch wäre: ,''mit fast keinen Vorkenntnissen' '', richtig: ,''mit gar keinen ..' '' Man dürfte also nicht sagen: ,''zum nicht geringen Teil' ''; wohl aber: ,''zum sehr großen Teil' ''. Noch klarer wird der Unsinn jener Willkürregel aus Beispielen, die so recht zeigen, wie erhaben die Sprache über dergleichen Schurigelei ist: ,''Das bekommst du kaum in einer Stunde fertig' '' (es dauert länger); ,''Das bekommst du in kaum einer Stunde fertig' '' (es dauert kürzer). Was sagt der Leser zu dieser selbstherrlichen Verbieterei $Seite 298$ und Erlauberei? Und es gibt Zehntausende, die sich solche Bleigewichte haben aufladen lassen. Den uns allen geläufigen großen Unterschied zwischen: ,''Der Keim entwickelt sich kaum in zehn Tagen' '' — und: '',.. in kaum zehn Tagen' ''braucht ein allwissender Sprachmeister nicht zu kennen.
Natürlich dürfen nicht beliebige Umstandswörter eingeschoben werden; doch dafür sorgt bei fast allen Schreibern das gesunde Sprachgefühl, und sie bedürfen keines Schlimmbessrers.
Nützlich ist die Warnung vor dem unmittelbaren Nebeneinanderstellen zweier Vorwörter; übertrieben und nicht durch den guten Sprachgebrauch gerechtfertigt ein allgemeines Verbot. Der Leser begreift, daß und warum man nicht schreiben soll: ,''Durch von ihm gestellte Forderungen; Der Saft von aus Italien stammenden Zitronen; Herder mußte durch den mit von erkünstelter Frömmigkeit triefenden Redewendungen ..' ''
Es gibt aber zulässige Ausnahmen, die sich aus dem herrschenden Sprachgebrauch ergeben. Verbindungen wie: ,''Ein Dampfer von über 10000 Tonnen, — Die Ausgabe beläuft sich auf über 1000 Mark, — mit an sich löblichem Eifer, — von zu Hause gebliebenen Kindern, — Ich halte das für im höchsten Grade bedenklich' '' sind nicht anstößig, und das Sprachgefühl des besinnlichen Lesers, das mindestens so fein ist wie das der meisten Sprachselbstherrscher aus eignen Gnaden, erkennt den Grund, warum die Sprache solche Ausnahmen zuläßt: es handelt sich überall beim zweiten Vorwort nicht um eine neue Verhältnisrichtung, sondern um eine feste Redewendung, die kaum als Vorwortfügung im gewöhnlichen Sinne gefühlt wird. Wendungen wie: ,''mit auf offner Hand liegenden Beweisen, Werke von vor Zeiten berühmten Meistern, mit vor Freude strahlendem Gesicht' '' stehen an der Grenze des Erlaubten. ''Von zu Hause'' kommt bei Keller vor, und viele Gebildete sprechen so. ,''Ich freue mich auf zu Hause' '' ist nicht falsch, und ,''Tapfere Worte von hinter dem Ofen' '' widersprechen nicht den Geboten guter Fügung. Wem der Zusammenstoß zu hart klingt, der braucht ihn ja nicht mitzumachen; er schelte aber die nicht, deren Sprachgefühl und inneres Ohr dadurch nicht beleidigt werden.
Muß das Vorwort wiederholt werden, wenn mehr als ein abhängiges Begriffswort folgt? Eine feste Regel gibt es nicht, das Gefühl für die Tragkraft des Vorworts auf größeren Abstand und die engere oder weitere Zusammengehörigkeit $Seite 299$ der abhängigen Wörter entscheidet. Man mute dem Vorwort lieber zu wenig als gar zu viel zu. Jede Wiederholung, die nicht offenbar überflüssig ist, steigert die Durchsichtigkeit des Satzes.
Nach Vorwörtern, die mit dem Geschlechtswort verschmolzen sind (''im, am, zum, zur'' usw.) muß das Vorwort nicht unbedingt wiederholt werden, doch wird die Wiederholung aus Vorsicht nie etwas schaden. ,''Im Felde und dem Garten' '' wird nicht als musterhaft, aber nicht als fehlerhaft empfunden; wohl aber bei wechselndem Geschlecht: ,''im Felde und der Heide' '' ist ungut.
Über die Zulässigkeit, ein Wort von zwei Vorwörtern mit verschiedenem Fall abhängig zu machen, wurde schon gesprochen (S. 171). Hier sei nur bemerkt: entscheidend ist die Schonung des Sprachgefühls. Man will nicht durch die verschiedne Form des abhängigen Wortes mit der Nase drauf gestoßen werden, daß eigentlich die Übertretung eines Grundgesetzes vorliegt. Das in seiner Beugung unauffällige Wort schlüpft unbemerkt durch: ,''mit oder ohne Geld' '' ist zulässig, ,''mit oder ohne mich' '' sehr bedenklich, wenigstens in der Schriftsprache. Am ehesten erlaubt sind Wendungen ohne Geschlechtswort: ,''mit oder ohne Vater' '' ist erträglicher als ,''mit oder ohne den Vater' ''. Goethes ,''um und neben dem Hochaltar' '' mutet uns hart an. Die Redesprache mildert manche Härte durch ihre besonderen Mittel: Gebärde, Stimmton, Gesichtsausdruck.
Mit einigen Vorwörtern wird aus Nachlässigkeit zuweilen grober Unfug getrieben; ein noch so siegreicher Hengst geht nicht ''mit'', sondern ''unter lautem Hurra'' durchs Ziel; ein Kind muß nicht ''durch'', sondern ''wegen Krankheit'' aus der Schule wegbleiben, weil es ''durch Krankheit'' dazu gezwungen ist. Nürnberg ist u. a. ''wegen seiner Lebkuchen'' berühmt, ''durch seine Lebkuchen'' berühmt geworden, aber nicht ''für seine Lebkuchen''. In Oberdeutschland gibt der Mann seiner Frau Geld ''auf ein Kleid''; die Schriftsprache fordert ''zu'' oder ''für''.
Zu Unrecht — der Sprachmeister ruft dazwischen: ''mit Unrecht''! — Wird getadelt: ''ein Jahresbericht für 1918''; dies ist ebenso gut wie ''über'', denn man spricht von Berichten, die für ein Jahr gelten.
Bei Ausdrücken der Liebe und Neigung kann ebensowohl ''für'' wie ''zu'' stehen; bei Achtung ist ''für'' statt ''vor'' kein Fehler.
$Seite 300$ ''Schritt vor Schritt'' wird getadelt, es müsse heißen ''Schritt für Schritt''; aber Goethe schreibt ''Schritt vor Schritt'', Uhland schreibt ''Schritt vor Schritt'' in seiner ,Schwäbischen Kunde', und der heutige gute Gebrauch spricht es ihnen nach. Derselbe Gestrenge, der die Liebe und Neigung für etwas verpönt, empfiehlt als das Bessere: ,''Ich gehe zu Hause' '', nicht ''nach Hause'', und rügt, daß man Kinder ''zur Schule'', statt ''in die Schule'' schickt. Was soll man danach tun? Aufhören mit Sprechen und Schreiben, oder sich löblich unterwerfen? Ich denke, der Leser wird wissen, wie er schreiben soll: so wie er alle Gebildeten sprechen hört und schreiben sieht.
Für die Vorwörter mit nur einem feststehenden Beugefall sollten kaum Zweifel und Schwankungen bestehen; dennoch machen allerlei häufig vorkommende Nachlässigkeiten einige Bemerkungen auch zu dieser Gruppe der Vorwörter wünschenswert.
Bei ''außer'' ist der Drittfall die Regel: ,''Ich bin außer mir' '', aber auch: ,''Er hat mich außer mir gebracht, Ich bin ganz außer mir geraten.' '' Verstöße hiergegen, also ,''. . außer mich gebracht' '' kommen ziemlich häufig vor, werden aber von den besten Sprachlehrern und, was wichtiger ist, von dem vorherrschenden besten Sprach- und Schriftgebrauch abgelehnt. Der Irrtum rührt her von dem Einfluß der Zeitwörter der Bewegung, die bei Vorwörtern mit doppelter Fallbeugung den 4. Fall fordern, wenn eine Zielrichtung zu bezeichnen ist, und er wird bei den persönlichen Fürwörtern unterstützt durch die Gleichform sich für Dritt- und Viertfall. Die Ausnahmen in der festen Verbindung ,''außer Landes verweisen' '' und ,''außer allen Zweifel gesetzt' '' ändern an der sonst durchgehenden Fügung von ''außer'' mit dem Drittfalle nichts. Wenn ein sonst guter Schriftsteller einmal ,''außer die Mode gekommen' '' schreibt, so ist er eben einmal unachtsam gewesen: nichts zwang ihn, so zu schreiben, denn er konnte sich z. B. mit ,''aus der Mode' '' helfen.
Bei ''binnen'' hat sich der Zweitfall mehr und mehr die Gleichberechtigung neben dem Drittfall erobert: ,''binnen dreier Tage' '' und ,''binnen drei Tagen' '' sind beide gut, ,''binnen drei Tage' '' ist aus dem früher (S. 171) erwähnten Grunde ungut.
Für ''bis'' ist die Unterscheidung der Fälle mit und ohne Vorwort von Wichtigkeit. Das ergänzende Vorwort (''in, an, vor, zu, auf, über'' usw.) kann vor Ländern und Städten fehlen, wenn keine Bewegung, also keine Zielrichtung ausgedrückt werden soll, sondern nur eine Entfernung: ,''Bis Berlin sind es noch zwei Kilometer, Von Hamburg bis England dauert es 24 Stunden, Bis Köln ging alles glatt.' '' Sonst dagegen: ,''Ich reise bis nach England.' '' Ebenso bei $Seite 173$ andern Zielangaben: ,''Er ging bis an die Tür, Der Mantel geht ihr bis auf die Knöchel.' '' Bei Zeitangaben kann das zweite Vorwort fehlen in Wendungen wie: ,''bis heute, bis morgen', bis Montag, bis Weihnacht' '', ja auch: ,''bis diesen Tag, bis vorige Woche, bis nächstes Jahr, bis nächsten Dienstag' ''. Hingegen kann man in gutem Deutsch nicht sagen oder gar schreiben: ,''Bis zehnten Januar sind es noch zwei Wochen' '', sondern nur ,''Bis zum ''. .' Der Sprachgebrauch neigt zusehends zur Weglassung des zweiten Vorworts; ''bis'', das halb Umstands-, halb Vorwort ist, wird mehr und mehr zum vollen Vorwort. Man liest jetzt oft: ,''Er reiste bis Kurland, Sie drangen bis Litauen vor''.' Der sorgfältige Schreiber braucht diese Bewegung nicht mitzumachen. Bequeme Wendungen wie: ,''Die Literatur des 4. bis 15. Jahrhunderts' '' sind nicht zu beanstanden. Der Sprachhudler fragt: ,Wie kann denn ein Jahrhundert das 4. bis 15. sein?' In der Sprache sind noch ganz andre Widersprüche gegen die wohlweise ,Logik' oder Vernünftelei möglich und erlaubt.
Was aber soll und kann bedeuten: ,''Bis auf den letzten Vers ist das Gedicht vollkommen?' '' Ist auch der letzte Vers vollkommen, oder sind alle mit Ausnahme des letzten vollkommen? Oder: ,''Ich bin mit allem, bis auf die Beine, mit meiner Gesundheit zufrieden' ''? — In festen Wendungen wie ,''Sie wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen' '' wird kein Zweifel entstehen; aber schon in einem Satze wie: ,''Der Hund hat die Taube bis auf die Knochen verzehrt' '' herrscht Unklarheit. Also Vorsicht und nicht vergessen: es gibt der Formen genug, die jeden Zweifel ausschließen.
''Durch'' ist nicht ''wegen'', ''wegen'' ist nicht ''durch''. ''Durch'' bezeichnet das Werkzeug, das Mittel, ''wegen'' den Grund. ,''Durch Erkältung konnte mein Sohn heute nicht zur Schule kommen' ''? Nein, aber ''wegen''. Dagegen: ,''Durch eine Krankheit wurde die Vollendung des Buches vereitelt.' '' Aber es gibt Zwischenfälle: ,''Das Haus war durch seine Lage unbewohnbar' '' ist nicht wesentlich anders als ''wegen seiner Lage''. — Ferner ist zu warnen vor der Verwechslung zwischen ''durch'' und ''von'': ,''Durch Bismarck wurde die entscheidende Note an Österreich gerichtet' ''? Nein, ''von Bismarck'' .. Wohl aber: ,''Bismarck ließ durch die preußische Gesandtschaft . . die Note richten.' ''
''Für'' und ''vor'' waren in älterer Zeit nicht sicher geschieden; $Seite 174$ heute gibt es selten ein Schwanken zwischen beiden. In den Fügungen mit Begriffen der Achtung, Verehrung, Ehrerbietung sind ''für'' und ''vor'' nahezu gleichbedeutend; ''für'' bezeichnet mehr die liebende, ''vor'' mehr die sich scheuende Empfindung. Splitterrichterei ist es, zu fordern, daß bei Neigungsgefühlen einzig ''zu'' stehe; Splitterrichterei, daß keine Jahresberichte ''für'', sondern nur ''über 1917'' erstattet werden dürfen. Die sachliche Auffassung läßt beide Fügungen zu. Allerdings verletzen Wendungen wie: ,''Mittel für den Husten, Das ist gut für die Ratten, Empfehlen Sie mir etwas für meinen Schnupfen' '' das peinlich strenge Gefühl für Sprache und Wirklichkeit; indessen hier wie in so vielen Fällen wird durch das heilende Verstehen des Hörers eine Unstimmigkeit des Ausdrucks getilgt. In gutem Schriftdeutsch ist dergleichen zu meiden.
Man hüte sich vor ''gegenüber von''; es ist französisch, nicht deutsch: ,''mir gegenüber' '', nicht: ''gegenüber von mir' ''; auch bei unpersönlichen Verbindungen: nur ,''dem Berge gegenüber' '', nicht: ,''gegenüber von dem Berge' ''.
''Gen'' steht meist ohne Geschlechtswort wie ''gegen'', doch überwiegend in gehobener Sprache; immerhin sind ,''gen Himmel, gen Osten' '' usw. auch in weniger feierlichen Verbindungen
zulässig.
Bei ''längs'' herrscht der 3. Fall vor, doch kann der 2. nicht falsch heißen: ,''längs dem Flusse, längs des Waldes' ''. Dagegen hat bei ''entlang'' der 4. Fall: ,''den Wald entlang' '' jetzt das Übergewicht über den 3. oder gar den 2. Fall.
Dieselbe Verschiebung zu Gunsten des Drittfalles hat sich bei ''laut'' vollzogen; heute kann man höchstens noch sagen, der Zweitfall: ,''laut Berichts' '' ist nicht falsch, aber ,''laut Bericht' '' ist die üblichere Fügung. Auch mit dem Geschlechtswort tritt der Zweitfall immer mehr zurück: ,''laut dem Bericht' ''. Mit Schimpfereien über ,Sprachdummheit' ist hiergegen nichts auszurichten.
''Mittels'' (mit Zweitfall) lautet die gute Form, nicht ''mittelst'', und gar ''vermittelst'' ist eine Weitschweifigkeit. Unentbehrlich ist ''mittels'' (statt ''mit'') nicht, es klingt arg nach Kanzleisprache; ich glaube nicht, daß ich es je geschrieben habe.
Das Vorwort ''mit'' darf in der besten Schriftsprache als Umstandswort gebraucht werden: ,''Er ist mit der größte; dies ist mit die beste Arbeit, die wir haben' '' verdient keinen Tadel, wie manche Sprachmeister wollen. Der Gebrauch gehört mit(!) $Seite 175$ zu den bequemsten und kommt bei sehr guten Schriftstellern vor, u. a. bei Herder und Schiller.
''Nach'' darf dem Hauptworte folgen, also: ''meinem Erachten nach''; aber ,''meines Erachtens' '' genügt, und ,''meines Erachtens nach' '' ist sprachwidrig. — ''Nächst'' kann nur mit dem Drittfall stehen.
''Ob'' in der Bedeutung ''wegen'' steht mit dem Zweitfall: ,''ob dieses Wortes' '', ist aber auf dichterischen Gebrauch beschränkt. In örtlicher Anwendung, in gehobener Sprache und meist landschaftlich, fordert es den Drittfall: ,''ob dem Walde, ob der Tauber, ob der Enns' ''.
Bei ''statt'' war in älterer Sprache der 3. Fall häufiger als der 2.; Goethe schrieb: ,''Statt heißem Wünschen . .' ''; heute gilt ausschließlich der 2. Fall für gutes Deutsch. ''Statt'' ist daneben aber auch Umstandswort, gleichwie ''anstatt'', und als solches ohne Einfluß auf den Beugungsfall; dieser wird durch das Zeitwort bestimmt: ,''Statt mich zu benachrichtigen, hast du ihn zuerst benachrichtigt. — Statt den Garten zu bestellen, hast du . .' '' Eine in sich nicht falsche Härte: ,''Statt den Faust hat er sich entschlossen, den Tasso vorzutragen' '' vermeidet man besser durch eine andre Satzfügung.
Es ist merkwürdig, daß ''trotz'' weit öfter mit dem 2. als dem 3. Fall verbunden wird, obwohl die innere Bedeutung: ,''ich biete Trotz' '' noch nicht erblaßt ist, und die festen Verbindungen ''trotzdem, trotz alledem, trotz einem'' den Drittfall stützen sollten. Aber ein schwer zu erklärender Hang hat dem 2. Fall jetzt beinah zur Alleinherrschaft verholfen, und alles Schelten, woran es nicht gefehlt hat, würde nichts mehr nützen. Ich setze nur den 3. Fall, freue mich über die seltnen Stellen, wo ich es bei Andern finde, rate dem Leser, den 3. Fall zu setzen, und muß es der Entwicklung überlassen, ob die Unterweisung aller Sprachbücher ihm nicht doch wieder zu seinem Recht verhelfe. Übrigens schwankte der Sprachgebrauch schon bei Lessing und Schiller. In Vergleichungen: ,''Der Alte läuft noch trotz einem Jüngling' '' hat sich das Richtige erhalten.
Zu ''über'' ist noch einmal vor dem falschen Gebrauch in Österreich zu warnen; es heißt nicht: ''über Antrag der Regierung wurde beschlossen'', sondern ,''auf Antrag' ''.
''Unweit'' — besser mit dem 2. als dem 3. Fall, obwohl beides sich bei den Klassikern findet.
$Seite 176$ ''Während'' — natürlich mit dem Zweitfall; in schlechtem Deutsch kommt ,''währenddem' '' vor.
''Wegen'' steht heute nur mit dem Zweitfall, also auch in Fällen wie ,''wegen Kohlenmangels' '' (vgl. S. 170). Der Drittfall ist landschaftlich, besonders süddeutsch, und gehört nicht in die Schriftsprache. — ,''Von wegen' '' ist Sprache des Volksmundes.
,''Zufolge des Befehls, dem Befehl zufolge' '': dies sind die schriftsprachlichen Fügungen; ,''zufolge dem Befehl' '' ist nachlässig. Daß statt ''zufolge'' in dieser Anwendung fast immer ''auf'' stehen kann, möge der Leser durch eignes Erproben bestätigen. Tadelnswert ist die Verwischung des Sinnes von ''zufolge''; es bedeutet: ''infolge von'', aber nicht: ''entsprechend, gemäß''; es weist auf eine Ursache, nicht auf eine Auskunftstelle. Also nur: ,''Nach'' (nicht: ''zufolge'') ''einer Mitteilung der Vossischen Zeitung ist der Minister . .' '' Übrigens genügt ja schon: ''Nach der V. Z.''
''Zu'', ein gewichtigeres Vorwort vor Ortsnamen als ''in'', wird jetzt fast gar nicht mehr gebraucht; schon der Abwechslung wegen sollte es öfter stehen. Wie matt klänge ,''In Aachen in seiner Kaiserpracht ..' '' Früher wurde nur geschrieben: ''Gegeben zu Berlin . .''
,''Zwischen mir und dir ist ein großer Unterschied' '' — dies ist die einzig zulässige Ausdrucksform; ,''zwischen mir und zwischen dir' '' ist für einen zeitgenössischen Schriftsteller grobe Schludrigkeit, z. B.: ,''Zwischen den Einzelnen und zwischen der Totalität der Nation' '' (Julian Schmidt). Die Berufung auf eine vereinzelte Nachlässigkeit bei einem Klassiker ist hier wie überall keine Entschuldigung für den Nichtklassiker von heute.
Bei den Vorwörtern mit 3. und 4. Fall (''an, auf, hinter, in, neben, über, unter, vor, zwischen'') gilt die altbekannte Grundregel: 3. Fall auf die Frage ''Wo?'', 4. Fall auf die Frage ''Wohin?'' Gegen diese Regel wird im allgemeinen selten verstoßen, nur gibt es hier ungefähr ebenso viele schwankende und zweifelhafte Fügungen wie fürs Zeitwort zwischen ''Haben'' oder ''Sein''. Die Entscheidung richtet sich je nach der Auffassung, ob es sich mehr um den Begriff der Ruhe, des Zustandes, oder mehr um den der Bewegung, der Richtung, der Hinzielung handelt. Es ist Sache der innern Anschauung, wofür $Seite 177$ man sich entscheiden will; nur sollte die Entscheidung nach einigem Nachdenken getroffen werden. Wo sie nach dem Urteil eines Lesers oder Sprachmeisters etwa nicht richtig getroffen ist, da spreche man nicht gleich von grobem Fehler oder Unsinn. ,''Das Feuer brennt mir auf den Nägeln' '' ist vielleicht nicht ganz so gut wie ,''auf die Nägel' '', aber ich würde nicht wagen, es falsch, geschweige denn Unsinn zu nennen. ,''Ich halte mich an deinem Wort' '' läßt sich gar wohl rechtfertigen mit der zugrunde liegenden Anschauung: ''ich halte mich an deinem Worte fest''; wogegen ,''ich halte mich an dein Wort' '' auf der Vorstellung ruht: ''ich berufe mich auf, ich stütze mich auf dein Wort'', und zwar mit einer darauf hinzielenden Bewegung. In solchen Fällen, wo feste Verbindungen mit einem bestimmten Falle vorliegen, haben wir nicht mehr zu deuteln, sondern dem ausgeprägten Sprachgebrauche zu folgen. Dieser schreibt nun einmal vor: ,''Ich halte mich an dich' '', und dies ist gutes Deutsch; ,''Ich halte mich an dir' '' wäre nicht falsch, wenn eben nicht der Sprachgebrauch den 4. Fall bevorzugte.
Das berühmteste Beispiel ist die allbekannte Stelle in Schillers Tell (Akt 4,3): ''Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen''. Vielen Millionen deutscher Schüler, so einst mir von dem trefflichen Albert Heintze, ist mit Aufbietung großen Scharfsinns auseinandergesetzt worden, daß und warum der 3. Fall von Schiller mit gutem Grunde gewählt worden sei, — meist ohne ein nachdenkliches Kind ganz zu überzeugen. Ein seltsamer Zufall hatte mich kurz vor Ausbruch des Weltkrieges zu einer Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin geführt, die mir des Rätsels erfreulichste Lösung zu bringen schien. Da stand in schöner, klarer Handschrift, die mir durchaus Schillerisch erschien: ''Auf diese Bank von Stein will ich mich setzen''. Leider war meine Freude über diesen Fund trügerisch gewesen: ein fälschender Abschreiber hatte Schillers berühmteste Gedichte und mehre Bruchstücke seiner Dramen, darunter den 4. Akt des Tell, täuschend ähnlich nachgeschrieben und entweder in den Handel gebracht oder verschenkt. Riemers Witwe hatte sie seinerzeit als echte Handschriften Schillers der Königlichen Bibliothek überwiesen. Trotz dieser Enttäuschung neige ich mich der Vermutung zu, ,''auf dieser Bank' '' ist nur ein Satzfehler in der Cottaschen Druckerei, den Schiller übersehen hat. Um den 3. Fall annehmbar zu machen, haben viele Erklärer geklügelt, Tell stehe schon an der Bank $Seite 178$ sitze wohl gar schon halb darauf, es walte also ein gewisser Zustand der Ruhe vor, woraus der Übergang ins völlige Sitzen mit Hilfe des 3. Falles leicht erfolgen könne. Gewiß, zur alleräußersten Not ließe sich dergleichen wohl ertifteln, nur daß große Dichter solche gewundene Gedankengänge für so einfache Vorstellungen nicht zu gehen pflegen.
Im übrigen aber kann man ''etwas auf der oder die Voraussetzung bauen, gründen, stützen''; man kann a''uf einem oder einen Grundsatz fußen''; kann ''jemand in einem oder einen Verein aufnehmen, auf einer oder eine Forderung bestehen, hinter einem oder einen zurücktreten, den Seidenbau in der oder in die Mark einführen'' — in jedem der beiden verschiedenen Fälle mit feinen Unterschieden der innern Anschauung. Ja selbst bei solchen Zeitwörtern, die auf den ersten Blick nichts von einer Bewegungstätigkeit zu enthalten scheinen, sind Fügungen mit dem 4. Fall nicht nur möglich, sondern in nicht seltnen Fällen eine größere Feinheit und zuweilen gradezu geboten. Es ist nicht falsch: ''Er schämte sich in tiefster Seele''; will man aber einem Schreiber verwehren, zu sagen: ''Er schämte sich in die Seele''? Sprachmeisterer haben auch solche untadlige Fügungen zu bemakeln gewagt.
Zu ''in'' muß gewarnt werden vor dem nicht deutschen, sondern englischen und französischen Gebrauch: ''in 1918''. Alle andre überhaupt mögliche Vorwörter dürfen so stehen: ''um, nach, vor, für 1918''; aber grade ''in'' nicht.
Bei ''über'' achte man auf die feine Anwendung des 3. Falles in Wendungen wie: ,''Er schlief über dem Lesen ein, Er vergaß über dem Lesen das Essen.' '' Dagegen selbstverständlich nur der 4. Fall in Sätzen wie: ,''Meine Freude über diese Nachricht war groß.' ''
Es gibt manche Schreiber, ja sogar einige ältere Sprachlehren, die glauben, die allbekannten Verschmelzungen von Vorwörtern mit Geschlechtswörtern seien weniger fein und eigentlich nur in der bequemeren Umgangs- und Schreibsprache zulässig. Das ist grundverkehrt. Die Formen ''am, im, beim, vom, zum, zur, ans, aufs, ins, vors, überm, übers'' usw. sind ebenso gut und fein wie die unverbundenen Formen und gehören zum festen und besten Bestande unsrer Sprache. Und wer die landläufigsten Ver- $Seite 179$ schmelzungen dieser Art wohl oder übel zuläßt, der mäkelt laut oder leise über einige seltnere, z. B. ''übers, hinterm, vorm''. Ich wüßte nicht, was zu sagen wäre gegen Goethes Spruch: ,''Übers Niederträchtige niemand sich beklage' '', oder gegen landläufige gute Wendungen: ,''hinterm Ofen, vorm Tode' ''. Nach Hunderten zählen die festgeprägten Verbindungen wie: ''aufs Haupt schlagen, beim Wort halten ans Herz schließen, zum besten halten'' usw. Im Gegenteil, es ist dringend zu warnen vor der sprachwidrigen Auflösung und Zerreißung von Ausdrücken, die nur in der bündigen Form ihre Wirkung tun, in der getrennten gespreizt und unnatürlich geziert klingen. Nur eitle, schlechte Schreiber ''fassen etwas in das Auge, sind mit der Geduld an dem Ende, bringen etwas an das Licht, wehren sich auf das Äußerste, nehmen etwas auf das Korn, unterhalten sich auf das beste''. Wo keine formelhafte Prägung vorliegt, kann natürlich, ja muß unter Umständen getrennt werden: ''Ich mache mich auf das Äußerste gefaßt, werde mich aber aufs äußerste dagegen wehren''.
Bei den ältern Schriftstellern, namentlich bei den Dichtern kommen noch ganz andre Verschmelzungen vor als die vorhin genannten, z. B. bei Goethe: ''aufn'' (''auf den''), ''aufs'' (''auf des''), ''zun'' (''zu den''). Solche Freiheiten sind dem heutigen Prosaschreiber nicht mehr erlaubt; allerdings ist die Formel ,''ums Himmels willen' '' noch heute gutes Deutsch.
Die Regel fürs (!) Unterscheiden zwischen zusammengezogener und getrennter Form in nicht festgeprägten Ausdrücken lautet: Die Verschmelzung ist nur zulässig mit dem tonlosen Geschlechtswort, also dem reinen Geschlechtswort, das nicht mit Nachdruck auf ein bestimmtes Hauptwort hinweist, darum besonders häufig da, wo nicht das bestimmte, sondern das unbestimmte Geschlechtswort zugrunde liegt. ,''Er ist im Fieber' '', d. h. ''in einem Fieber'', nicht ''in dem Fieber''; ,''Er ist am Herzschlag gestorben' '', ''an einem Herzschlag'', nicht ''an dem, an diesem''. Tritt zu einem Hauptwort ein zu dessen Ergänzung und näherer Bestimmung dienendes Beiwort oder ein Bezugsatz, so bekommt das Geschlechtswort Zielkraft, hört auf farblos unbestimmt zu sein, und alsdann wird die Auflösung notwendig oder doch ratsam. ,''Wir mußten uns im Augenblick entschließen' ''; aber: ,''Wir mußten uns in dem Augenblick entschließen, wo die Frage aufgeworfen wurde.' '' ,''Er kam am Dienstag an und reiste schon am Ankunftstage wieder ab' '' $Seite 180$ aber: ,''Er reiste an dem Tage, wo er angekommen war, wieder ab.' '' Zweifelfälle bleiben nicht aus, und den Dichtern ist Freiheit gelassen. Schillers Satz: ,''Zum Werke, das wir ernst bereiten' '', fließt natürlicher als die Auflösung ,''zu dem' '', und bei näherer Untersuchung finden wir, daß der Bezugsatz keine nachdrückliche nähere Bestimmung hinzufügt, die den Dichter zur Trennung hätte zwingen müssen. Wir aber werden schreiben: ,''Er schied zu früh von dem Werke, das sein ganzes Leben erfüllt hatte.' ''
In der Geschäftswelt entstanden und von da über alle Schreibenden verbreitet ist die widersinnige Zeitangabe ,''Am Mittwoch, den 12. November ..' '' Daß dies falsch ist und durch nichts verteidigt werden kann, sieht, einmal darauf hingewiesen, jeder ein; also weg damit und entweder: ,''Am .. dem''', oder kürzer, mit Weglassung des ,''am' '': ,''Donnerstag, den ..' '' Man braucht gegen solch altes Zöpfchen, das jeder bisher tragen zu müssen glaubte, nicht gleich loszuzetern: ,Abscheulicher Fehler . . Zeichen der immer mehr zunehmenden Verrohung unsers Sprachgefühls', natürlich aus der Feder solcher Zuchtmeister, die über solchem Splitterchen den klotzigen Balken der abscheulichen Verrohung unsrer Sprache durchs Welsch ganz gleichmütig mitansehen.
In der Umgangsprache, selbst in der guten, wird mit Recht kein Anstoß genommen an ,''Vom König und der Königin, Im Januar und den folgenden Monaten' ''. Aber auch die gute Schriftsprache darf sich solche notwendige Freiheiten nicht verbieten lassen, sondern getrost schreiben: ,''Im Garten und dem Hause herrschte Ruhe' ''. Das Sprachgefühl des Lesers sorgt ohne Störung für die richtige Ergänzung durch das in einem ''im'' steckende und empfundene ''in''.
Bei den Schmelzformen mit ''s'': ''ans, aufs, im, fürs'' steht ebensowenig ein Häkchen wie bei denen mit ''m'': ''am, im'' (vgl. S. 86).
Eine noch immer wachsende Zahl von Umstandswörtern nimmt vorwörtliche Bedeutung und Fügung an, und diesem Sprachtriebe soll man nur da entgegentreten, wo er auszuarten und die einfacheren Mittel zu verdrängen droht. Solch Fall liegt vor bei ''seitens''. Es ist zwar noch lange nicht ,der größte Greuel' und ,eine wahre Krankheit am Leibe unsrer $Seite 181 $Sprache' — der Leser kennt die einzige wahre Krankheit des Deutschen; aber in neuerer Zeit nimmt ''seitens'', besonders in der Amtsprache, derart überhand, daß ihm Einhalt geboten werden muß. Im Kanzleistil steht es beinah grundsätzlich an Stelle des ''von'' oder einer noch schlichteren, vorwortlosen Fügung. Selbst die unterste Behörde ''tut selber'' nichts, sondern alles ''wird von'' oder noch lieber ''seitens der Behörde'' getan. Anstatt: ,''Der Nachtwächter tat sofort die nötigen Schritte' '', was zwar genügt, aber nicht kanzleifein genug klingt, heißt es: ,''Seitens des Nachtwächters wurden ..' '' Der Mißbrauch fließt aus einer reichen unterirdischen Quelle: der Kanzleibeamte bis hoch hinauf will nicht erkennbar mit seiner Person hervortreten; der niedere will sich mit irgendwelchem Sprachmittelchen erhöhen, der obere sich aus Furcht vor einer Bloßstellung dahinter verstecken. Daher nicht bloß die Satzverrenkung aus dem einfachen: der unterzeichnete Beamte — Nachtwächter, Schreiber, Vorsteher, Staatssekretär — erachtet, bemerkt, erwidert; sondern so wolkig allgemein wie möglich, also nicht in klarer Tatform: ''ich erachte'', sondern in der weniger klaren Leideform: ''es wird erachtet'', und die Person hinter Wortschleiern verhüllt. ''Seitens der Verwaltung wird . .'', oder noch verschwommner: ''Diesseits wird . ., Von seiten der . . wird ..'' An sich wäre ''seitens'' unter Umständen gar nicht so verwerflich; der stete Gebrauch hat es zum Mißbrauch gestempelt, so daß ein guter Schreiber, auch in den Kanzleien, sich davor hütet.
Nicht besser steht es um die Verbindungen mit ''.. seits''. Ein gelegentliches, vereinzeltes ''meinerseits, unserseits'' ist zur Not erträglich, allerdings unedel; das so ziemlich an jedes Beiwort, wohinter ein Hauptwort steckt, angeklebte ''seits'' ist stroherne Kanzleisprache, nicht Menschenrede: ''kirchlicherseits, universitätlicherseits, städtischerseits'' — es ist wirklich mit das Äußerste, was an Unsprache geleistet wird.
Fast auf derselben Stufe steht ''anläßlich''; es verdrängt vielfach das einfache und natürliche ''bei'', aus einer Wichtigtuerei, die sich mit Vorliebe der sprachlichen Breite bedient. Wir werden beim Kanzleistil noch eingehender mit ihr zu tun haben. ,''Bei diesem Feste wurde die Anregung zu einem Denkmal gegeben' '' verwandelt sich in: ,''Anläßlich dieses Festes . .' ''
$Seite 182$ Was gegen ''anläßlich'' zu sagen ist, richtet sich auch gegen andre unechte breitspurige Vorwörter, wodurch, besonders in der Kanzleisprache, die echten kurzen Vorwörter verdrängt werden: gegen ''behufs'' statt ''zu'', ''hinsichtlich'' statt ''für'' oder ''wegen'', ''bezüglich'' (''in bezug auf'') statt ''über'' usw. Der Nichtkanzleischreiber schreibt dergleichen verblasene Streckwörter nicht, der sich und sein Amt achtende Kanzleimann sollte sie nicht schreiben.
''Ausgenommen'' steht besser mit dem 1. als dem 4. Fall: ,''Sie waren alle da, sein Diener ausgenommen. — Keiner, ausgenommen mein Freund, hat sich daran beteiligt.' '' Bei Zeitwörtern, die einen bestimmten Fall verlangen, wird ''ausgenommen'' zum Umstandswort und verliert seinen Einfluß auf die Beugung: ,''Ich erinnere mich jedes einzelnen Tages, ausgenommen des letzten' ''; doch wäre hier ,''den letzten ausgenommen' '' nicht falsch.
Bei ''dank'' muß die einreißende Fügung mit dem Zweitfall ebenso wundernehmen wie bei ''trotz''; man sollte denken, der noch deutlich gefühlte Innensinn des Wortes müßte den Drittfall schützen. Es darf nur heißen: ,''Dank dem Fleiße, dank dem schnellen Eingreifen.' ''
Die Vorwörter ''diesseit, jenseit'' bleiben besser ohne ''s'': ,''diesseit der Berge, jenseit des Flusses' ''; aber umstandswörtlich: ,''Diesseits herrscht Dunkel, jenseits Licht.' '' Der Unterschied droht zu verschwinden, verdient aber Beachtung.
Umstandswörter für Ortsbezeichnungen: ''links, rechts, nördlich, südlich, nahe, unfern, unweit'' sind dem allgemeinen Triebe verfallen und auf dem Wege zum Vorwort. Daß manche Pritschmeister die Sprache ob dieses ,Fehlers' rüffeln, ist ihr gleichgültig, denn sie weiß nichts von einem innersten Unterschiede zwischen Umstands- und Vorwort, sondern sorgt nur für die Befriedigung ihres Fügungsbedürfnisses. Die meisten heutigen Vorwörter, z. B. ein jetzt so ,echtes' wie ''wegen'', stammen ursprünglich aus andern Redeteilen. Heute noch für rückständige Sprachlehrer ,ein Fehler ist es doch', morgen schon eine sprachliche Selbstverständlichkeit. Unsre besten Heeresschreiber, z. B. Moltke, sagen kurz und bündig ,''links und rechts der Elbe' '', und diesem Gebrauche beginnen ''nördlich, südlich'' zu folgen. Wer das jetzt noch für falsch hält, ist ja nicht gezwungen, so zu schreiben; er hüte sich aber, einen Schreiber mit anderm Sprachgefühl zu $Seite 183$ schelten. Die Bewegung ist im Fluß und nicht mehr rückzustauen.
Das Gleiche gilt für ''unfern, unweit''. Von Rechts wegen, sagt der Zuchtmeister, dürfen sie nur als Umstandswörter gebraucht werden, nämlich von Zuchtmeisterrechts wegen; aus ihrem eignen höheren Recht macht die Sprache sie zu Vorwörtern, und wir haben nur noch zu wählen zwischen ,''unfern dem Walde' '' und ,''des Waldes' ''. Der Sprachgebrauch selbst hat sich noch nicht einseitig entschieden, also hat sich die bescheidne Sprachlehre zu bescheiden. Übrigens stehen diese Wörter mindestens seit dem 18. Jahrhundert als Vorwörter ohne ''von'', und der überall Fehler aufstöbernde Meisterer muß mit seinem ''Von Rechtswegen'' schon gegen alle unsre Klassiker einschreiten. Schiller schreibt: ''unweit dem Flecken'', Goethe: ''unfern des Tores''. Der Meisterer verlangt: ''unweit von, unfern von''.
Schön ist ''mangels'' vielleicht nicht: ,''mangels genügender Einnahmen' '' ist leicht zu ersetzen durch: ,''beim Fehlen' '' oder ,''wegen nicht genügender Einnahmen' ''; aber die Sprache strebt nach Kürze und macht mit der Zeit aus Unschönem etwas Gewohntes und Unanstößiges. Wem ''mangels'' zuwider ist, der meide es, bilde sich aber nicht ein, daß die Sprache sich dauernd hindern lasse, solche ihr bequeme Hilfen des Ausdrucks zu benutzen. So hat sie neben ,''im Namen' '' sich ,''namens' '' gebildet und durchgesetzt. Der Sprachforscher und der Sprachfreund haben ihre Freude an solchen rastlosen Betätigungen des Schöpferdranges der Sprache; der Beckmesser steht an seiner Merkertafel, kreidet Fehler über Fehler an und keift: Versungen!
Nicht aus dem Safttriebe der Sprache, sondern aus dem Aktenstaub der Kanzleien ist ''zwecks'' hervorgegangen; es kommt bei keinem guten Schriftsteller vor, sondern einzig in der Sprache unterer Behörden und schlechtgeschriebener Zeitungen. Für ''zwecks'' liegt auch kein sprachliches Bedürfnis vor, ''denn zu, über, für'' usw. genügen vollauf in jedem Falle. ,''Bestrebungen zwecks besserer Beleuchtung' '' statt ,''zu besserer ..' '', ,''Zwecks stärkerer Abschlachtung der Schweine wird verordnet ..' '' statt: ,''über die . ., zu der . .' ''
Wenn ein so großer Teil des Volkes wie der Handelstand zur (nicht ''zwecks''!) schärferen Veranschaulichung eines Geschäftsverhältnisses ein schon vorhandenes einfaches Wort, ''ab'', $Seite 184$ in neuer Anwendung wählt, so ist dagegen nicht zu wettern mit ,Schrulle des niedrigen Geschäftstils', um so weniger als grade der Großhandel sich des harmlosen Wörtchens bedient: ,''Die Fracht ab Berlin Anhalter Bahnhof, ab Hafen beträgt ..' '' Wird dieser bequeme Gebrauch der Geschäftsprache nicht verallgemeinert, so ist er so ungefährlich wie viele andre Eigentümlichkeiten von Fachsprachen. Ins Schriftdeutsche ist dieses ''ab'' noch nicht eingedrungen. Daß ''ab'' als Vorwort nichts Undeutsches ist, beweisen Eigennamen wie ''Abderhalden''; auch sagt man im Alemannischen und Schwäbischen heute vielfach: ,''Geh' ab dem Tisch!' ''
Schwierigkeiten bereitet eine Fügung mit ''als'' bei Substantivierungen. Die Verbindung eines Hauptwortes mit einem zum darin liegenden Verbalbegriffe gehörigen Aussageworte wird nämlich verwechselt — und kann es nur zu leicht — mit der Beziehung eines Hauptwortes zu einem anderen, das als Ergänzung zum Zeitwort oder als Beifügung wieder zu einem Hauptworte gehört.
Die erste Art der Fügung, ein Aussagewort in einer Substantivierung, wird man in einem Ausdrucke erkennen dürfen, wenn er sich in einen Satz mit dem betreffenden Worte als prädikativem Zusatze im bloßen ersten oder vierten Fall oder von einem der Wörtchen ''als, für, zu'' getragen auslösen läßt, und dann ist allein der erste Fall natürlich. So heißt es also richtig: ''die Verdienste Humboldts als Naturforscher ''(= Humboldt hat sich als Naturforscher verdient gemacht). Nicht gut aber schrieb die Augsbg. Allg.: ''Der Rektor sprach über das Wirken Sybels als akademischen Lehrers'' (= Sybel wirkte als akademischer Lehrer), und noch weniger die Tgl. R.: ''In der Aufstellung dieses Gesichtspunktes''*//1 Vgl. über die Bedeutung des * im folgenden S. 122, 1. Anm.// ''als des Grundprinzips alles Strafrechtes'' (= der Gesichtspunkt wird durch die Aufstellung erst das Prinzip). Natürlich kann dieser Nominativ auch neben Akkusativen und Dativen stehen: ''Man wünschte ihm Glück zu seinem Wirken als akademischer Lehrer'', aber nicht: ''als akademischen Lehrers'', noch auch wie man jetzt oft genug liest, mit einem nicht nur überflüssigen, sondern falschen Streben nach Kongruenz: ''als akademischem Lehrer''. Richtig schrieb also Prof. Fr. Ratzel: ''Vielleicht ist der Versumpfung des Sterzinger Beckens die zeitweilige Bevorzugung des Jaufens als Nebenpaß des Brenners zuzuschreiben'' und ganz neuerdings H. Johst: ''Sicher bist du auf diese Weise vor dem Versimpeln als Beamter bewahrt'', und K. A. Findeisen: ''daß du um einer Schwachheit und Unwürdigkeit als Diener am heiligen Wort willen das beste Stück unsers Erdenanteils von uns gefordert hast''. Unanfechtbar sind auch alle die Zeitungsausdrücke: ''die Stellung des Mannes als Führer im Parlament, die Einführung des naturgeschichtlichen'' (!) ''Unterrichtes als obligatorisches Fach; er wurde zuerst auf die Bedeutung Menzels als schöpferischer Künstler und als würdiger Regenerator der Formschneidekunst aufmerksam gemacht''; mit allen drei obliquen Kasus: ''Er gedachte des Fürsten zunächst in seiner Bedeutung'' $Seite 228$ ''als Feldherr, würdigte ihn dann in seiner Bedeutung als weitblickender Politiker, wurde ihm aber kaum gerecht mit seiner Würdigung als Landesvater''. Übrigens steht nicht immer neben den substantivischen Fügungen ein aus genau denselben Worten gefügter Satz, weil den verhältnismäßig wenigen Verben des eigentlichen Seins eine größere Mannigfaltigkeit substantivischer Wendungen gegenübersteht; und doch wird man Beispiele wie die folgenden ebenso erklären nicht nur dürfen, sondern müssen: ''das Märchen von seinem widrigen Schicksal als armer Edelmann. Man hatte ihm die Stelle als Legationsrat angeboten'' (''er solle Legationsrat werden''). ''Sooft Dr. Emin in seiner Eigenschaft als ägyptischer Beamter mit den Untergebenen verkehrte'' (Junker); ''um Enthebung von Ihrem Amte als mein geheimer Kabinettsrat'' (Wilh. II. an v. Valentini); ''Wir wollen ihn nicht auf seiner weiteren Laufbahn als Publizist im großen Stile'' (das ist er auf ihr geworden!) ''begleiten''. Wie E. Förster allein richtig geschrieben hat: ''Jene Gemälde begründeten den Ruf König Ludwigs I. als Beschützer der deutschen Kunst'' (er wurde erst seitdem so genannt), hätte auch die Tgl. R. schreiben sollen: *''Die Aufstellung des Fürsten Bismarck als Kandidat im Reichstagswahlkreise Geestemünde ist Tatsache'', und nicht ''Kandidaten'' (nicht B., der dortige Kandidat, wird ausgestellt, sondern durch die Ausstellung wird er erst Kandidat. Selbst Wendungen wie: ''Goethes Kraft als lyrischer Dichter: Goethes Bedeutung als Deutscher'' (Gg. Sprengel); ''Schillers Wirken als Dramatiker; sein Beruf als Künstler; in seiner Stellung als Beamter; die Verhältnisse, welche dem Fürsten schon in seiner Eigenschaft als Generaloberst eine dienstliche Meldung beim Kaiser vorschrieben; Voltaires Charakter als Mensch; im Hintergrund der Seele das neugeborene Selbstgefühl der Seele als Deutscher'' (R. Hildebrand); ''Es gelang nicht, den Glauben an seine Persönlichkeit als moralischer Führer zu verankern'' (E. Ludwig); ''Die großen Ströme hatten an ihrem imponierenden Charakter als Hindernisse eingebüßt'' (Hindenburg); ''Österreichs Ruhm''//1 Ein Beispiel für doppelt falsche Fügung der Worte: ''Ruhm als'' stand z. B. in der Tgl. R.: ''A. Bisson verzichtet, dem alten Aristophanes seinen Ruhm als größten'' (statt ''größter'', oder nach alter pedantischer Theorie wenigstens ''größtem'') ''aller Possendichter streitig zu machen''.// ''als große, kaiserliche, militärisch-diktatorische Macht ist dahin'' — selbst solche Wendungen also gehören in die nämliche Reihe mit den vorher betrachteten, mögen sie immerhin hart an der Grenze stehn und deshalb darin die Heranziehung an einen vorhergehenden Kasus, d. h. ein Übertritt auf die andere Seite gar leicht erklärlich sein. Aber richtig mußte man schreiben: ''Die Griechen schufen aus Naturwissenschaften Naturwissenschaft, eigentliche Naturerkenntnis, d.h. Erkenntnis der Natur als Ganzes'' (nicht wie K. Joel: ''als Ganzem''); ''bei Varunas angeblichem Wesen als ursprünglicher Mondgott'' (statt: ''ursprünglichem M''., wie öfter H. Güntert); ''Zeichen, die der Auffassung der Menschheit als'' (''ein'') ''im Werden begriffener Organimus widersprechen'' (statt wie E. Liljedahl: ''als einem — begriffenen O''.). ''Die Angst vor der Entlarvung der reinen Machtgier als einziger Beweggrund der politischen Haltung der Linken'' (statt wie die D. Zeitung: ''als einzigen Beweggrund'', was weder Wemfall ist [wie ''Entlarvung''] noch Wesfall [wie ''Machtgier'']); ''Weite Schichten der Arbeiterschaft erkennen immer mehr die Notwendigkeit des Kapitals als Motor'' $Seite 229$ (statt wie W. Schlüter ''als Motors''); ''Mit den Namen Kierkegaard und Herrman ist Haecklers Name als Übersetzer und Interpret'' (statt wie die DAZ. 28: ''Überestzers und Interpreten'') ''seit langem verknüpft; Das ist nicht Angelegenheit des Künstlers als Künstler'' (statt wie W. Schlüter: ''als Künstlers''); ''Einführung der Familienhilfe als freiwillige'' (nicht wie der Reichsarbeitsminister: ''freiwilliger'') ''Leistung''.
Zur Schriftform ist hier zu wiederholen: wir sprechen ''sechzehn, sechzig'' und haben auch so zu schreiben. — Niemand, außer den Fernsprechbeamtinnen, spricht ''siebenzig'', also dürfen wir nicht so schreiben, vielmehr ''siebzig''. — Es heißt in gutem Deutsch nicht ''der Siebte'', sondern ''der Siebente''.
In manchen Sprachbüchern stehen Warnungen vor der Aussprache ''funfzehn, funfzig''. Wer im glücklichen Besitz einer Reichsbanknote von 50 Mark ist, sehe sich einmal an, wie die Zahl in Buchstaben geschrieben steht! Was auf Millionen so wertvoller Urkunden steht, wird nicht falsch sein. Es ist auch nicht falsch, denn in Deutschland wird weit häufiger ''funfzig'' als ''fünfzig'' gesprochen, und — man kann es nicht oft genug sagen — Sprache kommt von Sprechen, nicht von Schreiben. Nach meinen Wahrnehmungen sprechen die meisten Deutschen aus ''funfzehn'', wenn nicht gar ''fumfzehn''; ein Zwang, ''fünfzehn'' zu schreiben, besteht auf keinen Fall.
Es ist ebenso richtig: '',in zweieinhalb Stunden' '' wie: '',in zwei und einer halben Stunde' ''. — Da es wirklich Menschen gibt, die ''anderthalb'' für nicht ganz fein halten, so sei hier versichert, daß es genau ebenso fein ist wie ''eineinhalb''.
''Zwei'' und ''drei'' können im Zweitfall der Mehrzahl gebeugt werden: '',die Gegenwart zwei oder zweier'' (''drei oder dreier'') ''bedeutender Männer' ''. Bei den höheren Zahlen ist die Beugung ungebräuchlich, und man muß zu einer Fügung mit ''von'' greifen: '',in Gesellschaft von sechs Freunden' ''.
Wendungen wie ''Stücker zehn'' sind nicht falsch, aber nicht für fein gehaltenes Schriftdeutsch.
Man merke: '',hundert und eine Stimme, tausend und eine Nacht' ''; aber ''hundert und zwei Stimmen' '', denn die Endzahl ist maßgebend. Daher: '',Er wurde mit hundert und einer Stimme gewählt' ''.
Schon seit einem reichlichen Jahrhundert gilt ''zwei'' für die drei Geschlechter. Schriftsteller, die einmal die Glocken haben $Seite 154$ läuten hören von ''zween'', ''zwo'' und hiermit gelegentlich altertümeln wollen, seien bedeutet, daß ''zween'' nur bei männlichen, ''zwo'' bei weiblichen Wörtern stand. Die sächliche Form ''zwei'' hat die beiden andern völlig verdrängt.
Daß ''dreidoppelt'', ''vierdoppelt'' sinnwidrig, also in der Schriftsprache unzulässig sind, begreift jeder, den man einmal darauf hingewiesen.
Daß ''einzig'' keine Steigerung duldet, also nicht etwa: ''die einzigste Ausnahme'', wurde schon erwähnt (S. 135).
Hier und da bin ich Warnungen vor dem einfachen ''mehre'' statt ''mehrere'' begegnet. Ich kehre mich nicht daran, sondern schreibe regelmäßig: ''mehre Menschen, mehrer Menschen''. Ich bin überzeugt, daß die, übrigens flüchtige und verschleifende, Aussprache ''mehrere, mehrerer'' nicht als eine innere Notwendigkeit empfunden, sondern nur der pedantischen Schriftform nachgesprochen wird. ''Mehrere'' wird jetzt oft durch ''mehrererere'' verulkt, — ein sichrer Beweis, daß die Sinnlosigkeit dieser Steigerungsform erkannt wird. Übrigens kann ich mich für die gekürzte Form auf mehre Beispiele bei Lessing, Goethe, Schiller berufen. ''Mehrere'' kommt in den ältern Zeiten unsrer Sprache überhaupt nicht vor.
Die unbestimmten Zahlwörter ''ein paar, ein wenig, ein bißchen'' bleiben unbeugbar: '',Mit ein paar Groschen reichte er einen ganzen Tag. — Alles hängt von ein wenig Geduld ab. — Aus ein paar angenommenen Worterklärungen, mit ein paar gereimten Zeilen, mit ein paar Worten'' (Lessing). ''— Nur mit ein bißchen Freude' '' (C. F. Meyer). ''Ein bißchen'' findet sich allerdings zuweilen mit gebeugtem Drittfall: ''mit einem bißchen'', weil der eigentliche Sinn noch lebendig ist. In der Bedeutung ''klein, gering'' kann ''wenig'' wie ein Beiwort gebeugt werden: '',in weniger Zeit, als nötig war' ''.
Es kann nicht schaden, wenn hier die Warnung der Sprachlehre wiederholt wird, ''ein paar Groschen'' und ''ein Paar Stiefel'' sprachlich und schriftlich zu unterscheiden: '',Mit ein paar Groschen kommt man nicht so weit wie mit einem Paar Stiefel' ''.
'',Der Kuchen wird alle' '' — darf man so sagen? Sagen wohl, aber nur in der Umgangsprache und zur Not in einer Alltagsrede; nicht in einem gehobenen Vortrag, noch weniger in der feineren Schriftsprache.
Viel schwankt zwischen Beugung und Nichtbeugung; die $Seite 155$ ungebeugten Formen überwiegen: '',viel Geld, mit viel Geld' '', allerdings auch '',mit vielem Geld' ''. In der Mehrzahl stehen nebeneinander: ''wieviel Menschen'' und ''wieviele Menschen''. In Zusammensetzungen mit hauptwörtlichen Beiwörtern sind gleichberechtigt: ''viel Schönes'' und ''vieles Schöne''; ebenso: ''mit viel Schönem, mit vielem Schönen''. Goethes Fügung: '',Mit wenig Witz und viel Behagen' '' ist noch heute gutes Deutsch.
'',Aller Wein, aller gute Wein; mancher große Dichter' ''; aber bei mehr als einem nicht schlechten Schreiber stößt man auf '',mancher großer Dichter' '' und muß dergleichen mit Rücksicht auf das immerwährende Schwanken zwischen starker und schwacher Beugung der Beiwörter hinnehmen.
Unter den Ordnungszahlen macht ''der Dritte'' recht unliebsam von sich reden: wir hören immer von ihm, bekommen ihn aber nie zu sehen. Dieser ''Dritte'' ist in Wahrheit nur ein Zweiter oder ein beliebiger Andrer, und man sollte endlich aufhören, völlig sinnlos zu schreiben: ,''Jeder darf mit seinem Grundstück machen, was er will, sofern er nicht die Rechte Dritter verletzt''.' Darf er etwa die Rechte eines Zweiten ungestraft verletzen? Dieser nichtvorhandene ''Dritte'' steht auch mehr als einmal im Bürgerlichen Gesetzbuch, z. B. im § 839: ,''Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten'' (Andern) ''gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten'' (ihm!) ''den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen''.' — Der ''siebte'' ist mundartlich.
''Der Hundertste'' oder ''der Hunderte''? Auch die zweite Form ist gut belegt und muß gelten. — Wie ist der ''101''. auszusprechen? Unbedingt ''der Hunderterste'', nicht ''der Hunderteinte''.
Der ''achtzigste Geburtstag'' ist nicht der ''achtzigjährige Geburtstag''; dagegen darf man fehlerlos von einer ''hundertjährigen Gedenkfeier'' gleichwie von einer ''fünfzigjährigen Tätigkeit'' sprechen (vgl. S. 120). Das Bedenken, daß die Gedenkfeier doch nicht 100 Jahre lang daure, ist Kleinigkeitskrämerei, über die sich der gute Sprachgebrauch längst hinweggesetzt hat.
Es heißt richtiger ''der wievielte'' als ''der wievielste''.
Einige Ähnlichkeit mit dem unmöglichen ''Dritten'' haben ''die Ersteren'' und ''die Letzteren'', also Steigerungsformen $Seite 156$ der höchsten Steigerung. Sie haben beide keine sprachliche Berechtigung, dienen keinem wirklichen Bedürfnis. ''Erster'' und ''Letzter'' genügen zum klaren Verständnis vollauf. Lächerlich wirkt ''der Letztere'', wenn es sich garnicht um die Wahl zwischen Zweien handelt, so z. B. wenn Ebers einmal schreibt: ,''Xanthe näherte sich dem Kranken. Dieser letztere . .' '' Der Leser begreift, daß in solchen Sätzen ''letztere'' ganz überflüssig ist. In den meisten Fällen genügt die Unterscheidung mit ''dieser'' und ''jener''. Es gibt Schreiber, die kaum je von diesen nutzlichen Fürwörtern Gebrauch machen, sondern nur ''ersterer'' und ''letzterer'' kennen. — Ebenso überflüssig und schlecht zugleich ist ''welcher letztere'' oder ''welch letzterer''.
Die höchste Steigerungsform von ''viel'' heißt heute ''meist'', also ''die meisten''; Lessing schrieb noch ''die mehresten'', und im Volke wird heute zuweilen ''das mehrste'' gesprochen; die Schriftsprache lehnt das ab.
Endlich sei eine störende Breitspurigkeit in dem Zahlenwesen bei Preisangaben gerügt. Wenn ein halbes Pfund Hafergrütze ''18 Pf''. kostet, so soll man dies sagen und nicht ''0,18 M''. oder ''M. 0,18'' schreiben, und wenn irgend etwas ''eine Mark'' kostet, so hat das auszusehen: ''1 Mark'', aber nicht ''1,00 Mark'' oder ''Mark 1,00''.
Ziffern sollten nur geschrieben werden, wo gerechnet oder eine Zeitangabe gemacht wird: ,''Er hat 17 Kühe für 5000 Mark verkauft' ''; aber nur: ,''Er hat zwei Brüder und drei Schwestern. Er kam am 17. November um 4'' (oder ''vier'') ''Uhr zu uns.' '' Ein Satz wie: ,''Ihr Herz blutete aus 1000 Wunden' '' wirkt drollig, denn diese Wunden sind doch nicht genau gezählt. — Über römische oder arabische Ziffern vgl. S. 89.
Auch beim Zeitworte ist der Kampf zwischen einer sogenannten starken und einer schwachen Form zu beobachten. Stark gebeugt (konjungiert) heißen hier die Wörter, von denen das Imperfektum //2 Daß ich trotz der absichtlichen Beibehaltung dieser — für Lehrende und Lernende
bequemeren — Bezeichnung vom Präteritum auch etwas weiß, wird unten meine Darstellung der Tempuslehre zeigen; es sei aber auch gleich hier für solche Germanisten bemerkt, welche das alleinige Heil in der Anwendung des zweiten Ausdruckes erblicken.// (die erste Vergangenheit) durch Ablaut und das zweite Partizipium (das Mittelwort der Vergangenheit) mit der Endung ''-en'' gebildet wird: ''ich liege, ich lag, gelegen; ich binde, ich band, gebunden''; schwach aber die, von denen das Imperfekt auf ''-te'' oder bei Stämmen auf ''d, t'' oder ''muta + m'' oder ''n'' auf ''-ete'' und das zweite Partizip auf ''-t'' oder ''-et'' gebildet wird: ''ich lebe, ich lebte, gelebt; ich rede, ich redete, geredet'' //3. Diese Bildung ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen, daß dem Papiermenschen z. B. ein richtigeres ursprünglicheres ''ich redte'' bei Gellert befremdlich vorkommt. Im Volke hört man freilich derartiges noch, in Süddeutschland auch in besserer Umgangssprache; über Berchtesgaden bei Gern steht auf gut stilisierter und ausgeführter Tafel: ''des ehrengeachten Herrn N. N.'' — Aber auch in der Schriftsprache ist es unnatürlich, wenn bei andern als den oben genannten Stämmen (''reden,retten, leugnen'') diese zerdehnte Form erscheint: ''ich lobte, gelobt, du lobst, er-, ihr lobt'' heißt es, nicht ''lobete, gelobet, du lobest, er lobet'', wenn auch seit Adelung noch von manchem Grammatiker die zweite Form der ersten gleichgestellt wird.// Die schwache Biegung, die nach der noch vorherrschenden Erklärung auf Zusammensetzung mit dem Stamm von ''tun'' beruht (''ich liebte'' etwa = ''ich lieben tat''), ist die jüngere, überwiegt aber jetzt durchaus und ist gegen- $Seite 89$ über der starken, die sich durch reichen Lautwechsel in viele Unterabteilungen spaltet, so einheitlich, geschlossen und durchsichtig, daß sie durch ihre schon dadurch gewonnene Kraft, als Muster zu wirken, gar manchmal Redende und Schreibende verführt, ihre Art im BedürfnisfaIl auf starke Verben auszudehnen, besonders auf nicht zu häufig vorkommende. Sie handeln dann vereinzelt noch im vorgerücktem Alter, wie überaus oft die — Kinder, die jeder kann hundertfältig schwache Mißbildungen hervorbringen hören, ehe sie nach immer wiederholtem Hören des Richtigen die schwierigen starken Formen zu sicherer Verfügung haben. Darum sind aber auch solche Formen, wenn sie vereinzelt im Schrifttum auftreten, zu rügen; denn während vor reichlich hundert Jahren der alte Adelung in dem Vordringen schwacher Formen, die ihm die allein regelmäßigen waren, in starke Stämme, die er ebenso allgemein als unregelmäßig ansah, eine Verfeinerung durch die aufgeklärteste und ausgebildetste deutsche Mundart erblickte, empfinden wir die freilich nicht zu leugnende Bedrohung der starken Biegung als einen dem Formenreichtum und der Klangschönheit der Sprache drohenden Verlust und wehren ihm möglichst, freuen uns dagegen doppelt über ein oder das andere Zeitwort, das aus einem ursprünglich schwachen zu einem starken geworden ist.
Eine vollständige Formenlehre des Zeitwortes kann und soll hier nicht gegeben werden; dazu ist eine Sprachlehre notwendig, deren Besitz und Gebrauch vorausgesetzt werden.
Dutzende von Zeitwörtern haben schwankende Beugung, worüber die Sprachlehre Auskunft gibt; hier wird nur versucht, festzustellen, für welche Beugeformen sich der heutige gute Gebrauch entschieden hat oder zu entscheiden beginnt. Nicht mein oder irgendeines Einzelnen Geschmack, sondern nur der einer deutlich erkennbaren überwiegenden Mehrheit der Gebildeten gibt den Ausschlag.
Die beiden allbekannten Hauptarten der Zeitwortbeugung heißen seit Jakob Grimm sinnvoll die starke und die schwache, und diese Bezeichnungen werden hier aus Zweckmäßigkeitsgründen beibehalten. Der sprachlich ungelehrte Leser präge sich als deutlichste Unterscheidungsmerkmale ein: die Erzählform der schwachen Beugung lautet auf ''..te'' (''ich liebe, ich liebte''), die der starken wird durch innern Ablaut gebildet: ''ich komme, ich kam''. Die zweite Mittelform lautet für die schwache Beugung auf ''..t'' (''geliebt''), für die starke auf ''..en'' (''gekommen''), wozu, wie für die Erzählform, in den meisten Fällen der Ablaut kommt: ''ich leide, gelitten; ich sende, gesandt; ich liege, gelegen''. Man könnte also die starke Beugung die Ablauts-, die schwache die t-Beugung nennen.
Die Zahl der schwachgebeugten Zeitwörter überwiegt jetzt die der starken so sehr, daß die Meinung entstehen konnte, die schwachen Zeitwörter seien die regelmäßigen, die starken die Ausnahmen, wie ja die Einteilung für die fremden Sprachen allgemein lautet. Im ältern Deutsch war das Zahlenverhältnis umgekehrt: die schwachen Zeitwörter bildeten die, zwar nicht vereinzelten, aber immerhin wesentlich seltneren Ausnahmen, so daß schon aus der Verschiebung dieses Ver- $Seite 196$ hältnisses sich die unleugbare Tatsache ergibt: der Entwickwicklungsweg der Zeitwortbeugung geht heute auf die stete Vermehrung der regelmäßigen t-Formen, auf die Minderung der unregelmäßigen Ablautungen. Der Ausnahmen von dieser Richtung sind wenig; wir werden einige wichtige weiterhin zu betrachten haben. Als bekanntestes Beispiel sei schon hier genannt das vielumstrittene ''ich frage, du fragst, ich frug'' gegenüber dem ältern und noch heute für sprachrichtiger erklärten ''ich frage, du fragst, ich fragte''. Nicht umstritten ist heutiges ''ich preise, ich pries, gepriesen'' gegenüber dem ursprünglich schwachen ''ich preise, ich preisete, gepreist'', was sich in ''gelobpreist'' erhalten hat.
So groß war schon im 18. Jahrhundert das Übergewicht der schwachen Beugung über die starke, daß die damaligen Sprachmeister, die ja grundsätzlich nicht den herrschenden Gebrauch bei den Besten, sondern nur ihre eigne, angeblich wissenschaftliche, Meinung gelten ließen, auf den Gedanken verfallen konnten, man müsse die Regelmäßigkeit möglichst vermehren, denn sie sei gleichbedeutend mit Richtigkeit; die Unregelmäßigkeit sei Unart und Unrichtigkeit; diese müsse ausgemerzt werden, und dazu seien die Sprachmeister berufen, nicht etwa die großen Schriftsteller. So dachte Gottsched, so dachte Adelung. Ihre Selbstherrlichkeit war so unerschütterlich, daß das Beispiel aller andern Sprachen mit regelmäßigen und unregelmäßigen Zeitwörtern sie nicht irre machte. Das Versinken mancher starker Beugung ist auf ihre Lehre und Ausübung zurückzuführen.
Im allgemeinen gilt noch heute: die starken Beugeformen werden wirklich als die stärkeren, gewichtigeren, wirksameren empfunden, daher von den Dichtern und den Schreibern des hohen Stils überall da bevorzugt, wo sie noch nicht gänzlich veraltet sind. Ja man erkennt überhaupt den sorgsam wählenden, den sprachliebenden Schriftsteller, den Feind der Flachheit und Abgedroschenheit mit daran, daß er in jedem Zweifelfalle die starke ältere Form bevorzugt, wo sie noch natürlich klingt, nicht den Eindruck des Gesuchten, des absichtlich Altertümelnden macht. Sich dem Entwicklungsgange der Sprache in der Zeitwortbeugung starr entgegenzustemmen, ist ebenso verkehrt und hoffnungslos wie auf jedem andern Gebiet unsrer Sprache. Wohl aber hat der nachdenkliche deutsche Schreiber, der in seiner erlauchten Muttersprache nicht ein bloßes Ver- $Seite 197$ ständigungs-, sondern zugleich ein edles Kunstmittel sieht, Recht und Pflicht, an seinem Teil, ohne bevormundende Aufdringlichkeit, jede gute kraftvolle alte Zeitform in ihrem Bestande zu stützen, wo es irgend angeht, nicht weil jene Form die ältere ist, sondern weil sie dem ganzen Ausdruck mehr Saft und Mark verleiht. Man erprobe selber die Steigerung des Stils in Sätzen mit gehobenem Inhalt an den Doppelformen: ''glimmte, glomm; klimmte, klomm; webte, wob; schallte, scholl; triefte, troff; gerächt, gerochen; schnaubte, schnob; haute, hieb.''
Vor der Aufzählung der schwankenden und zweifelhaften Beugungen nach Stark und Schwach oder sonstigen Abweichungen noch ein paar Merke zu gewissen Gruppen von Zeitwörtern. Die auf Zischlaute (''s, ss, ß, z,'' nicht auf ''sch'') ausgehenden Stämme bekommen in der 2. Person der Bin-Form (Indikativ, Bestimmtheitsform) der Gegenwart besser ''est'' als ''st'' um Übelklänge oder widrige Verwechslungen fernzuhalten. ''Du missest'' (von ''missen''), ''du weißest'' (von ''weißen''), ''du weisest'', ''du reißest'', ''du reizest'', ''du reisest'', ''du speisest'' (entschieden nicht: ''du speist''!). Bei denen auf ''sch'' kann ''st'' stehen: ''du wäschst, du wischst, du naschst''; doch ist für den, der's besser klingend findet, ''wäschest'' usw. kein Fehler. — ''Du läßt, du ißt, du liest'' haben sich fast als herrschende Formen durchgesetzt.
Bei mehren Zeitwörtern schwankt die Formbildung der Sei-Form (Konjunktiv, Unbestimmtheitsform) der erzählenden Zeit (Imperfectum) zwischen ''ä, ö, ü'': ''hälfe'' oder ''hülfe'', ''stände'' oder ''stünde'', ''schwämme'' oder ''schwömme'', ''wärfe'' oder ''würfe'', ''stärbe'' oder ''stürbe'', ''verdärbe'' oder ''verdürbe'' usw. Ein richtiges Gefühl treibt dazu, die Bildung zu wählen, die am deutlichsten die Sei-Form zu erkennen gibt und zugleich den Gleichklang mit andern Bildungen vermeidet. Also in den obigen Fällen sind die besseren Formen: ''hülfe, stünde'' (obwohl ''stände'' nicht schlecht ist), ''begönne, schwömme, würfe, stürbe, verdürbe.'' — Zu ''stünde'' ist zu bemerken, daß ''ich stund'' noch in neuster Zeit bei Dichtern, z. B. bei Paul Heyse, ungesucht vorkommt +
''Backen''. — ''Du bäckst, er bäckt, ich buk, ich büke, gebacken'' sind die guten älteren Formen, die von jedem sorgsamen Schreiber noch bevorzugt werden. Es ist aber nicht zu leugnen, daß in der Umgangsprache ''backst, backt, backte'' jetzt fast allein herrschen, und daß die starken Formen in der Alltagsprache vielen gradezu gesucht klingen. — In der Bedeutung '''zusammenkleben'' (mehr in der Volksprache) durchweg schwach, also auch ''gebackt''.
''Bedingen''. — ''Ich bedang mir aus, ausbedungen''; aber: ''ein bedingtes Angebot''. — Über die Bedeutung von ''bedingen'' vgl. S. 222.
''Befehlen''. — Nur: ''ich befahl'', nicht etwa ''befohl''; dagegen: ''daß ich beföhle'', nicht ''befähle'', um stärker von ''befehle'' zu unterscheiden.
''Beginnen''. — Über ''begänne'' oder ''begönne'' s. S. 197.
''Bellen''. — Von ''boll'' meint ein Sprachmeisterer: ,heute ganz unmöglich'. In der Dichtung ist es noch nicht versunken, in der Umgangsprache sehr wohl möglich und als kräftig alt, aber nicht fehlerhaft empfunden.
''Bergen''. — ''Daß ich bärge'' oder ''bürge''? Wegen der Verwechslung mit ''bürgen'' (vgl. S. 197) doch besser ''bärge''.
''Bersten''. — Besser: ''du birstest, er birst, ich barst'' (neben ''borst''), ''geborsten; birst!''
''Bewegen''. — In der ursprünglichen Bedeutung: ''fortbewegen'', dann ''rühren'', nur schwach: ''bewegte'', ''Deine Tränen haben mich bewegt''. Im übertragenen Sinn ,''bestimmen' '' stark: ''Er bewog mich, ihn zu begleiten — Ich fühle mich bewogen, Ihren Wunsch zu erfüllen.''
''Blasen''. — Natürlich nur ''blies, geblasen; ich blus'' ist bewußt scherzhaft, kommt aber schon bei M. Claudius vor. — ''Du bläst'' (nicht ''blasest'', auch kaum ''bläsest'').
''Bleichen.'' — Als zielendes Zeitwort (''Wäsche bleichen'') nur schwach: ''Die Sonne bleichte'' (''hat gebleicht'') ''die Wäsche''; als zielloses Zeitwort mit gemischter Beugung: ''ich erbleichte, ich bin erbleicht; Die Sonne hat die Farbe verbleicht'', und ''dadurch verbleicht sie, ist sie ausgeblichen. Der Mond ist verblichen. Verbleichen'' = ''sterben'': ''er verblich, der Verblichene''.
''Brennen''. — ''Er lief, als ob es hinter ihm brennte'' (nicht ''brännte''). Ebenso mit ''e'', nicht ''a'', ''kennen, nennen, rennen''.
$Seite 199$ ''Dingen'' gehört zu den seltnen Zeitwörtern, die aus der schwachen Beugung in die starke übergetreten sind, früher ''dingte, gedingt'', heute ''dang'' (''bedang''), ''gedungen'' (''bedungen''). In der Bedeutung ,''mit einer Bedingung belegen' '': ''eine bedingte Behauptung'', aber: ''eine ausbedungene Leistung'' (vgl. S. 198).
''Drängen, Dringen'' werden in nachlässiger Umgangs-und selbst Schriftsprache leider oft vermischt, müssen aber in guter Sprache streng geschieden bleiben. Das Zielwort ''drängen'' hat: ''drängte, gedrängt, aufgedrängt, vorgedrängt. Er hat mich gedrängt, bedrängt. — Er hat sich mir aufgedrängt'' (nicht ''aufgedrungen''). — ''Die Zusage wurde mir aufgedrängt; Er hat sich vorgedrängt''. — ''Dringen'' ist ziellos: ''Ich dringe durch, Ich drang durch. — Der Gedanke, der sich mir aufgedrängt hatte, ist später durchgedrungen. — Diese Unsitte hat sich eingedrängt und ist immer weiter gedrungen. — Ich bin davon durchdrungen. — Er drängte sich an mich, er drang in mich. — Er mißbrauchte meine bedrängte Lage, und ich konnte den einmal Eingedrungenen nicht loswerden. — Ich werde mich schon durchdrängen und allmählich durchdringen.'' — Und alle solche scharfe und nützliche Unterscheidungen will man verdrängen und statt ihrer einen Mischmasch eindringen lassen?
''Dreschen''. — ''Du drischst, er drischt, er drasch, gedroschen''. ''Drasch'' ist beinah versunken zugunsten von ''drosch'', ist aber nicht etwa falsch.
Vor ''dünken'' hüte sich, wer dessen sprachgeschichtlich richtigen Gebrauch nicht kennt. Das Wort wird als alt und ehrwürdig gefühlt; man möchte es anwenden, weiß aber nichts über seinen richtigen Fall (mich ''dünkt'') und nichts über sein Verhältnis zu ''deucht'', so daß man beide unterschiedlos durcheinander quirlt. Die Beugung lautete ursprünglich: ''Dünke, däuchte'' (''deuchte''), ''gedäucht'' (''gedeucht''). Hieraus wurde später ''dünkte, gedünkt''; daneben wurde aus Unkenntnis ein neues Zeitwort ''deuchten'' (''ich deuchte, ich deuchtete, gedeuchtet'') erfunden, und heute herrscht wirrste Unordnung. Wer das Wort durchaus gebrauchen will, der tue das wenigstens so, daß er sich bei Sprachkennern nicht lächerlich mache: ''Mich dünkt'' (nicht: ''mir deucht''), ''mich dünkte, mich hat gedünkt''. Will man die Nebenform ''deuchten'' zulassen, dann jedenfalls nur: ''mich deucht''.
$Seite 200$ Von empfehlen besser ''empföhle'' als ''empfähle'', aus demselben Grunde wie bei ''beföhle'' (S. 197 und 198).
''Falten'' war ursprünglich nur stark, ist jetzt stark und schwach, aber mit feiner Unterscheidung: im eigentlichen Sinne nur schwach: ''die gefaltete Rettung, die entfaltete Rose''; dagegen im übertragenen stark: ''mit gefaltenen Händen.''
''Fassen'' bildet nur ''fassest, faßt'', nicht ''faßt'' und ''fäßt'' (vgl. S. 197).
''Ich fechte, du fichtst, er ficht; ich flechte, du flichtst, er flicht'', — nicht ''fechtest, flechtest.''
Sehr verwickelt und bis heute nicht völlig entschieden ist die Frage, ob ''fragte'' oder ''frug''. Mit Schimpfereien über ''frug'': ,alberne Mode, gar zu greulich, Fluch der Lächerlichkeit, eine Schande' werden so feine und schwierige Zweifelfragen nicht entschieden. Der Sachverhalt ist ganz klar: die Sprachgeschichte belehrt uns, daß es im ältern Deutsch nur ich ''frage, du fragst, er fragt, ich fragte'' gab. Aber sie zeigt uns auch, daß '''frägst'' und ''frug'' nach Luther vereinzelt, im 18. Jahrhundert öfter, auch bei den Besten, auftauchen, dann fast zur Regel werden und erst im letzten Menschenalter wieder zugunsten von ''fragst, fragte'' zurücktreten, nicht etwa ganz verschwinden. Eine solche sich durch Jahrhunderte erstreckende Spracherscheinung ist keine Mode. Sie ist auch kein so schwerer Verstoß gegen die angeblichen Sprachgesetze, wie man nach jenen Schimpfereien glauben soll: der Übertritt aus der schwachen Beugung zur starken ist zwar nicht häufig, kommt aber mehr als einmal vor, ohne beschimpft zu werden (vgl. S. 199 zu ''dingen'', S. 196 zu ''preisen''). Auch ''weisen'' (heute ''wies, gewiesen'', früher ''weiste, geweist'') gehört zu dieser kleinen Gruppe. Bei Bürger heißt es: ,''Sie frug den Zug wohl auf und ab und frug nach allen Namen' '', was der Dichter sogar um des Versmaßes willen nicht geschrieben hätte, wenn es damals nicht gutes Deutsch gewesen wäre. — Bei Goethe: ,''Niemals frug ein Kaiser nach mir' '', wozu der Vers gewiß nicht zwang; viel eher zu: ''.. fragte ein Kaiser''. Bei Schiller: ,''Der Schwed' frug nach der Jahrzeit nichts.' '' Alles dies ist zum mindesten ein Beweis, wie sehr der Gebrauch im 18. Jahrhundert schwankte. Daß er dann bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts sich immer stärker für ''frägst, frägt, frug'' entschied, ist gewiß nicht auf jene paar sehr bekannte Dichter- $Seite 201$ stellen zurückzuführen, sondern muß aus tieferen Quellen geflossen sein. Man übersehe nicht, daß bei so ausgezeichneten Deutschschreibern wie Heyse, Storm und Freytag, übrigens auch bei Fontane und Scheffel, fast nur ''frug'' steht. Es läßt sich nachweisen, daß der heutige Umschwung zu ''fragst, fragt, fragte'' und zur Verdammung von ''frägst, frägt, frug'' ausschließlich hervorgerufen wurde durch den Einfluß der Sprachgelehrten, die gegen einen herrschenden Sprachgebrauch mit den Waffen der Sprachgeschichte kämpften und dem Anscheine nach gesiegt haben. Das unbeeinflußte Sprachgefühl jedoch ist noch keineswegs von der Schlechtigkeit von ''frug'' durchdrungen: man hört im Alltagsleben fast ebenso oft wie früher ''frug'', und man liest es immer wieder. Der wahre Grund liegt darin: man empfand und empfindet die starke Beugung in diesem Fall, gleichviel aus welchen Gründen, als die kraftvollere und kümmert sich nicht um die Sprachgeschichte, die doch nur lehren kann, daß früher anders gesprochen wurde als heute. Bemerkenswert ist diese Mitteilung Bismarcks: ,''Wenn mein Vater von der Jagd kam und es gemächlich hergegangen war, so sagte er: Ich jagte; ging es aber toll her, so sagte er: Ich jug. Die Grammatiker werden diese Bildung mißbilligen, aber ich selbst möchte meinem Vater Recht geben.' '' Ich bin geneigt, dasselbe zu tun.
Heute steht es um diese Streitfrage so: die Sprachgelehrten wachen streng über alleinrichtiges ''fragst, fragte'', so daß die dadurch eingeschüchterten Schreiber sich vor ''frägst, frug'' in acht nehmen, die meisten nicht ganz aus innerer Überzeugung. Ich selbst gehöre zu diesen, denn ich möchte mich nicht ohne Not noch mehr unbegründeten gehässigen Angriffen aussetzen. Das Volk aber, besonders in Norddeutschland, spricht nach wie vor sein ''frägst, frug''. Die Entwicklung ist schwerlich für immer abgeschlossen; sie kann gar wohl wieder in die frühere Bahn zurückkehren und sich der Sprachgeschichte und den Sprachgelehrten zum Trotz mit Bürger, Goethe, Schiller, Storm für ''frug'' entscheiden.
Daß der Einwand: Wenn ''frug'' richtig sei, so müsse es auch ''gefragen'' heißen, eine auserlesene Sprachdummheit ist, braucht dem nachdenklichen Leser nicht bewiesen zu werden, der sehr gut weiß, daß das Sprachgefühl unabhängig ist von einer Regel, daß vielmehr die Regel sich nach dem Sprachgefühl richtet oder — richten sollte.
$Seite 202$ ''Gären'' hat in eigentlicher Bedeutung ''gor, gegoren''; in übertragener ''gärte, gegärt. Das Bier gor, hat gegoren; im Volke gärte es, die Unzufriedenheit hatte schon lange gegärt.''
''Gebären. — Du gebierst, sie gebiert'' sind die älteren und besseren Formen; aber man hört und liest fast nur ''gebärst, gebärt'' und ist dagegen machtlos. Die richtige Befehlsform heißt ''gebier!''
Von ''gelten'' lautet die erzählende Sei-Form besser ''gölte'' als ''gälte'' (vgl. S. 197).
''Gesinnt'' und ''gesonnen'' sind streng zu scheiden: ''gesinnt'' bedeutet ''die Gesinnung, gesonnen'' (soviel wie ''gewillt'') ''den Entschluß. Der ihm wohlgesinnte Minister ist nicht gesonnen, ihn schutzlos zu lassen''.
''Gleiten''. — ''Glitt'' ist die bessere Form trotz gelegentlichem ''gleitete'' bei Goethe und Schiller. Auch bei ihnen überwiegt ''glitt''.
''Glimmen. — Glomm, geglommen'' gelten für edler als ''glimmte, geglimmt''. Doch hat sich mit der Zeit ein zarter Unterschied des Sprachgefühls herausgebildet je nach der Lebhaftigkeit des Glimmens: ''Mein Herz, ist entglommen''; aber: ''In seinem Herzen glimmte noch ein letzter Funke.''
Daß noch feste und richtige Ordnung des Sprachgebrauchs bei ''Hängen'' durchzusetzen sei, glaube ich zwar nicht, doch muß der Versuch pflichtmäßig gemacht werden. Richtig wäre ''hängen'' nur als Zielwort, ''hangen'' als zielloses, also: ''Ich hänge meinen Mantel auf, und dann hangt der Mantel''. Diese Anwendung von ''hangen'' ist in der Umgangsprache ganz, in der Schriftsprache nahezu ausgestorben, nur sprichwörtlich und dichterisch noch geblieben und wird als edel gewürdigt: ''Mitgefangen, mitgehangen'' (des Reimes wegen, denn ganz richtig könnte das nur bedeuten: ''Er wurde gefangen und hat am Galgen gehangen'', nicht: ''er ist aufgehängt'' oder ''gehenkt worden''), und in Wendungen: ''Er hat ihm treu angehangen'', Heine: ''.. sie ließen die Köpfe hangen''; im Märchen: ''Ach, Fallada, daß du hangest''. Der Unterschied hat sich verwischt, und nur in guter Sprache hört und liest man noch: ''Der Hut hat an dem Nagel gehangen''. Der heutige Sprachgebrauch wendet ''hangen'' fast nie, ''hängen'' sowohl ziellos wie zielend an, bedient sich aber $Seite 203$ nebeneinander fast unterschiedlos der schwachen und der starken Form ''hängte'' und ''hing: Er hängte'' (oder: ''hing'') ''den Mantel auf''; allerdings nur: ''Der Mantel hing am Nagel''.
Was man unter dem verworrenen heutigen Sprachzustande fordern darf, ist etwa dies: ''ich hing'' sollte nicht zielend gebraucht werden, sondern nur: ''Ich hängte den Mantel'' (auch ''den Beruf''!) ''an den Nagel'', und nur: ''Ich hing von meines Vaters Willen ab. — Der Hut hat am Nagel gehangen. — Er hängt und hing zu sehr am Gelde, er hat am Gelde gehangen. — Er hat sich an ein Mädchen gehängt. — Er behängte'' (nicht ''behing'') ''sich mit Plunder. — Die Tannen stehen schneebehangen. Der Verbrecher wird aufgehängt, der Henker hängt ihn auf'' oder ''henkt ihn und läßt ihn dann hängen'' (''hangen''). Also nicht: ''Ich hing den Hut auf'', und nicht: ''Er hängte an einem Mädchen.'' — Im Tell (2, 2) heißt es: ,''Und holt herunter seine ew'gen Rechte, die droben hangen unveräußerlich.' '' Wir fühlen dies als das Edlere, wagen aber nicht mehr, es nachzusprechen oder in der Alltagsprosa nachzuschreiben.
''Halten''. — Hier herrscht noch gute Ordnung, und man hat mit Recht das unerträgliche, aus mangelhafter Sicherheit im Schriftdeutschen stammende: ,''Er haltet und waltet ein strenges Gericht' '' von dem Umarbeiter des Niederländischen Dankgebets geändert in: ''Er waltet und schaltet'' ..
Von ''Hauen'' heißt die Erzählform nur in niedriger Volkssprache ''haute'' (''.. ihm eine runter''); in guter Sprache ''hieb''.
Das Mittelwort ist ''gehauen''. Man unterscheide aber: ''Ich haute den Jungen durch, Ich durchhieb den Baum mit einem Streich''.
Das Mittelwort von ''Heißen'' lautet nicht ''gehießen'', sondern nur ''geheißen''.
Von ''Keifen'' sind heute nur noch ''keifte, gekeift'' gebräuchlich; ''kiff, gekiffen'' veraltet.
''Klimmen'' hat neben dem bessern ''klomm'' das noch nicht schlecht zu nennende ''klimmte''. Ähnlich wie bei ''Glimmen'' hat sich ein feiner Unterschied herausgebildet: ''Er erklomm den höchsten Gipfel'', aber: ''Er erklimmte den Apfelbaum''.
''Klingen''. — ''Klang, geklungen'' sind die landläufigen Formen; daneben aber mehr zielend ''klingte, geklingt'' für anstoßen: ''Er klingte mit dem Glase an, es wurde angeklingt''.
$Seite 204$ ''Kneifen''. — ''Er kniff'' ist die gute Form, ''kneifte'' die schlechte. Bei ''kneipen'' = ''kneifen'' überwiegt jetzt ''kneipte. — Kneipen = zechen'' hat hiermit nichts zu schaffen und geht: ''kneipte, gekneipt''.
Über ''kömmst, kömmt'' von ''Kommen'' wurde schon an andrer Stelle (S. 20) gesprochen. Dem Ansehen oder der einschüchternden Anmaßung der willkürlichen Sprachgesetzgeber Gottsched und Adelung ist es gelungen, ''kömmst'' und ''kömmt'' ,schlecht' zu machen, so daß es aus der heutigen guten Schriftsprache fast verschwunden ist. Es ist keineswegs falsch, und wessen Alltagsprache ''kömmst'' und ''kömmt'' spricht, der darf es getrost zu schreiben wagen und sich auf Lessing berufen.
Das Wort ''küren'' tauchte erst im 17. Jahrhundert auf als Nebenform zu ''kiesen''; es wird heute von gesucht altertümelnden Schreibern als ein besonders ehrwürdiges Urwort betrachtet und dem ''Kiesen'' noch vorgezogen. Wer wenigstens richtig altertümeln will, der begnüge sich mit ''ich kiese'' (meist ''erkiese''), ''ich kor'' (''erkor''), ''gekoren'' (''erkoren'') und meide sowohl ''ich küre'' und ''küren'' wie ''gekiest'' und ''erkiest''.
''Laden''. — Es vertritt jetzt zwei einstmals ganz verschiedene Stämme mit verschiedenen Bedeutungen: ''vorfordern, einladen; aufladen, belasten''. Jenes beugt: ''Ich lade, du ladest'' (schlechter: ''lädst''), ''er ladet'' (''lädt''), ''geladen''; dieses nur: ''ich lade, du lädst'' (''belädst, entlädst''), ''er lädt; beide: geladen''.
''Löschen'' ist zielendes und zielloses Zeitwort. Das zielende beugt schwach: ''ich lösche (das Licht)'', ''ich löschte, ich habe (das Feuer) gelöscht'' (''verlöscht, ausgelöscht''), ''lösch das Licht!'' Das ziellose beugt stark: ''ich lösche (erlösche), du lischst (erlischt, lischst aus), er (er)lischt (aus), wir (er)löschen, das Licht losch, ist geloschen (erloschen, verloschen); Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!'' (Bürger). — ''Unbefriedigte Liene lischt nie im Busen des Mannes'' (Goethe). — ''Verlöscht das Feuer und das Licht!''
''Malen''. — Der Unterschied zwischen ''gemalt'' und ''gemahlen'' steht in jeder Sprachlehre, wird aber hier, nicht überflüssig, wiederholt: ''Das Bild wird gemalt, das Getreide wird gemahlen''.
''Melken''. — Die guten alten Beugeformen: ''du milkst, sie milkt' sind weit zurückgetreten hinter die schwachen ''du'' $Seite 205$ ''melkst, sie melkt''; diese dürfen jetzt nicht für falsch gelten. Dagegen darf man ''gemolken'' (nicht ''gemelkt'') als einzig zulässige Mittelform fordern.
''Niesen''. — ''Du niesest, er niest; das Kind hat geniest'' (nicht etwa ''genossen''!).
''Offenbaren''. — Eine feine Unterscheidung hat sich herausgebildet: ''Er hat sich mir offenbart'', aber: ''die geoffenbarte Religion gegenüber dem offenbarten Abkommen''.
''Pflegen''. — Früher ''pflog, gepflogen'', heute fast nur: ''pflegte, gepflegt''. ''Jemand'' oder ''etwas pflegen'' nur so: ''sie pflegte die Blumen, hat den Kranken gepflegt''. In der Bedeutung: ''zu tun pflegen'' sind ''pflog, gepflogen'' noch nicht ganz erstorben; von der Fügung ''Rat pflegen'' gibt es nur: ''Rat gepflogen.''
''Quellen''. — Ziellos: ''Du quillst von Tränen über; Das Wasser quillt, Der Brunnen quoll; Die Milch ist übergequollen''. Zielend: ''Das Mädchen quellt den Reis, hat den Reis gequellt'' (vgl. ''Schwellen'').
''Rächen''. — Heute fast nur noch regelmäßig (schwach): ''ich rächte, habe mich gerächt''. Die alten starken Formen ''roch, gerochen'' sind wegen des störenden Gleichklanges mit den Beugeformen von ''riechen'' zurückgetreten.
''Raten, du rätst, er rät, er riet, geraten''; aber: ''er ratet und tatet, mitgeratet und mitgetatet''.
Von ''Saugen'' kommen neben den richtigen und guten Formen ''ich sog, gesogen'' die nachlässigen ''saugte, gesaugt'' vor; das feine Sprachgefühl lehnt sie ab. — ''Säugen'' ist regelmäßig: ''säugte, gesäugt. Die Mutter hat ihr Kind gesäugt, das Kind hat die Milch gesogen.''
''Schaffen''. — Es ist streng zu unterscheiden zwischen schöpferischer, erzeugender Tätigkeit und Heranschaffen, Besorgen, Fertigen; von jener heißt es nur: ''er schuf fein Werk, er hat es geschaffen''; von dieser: ''Der Kaufmann schaffte die Waren an (heran, herbei), er hat sich einen Buchhalter beschafft (angeschafft). Der Wagen schaffte den Koffer zur Bahn. Der Schnee wurde weggeschafft''. Aber auch: ''Ich habe heute tüchtig geschafft'' (''gearbeitet'', nicht gerade schöpferisch); ''es schafft (schaffte) nicht recht, hat nicht geschafft. Handwerkszeug wird beschafft (angeschafft), künstlerische Gaben sind angeschaffen.''
''Schallen''. — Fast gleichwertig stehen die älteren und $Seite 206$ jüngeren Formen nebeneinander: ''scholl (erscholl), erschollen'' und ''schallte, geschallt (geschollen, erschollen)''.
''Schleifen''. — ''Ich schliff das Messer, es wurde geschliffen''. Die Rekruten werden ,''geschliffen' '' (''gedrillt''). ''Ein ungeschliffener Mensch'' (Edelstein). — ''Der Kleidersaum schleifte (sie schleifte den Saum) an der Erde, er wurde geschleift. — Der Verbrecher wurde zur Richtstätte geschleift''.
''Schmelzen''. — ''Der Schnee schmilzt''; aber: ''Die Sonne schmelzt den Schnee. Der Schnee zerschmolz, die Köchin zerschmelzte die Butter. Zerschmolzener Schnee, die Sonne hat den Schnee zerschmelzt''. Diese richtigen Formen sind bedenklich durchsetzt worden mit den sicher falschen; man spricht sehr oft und schreibt nicht selten: ''Die Sonne schmolz den Schnee, sie hat den Schnee zerschmolzen''. Wer das Richtige kennt, der schreibe es, denn es handelt sich hier, wie in andern Fällen (z. B. ''quellen, schwellen, verderben'') um einen so sichern Unterscheidungswillen und ein so klares Mittel der Sprache, daß bewußte Nachlässigkeit für überaus tadelnswert gelten muß.
''Schnauben''. — ''Der Wind schnob, hat um die Ecke geschnoben; Der Mann schnaubte seine Nase, hat sie geschnaubt.'' Aber auch: ''Er schnaubte, hat Rache geschnaubt'' (neben ''schnob, geschnoben'').
''Schrauben''. — ''Schraubte, geschraubt''; aber ''ein verschrobener Mensch'', — dagegen: ''Du hast die Schraube verschraubt. Schrob'' und ''geschroben'' sind zwar seltner, aber nicht falsch zu nennen.
''Schrecken, erschrecken.'' — Zielend: ''Ich schrecke (erschrecke), du schreckst, er schreckt; ich schreckte (erschreckte dich), habe dich geschreckt, erschreckt. Schrecke ihn!'' — Ziellos: ''Ich schrecke (erschrecke) davor, du schrickst zusammen, warum erschrickst du? er erschrickt, schrickt davor zurück; ich schrak zusammen (erschrak), ich bin sehr erschrocken, erschrick nicht!''
''Schwären''. — ''Die Wunde schwärt, schwor, ist geschworen''; doch hört — und liest! — man jetzt ebenso oft oder öfter: ''schwärte, geschwärt'' (vgl. S. 205 zu ''rächen''). Dem Sprachgefühl geht das schnelle, sichere Verständnis über die sprachgeschichtliche Richtigkeit, ein Urnstand, der von manchen Sprachgelehrten nicht voll gewürdigt wird.
$Seite 207$ ''Schwellen'' — wie ''quellen'': ''das Wasser schwillt, das Wasser schwoll, die Hand ist angeschwollen''. Aber: ''Das schwellt mir den Mut, schwellte ihm die Hoffnung, hat seinen Ehrgeiz geschwellt, hat ihm die Segel geschwellt. — Er spricht eine geschwollene Sprache; er hat seine Sprache aufgeschwellt''.
''Schwimmen''. — Nur ''ich schwamm; schwomm'' ist rundweg falsch; dagegen ''schwömme'' besser als ''schwämme''.
''Schwören''. — ''Schwur'' steht für den erhabnen Stil um eine Stufe höher als ''schwor''; daß ''ich schwüre'' ist besser als ''schwöre'' (vgl. S. 197).
''Senden''. — Die allgemein üblichen Formen sind: ''sandte, gesandt''; Schillers ,''von Milet gesendet' '' ist Versnot.
Von ''Seufzen'': ''seufzest'', wie von ''reizen: reizest'' (197).
''Sieden''. — In der eigentlichen Anwendung ablautend: ''ich sott den Fisch, der Fisch ist gesotten''; in der übertragenen ''t''-Beugung: ''ihm siedet, siedete, hat gesiedet der Zorn in den Adern.''
''Singen, sang, gesungen''; aber in fester Fügung die alte Form: ''Wie die Alten sungen''. Daß ''ich sänge'' hat noch den Vorrang vor ''.. sünge''.
Von ''Spalten'' gibt es gespalten neben ''gespaltet'', mit einem äußerst zarten, aber selten gemachten Unterschiede zugunsten des um einen Schatten edleren ''gespalten .. die Stirne breitgespalten'' (Freiligrath).
Zu ''Speisen'' erinnere man sich: nicht ''du speist'' oder ''speißt'', sondern ''du speisest'' (in der Schriftsprache nur so).
Von ''Sprießen'' kommt die ''t''-Beugung: ''sprießte, gesprießt'' nur bei mittelmäßigen und schlechteren Schreibern vor; sonst nur: ''sproß, sprösse, entsproß, gesprossen.'' Die Seltenheit des Vorkommens hat die Ablautformen geschützt.
''Stecken'' ist ziellos und zielend; das ziellose lautet: ''ich stecke, du steckst, er steckt, ich steckte, gesteckt''. Daneben gibt es die älteren starken Formen ''du stickst, er stickt'', die heute sehr selten, ''er stak'' (''stäke''), die noch ziemlich oft gebraucht werden. — Das zielende ''stecken'' geht durchweg nur mit ''t''-Beugung: ''ich steckte den Schlüssel ins Schloß (den Brief in den Kasten), ich habe ihn hineingesteckt.''
''Stecken'' ist stammverwandt mit ''Stechen'' (''stach, gestochen''). Die ernste Frage, ob ein frisches Faß ''angesteckt'' oder ''angestochen'' wird, richtet sich danach, ob ''Faß anstecken'' $Seite 208$ oder ''anstechen'' zu sagen ist. Die Wahrscheinlichkeit spricht für ''anstechen'', denn — ,''Alles was Anstich hat, lobe den Herrn!' '': ''der Zapfhahn wird in den Spund hineingesteckt'', allenfalls ''hineingeflogen'', das frische Faß dadurch ''angestochen''. In neuster Zeit scheint man dies für unfein zu halten, weil ein Faß mit edlem Naß nicht ''angestochen'' werde, wie ein Schwein ''abgestochen'' wird, und so ging man zu ''anstecken'' und ''angesteckt'' über.
Bei ''Stehen'' wird an das kräftigere, daher dichterisch bevorzugte ''stund, stünde'' neben ''stand, stände'' erinnert (vgl. S. 197); ''stünde'' ist auch für die Prosa brauchbar.
''Stieben: stob, gestoben; stiebte'' beginnt mit einzudringen, sollte ferngehalten werden.
''Triefen: troff (tröffe), getroffen'' — dies sind die echten, guten Formen; doch hat sich wegen des Gleichklangs mit ''getroffen'' von ''Treffen'' jetzt ''getrieft'' eingebürgert, und dies führte auch zu ''triefte'', das nicht mehr schlecht genannt werden darf.
Von ''Überessen'' lautet das zweite Mittelwort ''übergessen'' (Faust 2838: ''und doch noch nie sich übergessen''); aber: ''ich habe mir diese Speise übergegessen'' (neben ebenso richtigem ''übergessen'', vgl. S. 210).
Bei ''Verderben'' sollte der Beugungsunterschied des zielenden und des ziellosen Zeitwortes beachtet werden. In Süddeutschland tut das selbst die Umgangsprache noch, in Nord-und Mitteldeutschland weder Umgangs- noch durchschnittliche Schriftsprache. Es sollte heißen: ''Du verderbst, du verderbtest das Kind, er hat das Kind verderbt, verderb' es nicht! ,Ach, der Zorn verderbt die Besten' '' (Schiller). Dagegen: ''Die Butter verdirbt, das Obst verdarb, es ist verdorben, verdirb!'' Merkwürdigerweise ist die regelmäßige ''t''-Beugung so gut wie ganz zugunsten der ablautenden Verschwunden, man schreibt und erst recht hört nur noch: ''Er verdirbt die Arbeit, er verdarb sie, hat sie verdorben.'' Nur biblische Wendungen wie ,''verderbter Sinn' '' haben sich zum Teil erhalten. Zu retten ist hier nicht mehr viel; allenfalls sollte man sich vornehmen, von edleren Dingen nur ''verderbt'' zu sagen, schon zur Scheidung vom ''verdorbenen Fleisch'' oder ''Magen''. Dies wäre sogar eine Verbesserung gegenüber dem ''verderbten Magen'', wie es sonst eigentlich heißen müßte.
$Seite 209$ ''Versalzen''. — ''Die Suppe ist versalzen'' ist die ältere und bessere Form; ''versalzt'' kann nicht als falsch gelten, da die starke Form ''ich sielz'' ganz verschwunden und durch ''salzte'' ersetzt ist.
Der Unterschied zwischen zielendem ''Wägen'' und ziellosem ''Wiegen'' ist bis auf schwache Reste verschwunden: ''Wiegen'' hat ''Wägen'' verdrängt, und fast nur in sprichwörtlichen Wendungen: ,''Erst wägen, dann wagen, — Man soll die Stimmen wägen, nicht zählen' '', sowie in der Zusammensetzung ''Erwägen'' hat es sich erhalten. Niemand sagt oder schreibt mehr: ''Ich habe mich wägen lassen und wiege 170 Pfund'', sondern für beide Begriffe steht ''wiegen''. Allerdings heißt es in übertragenem Sinne noch durchweg: ''Ich wäge (erwäge) den Plan'', aber: ''ich wog (erwog) ihn'' (nicht ''wägte''); dagegen auch wohl: ''ich erwägte, habe ihn gewogen'' (''erwogen''). Im eigentlichen Sinne nur ''wiegen'', und hierbei wird man es belassen müssen, denn wirklich Abgestorbenes zu beleben ist nicht die Aufgabe des Sprachfreundes. In der Schweiz unterscheidet die Umgangsprache noch ziemlich sicher: ''Ich wäge das Brot. Das Brot wiegt schwer'', und einen schweizerischen Schriftsteller, der so schreibt, darf niemand tadeln; ein norddeutscher käme dadurch in den Ruf der Gesuchtheit.
''Weben''. — Die Ablautbeugung ist noch nicht tot, doch dringt die schwache vor. Man hört und liest noch ''wob'' neben ''webte''; dagegen gilt ''gewoben'' im eigentlichen Sinn den Meisten für gradezu falsch, was es nicht ist. Stoffe dürfen ebenso wohl ''gewoben'' werden wie Schicksale.
''Wenden''. — In guter Sprache nur ''Ich wandte, gewandt''. Allerdings ist gegen den ,''gewendeten Rock' '' nichts einzuwenden.
''Werfen''. — ''Ich würfe'' gilt jetzt allgemein für besser als ''ich wärfe'', trotz Schillers: ''Und wärfst du die Krone selber hinein .. ''(vgl. S. 197).
Von ''Winken'' gibt es in Süddeutschland ein, dort ernst gemeintes, ''gewunken''; in Norddeutschland wird es nur bewußt drollig gebraucht.
Die ''verwunschene Prinzessin'' des Märchens ist uns vertraut und lieb; sonst natürlich nur ''verwünscht''.