Attribut: KapitelText
Aus Zweidat
Dies ist ein Attribut des Datentyps Text.
D
Ein weiterer berechtigter Ausnahmefall ist es, wenn der Subjektsbegriff nur durch ein sachlich unbestimmtes Fürwort: ''dies, das, es'' angedeutet und die Aussage dazu in die Mehrzahl gesetzt wird: ''Das sind Ausflüchte. Es sind Russen''//1 Hierauf geht auch ein neutrales Relativ der Einzahl zurück, das sich, immer in Verbindung mit substantivischer Aussage, auf Singulare anderen Geschlechts und auch auf Plurale bezieht: ''Man hatte mich zwischen zwei Weibspersonen setzen lassen, welches der Ehrenplatz an der Tafel war'' (Schiller). ''Dies Buch nannte man den Shakespeare, welches der Verfasser desselben war'' (G. Keller)//. Nicht minder berechtigt ist unter Umständen die Mehrzahl des Zeitwortes neben der Einzahl des Subjektes, wenn dieses ein Sammelname wie ''Haufe, Truppe, Menge'', (''An'')''zahl, Schar, Heer, Volk'' ist, der durch eine unmittelbar darauf folgende Mehrzahl, meist im zweiten Falle, ergänzt wird: ''ein großer Haufe Zigeuner, eine Menge fruchttragender Bäume''. Unmöglich kann aber die Grenze zwischen den Fällen, wo die Ein-, und denen, wo die Mehrzahl der Aussage besser ist, ganz scharf gezogen werden, zumal der grammatisch gemaßregelte Mensch immer dahin neigen wird, dem singularischen Begriffe des formellen Subjektwortes die — grammatisch immer richtige — Einzahl, der natürlicher empfindende mehr dahin, der dabei stehenden pluralischen Ergänzung die — bisweilen auffällige und ungerechtfertigte — Mehrzahl entsprechen zu lassen. Nur so viel läßt sich sagen: je bedeutsamer oder, was damit im wesentlichen zusammenfällt, je ungewöhnlicher und vollwichtiger der Sammelbegriff ist $Seite 242$ und je mehr betont wird, daß die Aussage einer solchen Mehrheit in der durch den Sammelbegriff dargestellten Vereinigung und Zusammenfassung gilt//1 Das ist der Grund, warum Ausdrücke wie ''Paar, Dutzend, Mandel, Schock'' bei Angaben des Preises, der Arbeitszeit für eine Sache im Geschäftsleben immer die Einzahl fordern: es kommt ja auf den Preis in dieser größeren Einheit an: ''Die Metze Birnen kostet 50 Pfg.'', aber in anderer Gliederung natürlich: ''Die''(''se'') ''Birnen kosten die Metze 50 Pfg''.//, um so angemessener ist die Einzahl. Dagegen verdient die Mehrzahl den Vorzug, wenn der überdies oft abgegriffene Sammelname zurücktritt hinter seiner pluralischen Ergänzung und die darin benannten Einzelwesen mehr in ihrer Vereinzelung denn als Gesamtheit beteiligt gedacht sind. Ein Beispiel macht die Sache noch deutlicher: Wer bei einem Spaziergange erst da an einem Krautfelde, dann dort an einer Hecke, später auf grüner Saat, kurz nach und nach eine Anzahl Hasen beobachtet, der muß genau genommen berichten: ''Auf meinem kaum einstündigen Spazierwege sind mir Eine ganze Menge'' (Anzahl, doch ein Dutzend) ''Hasen über den Weg gelaufen!'' Aber von einem auffliegenden Volk Rebhühner, das bekanntlich eine wirkliche, fast staatliche Einheit darstellt, wird er erzählen: ''Auch ein Volk Rebhühner flog vor mir auf''. Danach empfiehlt z. B. in dem Satze H. Grimms der Zusammenhang den Plural: Dazu gehören eine Fülle von Phantasiegebilden, die in wechselnden Formen sie begleiten, während der folgende Plural nicht behagen will: ''die Nachricht, daß sich in London ein neues Konsortium englischer Bankiers ... gebildet haben''; denn es soll ja ausgesagt werden, daß eine Vielheit zur Einheit geworden sei. Ebenso mißfällt die Einzahl in folgenden Sätzen: ''Lustig schmettert'' (statt ''schmettern'') ''ein Paar Kanarienvögel sein'' (statt ''ihr'') ''Lied in die klare, blaue Luft hinaus''; wir schreiben ja jedem sein besonderes Lied zu. ''Eine Menge solch amerikanischer Untertanen hebräischer Konfession, die in Österreich ansässig ist, wenden sich an mich'' (Eltze). Daß der seltenere immer fehlerhafte Fall, Einzahl der Aussage neben Mehrzahl des Subjekts, auch vorkommt, mag die Anzeige bezeugen: ''Alle Arten Putzarbeit wird gefertigt'' (statt ''werden gefertigt''); oder wenn ''Putzarbeit'' mehr betont werden soll, müßte es heißen: ''Putzarbeit allerart wird gefertigt''.
Auch in Zahl, Person und bis zu einem gewissen Maße im Geschlechte müssen aufeinander bezogene Satzteile übereinstimmen. Zunächst wenn ein persönlicher Gattungsbegriff, der für die beiden natürlichen Geschlechter zwei verschiedene Formen ausbildet, wie ''Freund — Freundin, Nachbar — Nachbarin, Tröster — Trösterin'', sich als Aussagewort auf das Subjekt oder Objekt oder als Beisatz sonst auf ein Hauptwort bezieht, fordert der Geist der deutschen Sprache die Übereinstimmung in der Form zwar nicht so streng wie beispielsweise der der lateinischen, sondern unbedingte Regel ist die Übereinstimmung im allgemeinen nur, wenn auch das Beziehungswort selber ein persönlicher Begriff ist: ''Der Knappe ist der Gebieter einer unterirdischen Welt; ergeben der Gebieterin, der Gräfin vou Savern'' (Schiller). Ist aber ein Sachname, deren Neutren in solcher Einsicht als Maskulinen behandelt werden, das Beziehungswort, so wird die Übereinstimmung streng nur für die Maskulinen durchgeführt, nicht so sehr für die Femininen. Falsch ist also der Satz der Tgl. R.: ''die Feststellung der Tatsache, daß Frankreich nach wie vor die Sklavin'' (statt ''der Sklave'') ''der chauvinistischen Tollhäusler ist''. Umgekehrt ist der Satz Schillers, eben weil ein Femininum Beziehungswort ist, nicht zu beanstanden: ''Der erste Gesetzgeber ist die Not''. +
Eine grauenvolle Liederlichkeit hat in der niedrigen Geschäftssprache in der Behandlung der Präpositionen um sich gegriffen. Vor allem erscheint immer häufiger der Akkusativ hinter Präpositionen, die den Dativ verlangen. ''Schweinsknochen mit Klöße, Spinat mit Eier, Kotelette mit Steinpilze, Sülze aus Kalbs-'' $Seite 242$ ''kopf und Füße'' — anders wird auf Leipziger Speisekarten kaum noch geschrieben. Das ist freilich Kellnerdeutsch, aber wen trifft die Schande für solche Sprachsudelei? Und ist es nicht eine Beleidigung der Gäste, wenn ihnen Wirte solches Schanddeutsch vorsetzen? Aber auch an Schaufenstern kann man lesen: ''Sohlen mit Absätze — Neuvergoldung von Spiegel — Verkauf von Zauberapparate — Stühle werden mit Roßhaare gepolstert — Regentropfen auf Hüte werden sofort beseitigt — großes Lager in Regenmäntel — Ausstellung in Damenstiefel''; Zeitungen schreiben: ''er wurde zu zwei Monate Gefängnis verurteilt'' — und sogar Behörden machen bekannt: ''die Lieferung von hundert Stück gebrauchte Schwellen — das Abladen von dreißig Kubikmeter Bruchsteine — das Befahren dieses Weges mit Lastfuhrwerke'' usw.//* Hierher gehört auch der beliebte Fehler: ''aus aller Herrn Länder'', der dem Wohllaut zuliebe entstanden ist: das doppelte ''ern'' schien unerträglich. Aber noch unerträglicher ist doch der Akkusativ, man schreibe nur, wie sichs gehört: ''aus aller Herren Ländern''.//
In andern Fällen drängt sich auf ganz lächerliche Weise der Genitiv an die Stelle des Dativs. In Leipzig kann man von Halbgebildeten hören: ''unter meines Beiseins — nach meines Erachtens''; aber auch Gebildete schreiben: ''dank dieses Umstands — dank des mir von allen Seiten entgegengebrachten ehrenvollen Vertrauens — dank dieser Eindrücke meiner Jugendzeit — dank seines ins einzelnste gehenden Verständnisses — dank des reichen und neuartigen Programms — dank der vorzüglichen antiseptischen Mittel''. Wie in aller Welt ist eine solche Verirrung möglich? Man könnte glauben, den Leuten schwebe bei ihrem dank mit dem Genitiv etwas ähnliches vor wie: ''kraft meines Amts, laut deines Briefs, statt eines Auftrags; kraft, laut'' und ''statt'' werden mit Recht mit dem Genitiv verbunden, denn ursprünglich hieß es: ''in Kraft'' (oder: ''durch Kraft''), ''nach Laut, an Statt''. Aber dank ist doch einfach ''Dank'', es hat nie eine Präposition vor sich gehabt, es verlangt also auch unbedingt den Dativ: ''dank deinem Fleiße, dank deinen Be-'' $Seite 243$ ''mühungen ist es gelungen'' usw. Die wunderlichen Beispiele: ''unter meines Beiseins und nach meines Erachtens zeigen'', wie der falsche Genitiv zustande kommt: er entsteht durch Verwechslung des Dativs mit dem Genitiv im Femininum. ''Nach meiner Meinung, unter meiner Mitwirkung, dank deiner Bemühung'' — das klingt den Leuten wie ein Genitiv, und so sagen sie nun auch fröhlich: ''dank dieses Umstands''. Man kann hier einmal die Entstehung einer Sprachdummheit an ihrer Quelle beobachten. Genau so ist es mit ''trotz'' gegangen; da sind wir jetzt glücklich so weit, daß der richtige Dativ für einen Fehler und der falsche Genitiv für das Richtige und Feine erklärt wird. Vielleicht kommt es auch noch mit ''dank'' dahin, und wenn wir uns rechte Mühe geben, auch mit ''nach'' und ''unter''.
Die allerneuesten „Präpositionen" sind ''ungerechnet'' und ''unerwartet''. Sie werden beide mit dem Genitiv verbunden: ''unerwartet des Beitritts andrer Eisenbahnverwaltungen — es hatten vierhundert Händler feil, ungerechnet derer, die in den Höfen standen''. Beide sind natürlich dem eben so schönen ''ungeachtet'' nachgebildet, das schon älter ist; ''ungeachtet seines Widerspruchs.'' Auch hier sieht man eine Sprachdummheit an ihrer Quelle. Ursprünglich hieß es: ''ungeachtet seinen Widerspruch''; das war aber ein absolutes Partizip im Akkusativ.
Während das Vorleimen von Eigennamen unter dem Einflusse des Englischen um sich gegriffen hat, beruhen andre Verirrungen unsrer Attributbildung auf Nachäfferei der romanischen Sprachen, namentlich des Französischen, vor allem der abscheuliche, immer ärger werdende Unfug, Personen- oder Ortsnamen unflektiert und ohne alle Verbindung hinter ein Hauptwort zu stellen, das eine Sache bezeichnet, als ob die Sache selbst diesen Personen- oder Ortsnamen führte, z. B. ''das Hotel Hauffe, der Konkurs Schmidt, die Stadtbibliothek Zürich'' (statt: ''Hauffes Hotel, der Schmidtsche Konkurs, die Züricher Stadtbibliothek''). Die Anfänge dieses Mißbrauchs liegen freilich weit zurück, man braucht nur an Ausdrücke zu denken, wie: ''Universität Leipzig, Zirkus Renz, Café Bauer''; aber seinen beängstigenden Umfang hat er doch erst in der neuesten Zeit angenommen. In wirklich deutsch gedachter Form bekommt man einen Eigennamen in Attributen kaum noch zu hören: alles plärrt, die Franzosen und Italiener nachäffend (''librairie Quantin, chocolat Suchard, rue Bonaparte, casa Bartholdi, Hera Farnese'' und ähnl.), ''von dem Antrag Dunger, dem Fall Löhnig, der Affäre Lindau, dem Ministerium Gladstone, dem Kabinett Salisbury, dem System Jäger, der Galerie Schack,'' $Seite 198$ ''dem Papyrus Ebers, der Edition Peters, der Kollektion Spemann und der Sammlung Göschen, von Schokolade Felsche und Tee Riquet'',//* ''Schokolade'' und ''Tee'' — deutsch geschrieben! Man schreibt in Leipzig sogar ''Theater Variété''! Manche verbinden die beiden Wörter gar noch durch einen Bindestrich, wie ''Atelier-Strauß, Tee-Meßmer'', was doch nur Männer bezeichnen kann (''der Atelier-Strauß, der Tee-Meßmer''). In Sachsen gibt es wirklich Geschäftsleute, die sich mit solchen Namen bezeichnen und sich dadurch selbst lächerlich machen, wie: ''Butter-Bader, Gold-Richter, Fahrrad-Klarner, Zigarren-Krause, Schokoladen-Hering''.// ''von der Villa Meyer, dem Wohnhaus Fritzen, dem Grabdenkmal Kube, dem Erbbegräbnis Wenzel, dem Pensionat Neumann, der Direktion Stägemann, dem Patentbureau Sack, dem Saale Blüthner, dem Konzert Friedheim, der Soiree Buchmayer, der Tanzstunbe Marquart, dem Experimentierabend Dähne, dem Vortrag Mauerhof, dem Quartett Udel, der Bibliothek Simson, der Versteigerung Krabbe und dem Streit Geyger-Klinger, von dem Magistrat Osnabrück, der Staatsanwaltschaft Halle, der Fürstenschule Grimma, dem Kaiserl. deutschen Postamt Frankfurt, dem Schreberverein Gohlis, der Mühle Zwenkau, dem Bundesschießen Mainz, dem Löwenbräu München und dem Migränin Höchst''. Sogar der Dorfwirt will nicht zurückbleiben: er läßt den Firmenschreiber kommen, die alte Inschrift an seiner Schänke: ''Gasthof zu Lindenthal'' zupinseln und dafür ''Gasthof Lindenthal'' hinmalen, und der Dorfpastor kommt sich natürlich nun auch noch einmal so vornehm vor, wenn er sich auf seine Briefbogen ''Pfarrhaus Schmiedeberg'' hat drucken lassen. Und was der Franzose nie tut, das bringt der Deutsche fertig: er setzt auch hier Vornamen und Titel zu diesen angeleimten Namen und schreibt: ''die Galerie Alfred Thieme, die Kapelle Günther Coblenz, der Rezitationsabend Ernst von Possart, das Antidysentericum Dr. Schwarz''. Manchmal weiß man nicht einmal, ob der angefügte Name ein Orts- oder ein Personenname sein soll. In $Seite 199$ Leipzig preist man ''Gose Nickau'' an. Ja, was ist ''Nickau''? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank gebraut wird, oder heißt der Brauer so? ''Der großherzogliche Bahnbauinspektor Waldshut'' — heißt der Mann ''Waldshut'', oder baut er in ''Waldshut'' eine Eisenbahn?
Da kämpfen wir nun für Beseitigung der unnützen Fremdwörter in unsrer Sprache; aber sind denn nicht solche fremde Wortverbindungen viel schlimmer als alle Fremdwörter? Das Fremdwort entstellt doch die Sprache nur äußerlich; wirft man es aus dem Satze hinaus und setzt das deutsche Wort dafür ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert bleiben. Aber die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus fremden Sprachen, noch dazu von Erscheinungen, die die Sprache in so heruntergekommenem Zustande zeigen, wie dieses gemeine Aneinanderleimen — leimen ist noch zuviel gesagt, Aneinanderschieben — von Wörtern, fälscht doch das Wesen unsrer Sprache und zerstört ihren Organismus. Es ist eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen! Wie stolz mag der Inhaber der ''Auskunftei Schimmelpfeng'' gewesen sein, als er das herrliche deutsche Wort ''Auskunftei'' erfunden hatte!//* Man könnte ebensosgut eine Abfahrtshalle auf dem Bahnhof ''die Abfahrtei'' nennen, oder die Kopierstube im Amtsgericht ''die Abschriftei''.// Aber für die ganz undeutsche Wortzusammenschiebung hat er kein Gefühl gehabt.
Auch hier handelt sichs um nichts als um eine dumme Mode, die jetzt, namentlich in den Kreisen der Geschäftsleute und Techniker, für fein gilt. Wenn es in einer Stadt fünf Kakaofabrikanten gibt, und einer von den fünfen schreibt plötzlich in seinen Geschäftsanzeigen: ''Kakao Müller'' (statt ''Müllerscher Kakao'') und hat nun damit etwas besondres, so läßt es den vier andern keine Ruhe, bis sie dieselbe Höhe der Vornehmheit erklommen haben (''Kakao Schulze, Kakao Meier'' usw.). Der fünfte lacht vielleicht die andern vier eine Zeit lang aus und wartet am längsten; aber schließlich humpelt er doch auch hinterdrein, während sich der, der mit der $Seite 200$ Dummheit angefangen hat, schon wieder eine neue ausdenkt.
Zu einer ganz besondern Abgeschmacktheit hat die neu erwachte Liebhaberei geführt, in Büchern ein Bücherzeichen mit dem Namen des Eigentümers einzukleben. Ein solches Bücherzeichen nennt man ein ''Ex-Libris'', und wer sich eins anfertigen läßt, der läßt auch stets diese Worte darauf anbringen. Da gibt es aber nun doch bloß zwei Möglichkeiten. Entweder man versteht die Worte lateinisch und in ihrer eigentlichen Bedeutung (''eins von den Büchern''); dann kann man auch nur seinen Namen lateinisch dahinter setzen: ''Ex libris Caroli Schelleri''. So geschah es im achtzehnten Jahrhundert. Oder man versteht ''Ex-Libris'' „deutsch" als ''„Bücherzeichen" ''; dann kann man nur schreiben: ''Ex libris Karl Schellers''. Das tut aber von Tausenden nicht einer! Alle setzen sie hinter ''Exlibris'' ihren Namen im Nominativ. Das Vernünftigste wäre natürlich, weiter nichts als seinen Namen hinzusetzen oder zu schreiben: ''Eigentum Karl Schellers''. Aber ohne die Worte oder das Wort ''Exlibris'' würde ja der ganze Sport den Leuten gar keinen Spaß machen. Man tauscht ''Exlibris'', man tritt in den ''Exlibrisverein'', und man hält sich ''die Exlibriszeitschrift''.
Sie sind eine verhältnismäßig junge Bereicherung der schriftlichen Wiedergabe der Sprache: in den ältesten Inschriften und Handschriften fehlen sie; erst das gesteigerte Bedürfnis größerer Bequemlichkeit und sichern Verständnisses hat sie erzeugt. Sie sind kein Selbstzweck, könnten also überall da wegbleiben, wo das Verständnis ohne sie genau dasselbe bliebe. Die Schule hat uns aber erzogen und gewöhnt, Satzzeichen regelmäßig auch da zu setzen, wo in gewissen Fällen ohne sie ein langsameres oder falsches Verstehen möglich wäre, und an diese Zeichensetzung muß sich wohl oder übel jeder halten, der sich schreibend an Andre wendet.
Die Satzzeichen dienen zur sichtbaren Gedankengliederung und zu sprachlichen Unterscheidungen. Überall da, wo sie hierfür unentbehrlich oder selbst nur nützlich sind, soll man sie sorgsam verwenden. Wie vollständig der Sinn eines Satzes durch die Zeichen bedingt sein kann, lehrt der bekannte Kinderscherz: ,''Es schrieb ein Mann an eine Wand: Zehn Finger hab' ich an jeder Hand, Fünf und zwanzig an Händen und Füßen, Wer dies liest, muß zu lesen wissen' '', — und wer's schreibt, muß es zu schreiben wissen.
Die mündliche Rede kennt keine sichtbaren Satzzeichen, wohl aber vernehmbare: die Satzpausen. Was die Pausenzeichen in der Notenschrift, das sind die Satzzeichen in der Redeschrift: sie bezeichnen die Pausen und Übergänge, die Näte der Wort- und der Satzfügung, der Trennungen und Zusammenhänge. Der gute Satzzimmerer ist fast immer ein guter Zeichensetzer; der schlechte Zeichensetzer vielleicht, ausnahmsweise, ein guter Satzbauer, aber ein Schreiber ohne Rücksicht auf seine Leser. Wenn in der ältern deutschen Sprache und Schrift die Zeichensetzung dürftig war, so schadete das wenig oder nichts, weil der Satzbau damals so einfach und durchsichtig war, daß er kaum der sichtbaren Nachhilfen bedurfte. Unser sehr viel reicherer und verwinkelterer Satz kann der Engel $Seite 322$ mannigfachen Gliederungszeichen nicht entraten, und grade der Schreiber, dem der gute Satzbau schwer fällt, sollte auf die genaue Zeichensetzung als eine sehr nützliche Erleichterung des Verständnisses achten.
Das wichtigste Satzzeichen ist der Punkt. Mancher sonst nicht üble Schreiber ist schwer lesbar, weil er zu sparsam mit den Punkten umgeht. Ruhen und ruhenlassen — der Schreiber selber beim Abspinnen und Aufzeichnen der Gedanken, er den Leser bei ihrer Aufnahme. Nur kein Gedränge, keine atemlose, pausenlose Überstürzung. Ein um so wohligeres Gefühl geht vom Schreiber auf den Leser über, je mehr Punkte, also Ruhepunkte, ihm geboten werden. Im Hirn hängen die einzelnen Gedanken keineswegs so fest zusammen, wie die endlosen, punktlosen Sätze schlechter Schreiber es erscheinen lassen, und in der mündlichen Rede werden bei weitem mehr Punkte gemacht als in der schriftlichen. Läse sich jeder Schreiber seine Sätze vor, oder andern, strengen Hörern, so würde er bald erfahren, daß er und die Andern mehr Punkte brauchen.
Fast ebenso notwendig ist der Absatz, der schon von weitem besagt: hier, o Leser, kannst du verschnaufen, wie der Schreiber selbst es getan und dir’s anrät. Viele Absätze geben Lust zum Weiterlesen; volle ungeteilte Seiten nacheinander schrecken ab. Ich hoffe, daß in diesem ganzen Buch kaum eine Seite ohne Absatz, erst recht keine ohne drei und mehr Punkte geblieben ist. Der Stoff ist ermüdend genug, die Form soll die Ermüdung nicht steigern, sondern mindern. Allgemeiner Rat: wo der Schreiber schwankt, ob Absatz oder nicht, da wähle er doch lieber den Absatz, und wo er zwischen Punkt und irgendeinem andern Zeichen schwankt, da setze er getrost den Punkt: unter zehn Fällen ist er neunmal das Bessere.
Das häufigste Satzzeichen im Deutschen ist der Beistrich (Komma). Er ist in unsrer Schrift häufiger als in irgendeiner andern und wird oft recht überflüssig gesetzt. Grade in dem Falle, wo die Schulregel ihn aufs strengste vorschreibt, ist er ganz entbehrlich: vor einem Nebensatz mit ''daß'', denn dieses unterscheidet sich schriftlich so deutlich vom Geschlechtswort und Bezugsfürwort ''das'', sagt so unverkennbar, hier bin ich und bedeute den Beginn eines neuen Satzgliedes daß es keiner weitern Hilfe fürs Auge bedarf — wie ich soeben durch das Weglassen des Beistrichs bewiesen zu haben glaube.
$Seite 323$ Weniger entbehrlich ist es vor den Bezugsfürwörtern ''der, die, das'' wegen der Gleichheit der Form mit dem Geschlechtswort. Vor welcher könnte man den Beistrich ebensogut entbehren wie die Franzosen und Engländer vor ihren Bezugsfürwörtern. Natürlich darf der Einzelne keine selbstherrliche Eigenbrötelei treiben, sobald er für Andre schreibt.
Die peinliche Setzung des Beistrichs zwischen mehren aufeinanderfolgenden Beiwörtern ist nur da nützlich, wo ein Nacheinander, nicht ein Nebeneinander bezeichnet werden soll. ''Mit gutem altem Wein'' bedarf keiner Trennungspause durch Beistrich; wohl aber soll sie, angedeutet werden in Fällen, wo auch der Sprecher absetzt, wo einem Beiwort ein zweites, ein drittes folgt, das eine wesentliche Erweiterung des Begriffes darstellt: ,''Mit immer neuen, größeren, schwierigeren Aufgaben befaßte sich sein rastloser Forschertrieb.' — ,Ein sicheres sittliches Gefühl' '' muß ohne Beistrich bleiben; ,''ein ängstliches, feines Sprachgefühl' '' wird durch den Beistrich deutlicher: ein ''feines Sprachgefühl'' ist nicht notwendig ängstlich, ein ''ängstliches'' nicht immer fein. ,''Eine unverhüllte selbstsüchtige Begierde'' — ohne Beistrich: ''selbstsüchtige Begierde' '' ist ein Einheitsbegriff, vor diesen tritt das schärfer kennzeichnende ,''unverhüllte' ''. ,''Ein feiner dramatischer Zug' '' — ohne Beistrich, aus demselben Grunde. Aber: ,''ein plötzlicher, nachwirkender Eindruck' '', weil nicht jeder plötzliche Eindruck ein nachwirkender, nicht jeder nachwirkende ein plötzlicher ist.
Komma heißt Schnitt, Einschnitt, Glied: man zerschneide und gliedre nichts, was nur ungetrennt einen Sinn gibt. ,''Auf solche Reden wäre es verkehrt etwas zu antworten' '' — oft findet man in Fügungen dieser Art einen Beistrich vor dem Satzteil mit ''zu'', also hier vor ''etwas''. Das ist gradezu falsch, denn der erste Satzteil für sich ist unvollständig und unverständlich; seine notwendige Ergänzung darf nicht durch Beistrich abgegliedert werden. Hieraus folgt aber nicht, daß der Beistrich überall vor ''zu'' mit der Nennform des Zeitwortes fehlen darf. ,''Er verbot dem Gefangenen Briefe zu schreiben' '' —: wurde dem Gefangenen das Briefschreiben verboten, oder wurde Andern das Schreiben von Briefen an den Gefangenen verboten?
Die Schulvorschrift, daß vor ''und'' ein Beistrich stehen muß an der Spitze eines angeschlossenen neuen Satzes mit einem neuen Satzträger (Subjekt), ist ziemlich überflüssig: eine $Seite 324$ Umkehrung des Verständnisses entsteht durch das Fehlen des Beistriches nicht. Allerdings deutet der Beistrich vor ''und'' sogleich an, daß der Satz eine neue Wendung machen will. Bei engem Zusammenhang des Gedankens kann der unterschiedlose Beistrich vor jedem solchem ''und'' störend wirken; man vermutet eine stärkere Ausbiegung des Satzes, als tatsächlich eintritt. Die Sprache ist zu mannigfaltig, als daß eine starre Zeichensetzung auf jede ihrer Erscheinungen passen könnte. Das Zeichen tötet, der Geist macht lebendig.
Ein Pausenzeichen, dessen Dauerwert und Gliederungskraft zwischen dem Punkt und dem Beistrich, aber näher dem Punkte stehen, der Punktstrich (Semikolon), wird von den guten Schreibern, die auch das zu jeder Kunst gehörende Handwerk gründlich beherrschen, gern und zu nützlicher Wirkung angewandt; von den weniger guten selten oder gar nicht oder falsch gesetzt. Ein hoher Staatsmann hat mir vor Jahren gesagt, daß ihm die Bildung jedes seiner Beamten verdächtig sei, der nie ein Semikolon setze. Mochte dies auch etwas übertrieben sein, ein Kern wahren Urteils steckt darin; es besagt: wer nicht große und kleine Satzglieder zu unterscheiden vermag, versteht nichts vom Satzbau, ist also ein mittelmäßiger Schreibersmann. Eine Satzgliedergruppe oder selbst ein größeres Satzglied in Hauptsatzform muß durch den Punktstrich abgeschlossen werden, ehe der Hauptgedanke weiter geführt wird, sonst erscheint dieser den vorausgegangenen Satzgliedern gleichgeordnet. ,''Der Spruch: Es soll der König mit dem Dichter gehn, hat längst seine Wahrheit verloren, wohl aber soll der Künstler seiner Zeit angehören, von deren Geisteswehen erfüllt sein, nur wenn er ihres Wesens Tiefe zur Anschauung bringt, ist er ein Künstler.' '' Nichts als Beistriche, und doch sind die Gedanken- und Satzglieder grundverschieden an Eigenart und an Gliedwert im Satz. Schon hinter ''verloren'' ist der Beistrich zu schwach, weil ein entschiedener Gegensatz folgt und das Vorangehende die mittlere Länge eines selbständigen Hauptsatzes erreicht hat. Hinter ''erfüllt sein'' muß ein Punktstrich stehen; ja selbst ein Punkt wäre hier nicht zu viel, denn mit ''nur wenn er'' hebt ein neuer Gedanke an. Im Vorlesen solches Satzes stolpert jeder: bei ''erfüllt sein'' hätte er den Ton sinken und vor dem Übergange zu ''nur wenn er'' eine Pause eintreten zu lassen; dies merkt er, zu spät, erst bei ''bringt'' und kann nun nicht mehr $Seite 325$ mit dem Vortragston umschwenken: der ganze Satz ist sprecherisch verbruddelt, weil der Schreiber den Leser hilflos gelassen.
Einer der gar zu gern verbietenden Sprachmeister erklärt mehr als Einen Punktstrich im Satze für falsch. Dieses Verbot ist falsch: es gibt vortrefflich gebaute Sätze mit zwei reichen vollen Vordergliedern, deren jedes für die Abgliederung durch bloßen Beistrich zu gewichtig ist, und auf die ein Nachsatz folgt, der von den Vordersätzen nicht durch den völlig trennenden Punkt abgeschnitten werden darf. Was ist z. B. gegen diesen Satz und seine Zeichensetzung zu sagen: ,''Einen unmittelbaren Angriff auf das Deutsche Reich wagte Ludwig damals noch nicht, um die Rheinbundfürsten nicht zu erschrecken; er wollte sie nicht dadurch abwendig machen und gegen sich aufbringen; er brauchte sie noch' '' (Moltke). Wohl könnte hinter ''erschrecken'' schon ein Punkt stehen; aber ''er brauchte sie noch'' schließt sich dem vorherigen Gedankengange sehr dicht an. Dagegen wäre der Beistrich hinter ''erschrecken'' gradezu falsch, weil zu schwach.
Der Doppelpunkt wird nach der Schulregel nur vor wörtlichen Anführungen und Aufzählungen gesetzt. Seine Geltung reicht viel weiter: er darf stehen, und steht nützlich überall da, wo aus einem Vordersatz eine Folgerung, eine Nutzanwendung gezogen wird — wie z. B. in diesem Satz nach ''viel weiter'' —, die man nicht durch einen Nebensatz mit Bindewort anschließen will. Der Doppelpunkt dient zur Belebung des Stils, indem er die Zahl der Hauptsätze auf Kosten der Nebensätze vermehrt, und er verhilft dem Leser auf die leichteste Weise zur Einsicht in den gedanklichen Zusammenhang, besonders in einen von Ursache und Folge. Wer beim Lesen an meinen Doppelpunkt gelangt, steht wie vor einer sich in den zwei Punktangeln öffnenden Tür, die zum angekündigten Inhalt des viel weiter führt. ,''Kinder wissen beim Spiel aus allem alles zu machen: ein Stab wird zur Flinte, ein Stückchen Holz zum Degen' '' (Goethe). Kein andres Satzzeichen käme hier dem Doppelpunkt an Zweckmäßigkeit gleich.
Auch zur Rückschau auf Vorangegangenes leitet der Doppelpunkt. ,''Alle echte Dichtung sollte aus dem eignen Erleben fließen: dies ist der Kern der Auffassung Goethes von der Schöpferkunst des Dichters.' '' Der Leser findet in diesem Buch Dutzende solcher Doppelpunkte: sie sind eines der unentbehr- $Seite 326$ lichen Satzzeichen eines Führers ans Voraussetzungen zu Folgerungen.
Anführungszeichen (Gänsefüßchen) sind hergebrachtes Mittel zur Bezeichnung wörtlicher Anführungen, um sie zu unterscheiden von nicht ganz wörtlichen. Bei der Häufigkeit ihrer Anwendung in diesem Buch begnügte ich mich mit dem halben Zeichen , '. Überflüssig ist es überall da, wo sich’s von selbst versteht, daß es sich um einen Titel handelt: ''der erste Akt des Teil, in den Kranichen des Ibykus, Hauptmanns Weber, der Kreuzer Emden'' bedürfen keiner Anführungszeichen, um uns erkennen zu lassen, daß etwas angeführt, d. h. mit Namen genannt wird. Noch sonst könnte man viel spärlicher mit dem Zeichen umgehen, das den gleichmäßigen Schriftsatz auffällig unterbricht. Hingegen bedarf es in Lehrbüchern über Sprachformen, wie diesem, unbedingt eines Mittels, um Darstellung und Beispielwort auf den flüchtigsten Blick zu unterscheiden, es sei denn, daß die Beispiele sich durch eine so auffällig verschiedene Schriftart abheben wie oft in diesem Führer.
Daß die zufällig gesetzten oder nicht gesetzten Gänsefüßchen keinen bestimmenden Einfluß auf die Beugung des angeführten Wortes haben dürfen, sei hier nachdrücklich wiederholt (vgl. S. 118). Wer sich scheut, was verkehrt wäre, zu schreiben: ,''In Goethes Natürlicher Tochter' '', was untadlig ist, der schreibe überflüssigerweise: ''.. ,Natürlicher Tochter' ''; er rede sich aber nicht ein, daß er durch noch so viele Gänsefüßchen so elendes Deutsch wie: ''ein Aufsatz in „Die Gegenwart", die Redaktion des „Berliner Tageblatt" '' richtig macht. Wer aus unverständlichen Sprach- oder Gewissensbedenken durchaus nicht schreiben will ,''In Goethes Natürlicher Tochter' '', dem bleibt nichts übrig als die Umständlichkeit, die ihm niemand danken wird: ''In Goethes Drama ,Die natürliche Tochter'.''
Ehedem herrschte die Anschauung, eigentlich sei der Gedankenstrich das allerfeinste Zeichen, und gar eine ganze Reihe von Gedankenstrichen verrate eine besondre verborgene Geistestiefe des Schreibers, die zu gleicher Gedankenfülle bei dem dazu angespornten Leser führen solle. Mit Ausnahme einiger dichterischer Stümper, die ihre Gedankenleere hinter einem dichten Lattenzaun von Gedankenstrichen verbergen möchten, denkt man heute in der Schreiberwelt anders über dieses Zeichen: man wendet es fast nur noch da an, wo sonst $Seite 327$ zwei Beistriche oder Klammern stehen würden, und setzt in die Klammern nur solche Angaben, die sonst als besondre Anmerkungen unter der Seite zu geben wären. Unentbehrlich ist der Gedankenstrich als Pausenzeichen zum kurzen Stocken vor Überraschungen: ,''Kaum einer von zehntausend Lesern weiß, warum die Römer sagten ad Kalendas graecas; um so vornehmer erscheint der deutsche Mann, der es schreibt und es in zehntausend Fällen gegen einen — auch nicht weiß.' ''
Beistrich Gedankenstrich (,—) sind ein nützliches Zeichen für das jähe Abbrechen eines Vordersatzes und das unvermittelte Beginnen eines Nachsatzes, wo ein Punktstrich zu schwach wäre: ,''Sieht man ihn bald . ., bald . ., bald . ., — wer konnte da ernst bleiben?' ''
So wenig wie möglich Ausrufzeichen ! Auf dem Papier — wie in der Rede — soll gesprochen, nicht geschrien werden. So selten wie möglich Ünterstreichung: wer immer gleich unterstreicht, unterstreicht nichts; wer alles für äußerst
wichtig erklärt, macht alles gleichmäßig unwichtig. Die Irrenärzte haben längst als eines der Anzeichen der Geistesstörung die Vorliebe für massenhafte Ausrufzeichen und Unterstreichungen festgestellt. Im Druck wirken die häufigen, gar die langen Sperrungen, die nicht äußerst Wichtiges scharf unterscheidend, besonders betonend herausheben, unruhig und ermüdend. Es ist Sache des Satzbaumeisters, durch Bau und Wortstellung das Sperren (Unterstreichen) entbehrlich zu machen.
Das Häkchen (’) sollte nur stehen, um anzuzeigen, daß ein Buchstabe ausgefallen ist, der bei unverkürzter Schreibung des Wortes dastehen würde. Also ein Häkchen in: '',Das Wasser rauscht' , das Wasser schwoll' '', weil Goethe sich hier die Freiheit genommen, statt ''rauschte'' zu schreiben: ''rauscht’ ''. Allenfalls ist es noch zulässig im 2. Fall der Eigennamen auf Zischlaute (vgl. S. 104), um uns über eine Schwierigkeit wegzuhelfen. Dagegen ist es nicht nur überflüssig, sondern falsch in ''Schillers Tell, Goethes Leben''; unnötig in ''durchs, fürs, mirs'', denn hier läßt man nichts aus Läßlichkeit weg, sondern zu einem guten Stilzweck: zur Belebung des Satzes. Allenfalls ist es berechtigt und nützlich in ''sei’s, gibt’s'', um die sonst ungewöhnlichen Formen sofort richtig zu lesen. — Im Satzanfang: ''’s ist'', nicht etwa:'' ’S ist.''
Von der Superlativendung ''-est'' darf bei Adjektiven, die auf einen Zischlaut ausgehen, nicht das ''e'' oder ''es'' getilgt und etwa gesagt werden ''hübsch(s)te'', ''süßte'' statt des richtigen ''hübscheste'', ''süßeste''. Dagegen wird im neusten amtlichen preußischen Regelheft (1927) denen auf ''-isch'' in „ungezwungener Sprechweise" die Form auf bloßes ''t'': ''barbarischte, närrischte'' wieder zugestanden neben der ''barbarisch(e)ste, närrisch(e)ste.'' +
Der zweite Verstoß betrifft die Stellung der persönlichen Fürwörter. Es handelt sich da wieder um eine Spracherscheinung, die unsäglich häßlich ist und doch allgemein für eine Schönheit gehalten wird. Um die Sache deutlich zu machen, soll zunächst der häufigste und auffälligste Fall besprochen werden.
Wenn das Zeitwort eines Satzes ein Reflexivum ist, gleichviel ob das reflexive Verhältnis den Dativ oder den Akkusativ hat (''sich entschließen, sich einbilden''), so erscheint in der lebendigen Sprache das reflexive Fürwort ''sich'' stets so zeitig wie möglich im Satze. In Nebensätzen wird es stets unmittelbar hinter das erste Wort gestellt, hinter das Relativ, hinter das Fügewort usw. (''der sich, wo sich, wobei sich, da sich, obgleich sich, als sich, daß sich, wenn sich, als ob sich, je mehr sich'' usw.); erst dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selbst ein persönliches Fürwort ist, geht dieses dem ''sich'' voran (''da es sich, wenn sie sich, die er sich''). In Hauptsätzen steht das ''sich'' stets unmittelbar hinter dem Verbum (''hat sich'', $Seite 302$ ''zeigt sich, wird sich finden''); in Infinitivsätzen steht es ganz an der Spitze, mag das Verbum noch so reich mit Objekten, adverbiellen Bestimmungen u. dergl. bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie reden, man wird höchst selten einer Abweichung von diesem Gesetze begegnen.
Nun vergleiche man damit, wie geschrieben wird, ganz allgemein geschrieben wird, und sehe, wo da das ''sich'' hingesetzt wird; die Stelle, wo es hingehört, soll jedesmal durch Klammern bezeichnet werden. Da heißt es in Hauptsätzen: ''selten hat'' [] ''eine Darstellung so rasch in der Literatur sich eingebürgert — durch die neue Ordnung glaubte'' [] ''namentlich die Universität sich verletzt — diese hielten'' [] ''ohne Erlaubnis der Regierung in diesen Gegenden sich auf — der heftige Seelenschmerz löste'' [] ''in ein krampfhaftes Schluchzen sich auf — eventuell'' (!) ''behält'' [] ''der Verkäufer das Rückkaufsrecht sich vor — als Porträtmaler schließt'' [] ''Hausmann unmittelbar an Hoyer sich an. Beim Infinitiv: die Photographie scheint'' [] ''in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst sich zu erheben — bald begannen'' [] ''Menschen in dem Walde sich anzusammeln — der Name dürfte'' [] ''auf den ganzen Gebirgszug sich beziehen — man mußte'' [] ''in entsetzlichen Postkarren, von Ungeziefer halb verzehrt, unter Hunger und Durst, in jene allerschönsten Gegenden sich durcharbeiten — es ist leicht,'' [] ''diese Kenntnis sich anzueignen — das Recht,'' [] ''an der friedlichen Kulturarbeit frei sich zu beteiligen.'' In Nebensätzen endlich: ''die Verdienste, welche'' [] ''Eure Durchlaucht um das deutsche Vaterland sich erworben haben — es ist das eine der schwierigsten Aufgaben, die'' [] ''der menschliche Geist sich stellen kann — aus dieser Lage der Dinge, die'' [] ''binnen wenigen Monaten zu einer ganz unerträglichen sich ausbildete — der geistige Zustand, in dem'' [] ''die deutsche Jugend in der Zeit der französischen Invasion sich befand — der Modegeschmack der'' $Seite 303$ ''erschließt — ein Mann, der'' [] ''bei allem Eifer für die katholische Sache doch einen warmen Patriotismus sich bewahrt hatte — im Militärwaisenhaus, das'' [] ''nach dem Willen des Königs zu einer möglichst großartigen Anlage sich gestalten soll — die Schlagwörter, mit denen'' [] ''die sozialdemokratischen Lehren sich zu schmücken lieben — in Fällen, wo'' [] ''das Bedürfnis dazu sich herausstellt — der erste Akt versetzt uns in die Welt des Waldes, wo'' [] ''Roseggers Phantasie am meisten sich heimisch fühlt — in Bonn, wo'' [] ''die ganze Rheinstraße mit ihren Denkmälern zu Exkursionen sich anbietet — die Verbrecher treiben allerlei Ulk, wobei'' [] ''ihre wahre Natur sich äußert — die Schicksale, aus deren Zusammenwirken'' [] ''erst die eigenartige Entwicklung von Hoffmanns Persönlichkeit sich erklären läßt — unter der Bedingung, daß er'' [] ''auf eine bestimmte Probezeit des Wilderns sich enthalte — die Gegenwart beweist, daß'' [] ''der kleine Betrieb dem Großkapital gegenüber sich nicht halten kann — der einzelne darf nicht verkennen, daß er'' [] ''unter solchen Umständen zu Nutz und Frommen seiner Mitmenschen eine Selbstbeschränkung sich auferlegen muß — als'' [] ''fast sämtliche Klöster wieder mit den geistichen Orden sich gefüllt hatten — es wird noch geraume Zeit vergehen, ehe'' [] ''ihr Ideal vollständig sich verwirklichen kann — seitdem'' [] ''das große, für die Kultur so folgenreiche Weltereignis der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus sich begab — die Aufhebung des Gesetzes können wir nicht beklagen, da es'' [] ''im Laufe der Jahre immer mehr als unbrauchbar sich erwiesen hat — da er'' [] ''gerade jetzt in der Lage sich befindet, Zahlung leisten zu können — weil er'' [] ''diese Eigenschaften bis in sein hohes Alter sich bewahrt hat — nachdem'' [] ''die ursprüngliche Bedeutung im Sprachbewußtsein sich verdunkelt hatte— nachdem'' [] ''die Wogen freundlicher und feindlicher Erregung, die das Buch hervorrief, sich gelegt haben — wenn er'' [] ''zuweilen zu religiösem Pathos sich erhob — wenn der Kurfürst abreist und'' [] ''auf einen seiner Landsitze sich begibt — ich würde untröstlich sein, wenn Sie'' [] ''durch'' $Seite 304$ ''mich in Ihrer alten Ordnung sich stören ließen — wenn'' [] ''neuerdings die Unternehmer und Arbeitgeber zur Wahrung ihrer gerechten Interessen sich zusammenschließen — die Namen der Künstler sind so bezeichnet, wie sie'' [] ''auf den Blättern sich finden — als ob er'' [] ''die größten Verdienste um das deutsche Vaterland sich erworben hätte — je mehr'' [] ''Frankreichs Stellung am Mittelmeere sich behauptet'' usw.
Wir stehen da wieder vor einer Erscheinung, die recht eigentlich in das Kapitel vom papiernen Stil gehört. Der lebendigen Sprache gänzlich fremd, stellt sie sich immer nur da ein, wo jemand die Feder in die Hand nimmt, aber auch da nicht sofort, sondern erst dann, wenn er zu künsteln anfängt.//* Tausendmal habe ich bei der Durcharbeitung von Manuskripten das ''sich'' heraufgeholt an die richtige Stelle, und niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druckkorrektur bekamen, etwas davon gemerkt: alle haben darüber weggelesen, als ob sie selber so geschrieben hätten. Und hundertmal ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten Niederschrift das ''sich'' an die richtige Stelle gesetzt, es aber beim Wiederdurchlesen dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hineingeflickt hatte — niemals das umgekehrte! Damit ist schlagend bewiesen, daß die Voranstellung des ''sich'' das natürliche ist und das, was jedem, der unbefangen schreibt, aus der lebendigen Sprache zunächst in die Feder läuft; erst wenn das Feilen und Drechseln beginnt, entsteht die Unnatur.// Man könnte ja nun meinen, es sei doch unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das wesentliche ist ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen werden kann: die Verbindung mit dem voranstehenden andern Pronomen oder mit dem Fügewort (''der sich, wenn sich''). Diese Verbindung ist der lebendigen Sprache wichtiger, als die mit dem Verbum, denn durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen. Wenn ich das ''sich'' unmittelbar nach ''da, wo, wenn, seitdem'' bringe, so erfährt der Hörer schon, daß am Ende des Satzes ein reflexives Zeitwort folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich auf diese Weise $Seite 305$ der Satz fester zusammenschließt, als auf die andre, liegt auf der Hand. Wenn dagegen einer mit ''wenn'' oder ''das'' anfängt, und erst nachdem er zwanzig oder dreißig Worte dazwischengeschoben hat, endlich mit ''sich begab'' oder
''sich befindet'' schließt, so möchte man immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das Zeitwort zu besinnen? dich zu besinnen, daß du ein verbum reflexivum gebrauchen willst?
Es ist ja aber keineswegs bloß das ''sich'', das jetzt in dieser Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem rückbezüglichen Fürwort überhaupt. Man schreibt auch: ''darüber gedenke ich'' [] ''später einmal in diesen Blättern mich auszulassen — wenn wir'' [] ''auch mit voller Seele an der Jubelfeier uns beteiligen — daß wir'' [] ''in unsern nationalen Lebensformen ungehindert uns entwickeln können — wenn wir'' [] ''überhaupt von Gott eine Vorstellung uns machen wollen''. Ja die Krankheit hat sich noch viel weiter verbreitet, sie hat auch das ganze persönliche Fürwort ergriffen. In der lebendigen Sprache wird das persönliche Fürwort genau so gestellt wie das reflexive. Wie aber wird geschrieben? ''Das war es bloß, wozu'' [] ''mein väterlicher Freund mich bewegen wollte — wie willst du den Widerspruch lösen, den'' [] ''eine verehrte Autorität dir aufdrängt? — man kann den Fortgang voraussehen, soweit'' [] ''nicht unberechenbare äußere Störungen ihn hemmen — die Mängel des Gedächtnisses kommen weniger zur Geltung, wenn'' [] ''das Nachdenken ihm Zeit läßt — der Bischof verzichtete auf den Segen, den'' [] ''sein Konfrater in Trier ihm anpries — können wir einen Dichter nennen, der'' [] ''an Mannigfaltigkeit, an beherrschender Sicherheit ihm gleich käme? — er würde'' [] ''gewiß auch diesmal nicht ohne Not sie warten lassen — die Menge geht dahin, wohin'' [] ''der Zar und die Kirche sie treibt — sie wissen viel zu gut, was [] das erreichte Ziel sie gekostet hat — die Arbeiter stehen schon so tief, daß'' [] ''ein weiterer Druck sie arbeitsunfähig machen würde — wenn'' [] ''die Zeit es erlaubt — wer'' [] ''in unsern Tagen noch es wagt — wie'' [] ''der Drang seines Herzens es gebot — eine unzulängliche Einrichtung, wie'' [] ''das Duell es'' $Seite 306$ ''ist — abgesehen davon hatten'' [] ''die Bewohner des Hauses es nicht schlecht — wenn'' [] ''die Gegner des Sozialistengesetzes es als einen Vorteil preisen — unter diesem Feldgeschrei hatte man'' [] ''in den katholisch-deutschen Ländern es dahin gebracht — es genügt uns nicht,'' [] ''bei dieser allgemeinen Schilderung seines Wesens es bewenden zu lassen — wir müssen tragen, was'' [] ''unser Geschick uns auferlegt — die praktische Aufgabe, die'' [] ''unsre religiöse Gefahr uns stellt — wir halten das für die einzig mögliche Erklärung, weil'' [] ''keine andre uns begreiflich ist — wenn'' [] ''sein Auge so ernst und mild uns anblickt — wäre er nicht das große Genie gewesen, so würde'' [] ''der Name Rembrandt uns unbekannt geblieben sein — am 19. Mai hat'' [] ''der Tod wieder einen der hervorragendsten Künstler uns entrissen — nun galt es,'' [] ''mit Rat und Tat ihnen beizustehen — sie warfen mit lateinischen Brocken um sich, sodaß'' [] ''kein andrer in der Gesellschaft ihnen zu folgen vermochte — er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie'' [] [] ''sein alter Schulkamerad sie ihm erzählt hatte — es ist das ein großes Stück Wehrkraft, worin'' [] [] ''die Nachbarn im Osten und Westen es uns nicht gleichtun können.'' Überall ein ängstliches, schulknabenhaftes Voranstellen der Subjekte vor die Objekte, überall das gequälte Aufsparen der Fürwörter bis unmittelbar vor das Zeitwort!//* Nur wo ein Mißverständnis, eine Verwechslung von Subjekt und Objekt möglich ist, hat es einen Sinn, das Subjekt in dieser ängstlichen Weise vor das Fürwort zu stellen, z. B. ''Vater und Mutter müssen sich darein finden, dass die Kinder sie verlassen''. Aber ist etwa ein Mißverständnis möglich, wenn man sagt: ''Tatsachen machen sich geltend, gleichviel ob sie die Juristen definieren können oder nicht''? Wird hier jemand ''die Juristen'' für das Objekt halten?// In einem Roman heißt es: ''während die Stämme ihre kahlen Äste uns entgegenstreckten, als wollten sie mit ihren Armen unserer''(!) ''sich erwehren.'' Das soll heißen: ''während uns die Stämme ihre kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten sie sich unser mit ihren Armen erwehren.'' Am fürchterlichsten ist es, wenn das unbetonte ''es'', vollends das proleptische, das nur einen Inhalts- oder einen $Seite 307$ Infinitivsatz vorbereitet, und das nur dann erträglich ist, wenn es sich so viel wie möglich versteckt, wenn es ganz flüchtig (am liebsten in der Form von '' ’s'') durch den Satz huscht — wenn das mit solchem Elefantentritt an möglichst unpassender Stelle in den Satz hineintappt: ''trotz des Widerwillens des Vaters setzte'' [] ''der Knabe unter dem Beistande der guten Mutter es durch, daß er'' usw.
Möglich ist ja eine solche Stellung der Fürwörter auch, falsch ist sie nicht, es fragt sich nur, ob sie schön sei. Wie müssen sich oft die Fürwörter und die Wörter überhaupt in Versen herumwerfen lassen! Wie die Kegel, wenn die Kugel dazwischenfährt. ''Da senkte sich aus der Höhe ein lichter Engel'' — nicht wahr, ganz gewöhnliche Prosa?
''Da senkte aus der Höhe
Ein lichter Engel sich'' —
auf einmal „Poesie"! ''Ich weiß nicht, was es bedeuten soll'' — Prosa. ''Ich weiß nicht, was soll es bedeuten'' — herrliche Poesie! Das hat aber doch auch seine Grenzen. Poetischer als ein Vers wie der:
''Wie soll aus diesem Zwiespalt ich retten mich?''
klingt doch unzweifelhaft die schlichte „Prosa": ''wie soll ich mich aus diesem Zwiespalt retten?''
Von Gellerts Fabeln hat man geringschätzig gesagt, sie wären die reine Prosa. Von dem Ausdruck trifft das nun gar nicht zu, der ist dazu viel zu fein und gewählt. Wenn es sich aber darauf beziehen soll, daß ihre Wortstellung ganz so ist, wie sie in guter Prosa sein würde, so wäre das ja das höchste Lob! Es ist das, was Friedrich der Große mit den Worten rühmte: Er hat so etwas Kulantes in seinen Versen.
Falsche Stellung des Genetivs hinter dem (scheinbaren) Umstande rührt oft von einem teilweise berechtigten Gefühle her, daß nämlich die präpositionale Wendung kein Umstand im eigentlichen Sinne mehr ist, sondern nur mit dem Zeitwort zusammen als ein einheitlicher Prädikatsbegriff verständlich werden kann. Aber wie sie nach § 35 z. B. die Substantivierung: ''die Inanklagezustandversetzung des Kabinetts'' verbietet, so ist trotzdem auch die Form: ''die Versetzung in Anklagezustand des Kabinetts'' unzulässig, weil nicht nur der Genetiv falsch gestellt, sondern auch der einheitliche Verbalbegriff nur halb//1 Um ein untrügliches Mittel zu haben, in welchem Umfange eine Wendung, substantiviert werden muß, um es vollständig zu sein, braucht man nur die Probe zu machen, ob die Wendung auch ohne den (scheinbaren) Umstand innerhalb desselben Begriffsgebietes verständlich sei. Ist das der Fall, so darf nur der eigentliche Verbalbegriff, ist das nicht der Fall, so muß zugleich der (scheinbare) Umstand mit substantiviert werden. Es ist nun nicht der Fall z. B. bei der ''Erklärung aller Deutschen, ... der Stadt Königshütte'', worunter man nur eine von diesen abgegebene Erklärung verstehen würde, auch nicht bei der ''Stellung des Admirals'', worunter man die Stellung, die er einnimmt, begreift. — Dagegen ist z. B. allein verständlich ''die Ernennung, die Wahl jemandes'', so daß denn auch wie neben den Verben, so neben den Substantiven selbständig stehn kann: ''Die Wahl Napoleons zum 1. Konsul, die Ernennung Napoleons zum Vorsitzenden''.// substantiviert ist. Gleich falsch wird gesagt: ''die Stellung zur Disposition des Admirals v. K''. (statt etwa: ''die einstweilige Dienstenthebung''), ''die im Jahre 1871 erfolgte Erklärung der Stadt Königshütte, Kreis Beuthen, in Belagerungszustand'' (statt: ''die Erklärung des Belagerungszustandes über die Stadt''), ''ein Spiegelbild im kleinen der Gebiete, die Verkehr mit der Stadt haben'' (statt: ''Sp. der Gebiete im kl''.). +
Von den Hauptwörtern auf ''el'' und ''er'' gehören alle Feminina der schwachen Deklination an; daher bilden sie den Plural: ''Nadeln, Windeln, Kacheln, Kurbeln, Klingeln, Fackeln, Wurzeln, Mandeln'', (''Sicheln, Regeln, Bibeln, Wimpern, Adern, Nattern, Leitern, Klaftern, Scheuern, Mauern, Kammern''; alle Maskulina und Neutra dagegen gehören zur starken Deklination, wie ''Schlüssel, Mäntel'', $Seite 18$ ''Wimpel, Zweifel, Spiegel, Achtel, Siegel, Kabel, Eber, Zeiger, Winter, Laster, Ufer, Klöster''.//* Ausgenommen sind nur ''Mutter'' und ''Tochter'', die zur starken, und ''Bauer'', ''Vetter'' und ''Gevatter'', die zur gemischten Deklination gehören. In der Sprache der Technik aber, wo ''Mutter'' mehrfach im übertragnen Sinne gebraucht wird, bildet man unbedenklich die ''Muttern'' (''die Schraubenmuttern'').// Die Regel läßt sich sehr hübsch bei Tische lernen: man vergegenwärtige sich nur die richtigen Plurale von ''Schüssel'' und ''Teller, Messer, Gabel'' und ''Löffel, Semmel, Kartoffel und Zwiebel, Auster und Flunder''. Sie gilt, wie die Beispiele zeigen, ebenso für ursprünglich deutsche wie für Lehnwörter, und sie ist so fest, daß, wenn ein Lehnwort (wie es im Laufe der Sprachgeschichte oft vorgekommen ist) aus einem Geschlecht in ein andres übergeht, sofort auch die Pluralbildung wechselt. Im sechzehnten Jahrhundert sagte man noch in der Einzahl ''die Zedel'' (''schedula''), folglich in der Mehrzahl ''die Zedeln'', im achtzehnten Jahrhundert noch in der Einzahl ''die Aurikel'' (''auricula''), folglich in der Mehrzahl ''die Aurikeln''; heute heißt es ''der Zettel, das Aurikel'' und folglich die Mehrzahl ''die Zettel, die Aurikel''. Also sind Formen wie ''Buckeln, Möbeln, Stiefeln, Titeln, Ziegeln, Aposteln, Hummern'' falsch. Nur ''Muskel, Stachel, Pantoffel'' und ''Hader'' (''Lump, Fetzen'') machen eine Ausnahme (''die Muskeln, die Stacheln, die Pantoffeln, die Hadern''), doch auch nur scheinbar, denn diese Wörter haben seit alter Zeit neben ihrer männlichen auch eine weibliche Singularform (ital. ''pantofola'') oder, wie ''Hader'', eine schwache männliche Nebenform (''des Hadern''), und die hat bei der Pluralbildung überwogen. Ein gemeiner Fehler ist: ''die Trümmern'' (''in Trümmern schlagen''); die Einzahl heißt: ''der'' oder ''das Trumm'' (in der Bergmannsprache noch heute gebräuchlich), die Mehrzahl ''die Trümmer''. Wer noch gewohnt ist, ''Angel'' als Maskulinum zu gebrauchen (''Türangel'' ebenso wie ''Fischangel''), wird die Mehrzahl bilden: ''die Angel''; wer es weiblich gebraucht, sagt ''die Angeln''. Ebenso ist es mit ''Quader''; wer ''Quader'' männlich gebraucht, $Seite 19$ wird in der Mehrzahl sagen: ''die Quader'', wer es für weiblich hält, kann nur sagen: ''die Quadern''. Der Oberkiefer und der Unterkiefer heißen zusammen ''die Kiefer''; im Walde aber stehen ''Kiefern''. Die Schiffe haben ''Steuer'' (''das Steuer''), der Staat erhebt ''Steuern'' (''die Steuer'').
In der niedrigen Geschäftssprache machen sich jetzt übrigens auch noch andre falsche schwache Plurale breit. In Leipziger Geschäftsanzeigen muß man lesen: ''Muffen, Korken'' (auch ''Korkenzieher''), ''Stutzen'' (''Federstutzen''), auch ''Korsetten'' und ''Jaquetten'' (als ob die Einzahl ''Jaquette'' und ''Korsette'' hieße!). Anständige Kaufleute werden sich vor solcher Gassensprache hüten. ''Muff, Kork, Stutz'' gehören zur starken Deklination: ''der Muff, des Muffs, die Muffe''.
Zahllose Fehler und Geschmacklosigkeiten werden in der Wahl und Anwendung der Wörter begangen.
Alle Stoffnamen, wie ''Wein, Bier, Blut, Eisen'', können von Rechts wegen nur im Singular gebraucht werden, und so priesen denn auch früher unsre Kaufleute nur ihren ''guten Lack'' oder ''Firnis'' an, auch wenn sie noch so viel Sorten hatten. Von einigen solchen Wörtern hatte man aber doch gewagt, den Plural zu bilden, um die Mehrzahl der Sorten zu bezeichnen, und wir haben uns daran gewöhnt. Schon das sechzehnte Jahrhundert kannte die Plurale: ''die Bier, die Wein'', im Faust heißt es: ''ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern'', und die Chemie und die Technologie reden schon lange von ''Salzen'' und ''Fetten''. Neuerdings wird aber doch diese Pluralbildung in unerträglicher Weise ausgedehnt; man empfiehlt nicht nur ''Lacke, Firnisse, Öle'' und ''Seifen'', sondern auch ''Mehle, Grieße, Essige, Salate, Tabake, Zwirne, Garne, Wollen'' (''Strick-'' und ''Häkelwollen''!), ''Tuche, Seiden, Flanelle, Plüsche, Tülle, Batiste, Kattune, Damaste, Barchente-Tees, Kaffees, Kakaos, Buckskins'' usw. Diese Formen, die die immer wagehalsiger werdende Reklamesprache unsrer Kaufleute geschaffen hat, haben etwas stammelndes, sie klingen wirklich wie Kindergelall. Wenn auf diesem Wege weitergegangen würde, müßte man in Zukunft auch ''Wachse, Leime, Kalke, Porzellane'', ja sogar ''Fleische, Wurste, Korne, Glase, Stahle'' anpreisen $Seite 330$ können. Denn ''Würste, Körner, Gläser, Stähle'' (''Plättstähle'' sagt man in Leipzig) sind doch etwas andres, sie bezeichnen die einzelnen Stücke, aber nicht die Sorten; ähnlich die ''Kälke'', von denen die Gerber früher sprachen. Wo ist die Grenze? Und wie will man überhaupt eine Mehrzahl bilden von ''Sand, Schiefer, Zucker, Obst, Milch, Butter, Käse, Leinwand''? Das Bedürfnis, die verschiednen Sorten auszudrücken, ist doch bei diesen Waren gewiß ebenso stark wie bei andern. An der Firma einer Leipziger Handlung steht; ''Stahl aller Art''. Wie vornehm klingt das! Man freut sich jedesmal, wenn man vorübergeht. Wie dumm dagegen ist die Mehrzahl ''Abfallseifen''! Wenn es irgend etwas gibt, was man nicht in den Plural setzen kann, so ist es doch das Sammelsurium, das man als ''Abfallseifen'' bezeichnet.
Ein wunderliches Gegenstück zu diesen anstößigen Pluralen ist es, daß von manchen Wörtern die Mehrzahl jetzt auffällig vermieden wird. Von den ''schönen Haaren einer Frau'' zu sprechen, gilt nicht für fein; nur daß sie ''schönes Haar'' habe, hört sie gern. Und beim Schneider bestellt man sich nicht mehr ''neue Hosen'' — das wäre ja ganz plebejisch! —, nein, ''eine neue Hose''. Was will man denn aber mit ''einer Hose''? Man hat doch zwei Beine, also wird man auch immer ''ein Paar Hosen'' brauchen. ''Hose'' bedeutet doch nur die zylinderförmige Hülse für ein Bein. Vornehme Leute haben allerdings auch keine Beine mehr, sondern nur noch Füße. ''Ich habe mich an den Fuß gestoßen'', sagt die feine Dame; wenn man sie aber nach der Stelle fragt, zeigt sie — auf den Oberschenkel.
Doch die Sammlung verzerrter Bilder zählt Stücke genug, jeden den wahren Grund des schlechten Eindrucks erkennen zu lassen; es ist die Sucht neu zu sein und auch Dinge, die die kürzeste und nüchternste Benennung erfordern, in schillerndes Gewand zu kleiden und geistreich umzunennen. Wahrlich, schleunige Rückkehr zu Natur und Einfachheit tut not. Denn auch wenn man wenigstens in dem Mittel, das mit Bewußtsein angewandt wird, größeres Leben, größere Anschaulichkeit zu erzielen, in dem mehr oder weniger ausgestalteten Bilde und Vergleiche größere Wahrheit und Natürlichkeit zu finden hofft, wird man sich bitter enttäuscht sehn. Selbst die einfachsten Forderungen, die man an jede bildliche Ausdrucksweise stellen muß, bleiben unerfüllt, daß sie nämlich einfach und natürlich sei, wahr und fachentsprechend sowie anschaulicher als die zu veranschaulichende Sache selbst; und doch muß bei ausgeführteren Bildern, bei größerem selbständigem Leben des Bildes und seiner Einzelzüge jede Unwahrheit und jeder Widerspruch desto fühlbarer werden.
Wie unangemessen und geschmacklos ist nicht z. B. der folgende Vergleich in einem Kalender, den ein k. k. Landschulrat herausgegeben hat: ''Unförmig ist die Geburt eines Weibchens vom Bärengeschlecht, doch die Mutter leckt ihr Junges so lange und anhaltend, bis es ihrer Gestalt gleichkommt''. So wirke auch du, christlicher Lehrer, auf deine Zöglinge, daß sie dir im Gutsein ähnlich werden. Oder kann es etwas Widerspruchsvolleres geben als solche Vergleiche wie die folgenden? ''Wie ein getretener Wurm krümmt sich der Nationalliberalismus; er fletscht die Zähne'' — merkwürdiger Wurm das! — ''ballt'' — immer merkwürdiger! — ''die eine Faust, und mit der andern fleht er um Rettung. — Die Universitäten sind wie rohe Eier; man darf sie kaum anfassen, so stellen sie sich auf die Hinterfüße und wehren sich''. Auch der nächste Vergleich eines Kunstrichters ist durchaus nicht so angemessen, nämlich nicht so schmeichelhaft, wie er offenbar sein soll, und viel zu weit hergeholt, als daß er wirklich verdeutlichen könnte: ''Herrn G.s Lohengrin ist eine von poetischem Hauche durchwehte Gestaltung, in deren vortrefflichen Schattierungen wir der edlen Gesanggebung und dem weihevollen Spiele begegnen'' — also bloß gelegentlich bei dem und jenem Schatten?! — ''Mächtiger zu ergreifen vermöchte schwerlich das Tönen der Memnonsäule bei dem ersten Gruß der Morgensonne''; glauben wir, soll auch nichts so Absonderliches sein!
$Seite 456$ Auch der durch den Zweck des Vergleiches gegebene Grundsatz wird immer weniger beachtet, daß ein sinnliches Bild, das Konkrete, wohl geeignet ist, auch einen geistigen Vorgang, das Abstrakte, zu veranschaulichen, daß aber selten umgekehrt ein geistiger Vorgang etwas Geschautes deutlicher machen kann. Man höre nur aus einer poetischen Schilderung der See: ''Das Meer, das sich höher hebt mit jeglichem Schritte, den der Mensch am Ufer emporsteigt, sowie Gott stets höher sich hebt vor dem denkenden Geiste'' (H. Kruse). Einer vom jüngsten realistischen Deutschland, M. G. Conrad, vergleicht die Blitze mit unsinnigen Glutgedanken; das Krachen des Donners erläutert er durch die tragische Wucht des Schicksals und das Gewitter nennt er ''ein Musikdrama, eine Symphonie mit elektrischen Beleuchtungsarabesken''. Und doch hätte man grade diese Schriftsteller nach ihrem Namen Naturalisten und Realisten für berufen halten können, erfrischend und von Überschwenglichkeit und Künstelei reinigend zu wirken, soll ich sagen auch oder wenigstens? was die Sprache anlangt! Im Gegenteil aber haben sie oft die Verunstaltung und Verhunzung des sprachlichen Gewandes noch weiter getrieben, als sie vorher schon gediehen war. Mit den Mitteln der Sprache, die doch weder die Gebärden des Schauspielers noch den Stift oder Pinsel, die Farben oder den Meißel der bildenden Künstler zur Verfügung hat, möchten die „neuen Maler" wahrlich jede Regung und Zuckung des äußeren Menschen, jedes Härchens, jeder Fiber an ihm, kurz vielerlei nachmachen, was sich durch die Sprache überhaupt nicht nachbilden läßt; grade dadurch aber sind auch sie, die Prediger der Natur, erst recht zu Unwahrheit und Unnatur verführt worden. Man versteht wahrlich oft solch hypernaturalistische Sätze wie die folgenden kaum: ''Ich erschrak vor diesem vipernhaft Aufzüngelnden, in gezackten Kurven gebrochen schneidenden Feindseligen, das mir aus diesen kalten, harten, grauen Augen, aus diesem gleichsam in erzener'' (!) ''Gliederzusammengeschmiegtheit'' (!) ''kraftverrammelten'' (!) ''Leibe entgegenzuckte. Eine'' (!) ''dunstige Schwüle kroch in geschärfthaarigen Einschlagreizen an meinem Leibe in die Höhe, es fraß und brannte wie mit versteckter Behäbigkeit kriechende Raupenberührung. Der Wind blies jetzt in spitzkugelig hinausgewölbten Sturmröhren daher, jetzt klatschte es sich einem gegen den Leib, wie ein platter in mechanisch aufgezogenem Rhythmus korrekt taumelnder Papierdrache!'' (Moderne Dichtung, Mai 1890). Damit sind denn der folgenden ähnliche Stellen, wie sie in früheren Romanen und in Sonntagsbeilagen großer und kleiner Blätter noch heute vorkommen, glücklich übertrumpft: ''Wenn die Frau liebt, blüht nicht nur die Erde, alle Sonnen und Sterne tragen Orangenbäume mit Früchten und Palmen, mit Kokos und Datteln, und dazwischen'' (!) ''windet sich der Mond wie eine Schnecke, der man die Hörner abzutreten besorgt ist''. Ob sich wirklich eine liebende Frau mit allen ihren Glücksträumen also auf alle Sterne versteigt und den Mond, den Liebende gern Anblicken, mit einer von Frauen nie geliebten Schnecke vergleicht?
Außer den in § 181 u. 182 gewürdigten zugestandenen Fällen ist Beziehung der Beifügung bloß auf das Bestimmungswort durchaus zu verurteilen und die Auflösung der Zusammensetzung in Substantiv und Attribut oder in Sätze zu verlangen. Es sollte also nicht heißen: ''das Vernehmungsprotokoll Sydows'', sondern ''das Protokoll über die Vernehmung Sydows''; nicht: ''in der Frage des Ernennungsrechtes der Mitglieder des Staatsrates'', sondern: ''in der Frage des'' $Seite 173$ ''Rechtes, die Mitglieder ... zu ernennen''. Besonders schlimm ist es, daß Gelehrte, und zwar nicht nur des Rechts, sondern klassische und germanistische Sprach- sowie Geschichtsforscher in seltner Einhelligkeit einen gar großen Teil dieser Fehler liefern. So einer ''Endstehunsgeschichte des schwäbischen Bundes'', wo je nachdem leicht die eine Hälfte genügte, ''Anordnungsversuche der platonischen Gespräche'' (statt ''Versuche über die Anordnung der platonischen Gespräche''), ''über den Bildungsgang'' (!) ''französischer Begriffswörter aus ihren lateinischen Wurzeln'' (statt einfach ''über die Entwicklung''); ''Aus 5 Elementen finde ich die Seele des alldeutschen Schrifttums zusammengesetzt'' ...; ''aus einem unbewußt wirkenden Nachahmungstrieb des englischen Jingotums'' (statt: ''Triebe, das englische Jinogtum nachzuahmen''). Gewiß, da darf es nicht wundern, wenn es in Zeitungen noch schlimmer getrieben wird: ''seine Versetzungsorder nach der Festung L''. statt ''die Order seiner Versetzung nach der Festung L., Erinnerungsstätten an den großen Meister'' statt ''Stätten der Erinnerung an den großen Meister, ein Vertragsentwurf mit Deutschland'' statt ''der Entwurf eines Vertrages mit Deutschland, Losreißungsgelüste des Khedive vom Sultan'' statt ''die Gelüste des Khedive'' oder ''des Khedive Gelüste, sich vom Sultan loszureißen; die Kontaktzone des Tonalit mit den Schiefern'' statt ''der Gürtel, wo sich der Tonalit mit den Schiefern berühr''t.
Ob wohl der durch die Beifügung des Richtigeren gelieferte Beweis, daß dieses nicht unbequemer und höchstens einmal wenig länger ist, auf die zur Bildung, Leitung und Kräftigung des Sprachgefühls berufenen Männer der Feder mehr Eindruck machen wird als die so häufigen früheren Erörterungen des Fehlers? Man darf's kaum hoffen, wenn ein so berufener Erzähler wie Jensen schrieb: ''die Verlesung des Einverleibungserlasses Hollands in Frankreich'', wenn die Tägl. R. sich innerhalb weniger Nummern mit den folgenden Ungeheuerlichkeiten selber überbot: ''Grundsteinlegung des Marienheims, die Stationsinsassen von Manaraka, ein Einquartierungsbillett bei der Gräfin B., durch die Verfolgung der Überlieferungszeit jener Lehre von Ägypten aus und Pistolenschießübungen des Unmenschen Said nach gefangenen Sklaven'' und jüngst W. Flex ''die Scheidestunde von Erlangen''; der DAZ.: ''Übertragungsliebe auf den Arzt und Rückkehrtendenz in den Mutterleib'', sowie Wilhelm II.: ''die Annäherungsaktion an den Feind und die Schuldfrage am Weltkriege''! Auch bei Beiwörtern kommt der gleiche Fehler vor: ''einflußreich auf den Fremdenverkehr''.
Wir kommen zu einem Mittel, die Mehrzahl zu bilden, das vereinzelt selbst bei den besten Schriftstellern vorkommt, sich besonders aber als „hochmodern" bei denen des Tages und der Zeitungen in einer Weise breitmacht, daß es dem lebendigen deutschen Sprachgefühle widerlich, dem abgestumpften gefährlich werden muß. Es ist die Bildung der Mehrzahl mit Hilfe des romanischen ''s''. Fast scheint es, als wäre unser Sprachgefühl unfähig, ohne ''s'' eine Mehrzahl zu erkennen, und vermöchte nicht mehr, gar manche deutsche und noch mehr nun einmal unentbehrliche fremde Wörter den ihren Endungen entsprechenden Gruppen der deutschen Biegung anzugliedern. Das ''s'' ist in die Schriftsprache ursprünglich mit den vielen Wörtern gekommen, die man besonders im 17. und 18. Jahrhunderte in die deutsche Rede einmengte, und zwar in der französischen Pluralform, wie ''Bataillons, meubles, dames, mademoiselles, forts, salons''. Natürlich fanden diese Formen im Niederdeutschen, das schon viele Jahrhunderte früher das französische Mehrheitszeichen von den Niederlanden her übernommen hatte und auch in Berlin, wo selbst ein König von seinen Nachfolgers sprach, sowie auf der Grenze zwischen dem Mittel- und Niederdeutschen in dem vermeintlich niederdeutschen Mehrzahl-''s'' einen starken Rückhalt und nie einen kräftigen Widerstand, da die seitdem überwiegend dorther stammenden stimmführenden Schriftsteller wie Sprachlehrer das Fremde daran nicht so empfanden. Als zuletzt gar noch das politische Übergewicht des Nordens dazu kam, da wollte man das angeblich „forsche" ''Berliner Jungens, Mädchens, Fräuleins'' u. a. nicht mehr missen, und von den Wörtern und der Sprache des Familienkreises $Seite49$ aus verallgemeinerte sich der Gebrauch immermehr//1 Mehr über die Geschichte dieses ''s'' zuletzt in Brandts Grundriß der Deutschkunde, 1927, S. 112, bes. aber bei E. Öhmann, der ''s''-Plural im Deutschen. Helsingfors 1924//. Allerneuste solche Mehrzahlen sind ''die Eingesandts'' und ''die Wochenends'' (''Betrachtungen am Wochenende'').
Im allgemeinen muß das Mehrzahl-''s'' wieder auf die Stellung von ehedem beschränkt werden, d. h. auf Fremdwörter, bei denen für die ganze Endung die fremde Aussprache beibehalten ist, also ''Salons, Soupers, Forts, Restaurants'', solange und soweit man diese nicht ganz meiden kann. Dagegen sind Plurale auf ''s'' von deutschen Wörtern, wie ''Schmutzians, Jungfräuleins, Bräutigams, Schnabels, Fiakers, Tingel-Tangels, Parks'' u. a. bei älteren und besonders bei neuesten Schriftstellern ein förmlicher Hohn auf die deutsche Sprache. Aber auch bei allen Fremdwörtern wird man, wenn sie sich nicht durch fremden Nasenlaut und stumme Endbuchstaben besonders als solche verraten, die durchaus fremd bleiben wollen, immer gut tun, zu fragen, ob von ihnen nicht eine Mehrzahl auf ''-en'' oder ''-e'' oder ohne Endung möglich sei. Die Frage wird zunächst bei Wörtern mit konsonantischem Ausgange fast immer zu bejahen sein, wie das die folgenden Formen bezeugen, die musterhaften Schriftstellern und meist Fachmännern entlehnt sind: ''Fräcke, Docke, Balköne, Kartone, Divane, Gobeline, Galane, Telephone; Tunnel, Mandrille, Mamsellen; Mosaike, Akteure, Kasuare, Korridore, Trottoire, Billette, Klosette, Büfette, Skelette, Minarette, Lazarette'', lauter ''Rafaele'' und selbst und erfreulich ''Porträte'', dies bei Goethe. Dann kommt man aber auch bei Wörtern mit volltönendem Selbstlaute am Ende oft ohne das ''s'' aus. ''Sofa'' hat vor hundert Jahren die Mehrzahl ''Sophae'' gehabt, warum nicht auch heute? ''Jockey, Quai'' oder besser ganz und gut deutsch ''Kai'' können, sich an ''Hai, Mai, Papagei'' anlehnend, ''Jockeye'' und ''Kaie'' bilden; nicht minder sind wie ''Baue'' oder ''Taue'' auch ''Kakadue, Uhue, Kabliaue'', und wie ''Rehe'' auch ''Kaffee'' (dreisilbig) und ''Tee'' (zweisilbig) möglich. Anstatt die Mehrzahl hier mit ''s'' zu bilden, sollte man sie lieber hier wie bei denen auf ''i'', wie ''Kolibri'', und von gewöhnlich unflektierbaren Redeteilen, die substantiviert sind, am Ende unbezeichnet lassen und trotz Schlegels ''Uhus'' und ''Kaffees'' und ''Tees'', trotz Goethes ''Gute Tags'' und ''Gute Abends'' lieber sagen ''viele Wenn und Aber'' und wie Lessing schrieb: ''allen diesen Vielleicht und ein Deutschmeister wie wenige'', Rud. Hildebrand: ''die Iche, von den Ichen''.
Durchaus berechtigt ist dagegen neben der in der Schriftsprache auch häufigen Form ''Kerle'' auch die andere ''Kerls'', an der als selber einer niederdeutschen das niederdeutsche ''s'' keinen Widerspruch bildet.
Es fehlt Zeit und Lust, oft auch die Fähigkeit, fehlte freilich bisher fast gänzlich auch die Anregung dazu, das kunstgemäße Bilden und Schaffen der Sprache zu beobachten, das sich im Grunde von dem des einzelnen Künstlers so sehr nicht unterscheidet. Gilt es doch ein in der großen Außenwelt vorhandenes Sachbild oder ein in der Innenwelt des Sprechenden sich gestaltendes Gedankenbild, ein äußeres oder inneres Erlebnis in der besonderen Form der Sprache möglichst vollkommen darzustellen. Die richtige Beobachtung dieses Bildens muß aber als dessen vornehmstes Ziel die Anschaulichkeit erkennen und wird diese finden in dem möglichst ohr- und augenfälligen Ausdrucke für die Verbindung des Sach- und Sprachbildes. Daß diese Verbindung lange Zeit verkannt oder immer weniger erkannt und festgehalten worden ist, hat zu drei schlimmen Übelständen geführt: zu einer widersinnigen Anwendung einzelner Wörter, worin sich hauptsächlich die Verschwommenheit des Denkens verrät; zu der ungereimten Zusammenschweißung in ihrer ursprünglichen Bildlichkeit //1 Über dieses Aufschluß zu geben, ist sehr geeignet: Herm. Schraders Buch: Der Bilderschmuck der deutschen Sprache5, Weimar 1896. Derselbe, Aus dem Wundergarten der deutschen Sprache, Ebenda 1896. Auch A. Richter, Deusche Redensarten, 4. Aufl., Leipzig, Brandstetter. — Gute Wortkunden überhaupt sind: Edw. Wilke, Deutsche Wortkunde 6. Aufl., ebenda und Alb. Waag, Bedeutungsentwicklung unsers Wortschatzes, Lahr i. B., und K. Bergmann, Der deutsche Wortschatz, Giesen 1912.// einander widerstreitender Wendungen und Redensarten, in der sich die Gefühllosigkeit gegen die sinnliche Kraft auch der tausend und abertausend gewöhnlichsten Ausdrücke spiegelt; endlich zu dem absichtlich gesuchten Bilderschmucke der Rede, dessen Wesen und Zwecke, die sinnliche Kraft und Anschaulichkeit zu erhöhen, seine Anwendung am falschen Platze wie seine Unwahrheit, Verkehrtheit und Verzerrung schnurstracks zuwiderlaufen. +
Häufiger als in dem Verhältnisse zwischen Subjekt und Prädikat wird gerade die Übereinstimmung der Personen nicht beachtet auf dem weiteren Gebiete der Beziehung, die auch zwischen einem Fürwort anderer Satzteile, ja ganz anderer späterer Sätze und einem vorangegangenen Haupt-, ihrem Beziehungsworte, besteht. In kaufmännischen Anpreisungen, in Erklärungen und Danksagungen, in Geburts-, Verlobungs- und Todesanzeigen erregt ein falscher Übergang aus der ersten in die dritte Person in 80 von 100 Fällen berechtigten Anstoß. In der ersten Person sind solche Anzeigen nur richtig, wenn sie in einem vollständigen Satze gemacht werden oder wenn der Namen ohne Verbindung damit und durch Punkt abgetrennt darunter gesetzt wird; wenn man dagegen die Anzeige $Seite 246$ durch ein Verb in der dritten Person mit dem unterzeichneten Namen verbindet, dürfen auch oben nur die Fürwörter dieser nämlichen dritten Person stehn. Also entweder:
''Die Verlobung unserer ältesten Tochter H. mit Herrn N. beehren wir uns hierdurch ergebenst anzuzeigen''.
''N.-Schleußig. Hermann Günther und Frau''.
''Die Verlobung ihrer ältesten Tochter H. mit Herrn N. beehren sich hierdurch ergebenst anzuzeigen H. Günther und Frau''.
Es mögen noch einige falsche Anzeigen mit der Verbesserung daneben folgen.
''Heute früh ... wurde unser guter Gatte, Vater ...., der Kaufmann X. ... von seinen langen Leiden durch einen sanften Tod erlöst, was teilnehmenden Freunden und Verwandten nur hierdurch anzeigen die betrübten Hinterlassenen'' statt: ''was wir ... nur hierdurch anzeigen. Die betrübten Hinterlassenen. — Nach längeren Leiden verschied heute abend .... mein unvergeßlicher Gatte N. im 73. Lebensjahre. Schmerzerfüllt zeigt dies hiermit an Wilhelmine verw. N''. statt nur: ''In tiefstem Schmerze Wilhelmine verw. N''. oder: ''Schmerzerfüllt teile ich hierdurch mit, daß mein .... Gatte ..... verschieden ist. Wilhelmine verw. N''.
Erklärlicher, aber noch lange nicht richtig wird der Wechsel, wenn er innerhalb mehrerer Sätze erfolgt, wie ihn namentlich die Unsitte mit sich bringt, seitenlange Briefe in zwei dritten Personen, des Absenders und des Empfängers, wie auf Stelzen einherschreiten zu lassen, statt sich würdig zu fühlen, daß man zu der zweiten angeredeten von sich in der ersten rede. Er kehrt aber auch sonst tausendfältig wieder: ''Erstes Spezialgeschäft in Damen- und Kindermäntel'' (!) ''von A. Jonas, Zittau, zeigt hiermit den Empfang sämtlicher Neuheiten in Umhängen usw. an. Ich bitte ein geehrtes Publikum, sich von meinen wirklich gediegenen Neuheiten zu überzeugen'' (statt: ''Erstes Spezialgeschäft in .... Kindermänteln. Hiermit zeige ich an, daß ich sämtliche Neuheiten .... empfangen habe, und bitte ein geehrtes Publikum ... A. Jonas, Zittau, R.-Str''. ...) Sehr oft ist vollständige Fügungslosigkeit das Zeichen solcher Anzeigen; ''Möbelmagazin vereinigter Tischlermeister Leipzigs empfehlen als passende Weihnachtsgeschenke das und das''.
In dem Gebrauche der Verneinungen ist es zunächst eine häßliche Gewohnheit der Amts- und Zeitungssprache, statt ''keiner'' immerzu sagen: ''einer nicht'', z. B. ''dieser Orden wird auch an solche Personen verliehen, die einen Hofrang nicht besitzen — diesem Unterschied ist eine'' $Seite 265$ ''größere Tragweite nicht beizumessen — der Angeklagte hatte trotz seiner Bemühungen eine feste Stellung nicht gefunden — die Deputation fand gegen alles dieses etwas nicht einzuwenden — der Rat wird davon in Kenntnis gesetzt, daß einer Überlassung dieser Akten ein Bedenken nicht entgegensteht — von der Opposition hatte sich ein Redner, um diese scharfen Angriffe zurückzuweisen und mit gehörigem Material die Irrtümlichkeit der ganzen Anklage zu widerlegen, nicht gemeldet — das Patent schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorgelegten Maschinenteil eine wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung beitragende und eine größere Sicherheit der in diesem gefährlichen Betriebe beschäftigten Arbeiter verbürgende neue Erfindung nicht gemacht sei.'' Eine solche Trennung — eine Nachahmung des Lateinischen — ist nur dann am Platze, wenn das Hauptwort betont und einem andern Hauptworte gegenübergestellt wird, z. B.: ''ein Erfolg ist bis jetzt noch nicht zu beobachten gewesen'' — wo ''Erfolg'' vorangestellt und vielleicht den vorher besprochnen Bemühungen gegenübergestellt ist.
Eine doppelte Verneinung gilt jetzt fast allgemein in der guten Schriftsprache als Bejahung. Es ist das aber — dessen wollen wir uns bewußt bleiben — eine ziemlich junge „Errungenschaft" des Unterrichts. In der ältern deutschen Sprache bestand, wenn auch nicht geradezu die Regel, so doch weit und breit die Gewohnheit, daß man den Begriff der Verneinung, um ihn zu verstärken, verdoppelte, ja verdreifachte. Diese Gewohnheit hat sich, auch bei den besten Schriftstellern, bis weit in das achtzehnte Jahrhundert erhalten, und der Volksmund übt sie zum Teil noch heute. Nicht bloß Luther schreibt: ''ich habe ihr keinem nie kein Leid getan'',//* Freilich war ''kein'' ursprünglich gar kein verneintes, sondern ein unbestimmtes Fürwort (''irgend ein''). Luther hat es sicherlich noch so gefühlt.// auch Lessing schreibt noch: ''keinen wirklichen Nebel sahe Achilleus nicht'', auch Goethe noch; ''man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt'', auch Schiller noch; ''nirgends kein Dank für diese unendliche Arbeit'', und der Volks $Seite 266$ mund fragt noch heute: ''hat keener kee Streichhelzchen nich?'' Wir mögen es bedauern, daß unter dem Einflusse der lateinischen Grammatik diese — falsche darf man nicht sagen, sondern nur andre Art, zu denken, ganz verdrängt worden ist, auch in der Volksschule, die hier ebenfalls unter dem Banne der lateinischen Grammatik steht; aber nachdem das einmal durchgeführt ist, und die doppelte Verneinung fast allgemein wie im Lateinischen (''nemo non'') als Bejahung empfunden wird, ist es nun auch ausgeschlossen, sie noch in der alten Weise zu verwenden. Es gilt das besonders auch bei den Nebensätzen, die mit ''ehe, bevor, bis'' und ''ohne daß'' anfangen, und bei Infinitivsätzen nach einem verneinten Hauptsatze. Es ist also entschieden anstößig, zu schreiben, wie es so oft geschieht: ''die Hauptfrage kann nicht erledigt werden, ehe nicht'' (oder: ''bis nicht'') ''die Vorfrage erledigt ist'' (''wenn nicht'' oder ''solange nicht'' wäre richtig) — ''es gehört keine große Menschenkenntnis dazu, das nicht auf den ersten Blick zu sehen''. Namentlich hinter ''warnen'' erscheint ein verneinter Infinitiv, wie in den bekannten Zeitungsanzeigen: ''ich warne hiermit jedermann, meiner Frau nichts zu borgen in dgl.'', geradezu lächerlich, denn ''warnen'', d.h. ''abraten, abmahnen'', enthält ja schon den Begriff der Verneinung.
Daß eine Verneinung eines mit ''un'' zusammengesetzten Hauptworts oder Eigenschaftsworts (''kein Unmensch, nicht ungewöhnlich, nicht unmöglich, nicht unwahrscheinlich'') nur eine Bejahung, und zwar eine eigentümlich gefärbte vorsichtige Bejahung ausdrücken kann, darüber ist sich wohl jedermann klar. Man sollte aber mit dieser doppelten Verneinung, der sogenannten Litotes (Einfachheit), wie man sie mit einem Ausdrucke der griechischen Grammatik bezeichnet, recht sparsam sein. Es gibt Gelehrte — es sind dieselben, die auf jeder Seite zwei-, dreimal meines Erachtens, nach meinem Dafürhalten lispeln, als ob nicht alles, was sie sagen, bloß ihr „Erachten" wäre! —, die nicht den Mut haben, auch nur eine einzige Behauptung, ein einziges Urteil fest und bestimmt hinzustellen, sondern sich um alles mit dem ängstlichen ''nicht'' unherumdrücken. Es $Seite 267$ gibt aber auch Leute, die so in diese Litotes verliebt sind, daß sie sie gedankenlos sogar da brauchen, wo sie die Verneinung meinen, z. B.: ''das wirkt nicht unübel — dieser Effekt war ein'' (!) ''von dem Juden nicht unerwarteter — endlich fand sich ein Tag, an welchem'' (''wo''!) ''keiner der drei Herren unbehindert war'', und ähnl.//* Solche Fälle erinnern an die Scherzwendung der Studentensprache: ''das kann man nicht anders leugnen'', die aber wohl mehr auf der Vermengung zweier Redensarten beruht, wie auch: ''das dürfte dir vergeblich gelingen''.// Ist es doch sogar einem so scharfen Denker wie Lessing begegnet, daß er in der Emilia Galotti geschrieben hat: ''nicht ohne Mißfallen'' (wo er schreiben wollte: ''nicht ohne Wohlgefallen'', oder: ''nicht mit Mißfallen''). Sehr häufig, viel häufiger, als es bei unserm heutigen hastigen und gedankenlosen Lesen bemerkt wird, findet sich namentlich die törichte Verbindung ''nicht unschwer'': ''der Leser wird nicht unschwer erkennen — es wird das nicht unschwer zu beweisen sein — man wird sich nicht unschwer vorstellen können.'' Schon ''unschwer'' allein ist ein dummes Wort, wie alle solche unnötig gekünstelten Verneinungen.//** Es gibt jetzt Schriftsteller, die vor lauter Ziererei schon nicht mehr ''traurig'' sagen, sondern ''unfroh''!// ''Nun vollends nicht unschwer!'' Und das soll heißen: ''leicht''! Erscheint nicht ein solches Hineinfallen in einen logischen Fehler wie eine gerechte Strafe für dumme Sprachziererei? Auch wenn jemand schreibt: ''der Besitzer sieht in dieser Bronze nichts weniger als ein Werk des Lysipp, es ist aber nur eine römische Nachahmung'' — so schreibt er gerade das Gegenteil von dem, was er sagen will; er will sagen: ''der Besitzer sieht in der Bronze nichts Geringeres als ein Werk des Lysipp'', es ist aber nichts weniger als das, es ist nur eine römische Nachahmung. Auch wenn man gespreizt sagt: ''das ist nicht zum geringsten Teile der Tätigkeit unsers Vereins zu danken'' (anstatt einfach: ''zum größten Teile''), kann man sich nicht beschweren, wenn ein Schalk das Gegenteil von dem heraushört, was man sagen will.
Ein häufiger Verstoß in der Einwendung eines Objektsgenetivs neben Substantiven ist seine Verbindung mit Verbalsubstantiven, die zu einem reflexiven oder intransitiven Verbum gehören. Vielmehr gehört er im allgemeinen nur zu solchen, die neben transitiven stehn. Dem Satze ''wir verehren einen Gott'' entspricht also mit Recht die Substantivierung ''unsere Verehrung eines Gottes'', und dem anderen: ''die Strolche beraubten den Reisenden seines Geldes'' nur die eine: ''die Beraubung des Reisenden'', nicht auch ''des Geldes''. Gar Sätzen wie: ''wir vertrauen Gott, wir harren ..., wir freuen uns seiner Wiederkunft'' kann man nur mit Zusammensetzungen (''Gottvertrauen'') oder mit präpositionalen Attributen in der § 165 besprochenen Weise (''Vertrauen auf Gott, Freude auf seine Wiederkunft'') gerecht werden. Edle Verstöße gegen diese alleinige Wechselbeziehung zwischen Akkusativobjekt und objektivem Genetiv, die aus älterer Zeit vorliegen, sind entweder nur scheinbar, indem sie auf frühere Akkusativkonstruktionen zurückgehn; sie sind wohl auch einmal durch die Analogie eines in der Bedeutung etwas abweichenden Gebrauchs des nämlichen Zeitwortes oder als scharf auf der Grenze zwischen subjektiven und objektiven Genetiven stehend zu erklären; oder aber sie sind wirkliche Fehler.
Auf früherer Akkusativkonstruktion der Worte ''sich erinnern'' und ''gedenken'' beruht die bei Goethe so häufige Verbindung: ''die Erinnerung des Vergangenen'' u. ä. bei Zeitgenossen von ihm: ''das Erinnern seiner edeln Zwecke'', zu deren Nachahmung heute höchstens norddeutsch Mundartliches (''ich erinnere ihn'' = ''mich seiner'') veranlassen könnte//1 Natürlich etwas anderes, kein objektiver Genetiv liegt vor, wenn O. E. Ehlers schreibt: ''die Tage zählen zu den angenehmsten Erinnerungen meiner indischen Reise'': d. h. die mir die indische Reise bietet, die ich von ihr habe//, sowie ''das Gedächtnis seines Wirkens'' und ''solches tut zu meinem Gedächtnis'', was wieder mit mancherlei Umbildungen noch üblich ist. Auf ''entäußern'' in etwas andrer, jetzt nicht mehr üblicher Bedeutung und Fügung (''ein Teil wird entäußert''; Fichte) geht die — heute nicht mehr empfehlenswerte — ''Entäußerung der Hoheit'' u. ä. zurück, was seiner Bedeutung nach zu ''sich entäußern'' gehört; außerdem hat vielleicht das heute in jener Bedeutung eingetretene ''veräußern'' mitgewirkt, wie das früher ebenfalls übliche ''Entsagung aller Politik'' und Zschokkes ''Absagung der Welt und des Teufels'' auf ''etwas entsagen'' = ''verweigern'' und ''etwas absagen'' = ''aufsagen'' und auf unbewußter Erinnerung an ''Versagung'' beruhen mag. Auf dem Grenzgebiete liegen Ausdrücke wie: ''Meine Zuhöhrer, der Vorgänger des Kanzlers, die Anhänger des alten Kanzlers, der Vorsitzende des Gerichtshofes'', die weniger die mir Zuhörenden, den dem Kanzler vorhergegangenen usw. bezeichnen als die Zuhörer, die ich habe, den Vorgänger, den der Kanzler hat. Wo endlich solche Fügungen nicht sprachlich, sind sie wenigstens geschichtlich begründet, wie die ''Nachfolge Christi'' mit mehrfältigen Nachbildungen: ''Nachfolge Gottes, Nachfolge des kinderlosen Königs''. Wo aber jede solche Begründung fehlt, hört auch die Berechtigung auf, ob nun Goethe sagt: ''Teilnahme der Schicksale'', Billroth: ''im Anschluß der Gedächtnisfeier'' oder Grosse: ''die neue'' $Seite 171$ ''Aktiengesellschaft, zu deren Beteiligung mehrere Bankhäuser ihre Agenten geschickt hatten'', ob Paul Richter fügt: ''die Beiwohnung einer Session'', Br. Wille: ''Fröner der stumpfen Gewohnheit'' oder Brachvogel: ''das Nachgeben meiner verzehrenden Liebe'' (statt ''gegen meine verzehrende Liebe''). Vor allem liefern hier die Zeitungen ärgerniserregende Mengen von Fehlfügungen: z. B. ''die Entziehung der Militärpflicht'' (statt ''Umgehen derselben'' oder ''der Versuch, sich ihr zu entziehen''), ''die zur Huldigung Karls des Großen aufgebotenen Mannen'' (statt ''zur Huldigung vor Karl dem Großen'' oder ''die Karl dem Großen zu huldigen aufgebotenen Mannen''), ''zur Abhilfe'' (statt ''Befriedigung'') ''der dringendsten Bedürfnisse, zur Steuerung'' (statt ''Abstellung, Verhinderung'') ''des Unfugs, in Nachachtung des 11. Haager Abkommens'' (Grenzb. 1916 statt ''in Beachtung'' oder ''Befolgung''), ''die Huldigung des deutschen Kaiserpaares durch die elsässische Bevölkerung'' (statt: ''die dem Kaiserpaare dargebrachte Huldigung'' oder, da es eine Unterschrift war: ''Die elsässische Bevölkerung huldigt dem ... Kaiserpaare''). Auch ein Bürgermeister erließ eine Bekanntmachung ''zur Vorbeugung einer mißverständlichen Auslegung'' (statt ''um einer solchen vorzubeugen''), und ein andrer Rechtsbeflissener brachte fertig: ''in Nachgehung und Nachachtung der Ministerialverordnung'', ein wahrer Hohn auf die Muttersprache gegenüber dem einfachen ''der Verordnung gemäß''. Falsch ist auch ''Unterricht des Griechischen'' (Tägl. R. statt ''im Griechischen''), ''Übergang des Balkans'' (statt ''über den Balkan''), da das transitive ''übergehen'' soviel als ''nicht beachten'' bedeutet; ebenso auch Junkers ''Übersetzung des Djur''(''flusses''), da ''Übersetzung'' ebenfalls zu dem etwas ganz anderes bedeutenden ''übersetzen'' gehört, und Gjellerups ''neuer Bewerber des Priestertums'' (statt: ''um das Priestertum'').
Mir ist selten, wenn überhaupt je, ein Ausländer begegnet, der bei noch so guter Kenntnis des deutschen Wortschatzes und der deutschen Fügungsgesetze unsre Wortstellung vollkommen beherrscht hätte. Das ist sehr begreiflich und entschuldbar, denn die Wortstellung im Deutschen ist nicht nur schwierig, sie ist auch, soweit meine Sprachkenntnisse reichen, die schwierigste, zugleich die merkwürdigste unter denen aller großer Bildungsprachen. Aber grade in dieser so schwer oder nie durch Unterricht zu erlernenden Kunst begeht selbst der einfachste Mann in Deutschland nur selten einen groben Fehler — im Sprechen! Er beherrscht spielend Satzgebilde, deren Erklärung und Gesetzgebung den tiefsten Sprachforschern Schwierigkeiten bereiten, und oft staunt der Buchgelehrte, mit welcher Sicherheit und Feinheit Redner aus dem Volke ohne besondre Spracherziehung grade den Satzbau und die mit ihm zusammenhängende Wortstellung meistern. Das ist ein Glück; denn sie aus Büchern zu lernen, ist so gut wie unmöglich, und in allen Lehrbüchern unsrer Sprache sind die Abschnitte über Wortstellung die hilflosesten. Alle Sprachlehrer, die sich von der Unmöglichkeit überzeugt haben, die Wortstellung zu lehren, begnügen sich vernünftigerweise mit einigen wichtigen Winken und Warnungen; ihrem Beispiel folge ich aus der gleichen Überzeugung und tröste mich, wie sie es tun, daß der Deutsche die Wortstellung seiner Sprache triebmäßig beherrscht, ohne ihre letzten Gründe zu kennen. Nur gewisse meist anerzogene, durch Verbildung angeflogene Unarten dem Schreiber abzugewöhnen, ist Aufgabe eines Führers zu gutem Deutsch; der Sprecher bedarf meist keiner Unterweisung.
Daß dieser Unterschied zwischen dem schreibenden und dem sprechenden Deutschen besteht, hat seinen Grund in dem für noch manches andre Gebrechen des Ausdrucks verantwortlichen Aberglauben, man dürfe nicht nur nicht so schreiben, wie man spricht, sondern man müsse möglichst anders schreiben, als man spricht. Ein Schreiber hat keinen bessern Nachprüfer seiner $Seite 316$ Wortstellung als sein inneres Ohr: er lese sich laut oder stumm alles Geschriebene vor und unterwerfe es der Goldprobe, ob es in fließender Rede, im gepflegten Gespräch mit Gebildeten so gesprochen werden könnte, ohne gesucht, unnatürlich, — kurz, geschrieben zu klingen. Ein schlagendes Beispiel: Ich kenne einen Schriftsteller, der beim Schreiben grundsätzlich die Fürwörter ''mich, dich, ihn'', besonders ''sich'' möglichst weit nach hinten, möglichst dicht vor das Zeitwort setzt, — eine dem deutschen Sprachbaugesetz schnurstracks zuwiderlaufende Geckerei, begangen aus Auffallsucht. Ich habe ihn im lebhaften Gespräch beobachtet, wie er als natürlich redender Mensch oder als Redner in freien Vorträgen seine Muttersprache behandelt —: genau so wie ich und alle Welt! Er setzt im Sprechen, wie sich’s gehört, wie unsre Sprache es aus leicht nachweisbaren Gründen unbewußt meisterlich übt, alle ''mich dich sich'' so weit nach vorn, wie sein Bäckerjunge und sein Dienstmädchen. Sobald er aber mit der Feder am Schreibtisch sitzt, verrenken ihm Eitelkeit und Ziererei allen Sinn für die vernünftige, die natürliche, die einzig richtige Wortstellung, und der gewandte Sprecher wird zum hinkenden, schnörkelnden Schreiber. Übrigens bleibt es dem gesunden Leser unfaßbar, welche Art der eiteln Verdrehtheit wohl in solcher verdrehten Wortstellung Befriedigung suche.
Das unverbildete Sprachgefühl zwingt jeden Deutschen von selbst, das oberste Wortstellungsgesetz sicher zu beobachten: Jedes zum schnellen und klaren Verständnis des Satzes unerläßliche Wort muß so früh wie möglich gebracht, keines darf ohne zwingenden Grund verspätet werden. Das ältere Deutsch ging in der Anwendung dieses Grundgesetzes viel weiter als wir; wichtige Fürwörter in Beugungsformen standen weit vor dem Zeitwort, das sie beherrschte; das Zeitwort stand an der Spitze des Satzes, also in einer Fragestellung, die keine Frage, sondern die nachdrücklichere Hervorhebung des Tuns bezweckte (vgl. S. 192), und andres mehr. Die Dichtung hat manche schöne Freiheiten dieser Art bewahrt, aus der Alltagsprosa sind sie so gut wie verschwunden. Der Leitgedanke aber der deutschen Sprache: Wichtiges voran und an seinen möglichst frühen Platz, ist geblieben, und jeder Schreiber, gleichviel auf welcher Stufe, sollte es treu bewahren. Jede willkürliche Abweichung rächt sich durch die Verschiebung des Gedankens, oft durch unfreiwillige Lächerlichkeit.
$Seite 317$ Jemand will einen Vortrag ankündigen über die Abstammung der Affen in Gibraltar und faßt die Zeitungsanzeige so ab:
''Vortrag'':
''Die Abstammung der Affen in Gibraltar''
''Von''
''Lehrer Wilhelm Piefke''.
Ungeheure Heiterkeit aller Leser des Anschlages. Etwa weil der trennende Punkt nach ''Gibraltar'' fehlt? Keineswegs; sondern weil zur Ankündigung eines Vortrags vor allem die Angabe gehört, wer ihn hält. In andrer als Anschlagsprache würde es doch heißen: ''Am .. wird der Lehrer W. P. einen Vortrag über . . halten''. Grade auf einem Anschlag wollen wir zuerst den Menschen, dann seine verheißene Leistung bezeichnet finden.
Die Wortstellung des Geschriebenen muß den größten Teil der Hilfen ersetzen, welche die mündliche Rede vor der schriftlichen voraus hat. Oberster Zweck beider Sprachgattungen ist das schnelle und lückenlose Verständnis; jedes hierzu dienende Mittel muß angewandt werden, denn jede eigenwillige oder achtlose Verschmähung wird durch Unklarheit bestraft. Was so eng wie möglich beisammen stehen muß, weil es im Gedankengange dicht auseinander folgt, das trenne man nicht: das bezügliche Fürwort — ich wiederhole dies (vgl. S 312) — rücke man ängstlich so nahe an das bestimmende Wort, wie der Satz es irgend gestattet, also nicht etwa: ,''Ein Kindermädchen wird gesucht für ein Kind von einem Jahr, das nähen und stricken und in der Wirtschaft behilflich sein kann. — Gestern Abend großer Ball im Schlosse beim Herzog, der sehr voll war.' ''
Man stelle an die Spitze des Satzes keine Hauptwortform, deren Beugungsverhältnis nicht sogleich deutlich erkennbar ist oder wird, sondern sich erst weit hinten, oft verblüffend und umkehrend, offenbart. Der Leser ist nicht im Unrecht, wenn er in dem folgenden Satze ,''Die Frau' '' eine Weile als 1. Fall auffaßt, und er bekommt einen Ruck, wenn er erst ziemlich spät seinen unverschuldeten Irrtum erkennt: ,''Die Frau, die er elf Jahre hindurch schwärmerisch verehrt hatte, der er jede Regung .., von der er .., sah er plötzlich in einem Lichte ..' ''
Das Zeitwort hat meist eine späte Stelle im deutschen Satz, und diese Grundregel des Deutschen läßt sich nicht will- $Seite 318$ kürlich umstoßen. Unbedingte Vorschrift ist die ganz späte Stellung des Zeitwortes nicht, und in manchem Falle wird das schnelle Verstehen eines langen Satzes wesentlich erleichtert durch feinsinniges Voranziehen, besonders im gehobenen Stil. In Fichtes Reden an die deutsche Nation findet sich dieses Mittel oft zu starker Wirkung und zum Vorteil für den Satzbau angewandt: ,''Denket, daß in meine Stimme sich mischen die Stimmen eurer Ahnen aus der grauen Vorwelt, die mit ihren Leibern sich entgegengestemmt haben der heranströmenden römischen Weltherrschaft, die mit ihrem Blute erkämpft haben die Unabhängigkeit der Berge, Ebenen und Ströme.' ''
An die Nichttrennung zusammengesetzter Zeitwörter (vgl. S. 217) muß bei dieser Gelegenheit wieder erinnert werden. Eine Gewohnheit darf die Nichttrennung nicht werden, und der Alltagschreiber hüte sich lieber ganz davor, denn ihm stehen andre Mittel zu Gebote.
Das verneinende, das einschränkende, das steigernde Umstands- oder sonstige Wort gehört möglichst dicht vor das Wort, auf das es sich bezieht. Besondre Aufmerksamkeit schenke man den Wörtchen ''nicht, nur, allein, kaum, fast, selbst'' usw.; doch gibt es keine Verbotregel gegen die Einschiebung eines notwendigen ergänzenden Bestimmungswortes (vergleiche S. 297), ja selbst eines ganzen kurzen Zwischensatzes: ,''Er war nicht, wie man in Weimar glaubte, in Karlsbad geblieben, sondern ..' ''
Aufeinander Angewiesenes, also Zusammengehöriges trenne man nicht. ,''Das verlassene Haus . .' '' Wann verlassen? Die Antwort hieraus muß dicht bei ,''verlassen' '' stehen, also nicht ,''Das verlassene Haus seit dem Tode des Besitzers' '', sondern nur: ,''Das seit dem Tode .. verlassene Haus.' '' Ebenso nicht ,''Verbotener Weg für Radfahrer' '', denn der Weg soll eben keiner für Radfahrer sein, er soll ihnen oder für sie verboten sein, also nur: ,''Für Radfahrer verbotener Weg.' '' — ,''Der geschädigte Kaufmann in seinem Ansehen' ''.. ''Geschädigt'' und ''Ansehen'' bilden die Begriffseinheit, der ''geschädigte Kaufmann'' bleibt dunkel; erst das Hinzutreten von ''Ansehen'' macht ''geschädigt'' voll verständlich, also: ,''Der in seinem Ansehen geschädigte Kaufmann.' ''
Eine Zeitung überschreibt einen Aufsatz: ,''Propaganda gegen den Krieg in Südrußland.' '' Beim ersten, ja noch beim zweiten $Seite 319$ Lesen bedeutet dies seiner Wortstellung gemäß: ''Es wird dagegen gearbeitet'' (wo?), ''daß in Südrußland Krieg geführt werde''. Der Aufsatzschreiber hatte sagen wollen, man arbeite, werbe, wühle in Südrußland gegen den Krieg, der irgendwo, vermutlich im übrigen Rußland, geführt wird. ''Propaganda in Südrußland'' ist ein einheitlicher Begriff; diese Einheit darf nicht durch ein Einschiebsel zerrissen werden. Der Einwand, daß auch ''Propaganda gegen den Krieg'' eine Einheit bilde, trifft in diesem Falle nicht zu: der Schreiber wollte den Bezirk besonders hervorheben, wo die Propaganda vor sich gehe; die Angabe des Bezirks ist in diesem Falle das Unterscheidende, folglich hat die mit Südrußland hergestellte Einheit den Vorrang. Die Wortstellung des Schreibers hätte nur dann einen Sinn, wenn ein Krieg in Südrußland tobte und man ihm durch eine Propaganda irgendwo anders ein Ende machen möchte.
,''Ich pflegte ihn fast jeden Tag einen Monat lang zu besuchen' '': der richtige Sinn wird erkannt, aber doch nur, nachdem der Unsinn des allerersten Eindrucks verwischt worden. Hervorgehoben werden soll vornehmlich, daß der Besuch fast täglich geschah, die Dauer dieser Gepflogenheit kommt in zweiter Reihe; folglich bilden ''fast jeden Tag'' und ''besuchen'' die nicht zu zerreißende Begriffseinheit, und die richtige Wortstellung ist: ,''Ich pflegte einen Monat lang ihn fast jeden Tag zu besuchen.' '' Die scheinbar launenhafte deutsche Wortstellung folgt sehr zarten, aber sehr mächtigen innern Gesetzen.
Von zwei oder mehr Beiwörtern eines Hauptwortes muß in der nächsten Stellung das stehen, das die engere Begriffseinheit mit dem Hauptwort bildet. ,''Die tapferen deutschen Soldaten haben Wunder der Ausdauer getan' '', nicht ,''Die deutschen tapferen ..' '' Die Tapferkeit soll von den deutschen Soldaten im allgemeinen ausgesagt werden, diese bilden die Begriffseinheit, und das näher bestimmende Beiwort ''tapfere'' tritt vor diese Einheit. ''Die deutschen tapferen Soldaten'' würde aus der Allgemeinheit der tapferen Soldaten der Welt die deutschen herausheben; oder auch nur einen Teil der deutschen Soldaten tapfer nennen. — ,''Der schwere südliche Wein' '' muß es heißen, wenn von mehren Südweinen einer als schwer herausgehoben werden soll; ,''der südliche schwere Wein' '' bezeichnet von mehren schweren Weinen einen als Südwein. Man schreibe mehr als ein Beiwort niemals $Seite 320$ vor ein Hauptwort, ohne sich die Frage vorzulegen, woraus die mit einem auszeichnenden Beiwort zu versehende innigere Begriffseinheit besteht.
Man lasse wichtige Orts- und Zeitbestimmungen nicht an beliebiger Stelle des Satzes und in beliebiger Form schludrig nachschlottern. Ein ehemals berühmter Schreiber sudelte hin: '',Man will heute Goethes Verhältnis zu Bettina damals so auffassen.' '' Dies wäre selbst im nachlässigsten Gespräch unter Gebildeten unerlaubt. — Von demselben: ,''Die Natur scheint sich selbst zu widersprechen oftmals. — Unter diesen Umständen beendet er sein Werk, um die Aufstellung durchzusetzen jedoch, muß er erst noch einmal nach Rom.' '' Wortstellungen solcher Art erinnern an die zerbrochenen Glieder eines Geräderten. Freilich gibt es Satzgebilde, die keine noch so richtige Wortstellung retten kann vor der angeborenen Lächerlichkeit: ,''Sie klopfte mit ihrem bekümmerten Herzen an die Stubentür' ''; hier sitzt der Fehler tiefer, und das Unglück wird erst erkannt, wenn es zu spät ist. In solchen Fällen hilft nur eins: streichen und neu bauen, etwa ''bekümmerten Herzens'' . .' Oder ein landrätliches ,''Verbot, das Vieh im Stall mit brennenden Zigarren und offnen Lichtern'' (!, vgl. S. 107) ''zu füttern' ''. Die öffentliche Wohlfahrt stimmt aus zwei Gründen solchem Verbote zu, die Sprache erhebt Einspruch. — ,''Menalkas führte seine Herde brüllend durch den Hain.' '' Dies ist allerdings ein noch ärgerer Fehler als bloß einer der Wortstellung.
Beisätze gehören in eine so enge Verbindung mit dem Wort, dem sie als beigesetzt gelten sollen, daß keine falsche Beziehungen entstehen. ,''Angefüllt mit edlem Rheinwein überreiche ich Eurer Majestät diesen Willkommbecher' '', was an den vollen Herzog statt des vollen Balles erinnert (S. 317). Die untrennbare Begriffseinheit ,''angefüllt mit edlem Rheinwein' '' und ,''Becher' '' zerreißt der Redner, schiebt sich zwischen beide, und die Folgen sind schlimm.
Kein deutscher Fürst oder Minister, wohl auch kein Geheimrat, verlangt, daß man aus Ehrerbietung die Grundgesetze deutscher Wortstellung verletze: ,''Indem Eurer Majestät dieses ehrfurchtsvolle Gesuch ich unterbreite . .; . . so wagen Eurer Exzellenz unsre Bitte nochmals wir vorzutragen' ''; ,''wenn dem Herrn Geheimrat den Bauplan ich empfehlen darf . .' ''
Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z. B.: ''ein sächsischer junger Leutnant — die ausländische gesamte Medizin — westfälische mittelalterliche Volkslieder — man schöpfte mit hölzernen großen Kannen — wenn die Sonne schien, wurden die seidnen verblaßten Vorhänge zugezogen — da wollte auf dem Boden des Handwerks nicht einmal mehr das tägliche kärgliche Brot wachsen — die Turnübungen finden in der städtischen geräumigen Turnhalle statt — die Bestrebungen, den Arbeiterfamilien eigne behagliche Wohnungen zu schaffen — die Bildung künftiger'' $Seite 293$ ''maßgebender Staatsbeamten — in Zeiten wirtschaftlicher schroff aufeinander stoßender Gegensätze — eine chronische mit Geduld ertragne Krankheit — ein sittlicher angeborner Defekt.'' In allen diesen Fällen ist das Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte stehen müßte, weil es mit diesem zusammen einen Begriff bildet, durch ein zweites Eigenschaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch eingefallen ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung logisch richtig werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall ihre Plätze wechseln. Das ärgste dieser Art ist ''die alte gute Zeit'', wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. ''Die alte Zeit'' ist ein Begriff (die Vergangenheit); tritt zu diesem Begriff das Eigenschaftswort ''gut'', so darf er nicht zerrissen werden, sondern es muß heißen: ''die gute'' [''alte Zeit'']. Man muß sich also immer klar machen, welches von den beiden Adjektiven das wesentliche ist; dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort. Bezeichnet eins der beiden Adjektiva einen Stoff (''hölzern, seiden'') oder die Herkunft (''sächsisch, ausländisch, westfälisch''), so gehört dieses in der Regel unmittelbar vor das Hauptwort: ''mit großen hölzernen Kannen, ein junger sächsischer Leutnant.'' Natürlich ist es auch möglich, daß das andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff bildet oder wenigstens — bilden soll; dann muß die Ortsbezeichnung von dem Hauptwort entfernt werden, z. B.: ''Leipziger elektrische Straßenbahn — Münchner neueste Nachrichten — englische historische Romane — die sächsische zweite Kammer — die Straßburger katholische Fakultät — feine Nürnberger gelehrten Freunde'' usw. Sage ich: ''der höchste Leipziger Turm'', so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor und greife dann den höchsten heraus; bei den ''Leipziger neuesten Nachrichten'' dagegen soll ich mir alle Zeitungen vorstellen, die ''Neueste Nachrichten'' heißen, und soll dann die ''Leipziger'' herausgreifen. So ist auch der ''letzte schwere Tag'' der letzte einer Reihe von schweren Tagen, z. B. einer Examenwoche, dagegen der ''schwere letzte Tag'' der Todestag.
$Seite 294$ Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen Bücherverzeichnissen lesen muß: ''erste seltne Ausgabe.'' Es klingt das, als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die hier verkäufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber sagen, es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die editio princeps, und diese sei selten. Das kann nur heißen: ''seltne'' [''erste Ausgabe''], Anders verhält sichs mit der ''zweiten, verbesserten Ausgabe''. Hier ist ''verbessert'' ein nachträglicher Zusatz, wie schon das Komma zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf Büchertiteln leider sehr oft fehlt; der Sinn ist: ''zweite'', (und zwar) ''verbesserte Auflage''. Läßt man das Komma weg, so erweckt das die Vorstellung, als ob schon eine erste verbesserte Auflage vorhergegangen, diese hier also im ganzen die dritte wäre. Manchem wird das als unnötige Distelei erscheinen, es handelt sich aber um einen ganz groben, handgreiflichen Unterschied.
Ein Fehler, der die mannigfachsten Spielarten zeigt, obwohl er im Grunde immer derselbe ist, entsteht durch jene äußerliche Auffassung der Sprache, die nicht nach Sinn und Bedeutung, sondern nur nach dem Lautbilde der Wörter fragt. Kehrt dasselbe Lautbild wieder, so glaubt es der Papiermensch das zweitemal ohne weiteres unterdrücken zu dürfen, obwohl es dieses zweitemal vielleicht einen ganz andern Sinn hat als das erstemal. Eine Abart dieses Fehlers ist schon früher besprochen worden: die Vernachlässigung des Kasuswechsels beim Relativpronomen (S. 129). Hierher gehört es aber auch, wenn man einen Fügewortsatz oder Fragesatz zugleich als Objekt und als Subjekt verwendet, z. B. ''daß der Verfasser ein Jurist ist, kann man mit Händen greifen, hält ihn jedoch nicht ab — ob das Wort schon früher in Gebrauch war, wagen wir nicht festzustellen, ist auch ohne Belang.'' Oder wenn man ein Zeitwort gleichzeitig als selbständiges Zeitwort (oder Kopula) und als Hilfszeitwort verwendet und schreibt: ''er hatte sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet und wirklich das Zeug zu einem tüchtigen Künstler — er war vor'' $Seite 280$ ''kurzem erst ins Dorf gezogen und ein kleiner, kugelrunder Mann''//* Solche Zusammenziehungen stehen beinahe auf derselben Stufe wie die benannten scherzhaften Wortverbindungen: ''geo- und arithmetrisch - teils aus Frömmig-, teils zum Zeitvertreib - der heutige Tag wird mir ewig deut- und gegenwärtig bleiben''.// — ''er wurde später sächsischer Minister und in den Freiherrnstand erhoben'' — oder gar: ''wenn ein Grenzstein verrückt oder unkenntlich geworden ist'' (anstatt: ''verrückt worden oder unkenntlich geworden'') — ''glauben Sie nicht, daß eine Errungenschaft darin liegen würde, wenn Frauen medizinisch gebildet und praktizieren würden?'' (anstatt: ''gebildet würden und praktizierten''). Ferner wenn man ein persönliches Fürwort zugleich als Dativ und als Akkusativ verwendet, z. B. ''sich stets betastend und die Hände reichend — die Gelegenheit, sich kennen zu lernen, bezw.'' (!) ''näher zu treten'' — kurz alle Fälle, wo ein Wort gleichzeitig in zwei verschiednen Auffassungen gebraucht wird, also auch z. B.: ''die Pferde stürzten so unglücklich, daß die Deichsel brach, das eine Pferd aber den Oberschenkel — er war darauf angewiesen, sein Leben, an das er große Ansprüche machte, durch erbitterten Kampf gegen die Konkurrenz zu gewinnen'' (wo ''Leben'' das einemal als Lebensweise, das andremal als Lebensunterhalt gemeint ist).
Eine der häufigsten, aber auch widerwärtigsten Spielarten dieses groben logischen Fehlers ist es, ein Femininum und einen Plural unter demselben Artikel, Fürwort oder Adjektivum zusammenzukoppeln (vgl. englisch: ''the life and times'') und zu schreiben: ''die Höhe und Formen des Gitters — die Umrahmung und Seitenflügel des Altarbildes — die Metalle und Spektralanalyse — die Verbreitung und Ursachen der Lungenschwindsucht — die Stellung und Ansprüche des Zentrums — die Sicherung der Post und Transporte — die Analyse der Gestalten und Kunst Shakespeares — Handbuch der Staatswissenschaften und Politik — das Gebiet der Mathematik und Naturwissenschaften — die Angaben der Bevölkerungsdichtigkeit und Temperaturverhältnisse — seine'' $Seite 281$ ''Reue und Gewissensbisse — im Kreise seiner Gattin und Kinder — durch ihre Daten und Hingebung — eine Darstellung ihrer Schicksale und Bauart — die Bühne, die keine Dekoration und Kulissen kannte — die Gegner der deutschen Landwirtschaft und Getreidezölle — zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer.''//* Vollends arg sind natürlich Zusammenziehungen wie: ''unsre Arbeit und Streben — gute Küche und Keller.'' Über solche Sudelei ist kein Wort zu verlieren; für sie gibt es auch keinen Schein von Entschuldigung.//
Aber auch da, wo Geschlecht und Numerus zweier Begriffe dieselben sind, ist es eine grobe Nachlässigkeit, sie unter einem Artikel unterzubringen und zu schreiben: ''die Zustimmung des Bundesrats und Reichskanzlers — der Direktor der Bürger- oder Bezirksschule — eine Sitzung des Bau-, Ökonomie- und Finanzausschusses — ein Ausflug nach dem Süßen und Salzigen See — das alte und neue Buchhändlerhaus — die katholische und evangelische Kirche — der Renaissance- und Barockstil — das sächsische und schlesische Gebirge — die religiöse und weltliche Poesie der Juden — die weiße und rote Rose — das Sol- und Seebad — der Wert der klassischen und modernen Sprachen — meiner innig geliebten Mutter und Großmutter gewidmet — die Knochen waren nicht die Überreste eines Frauen- und Kinderskeletts, sondern eines Ferkel- und Kaninchengerippes!'' Auch in diesen Fällen muß der Artikel unbedingt wiederholt werden; wird er nur einmal gesetzt, so erweckt das die Vorstellung, als ob sichs nur um einen Begriff handelte. Niemand kann erraten, daß der Bau-, Ökonomie- und Finanzausschuß drei verschiedne Ausschüsse sind. ''Der König von Preußen und Kaiser von Deutschland'' — das ist richtig, denn beides ist dieselbe Person: ebenso richtig kann sein: ''die Direktoren der Bezirks- oder Armenschulen'', wenn ''Bezirksschule'' und ''Armenschule'' nur verschiedne Namen für dieselbe Schulgattung sind.
$Seite 282$ Die Nachlässigkeit wird um so störender, wenn durch das im Plural stehende Prädikat oder auf irgend eine andre Weise noch besonders deutlich fühlbar gemacht wird, daß es sich um mehrere Begriffe handelt, z. B.: ''der deutsche Handel war bedeutender als der englische und amerikanische zusammen — der Nominativ und Vokativ sind eigentlich keine Kasus — die erste und letzte Strophe zerfallen in zwei Hälften — der lyrische und epische Dichter bedürfen dieses Mittels nicht — 1830 starben der Bruder und Vater — westlich davon stehen die Thomas- und Matthäikirche — an der Nordseite befinden sich der Dresdner, Magdeburger und Thüringer Bahnhof — zwischen'' (!) ''dem 13. und 15. Grade südlicher Breite — der Unterschied zwischen'' (!) ''den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen — wo ist die Grenze zwischen'' (!) ''der Wahrheit, die man mitteilen, und'' [''der''!], ''die man nicht mitteilen darf'' — die deutsche Umgangssprache schwankt zwischen dem Extrem barscher Kürze und bedientenhafter Redseligkeit''. Wie kann etwas ''zwischen einem Grade liegen, zwischen einem Extrem schwanken''?
Bei mehr als zwei Gliedern kann die sorgfältige Wiederholung des Artikels freilich etwas schleppendes bekommen, und wo mehr Reihe gebildet als gegenübergestellt wird, da schreibe man getrost: ''mit den Geruchs-, Geschmacks- und Gefühlsnerven, die Gewohnheiten des Fastens, Beichtens und Betens, ein Schatz des Wahren, Guten und Schönen.'' Wo aber unterschieden und gegenübergestellt wird, da muß
auch der Artikel wiederholt werden. Darum steht auch auf dem Titelblatte dieses Buches: ''Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen'', denn jeder dieser drei Begriffe bezeichnet eine ganz andre Art von Fällen. Manche glauben genug zu tun, wenn sie den Artikel bei einem Wechsel des Geschlechts wiederholen, und schreiben: ''die Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams''. Ganz irrig! Die Gleichmäßigkeit verlangt den Artikel bei jedem Gliede der Reihe.
$Seite 283$ Kein grammatischer, aber ein grober Denkfehler liegt vor in Verbindungen wie: ''Lager von Schneider- und Schuhartikeln — Fabrik von Bambus-, Luxus- und Rohrmöbeln''. Der ''Schneider'' kann nicht den ''Schuhen, Bambusrohr'' nicht dem ''Luxus'' gegenübergestellt werden; ''Bambus'' und ''Rohr'' geben den Stoff an, ''Luxus'' den Zweck (oder die Zwecklosigkeit).