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D
Der Formenreichtum aller abwandelnden Sprachen ist aus dem Streben geboren, möglichst alle Beziehungen eines Begriffes deutlich in gesonderten Formen ausdrücken zu können. In höherem oder geringerem Grade wird ihre Satzfügung daher von dem Gesetze der Kongruenz (Übereinstimmung) beherrscht, d. h. nicht bloß unmittelbar zueinander gehörige Wörter wie Artikel oder Attribut + Substantiv, sondern auch die aufeinander bezogenen Satzteile müssen in der Form nach Geschlecht, Zahl und Person und innerhalb desselben Satzes, wenn sie in gleichem Abhängigkeitsverhältnis stehen, auch dem Falle nach übereinstimmen, natürlich nur, soweit für diese vier Bestimmungsweisen in einer Sprache verschiedene Formen ausgeprägt oder üblich sind. Das Wort, auf das sich ein anderes bezieht, heißt sein Beziehungswort. In diesem Sinne ist vor allem das Subjekt das Beziehungswort zum Verb, das Subjekt oder Objekt zum Aussagewort, jedes Hauptwort zu einem darauf bezogenen Für-, Eigenschafts- oder Mittelworte. Wie schon oben § 220 und 77, 3 ausgeführt ist, sind hiervon besondere gebeugte Formen, die allein die Bezeichnung der Beziehung ermöglichen, nicht mehr üblich für Eigenschafts- und Mittelwörter, die als Satzaussage gebraucht und die ihrem Hauptworte nachgestellt sind; desgleichen auch nicht für solche, die ihm in der Weise voranstellt sind, daß sie durch Geschlechtswort und andere Satzteile getrennt werden: vgl. ''die Rose ist welk, die Rosen sind welk; ein rotes Röslein: ein Röslein rot. Die geblendeten Augen. Von dem Glanz geblendet, schlossen sich seine Augen.'' Hier gilt es nur die Fälle zu erörtern, in denen hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucks der Beziehung Freiheiten herrschen dürfen oder Willkürlichkeiten und Lässigkeiten gerügt werden müssen.  +
Das Neutrum ''was'' findet nämlich im substantivischen Neutrum aller Adjektive und Pronomen immer noch ein hinlänglich Allgemeines, um auch darauf zurückweisen zu können: ''das Gute was'', (doch auch ''das'') ''darin liegt; nichts Besseres, was; das Beste, was sich sagen läßt; nur das, was — alles was'', auch ''was beides''. Ebenso wird heute auf einen vorhergehenden ganzen Satz durchaus //2 Alt ist die allgemeine Anwendung von ''was'' (statt ''welches'') hier noch nicht. Noch Schiller wechselt z. B. sehr feinsinnig zwischen ''welches'' und ''was'', indem er jenes nimmt, wenn der dadurch aufzunehmende Satz oder Satzteil vorangeht, also schon bekannt ist, dieses, falls er nachfolgt, also noch unbekannt ist: ''Einige wollen sogar geheime Geschäftsträger des Admirals C. um diese Zeit in Brabant gesehen haben, welches aber billig bezweifelt wird. Sie ließen es sich angelegen sein, diese hohe Meinung .... rege zu erhalten und, was das wichtigste war, durch wohlangebrachte Geldhilfe ihre Armut zu dingen''.// mit ''was'' verwiesen: ''er betrachtete mich mit einem schelmisch-freundlichen Lächeln, was bei dem ernsten trocknen Herrn eine Seltenheit war; wenn wir Besuche machten, was selten vorkam'' (Eltze). Daß aber ''was'' auch noch darüber hinaus auch auf sächliche Hauptwörter bezogen wird, kann als gänzlich seiner Bedeutung widersprechend dadurch nicht schriftgemäß werden, daß man dies gedankenlos immer häufiger mitmacht, wie es denn auch Goethe und später G. Freytag hierin wiederholt versehen haben; auch bei Scheffel, der es im Ekkehard offenbar als eine Altertümlichkeit öfter verwendet hat, ist das Färbemittel durchaus unecht. Also sage niemand mit Goethe: ''das Büchlein, was'', sondern ''das'', noch mit Freytag: ''das Gut, was'' (statt ''das'') ''der Vater hinterlassen hat'', oder mit H. Riehl: ''das einzige Glück, was mir zuteil ward''.  +
Gewisse Hauptwörter erscheinen im 1. Fall in Doppelformen auf ''e'' oder ''en'', besonders: ''Friede(n), Funke(n), Gedanke(n), Gefalle(n), Glaube(n), Haufe(n), Name(n), Schade(n), Wille(n).'' Weil die Form mit ''e'' die ältere, die mit ''en'' eine jüngere ist, wird von den Sprachmeistern mit mehr oder weniger Nachdruck verlangt, man müsse der ,alten richtigen' Form den Vorzug geben, so sei z. B.: '',der künstlerische Gedanken' '' unerträglich. Er ist schon sehr vielen Gebildeten ganz erträglich geworden. Noch haben Sprachgebrauch und Sprachgefühl sich nicht bestimmt nur für die eine der Formen ausgesprochen; sie sind also beide zulässig, und das Sprachgefühl des Einzelnen, nicht eine ihm aufgezwungene Regel gibt den Ausschlag. '',Der Friede von 1871' '' scheint mir vorzuherrschen, doch ist darum ''Frieden'' nicht falsch. Im 4. Fall wird heute überwiegend ''Frieden'' gesagt; Bürger schrieb: '',und schlossen endlich Friede' '', vielleicht des Reimes (müde) wegen. Bei Gedanke wiegt noch die Form ohne ''n'' vor: d''er Gedanke''; aber ''der Gedanken'' ist nicht zu verbieten. ''Schade'' steht meist nur in der Formel: ''es ist schade'', sonst überwiegend ''der Schaden''; doch ist ''der Schade'' nicht falsch. — Außer jenen ausgesprochenen Doppelformen gibt es für ''Schatten'' die dichterische Nebenform ''der Schatte'', für ''Spaten'' ''die seltene Spate'', die noch seltnere ''der Huste'' neben ''der Husten.'' Die Entwicklung aller dieser Doppelformen ist noch im Fluß, und es ist so nutzlos wie überflüssig, mit Empfehlungen oder gar Verboten einzugreifen. Von ''Fels'', ''Felsen'' ist die erste Form die mehr dichterische, die zweite die mehr alltägliche. — Über die allein zulässige Form ''Tür'', nicht ''Türe'', wurde schon gesprochen (S. 68). — ''Hirte'' ist feierlicher als ''Hirt''; mit ''Stirne'' steht es so wie mit ''Türe'', doch kommt ''Stirne'' bei Dichtern, z. B. bei Freiligrath, vor. $Seite 94$ ''Belag'' oder ''Beleg'' (in der Bedeutung ,''Beweis''')? Die Mehrzahl lautet ''Belege'', also auch in der Einzahl besser ''Beleg''. — Von ''Lehen'' ist die Mehrzahl ''Lehen'', also nicht ''Darlehne'', sondern ''Darlehen''. Die Hauptwortform einiger ursprünglicher Beiwörter schwankt: ''Äußeres, Inneres, Ganzes'' in Fällen wie: ''ein schönes (gewisses) Äußeres oder Äußere, ein großes Ganzes oder Ganze, mein ganzes Innere oder Inneres.'' Die Formen schwanken nicht nur in der Alltagsprache, sondern bei unsern besten Schriftstellern: Grund genug für den Sprachmeisterer, mit seinem Rüffel unnatürliche, gewaltsame Erzeugnisse der Halbwisserei' dazwischen zu fahren, wenn jemand das Verbrechen begeht, ''ein schönes Ganzes'' zu schreiben. Andre Sprachgelehrte schreiben ausdrücklich vor: ''ein großes Ganzes''. Wie soll sich der Ungelehrte verhalten, dem es genügt, gutes Deutsch zu sprechen und zu schreiben? Wie immer: er lausche auf den Sprachgebrauch der Gebildeten und der besten Schreiber und lasse sich durch Grobheiten nicht beirren. Unzweifelhaft wird öfter ''ein großes Ganzes'' gesagt und geschrieben als ei''n großes Ganze''; dagegen scheint ''ein schönes Äußere'' vorzuherrschen. Bei den Dichtern kommen beide Formen mit solcher Verteilung vor, daß keine feste Regel daraus abzuleiten ist. Bei Goethe: ,''Ich möchte dir mein ganzes Innere zeigen. — Ein etwas wunderliches Äußeres. — Sich überflüssiges Gute zu erzeigen. — Ein ewiges Ganzes.' '' Bei Lessing: '',Ein desto günstigeres Äußerliche. Ein körperliches Ganze.' '' — Bei Schiller: '',Ein recht gutes Äußerliches.' '' Wir dürfen feststellen: die Form ohne ''s'' überwog in älterer Zeit, aber ohne Regelmäßigkeit selbst bei dem einzelnen Schreiber; die mit ''s'' nimmt heute zu, und wir müssen uns enthalten, einer solchen Entwicklung des lebendigen Sprachgebrauchs den einzig richtigen Weg herrisch vorzuschreiben. Wir haben ''Gelassenheit'', ''Verdrossenheit'', ''Zuvorkommenheit'', und sie werden jetzt nicht beanstandet. Luthern allerdings hatte ''Gelassenheit'' mißfallen. Dagegen wurde jüngst Anstoß genommen an dem Neuwort ''Gepflogenheit'' — ,ist nicht Brauch so ziemlich dasselbe?' Für unser Sprachgefühl ist es offenbar nicht oder doch nur so ziemlich dasselbe, und man sollte sich nicht ärgern, sondern freuen, wenn die Sprache sich für nur so ziemlich dasselbe eine neue Ab- $Seite 95$ schattung erzeugt. Daraus folgt freilich nicht, daß die Neubildungen mit ''heit'' ins Grenzenlose gehen dürfen: ''Gepflogenheit'' ist gut, aber ''Ungeordnetheit'' statt ''Unordnung'', ''Verbreitetheit'' statt ''Verbreitung'', ''Bedeutendheit'' statt ''Bedeutung'' sind nicht gut. Die bräuchliche Form heißt der ''Bildner''; bei Goethe und Schiller kommt der ''Bilder'' vor. Ist dies auch für uns erlaubt? Freilich, und erst recht, wenn dadurch der ''Skulptor'' und der ''Plastiker'' ferngehalten werden. Wie steht's mit ''Langeweile''? Wie sollen wir es richtig beugen? Es ist nicht leicht, es falsch zu beugen. Neben ''Langeweile'' ist ''Langweile'' erlaubt, und ''aus langer Weile'', ''aus Langerweile'', ''mit der Langweile'', ''mit der Langenweile (. . langen Weile), aus Langweile'', ja selbst ''aus Langeweile'' kommen bei den Guten und den Besten vor. Bei Goethe steht: '',vor Langerweile umkommen' ''. ''Mein Lebelang'' oder ''mein Leben lang'' oder ''mein Lebenlang''? Ganz nach eignem Geschmack; und nicht ärgern, sondern freuen sollen wir uns über solche liebenswürdige Freiheiten unsrer Sprache, die jedem gestatten, sein Sprachgefühl zu erproben. ''Das hohe Lied, das Hohelied, das Hohe Lied, des Hohen Liedes, Hohenliedes, hohen Liedes'' — alles erlaubt. ''Ein Hoherpriester, ein Hohepriester, der Hohepriester'' — desgleichen; aber nicht ''ein hoher (der hohe) Priester'', denn ''Hohepriester'' ist eine selbständige Neubildung. ''Armer Sünder'' dagegen ist neben ''Armersünder'' noch das Bessere; dagegen nur ''Armesünderglocke'' (nicht: ''arme''). — Nur ''Sauregurkenzeit'', nicht etwa ''saure Gurkenzeit'' (vgl. S. 127). ''Der Beamte'', aber ''ein Beamter'', ebenso ein ''Standesbeamter''; ''der Gelehrte'', aber ''ein Gelehrter''.  
Alle Welt leitet von ''der Beamte'' ab: ''die Beamtin''. Der Büttel kommt daher und verkündet im angemaßten Namen der Sprache: ,Von Partizipialsubstantiven — und ein solches ist auch ''der Beamte'', d. h. ''der Beamtete'' — können keine Feminina auf ''in'' gebildet werden; niemand sagt: ''meine'' $Seite 96$ ''Beamtin'', ''meine Geliebtin''.' Also sie können nicht gebildet werden; — wie aber, wenn sie dennoch von einem Millionenvolk gebildet werden? Dann muß das ganze Volk Unrecht haben, damit der eine Sprachgewaltige Recht behalte. Hier haben wir ein Musterbeispiel grundverkehrter Beurteilung des Innenlebens der Sprache: als ob sie sich gewissenhaft wie ein Musterschüler vorhielte, hier ist ein Partizipialsubstantiv (zum Hauptwort gewordenes Mittelwort), das sei dir heilig, also um Gottes willen keine weibliche Eigenform! Auch dann nicht, wenn ein zwingendes allgemeines Bedürfnis vorliegt, der Million weiblicher Beamten eine scharf unterscheidende Wortform zu geben? Auch nicht, wenn andre weibliche Berufe: ''Lehrerin, Gehilfin, Ärztin, Arbeiterin'' die Nebeneinanderstellung von ''der Beamte, die Beamtin'' als die natürlichste ergeben? Auch dann nicht, denn — obenan steht meine Regel von den Partizipialsubstantiven; das Sprachbedürfnis eines Volkes geht mich nichts an. Das Bedürfnis im Bunde mit dem richtigen Sprachgefühl sind über solche Besserwisserei längst hinweggegangen: ''die Beamtin'' ist heute das selbstverständliche Wort, und der frühere Einspruch dagegen gilt jetzt für eine unbegreifliche Sprachdummheit. Der Hinweis auf die Unmöglichkeit von ''Bekanntin'' oder gar ''Geliebtin'' ist unwirksam: ''die Bekannte'' und ''die Geliebte'' werden eben noch als ehemalige Mittelwörter empfunden, ''die Beamtin'' nicht; ja selbst ''der Beamte'' nur noch von Sprachgelehrten. Daran, daß die weibliche Beamte auch in der Mehrzahl vorkommt, die nach seiner Verfügung ''die Beamten'' lauten müßte, daß also nur ''die Beamtinnen'' uns aus der Verlegenheit ziehen kann, hat der erhabene Sprachgesetzgeber in seiner Unfehlbarkeit nicht gedacht. — Übrigens kommt ''Beamtin'' schon bei J. H. Voß (Aristophanes 3, 224) vor, und W. von Humboldt schreibt sogar ''Bekanntin'', wogegen kaum etwas zu sagen ist, so wenig wie gegen ''die Gelehrtin'', ''die Gesandtin'', ''die Verwandtin'', für welche Formen sich bei sehr guten Schreibern Belege finden. Aus der Berechtigung solcher Formen folgt natürlich nicht das Recht zu beliebiger Verallgemeinerung; die Sprache besteht aus ebenso vielen Ausnahmen wie Regeln, und eines schickt sich nicht für alle. Es heißt nicht ''die Deutschin'', obgleich es ''die'' ''Französin'' heißt; nicht ''die Beklagtin'', ''die Heiligin''; wohl aber, einem Bedürfnis zuliebe, ''die Gastin'' $Seite 97$ (für ''Schauspielerinnen''), und der Einwand: ,Wer möchte eine Frau oder ein Mädchen seine Gästin oder Gastin nennen?' ist verkehrt: hier liegt, wie in sehr vielen Wörtern, eine Begriffspaltung und ihr entsprechend eine Formspaltung vor. Zu einem weiblichen Hausgast, selbst zu einer Schauspielerin, sagt man: ''mein Gast''; zu einer Schauspielerin auf der Bühne von einem andern Theater: ''die Gastin'', an einer gastlichen Tafel: ''unser Gast''. So wurde auch ''die Kundin'' bemängelt; der Kaufmann solle nicht sagen: ''eine gute Kundin von mir''. Das tut er bekanntlich doch, und das Sprachgefühl unterweist ihn richtiger als den Doktor Allwissend der Sprachlehre. Sind anstößig: ''die Lieblingin, die Zöglingin, die Ankömmlingin, die Emporkömmlingin, die Günstlingin, die Flüchtlingin, die Fremdlingin?'' Ich würde solche Formen zögernd schreiben; aber falsch sind sie nicht, sondern nur zuzeit nicht allgemein üblich. In den meisten Fällen liegt ja kein Zwang zur weiblichen Form vor: '',Sie war der Liebling des Hauses, Der edle Flüchtling Dorothea' '' bieten sich bequem dar; aber ein Verbot aller solcher Bildungen ist ungerechtfertigt. Sie kommen sämtlich hier und da bei guten Schriftstellern vor. Gegen '',eine kühne Waidmännin, meine Landsmännin' '' wurde noch kein Widerspruch erhoben. Daraus folgt aber nicht, daß man bedenkenlos schreiben sollte: '',Frau von Stein ist eine üble Gewährsmännin zur Beurteilung Christianens' ''. Die Gattin eines beliebigen Hauptmanns ist seine ''Frau Hauptmann''; dagegen wird man sich seine Witwe schon eher als ''Hauptmännin'' gefallen lassen, und das Urbild zu Schillers Laura hieß nur ''die Hauptmännin''. Ein weiblicher Staatsmann? Maria Theresia war ein großer ''Staatsmann'', keine ''Staatsmännin''; aber wäre es unmöglich, zu sagen: '',Egeria war des Numa Pompilius beratende Staatsmännin?' '' Für den Gartenaufseher mit der Regelheckenscheere lauter höchst widerwärtige Wassertriebe. Die weiblichen Ableitungen von männlichen Wörtern auf ''..rer, ..erer'' sind in vollständiger und in abgekürzter Form zulässig: ''..rerin, ..erin''; die abgekürzte wird bevorzugt. ''Bewunderin, Förderin, Plauderin, Einwanderin, Auswanderin, Zauberin'' genügen. Von ''Märtyrer'' wird vereinfacht ''Märtyrin'' abgeleitet; ebenso ''Aben''- $Seite 98$ ''teuerin'' von ''Abenteurer''. Wer durchaus ''Märtyrerin, Abenteurerin'' schreiben zu müssen glaubt, verdient keinen schwereren Vorwurf als den einer weniger flüssigen, einer überflüssigen Umständlichkeit, die ihm keiner dankt. Die Frau des Reichskanzlers ist die ''Frau Reichskanzler'', nicht ''die Reichskanzlerin''; die eines Geheimrats heißt zwar in einer Briefaufschrift besser ''Frau Geheimrat'', darf aber ohne Furcht vor einem ,groben Fehler' als ''Frau Geheimrätin'' angeredet werten. Goethes Mutter wurde ebenso oft ''Rätin'' wie ''Frau Rat'' genannt.  
Über Hauptwörter mit verschiedenen Geschlechtern und entsprechend verschiedenen oder auch gleichen Bedeutungen belehrt jede deutsche Sprachlehre; hier werden, wie durchweg, nur die Zweifelfälle betrachtet. Einige landschaftliche Besonderheiten wurden schon erwähnt (S. 68); nachgetragen seien noch für die Schweiz: ''der Großmut, der Bank, der Schneck, der Laus'' (''die Floh, die Fräulein, das Reis für reichsdeutsches der Reis, die Abscheu, die Schoß, der Almosen, das Tau'' (statt ''der Tau''), ''die Koffer''. Schweizer Lesern sei bedeutet, daß für die Schriftsprache diese Abweichungen unzulässig sind; der landschaftliche Sprachgebrauch wird davon nicht berührt. Die weibliche Benennung von Schiffen: ''die Emden, die Dresden, die Vaterland, die Bismarck'' — auch die zwei letzten wurden schon gedruckt und gesprochen! — sind nicht echtdeutsches Gewächs, sondern Nachäffung englischer Sprachform. Noch sitzt diese undeutsche und für unser Sprachgefühl grund- und sinnlose Geschlechtsbezeichnung nicht so fest, daß wir sie als geheiligten Sprachgebrauch hinnehmen müßten. Jeder Deutsche hat das Recht, Einspruch gegen solche offenkundige Engländerei zu erheben und zu verlangen, daß den Schiffen ihr natürliches oder aus irgendwelcher vernünftiger Anschauung hergeleitetes Geschlecht gegeben werde. Ein gepanzerter Berserker wie ''der'' (''Kreuzer'') ''Emden'' oder ''der'' (''Panzer'') ''Bismarck'' oder ''das'' (''Kriegschiff'') ''Vaterland'' können durch keine Klügelei zu holden weiblichen Wesen gemacht werden. Das gesunde Gefühl des Deutschen wird ihn in jedem Falle richtig leiten, richtiger als mit der ewigen englischen Weiblichkeit. $Seite 99$ In zweifelhaften Fällen wie ''Hamburg, Baden, Emden'' ziehe man ''der'' vor und ergänze ''Kreuzer''; dies ist auch für Linienschiffe immer noch angemessener als ''die''. Bei Schiffen mit Städtenamen denken wir doch nicht zuerst ergänzend: ''die Stadt'', sondern eben auch: ''der Kreuzer, der Panzer''. Kein andres Seevolk außer uns Deutschen treibt solche Englandäfferei; jedes folgt seinen eignen Sprachgesetzen und schreibt ''La Patrie, Le Danton, II Dante''. Es handelt sich hier keineswegs um eine Kleinigkeit, sondern um einen Ehrenpunkt, von der Sprachvernunft gar nicht erst zu reden. Nebenbei sei schon hier außer der Reihe bemerkt, daß auch die Ausdrucksweise ''An Bord Seiner Majestät Schiff Deutschland'' nicht nur empörend sprachwidrig, sondern eine rohe Nachäffung des Englischen ist. Wem solch Abhängigkeitsverhältnis zwischen der deutschen Flotte und dem englischen Sprachgesetz ganz recht ist, mit dem ist nicht zu streiten. Hier liegt noch kein zu achtender alter deutscher Sprachgebrauch vor, sondern bewußte Äfferei, die keine Rücksicht verdient. ''Der Elsaß'' wird sprachgeschichtlich für ,richtiger' erklärt; alle Welt sagt ''das Elsaß'', also schreiben wir richtig ''das Elsaß''. ''Der Abscheu'' ist heute die herrschende Form; früher hieß es oft ''die Abscheu''. ''Bereich'' kommt bei Goethe und Andern männlich und sächlich vor; heute hat sich ''das Bereich'' stärker durchgesetzt, ohne daß ''der Bereich'' falsch wäre. ''Der Chor'' (chorus) war im 18. Jahrhundert, z. B. bei Goethe, fast nur sächlich. Eine drollige Wendung lautet: ''Das Chor der Rache'', wohl mit dem Gedanken an ''das Corps'', ''Chor'' als Sängerplatz ist sächlich. Heute überwiegen ''das Drangsal, die Mühsal, die Trübsal''; bei Goethe kommen andre Geschlechter vor. ''Das Euter'' herrscht jetzt vor; ''die Euter'' ist nicht falsch. Manche Sprachlehren fordern als besser oder einzig richtig (,es darf nur heißen'): ''Ihre Fräulein Braut, Ihrer Fräulein Tochter''. Die Sprache liest keine Sprachlehren, sondern folgt ihrem, d. h. der Sprechenden, innern Gefühl und spricht heute fast ausschließlich: ''Ihr Fräulein Braut, Ihrem Fräulein Tochter''. Die Sprachlehren sind hiermit sehr unzufrieden, aber die Sprache beharrt bei ihrem Willen. Der Leser wird wissen, wem er zu folgen hat. Er sagt ja auch: ''Liebes Fräulein Marie''! $Seite 100$ Weil in Leipzig angeblich ''der Gehalt'' (für Beamte), ''die Gehalte'' gesprochen wird, beschimpfte von Leipzig aus ein Sprachbüttel den Geschmack des ganzen übrigen Deutschlands, wo man ''das Gehalt'', ''die Gehälter'' spricht und schreibt —: ,plebejisch, häßlich, niedrig'. Ich habe ermittelt, daß es heute auch in Leipzig weit überwiegend ''das Gehalt, die Gehälter'' heißt. Die Sprache hat sich selbst einen Weg gebahnt: sie hat eben den Unterschied zwischen ''Inhalt'' und ''Lohn'' deutlicher machen wollen, und von einer ,Gemeinheit' der Form ''Gehälter'' fühlt heute kein Mensch etwas. ''Gift'', das bei Goethe in allen drei Geschlechtern vorkommt, ist heute in der Schriftsprache nur sachlich. Landschaftlich wird ''der Lohn'' (''die Belohnung'') und ''das Lohn'' (''Gehalt'') unterschieden; die Schriftsprache kennt für beide Bedeutungen jetzt nur ''der Lohn''. ''Das'' oder ''der Münster''? In der Schweiz heißt es nur ''das'', bei Goethe ''der''. Ich sage ''das'', habe aber nichts gegen ''der''. Der Grund, daß das lateinische Urwort ''monasterium'' sachlich ist, gibt nicht den Ausschlag. ''Das'' statt ''der Sarg'' ist Landschafts-, nicht Schriftsprache. Teil war im ältern Deutsch, so noch bei Luther, überwiegend sächlich. Heute schwankt das Geschlecht in gewissen Wendungen: ''ich für mein Teil'' und ''für meinen Teil''; ''ich habe mein Teil'' und ''meinen Teil''; ''ein gutes Teil'' und ''ein guter Teil'' davon. Der Sprachgebrauch hat sich noch nicht ausschließlich für die eine oder die andre Form entschieden, also sind beide richtig. In biblischen Wendungen, wie ''das gute Teil'' erwählt, hat sich das sächliche Geschlecht behauptet. Ferner nur: ''Ich habe mein Teil weg''; aber: ''Ich habe meinen Teil der Erbschaft bekommen''. ''Der'' oder ''das Ungestüm''? ''Der'' oder ''das Vogelbauer''? ''Der'' oder ''das Wams''? ''Der Zeh'' oder ''die Zehe''? ''Der'' oder ''die Zierat''? Beide Formen sind auch in der Schriftsprache zulässig; die Wage schwankt noch zu Gunsten der einen oder andern. Bei ''Zierat'' kommen die drei Geschlechter berechtigt vor.  
Ganz allgemein: wo Beugung möglich ist, da beuge man im Zweifelfall; wo sie zur deutlichen Bezeichnung des Ge- $Seite 101$ füges nötig ist, da beuge man erst recht. Es ist keine grundlose Eigentümlichkeit der Dichtersprache, daß sie strenger auf Beugeformen hält als die Umgangs- und selbst die Schriftsprache: das feine Sprachgefühl empfindet die richtig gebeugten Formen als die volleren und edleren. Nicht nur wegen der Engländerei, sondern mehr noch wegen der Beugungslosigkeit erscheint der Ausdruck ''An Bord Seiner Majestät Schiff'' trotz der Vornehmtuerei als unfein. Eine ''Summe Geld'' ist nicht falsch, aber eine ''Summe Geldes'' ist gehobene Sprache. Man darf wohl sagen: ''Ein Sack reifer Weizen'', aber ''. . reifen Weizens'' ist höhere Sprache. In der unnötigen Verfeinerung einfachster Wendungen: ''Ein Glas Wassers'' oder ''frischen Wassers'' (statt ''.. Wasser'', ''frisches Wasser'') fühlt man Absicht und man ist verstimmt (vgl. S. 256). An Fügungen wie ''kraft Anordnung, infolge Sturmwarnungen'' stört uns das Fehlen jedes Beugezeichens. ''Zum Wohle meines Vaterlandes und dessen Einwohner'' wird als Härte empfunden wegen der Beugungslosigkeit von ''Einwohner''; man schreibe: ''..seiner Einwohner'', und das Gefüge gewinnt Leben. Titel, Schilder, Gasthofnamen usw. wirken in Deutschland lähmend auf die Kenntnis der Sprachlehre: alle Beugung stockt. Früher sagte jedermann: ''Ich wohne im Erbprinzen'', ''im Elefanten''; heute oft: ''im Erbprinz'', ''im Elefant''. Menschen mit Sprachgefühl beugen in allen solchen Fällen. ''Die Tochter des Rechtsanwalt Müller, die Wahl des Stadtrat Schulze, das Buch des Professor Schmidt'' — dergleichen hört und liest man oft, zuweilen selbst von gebildeten Menschen. Über die Unzulässigkeit kann kein Zweifel bestehen. Auch ''Oberst'' ist kein unbeugbares Wort: ''der Brief des Obersten'' oder ''Oberst R.''  +
''Der Bauer'' wird gebeugt: ''des Bauern'', ''des Bauers''; ''dem Bauer'', ''dem Bauern''; ''den Bauer'', ''den Bauern''. Die Nebenformen sind nicht falsch. Der Zweitfall von ''Nachbar'' ist ebensowohl ''Nachbars'' wie ''Nachbarn''; auch im dritten Fall sind ''Nachbar'' und ''Nachbarn'' gleichberechtigt; im vierten überwiegt ''Nachbar''. $Seite 102$ Die bräuchlichsten Formen von ''Bär'' sind heute: ''des Bären'', ''dem Bären'', ''den Bären''; bei Goethe heißt es ''den Bär''. Als einzig schriftdeutscher Zweitfall von ''Käst'' gilt ''Käses''. Im heutigen Schriftdeutsch heißt es überwiegend: ''dem Helden, den Helden''; früher: ''dem Held, den Held''. Die Nichtbeugung des ersten Gliedes in festen Wortgruppen, also ''des Grund und Bodens'', ''des Haus und Hofes'', versteht sich von selbst. Auch Wendungen wie ''der Unterschied zwischen Mensch und Mensch'', ''Ich spreche zu Ihnen Mensch zu Mensch'' sind nicht zu beanstanden. Wie wird ''das Deutsch'' gebeugt? Garnicht; einen gesprochenen Zweitfall '',des Deutschs' '' gibt es nicht. Also: ''die Schwierigkeit des Deutsch''; ''Ich beschäftige mich mit dem Deutsch Luthers''. Daneben gibt es allerdings die Form ''das Deutsche'', die regelrecht gebeugt wird: '',des Deutschen, dem Deutschen' ''; '',der Sprachgebrauch des besten Deutsch; im guten Deutsch' ''; — dagegen: '',Dieser Franzose beschäftigt sich mit dem Deutschen; im Deutschen heißt es ...' '' Die Monatsnamen gelten heute seltsamerweise den Meisten für unbeugbar. Ich fühle sie wie jede andre Zeitbezeichnung und beuge: '',Am ersten Tage des Septembers, in der letzten Stunde des Dezembers.' '' Allenfalls unterlasse ich die Beugung bei ''Juni'' und ''Juli'', doch halte ich sie auch da für zulässig. Dem einmal darauf hingewiesenen feinern Sprachgefühl widerstreben die beugungslosen Formeln '',Anfang Januar, Ende Februar' ''; doch hat der Sprachgebrauch sie mit der Zeit als Versteinerungen entschuldbar gemacht. Goethe schreibt einmal '',im Anfang März' '', ein andermal '',in der ersten Hälfte des Märzes' ''; A. W. Schlegel: ''des Märzen Idus''; Schiller: '',zu Anfang des Augusts' '', Freiligrath: '',des Novembers Wehen' ''.  
Die Bezeichnung des Gefüges durch Beugungsfälle wirkt kraftvoller und edler als die durch Vorwörter: '',die Bedeutung Berlins' '' ist gutes Deutsch, '',die Bedeutung von Berlin' '' ist je nach der Strenge des Urteilenden mittelmäßiges oder schlechtes Deutsch. Wir können noch heute sagen: '',Man gebe'' $Seite 103$ ''dem Kaiser, dem Reiche, was des Kaisers, des Reiches ist' '', und '',Wir erinnern uns seiner' '' wirkt lebensvoller als '',. . an ihn' ''. Alte Zweitfallformen: ''viel Wesens, kein Aufhebens machen, sich Rats erholen'' sind kräftiger als ''die alltäglichen Viertfälle Wesen, Aufheben, Rat''. Man darf sagen: '',Hier ist mein Bleiben nicht' ''; entschiedener klingt: '',meines Bleibens nicht' ''. Die Formen des Zweitfalls männlicher und sächlicher Hauptwörter der sogenannten starken Beugung sind: ''.. s'' oder ''.. es''. Welche von beiden inmitten des Satzes den Vorzug verdienen, hängt größtenteils vom Wohlklang der Wortform an sich und von ihrem Anteil am Schrittmaß des Satzes ab. Daß Hauptwörter mit Zischlauten oder andern Härten im Auslaut ''. . es'' bekommen, bedarf keiner Begründung: ''des Fisches'', ''des Tisches'', ''des Fleisches'', ''des Glanzes'', ''des Arztes'', ''des Herbstes''. Über Fragen wie die, ob ''des Baus'' oder ''Baues'', ''des Taues'' oder ''Taus'', entscheidet das Ohr. In vielen Wörtern ist ''.. es'' die einzige Form: ''des Berges'', ''des Hundes'', ''des Mondes''; in andern, namentlich in Fremdwörtern, steht ausschließlich ''. . s'': ''des Offiziers''. '',Fühl' in des Trones Glanz' '' ist nicht nur eine Forderung des Verses. Die selbstbewußtesten Sprachmeisterer haben nicht gewagt, feste Regeln für ''. . s'' ober ''. . es'' aufzustellen; es kann vorkommen, daß in einem längern Satz dasselbe Hauptwort je nach seiner Stelle im Satzgefüge aus kaum erklärbaren Gründen des Wohllauts (nicht ''Wohllautes''!) und des Taktschrittes einmal mit ''..s'', das andre Mal mit ''..es'' gebeugt wird. Ob man die Zweitfälle von Wörtern wie ''das Be'', ''das Wenn'', ''das Aber'', ''das Ach'' mit oder ohne ''. . s'' bilden will, ist ziemlich gleichgültig; ich würde das ''. . s'' weglassen. Der Zweitfall von Eigennamen mit Zischlautendungen macht gewisse Schwierigkeiten. Bei deutschen Namen kann man sich helfen: ''Hans Hansens, Max Maxens'' ist durchaus Schriftdeutsch. Ebenso: ''Vossens Luise, Lenzens Soldaten''. Bei Städtenamen freilich bleibt nichts übrig, als ''die Lage von Koblenz, von Florenz, die Einwohner von Konstanz'' zu sagen. In manchen Fällen ist auch bei fremden Eigennamen die deutsche Beugung erlaubt: ''Horazens Oden'', wohl auch, ''Properzens Elegien''. Formen wie ''Tacitussens, Praxitelessens'' $Seite 104$ wurden früher ertragen, heute widerstreben sie uns. Wir helfen uns durch das Geschlechtswort: ''die Annalen des Tacitus'', oder durch das Vorwort: ''der Hermes von Praxiteles''. Aber auch das Häkchen, das von einem der Sprachzuchtmeister ,ganz toll' geschimpft wird, ist nicht zu verachten: ''Tacitus' Germania, Sophokles' Dramen, Rabelais' '' (gesprochen ''Rabeläs'' mit richtigem Zweitfall-''s'') ''Gargantua'' werden im Gespräch der Gebildetsten gebraucht, dürfen daher in der Schriftsprache gar wohl geduldet werden. Natürlich aber nicht etwa: ''die Dramen Sophokles' '' oder gar ''die Luise Voß' ''. Der Zweitfall mit ''. . s'' bei weiblichen Wörtern kommt in der guten Umgangsprache alltäglich vor und wird in der läßlichen Schriftsprache in manchen Fällen nicht als Fehler empfunden: ''auf Mutters Schoß'' (Heine), ''auf Durchlauchts Geheiß''. In edelster Sprache freilich wirkt es etwas zu hemdärmlig. — Ähnliches gilt von Drittfällen mit ''.. n''; doch kommt ''Muttern'' an ernster Stelle bei Kleist vor.  
Zweifelhaft ist hier vornehmlich, ob das ''.. e'' stehen oder wegfallen soll. Ähnlich wie beim Zweitfall mit ''.. es'' lassen sich feste Regeln nicht aufstellen, es sei denn die, daß es in Fremdwörtern fast niemals steht: nur ''dem Offizier'', ''dem Monument'', ''dem General'', ''dem Konsul'', ''im Korridor'', ''dem Parlament''. Bei einigen, die als Halblehnwörter gelten können: ''Altar, Balkon'', ist es zulässig. Man kann beinah zwischen Fremd- und Halblehnwörtern unterscheiden je nach der Möglichkeit des ''. . e'' im Drittfall. Gleich allen Beugungsformen ist das ''. . e'' im langsamen Schwinden; es wird jedoch in sehr vielen Fällen noch als ein wirkungsvolles Ausdrucksmittel für Fügung, Wohlklang, Satztakt empfunden und sollte überall da erhalten bleiben, wo es jetzt noch als feste Sprachform Geltung hat und nicht schleppend wirkt. Im Zweifelsfalle (!) lieber setzen als weglassen. Seine richtige Anwendung folgt mehr künstlerischen als Sprachformgesetzen, läßt sich nicht lehren, sondern nur aus der Beobachtung unsrer Schreiber mit feiner Satzmusik lernen. Ein zu beherzigender Rat ist der, die Überhäufigkeit der Endungen mit ''. . e'' im Deutschen gelegentlich zu mindern durch sein Weglassen im Zweit- und Drittfall. Aus Wohlklangsgründen $Seite 105$ wird man es gern vor folgendem Selbstlaut, besonders vor ''e'', streichen, wogegen man es benutzen sollte, um den Zusammenstoß gleicher Mitlauter, besonders zischender, zu vermeiden: ''mit seinem Schatze zu wuchern''. Gleichfalls aus Gründen des Wohlklangs kann es zur Taktbeschwingung dienen, wo sonst zwei schwerbetonte Silben aufeinander folgen würden. Aber wiederum des Wohlklangs wegen fällt es aus, wo es eine Reihe tonloser Silben vermehren würde, ist also seltner bei mehrsilbigen als bei einsilbigen Hauptwörtern: ''mit dem König, bei dem Herzog, unterm Monde, vor dem Hause, mit seinem Gelde, mit seinem Besitz''. Aus diesem Taktsinn erklärt sich das Fehlen des ''. . e'' in Zusammensetzungen, deren alleinstehendes letztes Wort ein ''.. e'' bekommt: ''unterm Dache, unterm Hausdach; unterm Monde, beim Vollmond''. Am festesten erhält sich das ''. . e'' in festen Wortformeln aus älterer Zeit; hier verschwindet es kaum je: ''zu Rate ziehen, zu Berge stehen, bei Hofe, zuwege bringen, zu Kopfe steigen''. Endlich ist ein innerer Unterschied zwischen ''. . e'' oder ''nicht-..e'' zu spüren je nach dem Schwung oder der Ruhe des Ausdrucks: je straffer, entschiedener, bündiger, desto seltener das ''.. e''; je ruhiger, behaglicher, breiter, desto häufiger: ''mit festem Fuß, auf eignem Grund, zu Schutz und Trutz; beim Weine sitzen, zu Kreuze kriechen''.  
Vorab die Frage, wieweit man mit der Mehrzahlform bei solchen Hauptwörtern gehen darf, die ihrem Wesen nach keine Mehrzahl zu dulden scheinen. Es gab bis vor kurzem nur eine ''Sehnsucht'', keine ''Sehnsüchte''; jetzt begegnen wir den ''Sehnsüchten'' bei vielen jüngeren Dichtern mit auffallsüchtiger Absicht, können gradezu eine Mode darin erblicken, leider jedoch feststellen, daß sie, wie so manches in unsrer neusten Dichtung, nur eine Nachäffung französischer Sprachformen ist. Mehrzahlformen dieser Art werden uns verdächtig sein und unangenehm bleiben. Sonst aber sei man nicht zu streng gegen gelegentliche kühne Versuche Andrer, nicht zu zag in eignen. Von jeher haben unsre Schriftsteller gewagt, den Kreis der Mehrzahlen (!) zu erweitern, und wohlbekannt sind $Seite 106$ Goethes '',drei Ehrfurchten' '' in den Wanderjahren, ''Prachten'' kommen bei Goethe, ''Prächten'' bei Heine und Andern vor. Lessing wendet eine Mehrzahl von ''Aberglauben'' an, Platen spricht von ''Gegenwarten'', Rückert von ''Gröllen'' und ''Hassen'', Stifter von ''Vorsichten''. Wer dergleichen wagt, der tut es auf eigne Gefahr. Wohl der heftigste Mehrzahlstreit tobt um die Frage: ''Wir Deutsche'' oder ''Wir Deutschen''? Besonders seit dem Satze Bismarcks '',Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt' '' ist dieser Zweifelfall vielleicht der umstrittenste in der ganzen deutschen Formenlehre geworden. Mit Gründen der Sprachgeschichte allein ist die Frage nicht zu lösen, obwohl die Geschichte uns lehrt, daß unsre größten Schriftsteller weit überwiegend ''Wir Deutsche'' geschrieben haben, vor allen Luther in seinem gleich dem Bismarckschen berühmten und bedeutsamen Satze: '',Wir Deutsche sind immer noch Deutsche und wollen Deutsche bleiben!' '' (im Sendschreiben an die Ratsherren der deutschen Städte). Daß Bismarck unzweifelhaft ''Wir Deutsche'' gesprochen hat, dessen bin ich selbst einer der letzten lebenden Zeugen und wohl der beste: ich habe es neben ihm sitzend in amtlicher Pflicht des genauesten Aufmerkens und Vergleichens so gehört, sogleich niedergeschrieben, und Bismarck hat es nach der Durchsicht so in den Druck gehen lassen. Mir ist es damals als das Bessere und Natürlichere erklungen, und ich war erstaunt, als es bemängelt wurde. Der Sprachgebrauch schwankt noch, neigt sich aber, wesentlich bestimmt durch Bismarcks weithallendes Beispiel, jetzt mehr zu ''Wir Deutsche''. Wer den Zweifel loswerden will, tut wohl, mit Luther, Lessing, Goethe, Bismarck ''Wir Deutsche'' zu sagen, mag auch der Sprachbüttel das ,einfach lächerlich' nennen. Wir finden seine Rüge doppelt unverschämt — gegenüber der deutschen Sprache und gegenüber ihren größten Söhnen.  
Keine zweite Sprache besitzt annähernd solche Fülle von Sinnverschiedenheiten bloß durch die Mehrzahlformen wie das Deutsche, und wer einem Ausländer, oder sich selbst, einen überzeugenden Einblick in das reiche Innenleben unsrer wunderbaren Muttersprache eröffnen will, der schlage in einer guten deutschen Sprachlehre den Abschnitt über die Mehrzahlen mit $Seite 107$ verschiedenen Bedeutungen auf. Die Kenntnis der geläufigsten Doppelformen mit Doppelsinn wird hier vorausgesetzt, also nur eine Auslese der oft zweifelhaften gegeben. Von ''Bursch'' lautet heute die Mehrzahl ''Burschen''; zu Goethes Zeit ''Bursche'', bei ihm selbst: '',Wie sich die platten Bursche freuen' '', ''Bursche'' darf auch heute nicht als fehlerhaft gelten. ''Ding'' — ''Dinge''; aber '',die lustigen Dinger' '' (Mädchen) ist am rechten Ort nicht falsch,. Den Unterschied von ''Gesichte'' und ''Gesichter'' kennt jeder Gebildete, der sich des Verses im Faust erinnert: '',Daß diese Fülle der Gesichte Der trockne Schleicher stören muß.' '' Auch zwischen ''die Lumpe'' und ''die Lumpen'' wird wohl kaum geschwankt; Goethes Wort ist bekannt: '',Nur die Lumpe sind bescheiden.' '' In neuster Zeit beginnt die Unterscheidung zu verschwinden. Nicht selten hört man fehlerhaftes ''Lichter'', wo es ''Lichte'' heißen muß. ''Am Weihnachtsbaum brennen Lichte'' (Kerzen); ''aus der Ferne schimmern Lichter'' (Licht- oder Flammenschein); '',Und Gott machte zwei große Lichter' '' (Himmelslichter). ''Sonne, Mond und Sterne sind Lichter'', nicht ''Lichte''. Einer der Sprachmeisterer befiehlt: nur ''Rohre'' ist richtig. Das ist falsch, denn der übereinstimmende Sprachgebrauch unterscheidet ''das Rohr'' und ''die Röhre'', bildet davon die Mehrzahlen: ''die Rohre, die Röhren'', und unterscheidet: ''die Kanonenrohre, die Ofenröhren, die Entwässerungsröhren, die Lokomotivrohre. Fernrohre'' und ''Fernröhre'' sind gleichwertig. Von ''Sau'' gibt es ''Säue'' (zahme) und ''Sauen'' (wilde). Der Unterschied zwischen ''Worte'' und ''Wörter'' hat sich jetzt klar herausgestellt. '',In Dichterworten spielen nicht immer die Hauptwörter die Hauptrolle. — In einem Wörterbuch stehen Wörter. — Der Worte sind genug gewechselt. — Hast du Worte?!' '' Also: ''Worte'' sind gehaltvolle zusammenhängende Äußerungen, ''Wörter'' sind Wortbilder. Daher besser ''Schlagworte'', denn sie sind immerhin sinnvoll; aber ''Fremdwörter'', denn sie sind Lautbilder wie jedes andre Einzelwort. Zum Zählen von Drahtungen haben ''Worte'' und ''Wörter'' ziemlich die gleiche Berechtigung. Die von einem Sprachknebler für gemein erklärte Mehrzahl ''Gehälter'' (vgl. S. 100) ist nicht gemein, sondern heute $Seite 108$ bester, ja fast einziger Sprachgebrauch. ''Geschmäcker'' wurde früher fast nur halbverächtlich gebraucht, ist aber mit der Zeit eine ganz brauchbare Mehrzahl von ''Geschmack'' geworden, kaum schlechter als ''Geschmäcke''. Auf die Mannigfaltigkeit von Mehrzahlformen wie ''Männer, Mannen'', ''alle Mann'' sei kurz hingewiesen. ''Pfennig'' bleibt in Preisangaben besser ohne Beugung: ''5 Pfennig''; sonst: '',die Pfennige (Pfennigstücke) werden selten' ''. Mückenseiherei sind Fragen wie die oft aufgeworfene: Wie heißt die Einzahl von ''Die Herren Mitglieder''? Ist diese Ausdrucksform an sich gut — und wer bezweifelt das, da sie in ganz Deutschland allgemeiner guter Sprachgebrauch ist? —, so ist sie es auch ohne das Vorkommen einer Einzahl. Als ob jemand beim Gebrauch einer berechtigten Mehrzahlform sich erst überzeugen müsse, daß es auch eine entsprechende Einzahl gebe. Welch eine Auffassung von der Sprache und den Sprechenden! ,Allerlächerlichst' schimpft der Obersprachbüttel die gäng und gäbe, in allen Volksvertretungen und Vereinen mit Recht für unanstößig gehaltene Formel '',die Herren Mitglieder' '', wie er denn auch alle Einzahlen mit ,''Herr' '' eine ,Geschmacklosigkeit' nennt: man dürfe nicht sagen: ''der Herr Reichskanzler, der Herr Direktor, der Herr Lehrer''. Also auch nicht ''der Herr General''? Und von solchen Sprachmeisterern hat sich Jahrzehnte, Jahrhunderte hindurch ein großes Bildungsvolk furchtsam gängeln lassen, statt sich dem einzig zuverlässigen Sprachlehrer, dem Sprachgebrauch seiner Besten, anzuvertrauen!  
Umlaut oder Nichtumlaut in der Mehrzahl? Das Feststehende ergibt sich aus der Sprachlehre, ist übrigens jedem Deutschen ohnehin vertraut; hier also wiederum nur einige Schwankungen und Zweifelfälle. In Süddeutschland herrscht eine Vorliebe für den Mehrzahlumlaut bei einer Reihe von Wörtern, die in Nord- und Mitteldeutschland nicht umgelautet werden. ''Krägen, Wägen, Läger, Täge, Wässer, Kästen'' herrschen im Süden vor, ''Kragen'' usw. im übrigen Deutschland. In einigen Fällen kann die Umlautform auch in der Schriftsprache nicht als falsch bezeichnet werden: ''Böden, Kästen, Mägen, Läger'' (von Waren), ''Bröte'' usw. gelten in Norddeutschland neben den einfachen Mehrzahlen, $Seite 109$ ja einige wie ''Kästen, Mägen'' gewinnen sichtlich den Vorrang. Diese Entwicklung ist im vollen Gange und trotzt der schulmeisterlich einheitlichen Regelung. Mancher Leser wird bestätigen, daß er selbst gewisse Mehrzahlen heute anders bildet als in seinen Kindheittagen. Z. B. in einem Falle wie ''die Magen'' oder ''die Mägen'' schwanken Sprachgefühl und Sprachgebrauch schon im kleinsten Kreise der Sprechenden. Hier gleich mit Richtig und Falsch dazwischenzufahren, ist durchaus fehl am Ort. Allenfalls läßt sich von ''Täge'' sagen, daß es zwar vereinzelt bei dem Süddeutschen Goethe vorkommt, sonst aber als landschaftliche Form gilt und von der Schriftsprache abgelehnt wird. Ebenso überwiegt in ihr jetzt ''die Boote''; aber ''Böte'' ist darum nicht falsch, wird sogar von, manchen vorgezogen. Eine Mehrzahl ''Ärme'' von ''Arm'' ist nicht schriftdeutsch, sondern nur landschaftlich. ''Funde'' oder ''Fünde''? Der gute Sprachgebrauch entscheidet sich jetzt für ''Funde''. — ''Lächse'' oder ''Lachse''? Beide Formen stehen gleichwertig da, nämlich für den gebildeten Sprachgebrauch, gleichviel, was der eine oder andre Sprachmeisterer verfügt. Sprachgeschichtlich soll ''Herzöge'' ,eigentlich falsch' sein, der Umlaut ,hat keine Berechtigung', nämlich wenn man sich eigendünklig die Ohren verstopft gegen die Sprache, d. h. das Sprechen. ''Herzoge'' war einstmals, bis ins 17. Jahrhundert, allein richtig; heute ist ''Herzöge'' richtig, allerdings ''Herzoge'' noch nicht falsch. Wie heißt die richtigste Mehrzahl von ''Mund''? Ich weiß es nicht, und keiner weiß es genau; selbst die Sprachbüttel halten in diesem Falle ihre ''Munde, Münde, Münder''. Ich weiß nur, daß ich selber nach guten Mustern ''Münde'' sage, in gewissen gemütlichen Fällen ''Münder'', ohne darauf zu schwören, was das Allerrichtigste sei. Bei A. W. Schlegel kommt ''Munde'' vor; bei Arndt und Chamisso, aber doch auch vereinzelt bei Voß, ''Münde''; bei Rückert ''Münder''. Von ''Plan'' bilden Goethe und Schiller meist ''Plane''; heute herrscht ''Pläne'' fast allein. Braucht man die Berechtigung der Mehrzahlform ''Muttern'' (Schrauben-) neben ''Mütter'' zu verteidigen? Früher hieß es fast nur ''die Erlässe'', wie ''die Anlässe, Darchlässe''; im heutigen Schriftdeutsch nur die Erlasse. $Seite 110$ Von ''Zwieback'' bildet Goethe öfters ''die Zwiebacke''; jetzt ist ''Zwiebäcke'' gebräuchlicher. Über die Mehrzahlform der Fremdwörter vgl. S. 113.  
Für ''Stiefel'' und ''Pantoffel'' gilt eine strenge Regel: die weiblichen Hauptwörter auf''.. el'', ''.. er'' bilden die Mehrzahl mit ''. . n'', die männlichen ohne ''. . n''; folglich müsse es heißen: ''die Stiefel, die Pantoffel''. So heißt es auch meist in der Schriftsprache; daneben kommen die Formen mit ''.. n'' vor, ja sie gewinnen Boden. Bei Goethe stehen ''die Stiefel'' und ''die Stiefeln''. Gegen ''Stiefeln'' nützt heute kein sprachmeisterliches Rasaunen mehr; die Form nimmt so überhand, daß selbst strenge Sprachlehrer nicht umhin können, sie gelten zu lassen. Ohnehin kennt jene Regel einige Ausnahmen: ''Mutter'' und ''Tochter'' müßten ,eigentlich' ''Muttern'' und ''Tochtern'', dagegen ''Vetter'' in der Mehrzahl ''Vetter'' haben. Das schließt nicht aus, daß, wer auf peinliche Sprachsauberkeit hält, einstweilen wenigstens ''die Stiefel'' sagen sollte; beim ''Pantoffel'' herrscht jetzt ''Pantoffeln'' schon vor. — Bei ''Hummer'', dessen Mehrzahl nach der Regel ''die Hummer'' lauten müßte, schwankt der Gebrauch: ''Hummern'' darf nicht mehr als falsch bezeichnet werden. — Auch für ''Spargel'' steht die gleichlautende Mehrzahl nicht mehr unerschüttert fest: ''die Spargeln'' tauchen daneben auf und können mit der Zeit vordringen. ''Die Korken'' sind nach Wustmann ,niedrige Geschäftssprache, Gassensprache'. Das waren sie vielleicht einmal, sind es aber nicht mehr, sondern haben das ursprünglich Richtigere ''die Korke'' so zurückgedrängt, daß man sie nicht mehr falsch nennen darf. Die deutsche Mehrzahl des echtdeutschen Wortes ''Kleinod'' heißt ''Kleinode''; ''Kleinodien'' ist Lateinerei nach einer mittellateinischen Übersetzung in ''Clenodium''. Von ''Möbel'' ist ''Möbel'' die richtige Mehrzahl; Freytag und Keller schreiben wiederholt ''Möbeln'', doch das braucht keinen zu Verführen. Ich habe schon ''Morgende'' als Mehrzahl von ''Morgen'' gefunden und nicht grade bei Schmierern; woher die das hatten, weiß ich nicht, aber gutes Deutsch ist es gewiß nicht. Die gute Mehrzahl von ''Strauch'' ist ''Sträucher''; ''Sträuche'' $Seite 111$ ist nicht einmal gute Umgangsprache, geschweige Schriftsprache. ''Die Bösewichte'' und ''die Bösewichter'' stehen ziemlich gleichberechtigt nebeneinander; Schiller wählt: ''Bösewichter''. Die Mehrzahl von ''Beamter'' lautet ohne Geschlechtswort: ''Beamte'', von ''Gelehrter: Gelehrte''. Von ''Mast'' bildet das heutige Schriftdeutsch überwiegend die Mehrzahl ''Maste''; bei Goethe steht mehrmals ''Masten''.  
Schwere Sorge bereiten den Sprachgelehrten und den Freunden eines möglichst guten Deutsch die zahlreichen und immer zahlreicher werdenden Mehrzahlen auf ''. . s''. Heute sieht die Sprachwissenschaft darin überwiegend eine aus dem Französischen, zum Teil auf dem Wege übers Niederländische und Niederdeutsche, ins Hochdeutsch eingedrungene Fremdbildung, die sich aber mit der Zeit so fest angesiedelt hat, daß sie durch ein verallgemeinerndes Verbot nicht mehr zu bekämpfen ist. Als Grundsatz darf noch gelten: die Mehrzahl auf ''.. s'' ist überwiegend ungut, in der edlen Schriftsprache zu meiden, nur in der läßlichen Umgangsprache und in einigen Sonderfällen nicht mehr zu verwerfen. Über das Mehrzahl-''e'' in Fremdwörtern und fremden Eigennamen weiterhin (S. 113). In deutschen Eigennamen greift es um sich, und gegen die ''Quitzows'', wie Wildenbruch nach dem herrschenden Sprachgebrauche schrieb, wird nichts mehr zu machen sein. Dagegen würde ich nur schreiben: ''die Bismarck, die Moltke, die Kleist, die Grimm'', wenngleich ich zugeben muß, daß sehr gebildete Menschen ''die Kleists, die Puttkamers'', auch ''die Bismarcks'' sprechen und schreiben, wie eben fast alle Welt spricht. Dies falsch zu nennen, fühle ich mich nicht für berufen. Goethe schreibt: '',Humboldts werden nach Wien abgehen' ''. — Schillers: '',.. bei Schimmelmanns vorgelesen' '' ist untadlig, denn wir alle sagen richtig: '',Ich gehe zu Müllers' ''. Dieses ''.. s'' stammt von einer Zweitfallform her. Bei weiblichen Namen ist das ''. . s'' allgemeine Regel: ''die Idas, Berthas, Klaras''; wo sich eine andre Mehrzahl bequem bilden läßt, bilde man sie: ''die Luisen, Leonoren, Viktorien, Sofien, Albertinen, Wilhelminen.'' Unbedingt notwendig ist das ''. . e'' nicht in ''die Wenns'' $Seite 112$ ''die Abers, die Achs'' (vgl. S. 103); sie sind aber schon so gebräuchlich, daß man sie hinnehmen muß. Goethe schreibt ''die Warums''; andre gute Schriftsteller haben: '',die Lebehochs, die Stelldicheins, seine Vielleichts, die Hurras' ''. Bei Immermann steht: '',Endlich wurden alle Aber stumm und alle Wenns und Zware' '', wie wenn er absichtlich alle drei mögliche Mehrzahlformen hätte erproben wollen. In der gemütlichen, besonders der derbvolkstümlichen Redeweise kommen ''Jungens, Mädels, Kerls'' bei unsern Besten vor, auch oft bei Goethe, besonders dem jungen; also wird sich nicht viel einwenden lassen gegen ''die Fräuleins''; auch nicht gegen ''die Papas, die Mamas'', wie denn bei den, meist undeutschen, Hauptwörtern mit volltonigen Selbstlautern am Ende kaum etwas andres zur Mehrzahlbezeichnung übrig bleibt als das ''.. e'': ''die Gnus, die Uhus, Schuhus, Boas''. Zulässig aber sind auch die ''Gnue, Uhue'' usw.; ja ein Feinspinner der Sprache wird diese Formen trotz ihrer schlechten Sprechbarkeit sogar vorziehen. Schiller schrieb gelegentlich: '',die Fräuleins von Lengefeld' ''; indessen keinem ist verwehrt, '',die Fräulein' '' besser zu finden, und ich schreibe nur so. Nur sich nichts darauf einbilden und alle Andersschreibenden verhöhnen oder beschimpfen! Der Sprachbüttel schreibt kurzweg: ,Alle diese Formen sind unfein', und weil er sie nicht schreibt, ist er der Feinste der Feinen. In den deutschen Heeresberichten aus dem Weltkriege stand häufig die Mehrzahl ''Trupps'' von der ''Trupp''. Gegen die ''Bräutigams'' in edler Rede sträubt sich das Gefühl, zumal da ''Bräutigame'' keine Schwierigkeit macht.  
Den Fremdwörtern kann kein Deutscher ganz aus dem Wege gehen, mag er sie noch so tief verachten und sie wo nur immer vermeiden; sie treten ihm auf jedem, wirklich auf jedem Gebiete des einzelnen und des öffentlichen Lebens entgegen, überfallen ihn in Scharen, und irgendwie muß jeder sich mit ihnen sprachlich abfinden. So auch ich, zur Stunde wohl ihr entschiedenster Bekämpfer. Hier wird natürlich, wie schon einmal bemerkt (S. 87), nur von solchen Fremdwörtern gehandelt, die als Halblehnwörter gelten dürfen und als solche in meiner ,Entwelschung' aufgeführt stehen. $Seite 113$ Im allgemeinen gilt die Beugungsregel: Fremdwörter, wo möglich, wie deutsche abzuwandeln; ergeben sich Schwierigkeiten, so trägt die Verantwortung für entstehende lächerliche Formen nicht der Schreiber, sondern die deutsche Welscherei. Die Zeit ist vorüber, wo in Deutschland jedes griechische oder lateinische Fremdwort nach den Gesetzen seiner Sprache gebeugt wurde. Heute wird fast nur deutsch gebeugt, worin freilich eine gewisse Gefahr liegt: die fremden Schmarotzer verlieren dadurch etwas von ihrer abschreckenden Form und nisten sich um so bequemer in den Leib der deutschen Sprache ein. Immerhin, es heißt: ''im Museum'', nicht ''im Museo''; ''die Dramen'', nicht ''Dramata''; ''des Dramas'', nicht ''Dramatis''; ''des Gymnasiums'', nicht ''Gymnasii''; ''des Kollegiums'', nicht ''Kollegii''. ''Themata'' klingt zwar vornehmer, aber ''Themen'' genügt für die, welche nicht Griechisch verstehen, und für alle andern ebenso. Daß keiner ''Thema'', ''Themata, Themen'' überhaupt zu schreiben braucht, versteht sich von selbst. Allerdings, wer zu gelehrt, zu vornehm oder zu dünkelhaft ist, um ''Zeit'' und ''Zeiten'' zu schreiben, der wird wohl bei ''den Tempora'' von ''Tempus'' bleiben müssen; nur leidet die Gelehrsamkeit und Vornehmigkeit gar sehr unter Wendungen wie '',zu den Tempora' '' statt des ganzgelehrten ''Temporibus'', und ''Tempusse'' zu schreiben brächte der vornehme Mann nicht übers Herz, obwohl dies keine schlimmere Stillosigkeit ist, als ''Themen, Dogmen, des Mediums, Kollegien, des Publikums'' zu schreiben. Was aber macht der gelehrte Mann mit Wörtern wie ''Musikus, Physikus''? Zumeist lateinert er in der Mehrzahl: ''Musici, Physici'', oder hilft sich im ersten Fall aus der schweren Bedrängnis mit ''Musiker''; im zweiten, aber nur in ärgster Verzweiflung, mit ''Physikusse''. Ist das Deutsche schon eine schwere Sprache, das Welsch ist noch schwerer, und das ist in der Ordnung: ohne Fleiß kein Preis. Bei ''Komma'' begnügt man sich meist mit ''Kommas'', nur im Gelehrtenwelsch heißt es ''Kommata''; bei ''Kolon'' sagt man nicht ''Kola'' zu griecheln, sondern schreibt oder spricht, ruppig genug, die ''Kolons''. ''Balkon'' ist fast ein Halblehnwort; mache man es ganz dazu, indem man es nicht näselt, sondern ''Balkohn'' spricht und ihm die Mehrzahl ''Balkone'' gibt statt ''Balkonkß''. In der Heeressprache heißt es längst ''die Ballone'', nicht ''Ballonkß''. $Seite 114$ Bei ''Sofa'' hat sich, entgegen älterem ''Sofae'', jetzt ''Sofas'' fest eingebürgert. Die Mehrzahl von ''Atlas'' darf getrost ''Atlasse'', nicht ''Atlanten'', heißen, wenn man durchaus nicht Deutsch sprechen und ''Kartenwerke'' sagen will. Eigentlich geht es meinen Leser kaum etwas an, wie die Mehrzahlen von ''Motto, Porto, Kollo, Bravo'' am richtigsten heißen, denn er schreibt solch Zeug überhaupt nicht. Er könnte aber in die Lage kommen, darüber Auskunft geben zu sollen, und da mag er zur beliebigen Auswahl stellen: ''Mottos, Motti, Mottis'' usw. Verpflichtet ist kein Deutscher, zu wissen, daß oder warum ''Mottis'' Unsinn ist, und es klingt überaus drollig, wenn ein Sprachmeister eine so reizende Form wie ''Mottis'' ,beschämend für uns Deutsche nennt' und uns belehrt, warum dies schlechtes Italienisch sei. In Süddeutschland und sonstwo sagt man ''Gymnasisten'' statt ''Gymnasiasten'' und erregt bei denen, die ''Gymnasiasten'' sagen, Heiterkeit. Sie mögen sich über diesen Spott der Welt trösten: ''Gymnasisten'' steht sprachlich genau auf derselben ,Höhe' wie ''Gymnasiasten''. Alle Welt sagt heute ''die Admiräle'', ''die Generäle'' (neben viel seltneren ''Admirale, Generale''). Der Sprachmeister erklärt entgegen dem herrschenden Sprachgebrauch ''Generale'' für ,unzweifelhaft besser'. Die Sache verhält sich so: die deutsche Sprache hat die unausrottbare, wahrhaft rührende Neigung, alles Fremde, das in ihren Kreis eindringt, zumal das ihr schon vertrauter Gewordene, möglichst einzudeutschen, so auch durch deutsche Beugung. Solange ''Admiral, General, Korporal'' noch als fremd gefühlt wurden, behielten sie ihre fremden Mehrzahlen auf ''. . ale''; mit der Eindeutschung bekamen sie den deutschen Umlaut ''. . äle''. Man hat seiner Zeit festgestellt, daß 1848 die norddeutschen Redner in der Frankfurter Paulskirche ''Generale'', die süddeutschen ''Generäle'' gesprochen haben. ''Hospital'' und ''Kanal'' sind bürgerliche Alltagswörter, die ebenso geläufig geworden wie jene Heereswörter, daher auch sie umgelautet; dagegen behielten nichteingedeutschte Welschwörter wie ''Tribunal, Arsenal'' in der Mehrzahl ihr unverändertes ''al''. Und angesichts dieser Vorgänge verfügt der oberste der Sprachbüttel: ,Wenn sich irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar (?), daß die Form ohne Umlaut den Vorzug verdient.' $Seite 115$ Also wenn sich der innerste Schöpfertrieb der Sprache zu regen beginnt, so muß die Sprachpolizei sofort dagegen einschreiten. Nur weil ich diesem anmaßenden Polizeigeist, wo immer ich kann, entgegenzutreten für Pflicht vernünftiger Sprachpflege halte, beschäftige ich mich öfter mit solchen Sprachdummheiten, als die Bedeutung einer Einzelfrage zu rechtfertigen scheint. Jenen Polizeigeist fortan unschädlich zu machen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der neuen deutschen Sprachwissenschaft. Die wahrscheinlich sehr feinen Gefühlsgründe, aus denen die Mehrzahl von ''Leutnant Leutnants'', die von ''Major Majore'' (früher ''Majors'') lautet, lassen sich nur vermuten. Wenn jetzt aus ''Tenor'' meist ''Tenöre'' wird, so ist dagegen ebenso wenig zu sagen wie gegen das mehr landschaftliche ''Pastöre'' aus ''Pastor''. Im Sprachkampfe steht die deutsche Welt um die doch ja richtigste Betonung eines neuen Welschwortes: ''Motor''. Soll man ''Mótor'' oder ''Motór'' sagen, und wie muß die Mehrzahl lauten, ''Motore'' oder ''Motoren''? Eine abschließende Entscheidung mit wissenschaftlichen Sprachgründen ist bei Welschwörtern niemals zu treffen, weil sie von dem Grade der Eindeutschung oder doch der Eingewöhnung abhängt. Keine Betonung von ''Motor'' ist falsch; ''Mótor'' entspricht dem deutschen und dem lateinischen Tongesetz, aber doch nur für den, der weiß, daß ''Mot'' die Stammsilbe ist. Da es Fremdwörter genug mit ''Mo ..'' (''Moment, Monument, Motiv'') gibt, die eine spätere Silbe betonen, so ist es entschuldbar, wenn Nichtlateinkundige ''Motór'' sagen. Und welches Gesetz will man gegen ''Motore'' anrufen? Sagt man nicht ''die Kondore'', ''die Kontore, die Korridore''? Richtigkeit in Aussprache und Beugung der Welschwörter ist ein vollkommner innrer Widerspruch, für den es nur eine Lösung gibt: das deutsche Wort. Das Geschlecht der fremden Maßwörter ist durch ein Reichsgesetz festgelegt, worin ''das Meter, das Liter, das Hektoliter'' stehen. Der Volksmund hat sie nach dem Beispiel vieler deutscher männlicher Wörter auf ''..er'' in: ''der Meter, der Liter'' umgeformt. Bei ''Kilometer'' schwankt der Sprachgebrauch, aber ''das K.'' überwiegt, wie auch in ''Thermometer'', ''Barometer''; dagegen nur ''der Gasometer''. Als das Natürlichere würden uns die Mehrzahlen aller Fremdwörter auf ''. . s'' erscheinen. Leider hat sich manches $Seite 116$ Welschgeziefer schon so tief eingefilzt, daß der deutsche Sprachgeist sich seiner angenommen und ihm deutsche Beugung verliehen hat, wodurch ihre Lebensdauer verlängert wird. Es wäre heilsamer, es hieße ''die Telefons'' (oder gar wie im Volksmunde meist: ''Telefonkß''), aber es heißt ''die Telefone''; ebenso ''Trottoire'', ''Reservoire''. Löblicherweise aber sind vielen überflüssigen Fremdwörtern ihre Fremdbeugungen mitsamt ihrer wundervollen Aussprache verblieben, wodurch sie dem saubern deutschen Sprachgefühl mit der Zeit verekelt werden: ''die Kartonkß, die Biljetts, die Gobelänkß, die Porträß''. Solange das letzte in der Form ''die Porträte'' erschien, wie noch bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts, war sein Scheinleben gefristet; ''den Porträß'' droht das Schicksal, durch ''die Bildnisse'' verdrängt zu werden. An Kleinigkeiten wie der, ob die Mehrzahl von ''Monolog'' besser ''Monologen'' (so bei Schleiermacher) oder ''Monologe'' lautet, ist nichts gelegen; will oder muß man sie schreiben, so folge man dem zurzeit herrschenden Gebrauch (''Monologe''), denn deutsche Sprachgesetze kann es dafür nicht geben. Peinliche Sorgfalt und Gelehrttuerei sind in der Behandlung der Fremdwörter ganz unangebracht. Das Geschlecht von ''Primat, Zölibat, Triumvirat, Zepter, Periode'' und andern schwankt oder schwankte, also auch hier entscheidet die jetzt überwiegende Übung: ''das Primat'' usw., ''die Periode''. Spaßhaft ist die Spaltung von ''Moment'' in ''der'' und ''das'', mit verschiedenen Bedeutungen. ''Das Moment'' gilt für feiner; es ist ein Schwammwort, das beliebig wechseln kann mit ''Faktor, Element, Koeffizient''; ''der Moment'' wird im Volksmunde meist zu ''Momang''. Bei Goethe und sonst im 18. Jahrhundert hieß es ''die Nerve'', heute ''der Nerv''. Für die Mehrzahl fremder Eigennamen gibt es keine durchgreifende Regel, das Ohr entscheidet. ''Die Neros, die Albas'' (aber ebensogut oder besser ''die Alba''), ''die Ciceros, die Judasse, die Sophoklesse, die Phidiasse, die Tacitusse'' — sehr schön sind sie alle nicht; aber was sollen wir sonst tun, da wir nun einmal die Unbefangenheit der Franzosen mit ihren ''Tacite, Tite-Live, Eschyle, Aristophane'' viel seltener zu üben gewöhnt sind? Die bequemen Formen ''Ovid, Horaz, Catull, Properz, Vergil, Homer'' machen keine Schwierigkeiten. Es gibt aber keinen Fall, wo unbedingt ''Phidiasse, Tacitusse'' ge- $Seite 117$ schrieben werden muß; Aushilfen: ''Künstler wie Phidias, Geister wie Tacitus'' bieten sich bequem dar. Überall da, wo eine alte feste Überlieferung vorliegt, lasse man es bei dem Geschlecht fremder Länder, Berge, Flüsse, Denkmäler und prunke nicht an falscher Stelle mit Gelehrsamkeit. Im Deutschen heißt es nun einmal ''der Peloponnes, der Ossa, die Rhone, das Parthenon'', gleichviel wie die fremde Sprache solche Wörter behandelt. Bei ''Tiber'' hat sich mit der Zeit ''der'' durchgesetzt — welch großer Gewinn!  
Bis ins 19. Jahrhundert wurden die Eigennamen, fremde wie eigne, in der Einzahl durchweg gebeugt, also auch im 3. und 4. Fall. Man sprach und schrieb: ''Goethe, Goethens, Goethen, Goethen'' (neben ''Goethe''), ''Lessingen, Lenzens, Lenzen, Schillern, Wielanden. Goethens'' werden wir nicht mehr schreiben; warum aber nicht wenigstens in solchen Fällen, wo die Beugeendung das sofortige Verständnis erleichtert, ja fast allein sichert, zu ''Goethen, Lenzens, Lenzen, Schillern'' zurückkehren? Wie glatt fließt '',Lenzens Jugend' ''; wie klar wird sogleich '',Schillern erschloß sich Goethe erst spät' ''! In neuerer Zeit hat man diese nützlichen Beugungen mit Recht wieder aufgefrischt. Aber nicht ohne Not und Nutzen altertümeln: in dem Satze '',Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen' '' (A. W. Schlegel) oder in ''Karln dem Fünften'' (Schiller) braucht man heute das ''n'' nicht mehr. Vollends ein 2. Fall wie ''Friedrichens'' (in G. Hauptmanns Atlantis für einen ganz '',modernen' Friedrich'') ist Getue: es hat selbst im ältesten Deutsch kein ''Friedrichens'' gegeben. Wer durchaus altertümeln will, sollte einen Hochschein von Sprachgeschichte haben. Die Neigung des Deutschen zum Aufgeben der Beugung erkennt man so recht an dem Beispiel '',Die Leiden des jungen Werthers' '', wie Goethe schrieb; heute würde dies als veraltet erscheinen. Für Namen mit Fürsten- und sonstigen Titeln gilt als Leitsatz: im Zweifelfalle gebührt der gebeugten Form — hier kommt zumeist der Zweitfall in Frage — entschieden der Vorzug. Hierin lieber ein wenig zu streng; die Läßlichkeit $Seite 118$ führt sehr leicht zu Schlampereien wie '',Die Werke Friedrich des Großen, die Zeit Wilhelm I.' '' Also: '',die Räte des Kaisers Wilhelms des Zweiten' ''; und selbst '',Kaisers Wilhelms des Zweiten Regierung' '' darf nicht etwa als falsch gelten. Je enger Titel und Namen zu einem vertrauten Samtbegriff verwachsen sind, desto eher darf das ''s'' beim Titel fehlen: '',Er war mit König Friedrichs Macht..., Kaiser Karls Genossen' ''. So schon im Nibelungenlied: ''künec Guntheres wip''. Ferner: '',des Fürsten Bismarck Reden' '', aber: ,''Fürst Bismarcks Reden' ''; '',des Feldmarschalls Hindenburg Siege' '', aber: '',Feldmarschall Hindenburgs Siege' ''. Mit sonstigen Titeln steht es nicht anders: '',des Professors Mommsen Römische Geschischte' '', aber: '',Professor Mommsens R. G.' '' Dagegen '',des Professors Doktor Vischer Ästhetik' '', '',Professor Doktor Vischers Ä.' ''; '',das Buch des Herrn Geheimrats Professor(s) Doktor Kluge' ''. Bei Adelsnamen waltet eine feine Scheidung in alte oder berühmte und in neue, gleichgültige; daneben wird unterschieden nach der Stellung des Zweitfalles. ''Der Werther Wolfgangs von Goethe, Wolfgang von Goethes Werther, der Parzival Wolframs von Eschenbach, Wolfram von Eschenbachs P.''; ''Ulrich von Huttens Schriften; Götz von Berlichingens Lebensgeschichte, die Lebensgeschichte Götzens von Berlichingen''; ''der Kosmos Alexanders von Humboldt, Alexander von Humboldts Kosmos''. Aber sowohl: ''das Haus August von Müllers'', wie: ''August Von Müllers Haus''. Über die Schwierigkeiten bei einem Adelsnamen wie ''Luise von Francois'' muß und wird man sich leicht weghelfen: ''Luise von Francois' '' (gesprochen: ''. . oas'', was ja zur Bezeichnung des Zweitfalles genügt) ''Letzte Reckenburgerin'', oder: ''Die 1. R. von L. v. Fr.'' Unbegreiflich ist der Aberglaube vieler sonst sprachlich gebildeter Menschen, besonders der Zeitungsleute, daß Bücher-und Zeitungstitel unbeugbar bleiben dürfen oder gar müssen. Sie reden sich ein, man dürfe sprachwidrig schreiben, wenn man nur Anführungstrichelchen „ " setze. Niemand spricht: '',In Schillers Die Jungfrau' '', aber gedruckt wird nur zu oft so. Man genieße: '',der dritte Akt von die Räuber, in Goethes Natürliche Tochter, der Anfang von Der Ring des Polykrates' ''! Ob gesprochen oder geschrieben oder gedruckt, in keinem Falle vergesse man, daß Sprache — Sprache ist, nicht Papier, und rede sich nicht ein, daß solche Roheit getilgt $Seite 19$ werde, wenn sie nur das Auge, nicht das Ohr verletze. '',Ich habe dies in das Tageblatt gelesen''; ''Die gestrige Nummer des Tageblatt, Das hat in der heutigen Ausgabe der Kölnische Zeitung, des Allgemeiner Anzeiger gestanden' '' — braucht man einem gebildeten Leser noch erst zu beweisen, daß und warum das grundfalsch ist?  
Eine jeden denkbaren Zweifelfall behandelnde Darstellung des Gebrauchs von ''Haben'' und ''Sein'' in der Vollvergangenheit des Zeitwortes ist kaum möglich, zum Glück aber hier entbehrlich, weil das Sprachgefühl für die Unterscheidung zwischen beiden im allgemeinen ziemlich sicher ist, — mit einer Ausnahme: in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz herrscht ''Sein'' bei den Zeitwörtern des Stehens, Gehens, Sitzens und ähnlichen nicht nur in der Umgangs-, sondern selbst in der Schriftstellersprache nahezu allein, wogegen in Nord- und Mitteldeutschland bei jenen Zeitwörtern fast ausschließlich ''Haben'' steht. In der Drahtung des Königs Ludwigs 3. von Bayern vom 4. August 1914 an Kaiser Wilhelm 2. heißt es: '',Nie ist das Deutsche Reich vor einer ernsteren Entscheidung gestanden als in dieser Stunde.' ''Ein norddeutscher Fürst hätte ''hat'' geschrieben. — Goethe: ,''Ich bin die Stadt umfahren und umgangen.' '' — Schiller: '',Ich bin vor hohen Fürsten nicht gestanden.' ''Schopenhauer wetterte auf seine Art gegen den ,groben, hauptsächlich in süddeutscher Schreibart grassierenden Schnitzer'. Die heutige Sprachbetrachtung, wenigstens die wahrhaft wissenschaftliche, stellt sich zu dieser Frage wie zu vielen andern nachsichtiger; sie erkennt eine weitverbreitete landschaftliche Fügung, gibt ihr das Recht für die Umgangsprache, auch die gebildetste, ja sie ist sehr nachsichtig gegen sie in der Schriftsprache, da kein in allen Fällen sichrer Gebrauch bei nichtsüddeutschen Schriftstellern besteht. Schwankungen zwischen ''avoir'' und ''etre'' gibt es ja auch in dem sonst soviel unfreieren Französisch. Im Deutschen walten Zweifel, ob ''Haben'' oder ''Sein'', fast nur bei den ziellosen Zeitwörtern; die zielenden und rückbezüglichen werden fast nur mit ''Haben'' abgewandelt, und auch bei den ziellosen betreffen die meisten Zweifel die Zeitwörter der Bewegung oder eines Zustandes vor oder nach der Bewegung. Daß es nur heißen darf: '',Ich habe gedient, gelebt, gehorcht' '', nur: '',Er ist gestorben, er ist angelangt' '' ist außer Zweifel; Schwankungen kommen nur vor in Fällen wie: '',Ich bin gesessen' '' oder '',Ich habe gesessen' '', '',Ich habe'' $Seite 240$ ''gesprungen' '' oder '',Ich bin gesprungen' , ,Ich bin gestanden' '' oder '',Ich habe gestanden' , ,Ich habe geschwommen' '' oder '',Ich bin geschwommen' ''. Bei den Zeitwörtern der Bewegung ist ''Sein'' die Regel, ''Haben'' die Ausnahme, doch mit der Umschränkung: die ziellose Bewegung bevorzugt ''Haben'', die mit einem Ziel ''Sein''. '',Ich habe heute gut geschwommen' '': allgemeine Bezeichnung der Bewegungstätigkeit, der Beschäftigung; aber: '',Ich bin über den Strom geschwommen.' ,Ich habe nur so ein bißchen geschwommen''; aber: '',Ich bin ans Ufer geschwommen.' ,Ich habe im Zimmer getanzt, Ich habe zwei Stunden lang getanzt, Ich bin durchs Zimmer getanzt, Ich bin aus einem ins andre Zimmer getanzt.' '' Also bei Ortsveränderung vorwiegend ''Sein'', bei gleichbleibendem Ort vorwiegend ''Haben''. '',Ich habe lange auf dem Berge gestanden, gesessen, geruht' ''; aber '',Ich bin auf den Berg gestiegen, bin auf dem Gipfel niedergekniet, bin nach Verweilen jetzt geruht, bin niedergestiegen, — Ich bin zweimal ums Ziel gefahren; Ich habe'' (daneben auch: ''bin'') ''heute drei Stunden gefahren, gestern nur zwei. — Das Wasser ist aus der Tonne gelaufen; Die lecke Tonne hat gelaufen'. ,Er hatte'' (daneben ''war'') ''viel in der Schweiz gereist' ''(geschäftlich, dauernde Beschäftigung ohne besondern Gedanken an die Bewegung). — '',Er ist von Berlin nach der Schweiz gereist. — Er ist in die Ostschweiz gereist. — Ich bin schnell um die Ecke gelaufen. — Ich habe heute eine Stunde Schlittschuh gelaufen. — Ich bin über den Bach gesprungen. — Ich habe heute (in der Turnstunde) gut (zur Zufriedenheit des Lehrers) gesprungen. — Die Leiche hatte lange im Strom getrieben und war nun endlich ans Ufer getrieben.— Was hast du heute getan? Ich habe geritten, und zwar bin ich nach Potsdam geritten. — Sie war vor ihm niedergekniet und hatte dort lange gekniet. — Er hatte lange vor ihm gekrochen'' (übertragen, knechtisch, daher ohne den Gedanken an die Bewegung); ''Er ist unter den Tisch gekrochen. — Wir haben heute zwei Stunden marschiert'' (auf und ab, zur Übung, ohne Ziel); ''Wir sind heute in zwei Stunden nach Berlin marschiert. — Ich habe gestern eine Stunde geradelt'' (mich im Radeln geübt, ohne Zielangabe); ''Ich bin in einer Stunde nach Potsdam geradelt. — Der Kutscher hat (uns) gut gefahren; Er ist mit uns nach den Linden gefahren. — Ich habe lange geschwankt, ob ich das tun solle''.$Seite 241$ ''Ich bin durchs Zimmer, in die Ecke, geschwankt. — Ich habe nach meinem Sturz noch lange gehinkt. Ich bin nach Hause gehinkt, bin nachgehinkt' ''(aber doch nach einem Ziel, hinter einem Vordermann her). Bei den je nachdem zielenden oder ziellosen Zeitwörtern tritt der innere Unterscheidungsgrund am deutlichsten hervor: '',Ich habe ihn auf den Fuß getreten. Ich bin ihm zunahe getreten.' '' Folgen stets mit ''Sein'', außer wo es '',gehorchen' '' bedeutet: '',Ich bin ihm gefolgt' ''; aber die Mutter sagt zum Kinde: '',Du hast nicht gefolgt.' '' Bei andern als Bewegungszeitwörtern, mit ihrem Zubehör von Ausdrücken der Ruhe vor und nach der Bewegung, gilt der sinngemäßige Unterscheidungsgrund: je allgemeiner das Zeitwort, je weniger an den Anfang oder das Ziel gedacht wird, je ruhig zuständlicher, desto eher ''Haben''. '',Der Wald hat stundenlang gerauscht; Die Dame hatte mit dem Fächer gerauscht; Sie war empört durchs Zimmer gerauscht. — Der Wein hat bei dem schönen Herbstwetter gut gereift und ist jetzt'' (am Ziel, kurz vor der Lese) ''gereift. — Es hat in der Nacht still getaut, und die Schneemassen sind jetzt getaut'' (weggetaut).' Der Verlauf der Handlung mit ''Haben'', das fertige Ergebnis mit ''Sein. ,Das Feuer hat lange gebrannt; Das Feuer ist ausgebrannt. — Das Haus hat gebrannt; Das Haus ist ganz verbrannt. — Die Weinhändler haben aufgeschlagen; Die Weinpreise sind aufgeschlagen. — Er hat in den letzten Jahren gealtert; Er ist jetzt sehr gealtert.' '' Bei ''Sein'' mit folgendem ''zu'' ist Vorsicht nötig: '',Eine solche Sicherheit Deutschlands ist zu schaffen' '' was bedeutet dies? Ist sie erst noch zu schaffen, oder ist es möglich, sie zu schaffen? Eine Fehlerquelle einmal entdeckt, heißt für den denkenden Schreiber den Fehler vermeiden.  
Eine richtige Modenarrheit ist es, gewisse Hauptwörter immer durch einen substantivierten Infinitiv zu umschreiben — wenns nicht manchmal bloßes Ungeschick ist! Und bloßes Ungeschick ist wohl anzunehmen, wenn jemand statt ''Ende'' schreibt: ''das Aufhören'', oder statt ''Mangel'': ''das Fehlen''. Eine Modenarrheit aber liegt ohne Zweifel in der Art, wie jetzt ''das Wissen, das Können, das Wollen, das Fühlen'' und ''das'' $Seite 379$ ''Empfinden'' gebraucht wird — Wörter wie ''Kenntnis, Fähigkeit, Fertigkeit, Geschick, Absicht, Gefühl, Empfindung'' scheinen ganz vergessen zu sein. Den Anfang hatte wohl ''das Streben'' gemacht,//* Abgesehen natürlich von Infinitiven, die ganz zu Substantiven geworden sind, wie ''Leben, Essen, Vergnügen, Vermögen, Wohlwollen'' u. a.// dann kam das ''Wissen'': ''er hat ein ganz hervorragendes Wissen''. Jetzt spricht man aber auch von ''dichterischem Wollen'': ''anfangs ein Dorfgeschichtenerzähler, wurde Rosegger allmählich ein Poet von großem Wollen — auch diese Kompositionen zeigen die künstlerische Zielbewußtheit'' (!) ''seines Wollens''. In höchster Blüte aber steht ''das Können'' und ''das Fühlen'': ''folgendes Gedicht mag das Können des Dichters veranschaulichen — das Konzert lieferte einen glänzenden Beweis für das künstlerische'' (!) ''Können des Vereins — Beethoven widmete ihr die Cis-moll-Sonate, kein geringes Zeugnis für das musikalische Können der Angebeteten — die Dame hat sich unter dieser vortrefflichen Leitung bereits ein achtunggebietendes Können angeeignet — die Künstlerin stellte ihr graziöses Können auch noch als Gräfin in den Dienst Thaliens — Herr W. hat damit eine neue Probe feines bedeutenden gärtnerischen'' (!) ''Könnens gegeben'' (es handelt sich um ein Teppichbeet) — ''die Gedichte zeigen ein gesundes, ursprüngliches Fühlen — in allen Briefen gibt er nur dem einen Fühlen Ausdruck — Tilgner hat den Geist'' (!) ''des österreichischen Empfindens am besten zum Ausdruck gebracht — zu der Verehrung für das große Wollen und Können des Meisters gesellt sich das Mitleid mit dem leidenden Menschen — die Pyramiden der Ägypter erzählen uns von dem Fühlen und Wollen ihrer Erbauer und deren Zeitepoche'' (!). Das Neueste ist ''das Erleben'' und ''das Verstehen'': ''für uns moderne Menschen pflegt Italien das größte Erleben unsers Daseins zu sein — nimm dieses Buch in dein treues und zartes Verstehen auf''! Es kann einem ganz schlimm und übel dabei werden.  
Partizipia hat unsre Sprache nur zwei: ein aktives in der Gegenwart (''ein beißender Hund'', d. i. ''ein Hund, der beißt''), und ein passives in der Vergangenheit (''ein gebissener Hund'', d. i. ''ein Hund, der gebissen worden ist'').//* Außerdem die partizipähnlichen passiven Formen: ''zu hoffend, zu fürchtend, anzuerkennend'', die durch Anhängen eines unorganischen ''d'' aus dem Infinitiv mit ''zu'' entstanden sind.// Für die Gegenwart fehlt es an einem passiven, für die Vergangenheit an einem aktiven Partizipium; weder ''ein Hund, der gebissen wird'', noch ''ein Hund, der gebissen hat'', kann durch ein Partizip ausgedrückt werden.//** Nur in einzelnen Fällen kann das passive Partizip die Gegenwart bedeuten, z. B. ''das von mir bewohnte Haus'' (d. i. ''das Haus, das von mir beiwohnt wird''). Eine Anzeige also, wie die folgende: ''die von dem verstorbnen Rentier Sch. bewohnte Wohnung ist zu Ostern anderweit zu vermieten'' — kann einem fast gruselig machen; hier muß es heißen: ''die bewohnt gewesene''.// Nur wirkliche Passiva von transitiven $Seite 163$ Zeitwörtern und im Aktiv solche Intransitiva, die sich zur Bildung der Vergangenheit des Hilfszeitworts ''sein'' bedienen (''gehen, laufen, sterben''), können ein Partizip der Vergangenheit bilden (''gegangen, gelaufen, gestorben''). Diese Schranke hat aber nicht immer bestanden. In der ältern Zeit ist das Partizipium der Gegenwart auch im passiven Sinne gebraucht worden. Noch im achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sagte man ganz unbedenklich: ''zu einer vorhabenden Reise, zu seinem vorhabenden neuen Bau, sein vor dem Tore besitzendes Haus, das gegen mich tragende Vertrauen, laut der in Händen habenden Urkunde, die Briefe des sich von meiner unterhabenden Kompagnie selbst entleibten'' (!) ''Unteroffiziers, er nahm dem Erschlagnen die bei sich tragenden Pretiosen ab, wir konnten uns nur mit Mühe den bedürfenden Bissen Brot verschaffen''. Aber diese Erscheinung ist doch nach und nach durch den Unterricht beseitigt worden. Höchst selten kommt es vor, daß man in einer Zeitung noch heute einen Satz liest, wie: ''er hatte nichts eiligeres zu tun, als ihm eine in der Hand haltende Flasche an den Kopf zu werfen''. Verkehrt aber wäre es, ''die fahrende Habe'' mit unter diese Ausdrücke zu rechnen, denn hier hat das Partizip wirklich aktiven Sinn, wie bei ''dem fahrenden Volke'': ''der Fuhrmann führt die Habe, die Habe aber wird geführt'', oder ''sie fährt'' (vgl. S. 55). Andrerseits hat man nach dem Beispiel der intransitiven Partizipia schon frühzeitig angefangen, auch passive Partizipia von transitiven Zeitwörtern aktivisch zu verwenden. Einzelne Beispiele davon haben sich so in der Sprache eingebürgert, daß sie gar nicht mehr als falsch empfunden werden; man braucht nur an Verbindungen zu denken, wie: ''ein geschworner Bote, ein abgesagter Feind, ein gedienter Soldat, ein gelernter Kellner, ein studierter Mann, ein erfahrner Arzt, ein verdienter Schulmann''. Alle diese Partizipia haben aktive Bedeutung, auch ''der abgesagte Feind'', der natürlich ein Feind ist, der einer Person oder einer Sache ab- $Seite 164$ gesagt, ihr gleichsam die Absage geschickt hat; aber sie werden kaum noch als Partizipia gefühlt, man fühlt und behandelt sie wie Adjektiva. Auch Verneinungen solcher Partizipia sind gebildet worden, wie ''ungepredigt, ungefrühstückt'': ''er mußte ungepredigt wieder von der Kanzel gehen''. Aber auch diese Verirrung ist doch im Laufe der Zeit durch den Unterricht, namentlich durch Vergleichung mit den fremden Sprachen, beseitigt worden, und heute erscheint es uns unerträglich, zu sagen: ''der vormals zu diesem Hause gehörte Garten, die zwischen den Parteien gewaltete Uneinigkeit, die der Fürstin bisher zugestandnen Rechte'' (soll heißen: ''die ihr bisher zugestanden haben''), ''durch Dekoration leicht gelittene Artikel, eine im vorigen Jahrhundert obgeschwebte Rechtssache''//* Zur Verzierung von Leipziger Wäschschränken wurde eine Zeit lang mit Vorliebe der Spruch gestickt: ''Geblüht im Sommerwinde'', ''Gebleicht auf grüner Au, Ruht'' ''still es nun im Spinde Zum Stolz'' ''der deutschen Frau.'' ''Gebleicht'' ist richtig; aber daß das ''geblüht'' den Stolz der deutschen Frau nicht verletzte, war zu verwundern.// und nun vollends in Verbindung mit einem Objekt: ''die den Fürstensohn befallne Krankheit, das den Lokomotivführer betroffne Unglück, eine inzwischen Gesetzeskraft erlangte Übereinkunft, die im vorigen Jahre eingerichtete und sehr günstige Aufnahme gefundne Auskunftsstelle, trotz ihres hohen, nun schon ein Jahrhundert überschrittnen Alters''. Vor allem unerträglich aber erscheinen uns ''die stattgehabte'' und ''die stattgefundne Versammlung''. Je häufiger die beiden Zeitwörter ''statthaben'' und ''stattfinden'' — namentlich das zweite — ohnehin in unsrer Amts- und Zeitungssprache verwandt werden, je lebendiger man sie also als Zeitwörter und zwar als aktive, mit einem Objekt verbundne Zeitwörter (''Statt finden'', d. h. ''Platz finden'') fühlt, desto widerwärtiger sind für jeden Menschen, der sich noch etwas Sprachgefühl bewahrt hat, diese fortwährenden ''stattgefundnen Versammlungen, Beratungen, Verhand-'' $Seite 165$ ''lungen, Abstimmungen, Wahlen, Prüfungen, Untersuchungen, Audienzen, Feuersbrünste'' usw.//* In Bibliotheksbekanntmachungen liest man gelegentlich sogar von ''demnächst stattzufindenden Revisionen'', und in Kunstausstellungsprogrammen von einer ''aus sechs Mitgliedern zu bestehenden Jury''!// Sie sind aber doch so kurz und bequem, soll man denn immer Nebensätze bilden? Nein, das soll man nicht; aber man soll ein wenig nachdenken, sich in dem Reichtum unsrer Sprache umsehen und schreiben: ''die veranstaltete Feier, die abgehaltne Versammlung, die vorgenommne Abstimmung, die angestellte Untersuchung, die bewilligte Audienz, die ausgebrochne Feuersbrunft'' usw., oder man soll, was in tausend und aber tausend Fällen das gescheiteste ist, das müßige Partizipium ganz weglassen. ''Die stattgefundne Untersuchung ergab'' — kann denn auch eine Untersuchung etwas ergeben, die nicht stattgefunden hat? ''In R. ereignete sich kürzlich bei einer stattgehabten Feuersbrunst das Unglück'' — kann sich denn auch ein Unglück ereignen bei einer Feuersbrunst, die nicht stattgehabt hat? ''Über den stattgefundnen Wechsel im Ministerium sind unsre Leser bereits unterrichtet'' — können die Leser auch unterrichtet sein über einen Wechsel, der nicht stattgefunden hat? Nicht viel besser als ''die stattgefundnen Versammlungen'' sind aber auch ''der bei einem Meister in Arbeit gestandne Geselle'' und ''der seit langer Zeit hier bestandne Saatmarkt, das früher bestandne Hindernis'' und ''das lange bestandne freundschaftliche Verhältnis''. Freilich sagt man in Süddeutschland: ''er ist gestanden'' und ''er ist bestanden''//** Und auch in Mittel- und Norddeutschland spricht man von ''gestandnem Wasser'' (im Gegensatz zu ''frischem''.//; aber in der Schriftsprache empfindet man das doch als Provinzialismus. Es gibt aber sogar „Schulräte," die nicht bloß von ''bestandnen Prüfungen'', sondern auch von ''bestandnen Kandidaten'' reden! Dann darf man sich freilich nicht mehr über die Zeitungschreiber und die Kanzlisten wundern.//*** Vor einiger Zeit hatte ich an mehrere hundert Personen eine Zuschrift abzufassen, auf die ebenso viel hundert teils ablehnende, teils $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte einen Schreiber mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufnen Antworten. Als er fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und auf der einen stand: ''abgelehnte Schreiben'', auf der andern: ''angenommne Schreiben''. Ich fragte ihn, was das heißen solle? Nun, das hier, sagte er, sind die Schreiben, die angenommen haben, und das hier die, die abgelehnt haben.//  
Beim Gebrauche der Zeitwörter kommen in Betracht die Genera (Aktivum und Passivum), die Tempora und die Modi. Im Gebrauche der Genera können kaum Fehler vorkommen. Zu warnen ist nur vor der unter Juristen und Zeitungsschreibern weit verbreiteten Gewohnheit, alles passivisch auszudrücken, z. B.: ''namentlich muß von dem obersten Leiter der Politik dieser Zustand als eine Erschwerung seines Amtes empfunden werden'' (statt: ''der oberste Leiter muß empfinden'') — $Seite 99$ ''das hat sehr dazu beigetragen, daß von der Regierung nicht an den bisher befolgten sozialpolitischen Grundsätzen festgehalten worden ist'' (statt: ''daß die Regierung nicht festgehalten hat'') — ''Bei einem Pachtverhältnis sollte von seiten (!) des Verpächters nicht bloß auf die Höhe der gebotnen Pachtsumme gesehen werden, sondern auch die Persönlichkeit des Bewerbers berücksichtigt und auf dessen Befähigung Wert gelegt werden'' (statt: ''der Verpächter sollte berücksichtigen''). Das Nächstliegende ist doch immer das Aktivum. Geschmacklos ist es, ein Passivum von einem reflexiven Zeitwort zu bilden: ''es brach ein Gewitter los, und es wurde sich in ein Haus geflüchtet — mit dem Beschlusse des Rats wurde sich einverstanden erklärt — über dieses Thema ist sich in pädagogischen Zeitschriften wiederholt geäußert worden''. Dergleichen Sätze kann man doch höchstens im Scherz bilden. In gutem Deutsch müssen sie mit Hilfe des Fürworts ''man'' umschrieben werden.  +